Buch, Deutsch, Band 54, 380 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 214 mm, Gewicht: 489 g
Reihe: Geschichte und Geschlechter
Eine kulturhistorische Studie
Buch, Deutsch, Band 54, 380 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 214 mm, Gewicht: 489 g
Reihe: Geschichte und Geschlechter
ISBN: 978-3-593-38171-8
Verlag: Campus
Wenn in der Frühen Neuzeit eine Ehefrau Witwe wurde, erlangte sie einen völlig neuen sozialen Status. Sie erhielt Zugang zu Lebens- und Arbeitsbereichen, die Frauen sonst verschlossen blieben. Als Grenzgängerin zwischen den Welten der Frauen und der Männer erregte sie im Lauf der Jahrhunderte jedoch immer wieder Anstoß. Gesa Ingendahl zeigt anhand unterschiedlichster Quellen aus der Reichsstadt Ravensburg, wie Obrigkeit, Zünfte und Bevölkerung verwitwete Frauen zu reglementieren suchten.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Gender Studies, Geschlechtersoziologie
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Deutsche Geschichte Deutsche Geschichte: Regional- & Stadtgeschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Mentalitäts- und Sozialgeschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Kultur- und Ideengeschichte
Weitere Infos & Material
Inhalt
Einleitung 1
Witwen als Forschungsgegenstand: Die Kulturelle. 9
Einleitung 2
Witwen im Bild: Die Dialektische. 23
1. Witwen als historische Präsenz: Die Sichtbare. 38
1.1 Witwen im Stadtraum Ravensburgs. 38
1.2 Witwen in der schriftlichen Überlieferung. 57
2. Witwen in Steuerbuch und Seelenbeschrieb: Die Einwohnerin. 83
2.1 Arme und reiche Witwen in den Steuerbüchern. 83
2.2 Der Seelenbeschrieb als Quelle. 95
2.3 Stand und Lebensunterhalt der Witwen. 107
3. Witwen als Stadtbürgerinnen: Die Stellvertreterin. 140
3.1 Als Ravensburger Bürgerinnen. 140
3.2 Als zünftige Handwerkswitwen. 151
3.3 Als Erbinnen und Schuldnerinnen. 174
3.4 Als bevogtete Witwen. 203
3.5 Als unterstützte Witwen. 224
4. Witwen in der Familie: Die Haus-Frau. 253
4.1 Heiratsverträge als Rechtsschriftstücke. 253
4.2 Witwen in quantitativen Verhältnissen. 268
4.3 Witwen als Verwandte. 289
Schluss
Witwen in Ravensburg: Die Teilhaberin. 321
Anhang
Literarisch-didaktische Quellensammlung. 329
Tabellen. 331
Quellen und Literatur. 354
Danksagung. 376
Die Verlassene
Elend und Wollust, Trauer, Armut und Alter, Lebenslust, Sinnlichkeit und Reichtum, Schutzbedürftigkeit, Keuschheit, Frömmigkeit, Magie und Hexerei - aus der Frühen Neuzeit wird ein reicher literarischer Bilderbogen zu Witwenschaft in ihrem Sein und Sollen überliefert. Die begrifflich erzeugten Bilder sind markant ausgeprägt, moralisch direkt und plastisch konkret. Sie sind eindeutig in ihren Werturteilen, unterstützen oder verachten, heißen gut oder verurteilen und verweisen auf Witwenschaft als einem komplexen gesellschaftlichen Phänomen, dessen soziale Bedingtheit in der Frühen Neuzeit kulturell intensiv bearbeitet wurde. Diese soziale Bedingtheit erwuchs aus dem unverschuldeten Verlassensein einer Ehefrau von ihrem Ehemann in einer männlich dominierten Welt. Als Grundparameter gestaltet sie in vielen historischen und gegenwärtigen Kulturen überall auf der Welt die Ausprägungen der "Witwe". Ihre frühneuzeitlichmitteleuropäischen Charakteristika entwickelten sich im Kern aus der gesellschaftlichen Funktion und Bedeutung der christlichen Ehe. Im frühen Mittelalter war die "Witwe", wie Bernhard Jussen beschreibt, als religiös fundierter Stand konzipiert worden, um über christlich-moralische Ordnungsvorstellungen nicht nur den Klerus, sondern auch die Laien in das transzendentale Heilsgeschehen mit einzubinden. Die ehelos und asketisch lebende Witwe - als Modell durchaus zunächst für beide Geschlechter angelegt - übernahm darin im dreigeteilten Ordnungsschema von "Jungfrauen","Eheleuten" und "Witwen" die Rolle der "exemplarischen Büßerin" im auf Buße fußenden Christentum. Bald verlagerte sich ihr Geltungsbereich fort vom religiös definierten Amt hin zum sozialen Stand der hinterbliebenen Ehefrauen.5 Ihre religiöse Rolle als Büßerin für die Welt verengte sich auf die Aufgabe stellvertretender Buße für den verstorbenen Mann, auf Trauer und lebenslange Totensorge. Die daraus abgeleiteten Verhaltensattribute kollidierten jedoch grundsätzlich mit den lebensweltlichen Faktoren von Witwenschaft, mit Stellvertretung, Existenzsicherung und Wiederheirat. Das führte zu einem, wie Jussen es nennt, "Widerspruch zwischen den Erfordernissen der Ewigkeit und denen des Lebens"6, der andauernd fortbestand und auch in den folgenden Jahrhunderten nicht aufgelöst wurde. Stattdessen verfestigte sich die Wahrnehmung von Witwenschaft zwischen den Polen trauernder Enthaltsamkeit und vergesslicher Wiederheirat mit all ihren sexuellen, moralischen und ökonomischen Implikationen, die die mittelalterliche Geschlechterordnung dazu bereithielt.7 Ihre widersprüchlichen Attribute ergaben den eingangs skizzierten reichhaltigen Bilderfundus, der auch die Deutungsmuster in der Frühen Neuzeit strukturierte.