E-Book, Deutsch, Band 2, 380 Seiten
Reihe: Kommissar Konrad
Indriðason Das Mädchen an der Brücke
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7325-9444-3
Verlag: Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Island Krimi
E-Book, Deutsch, Band 2, 380 Seiten
Reihe: Kommissar Konrad
ISBN: 978-3-7325-9444-3
Verlag: Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Es ist nie zu spät, einem toten Kind Gerechtigkeit widerfahren zu lassen ... Eine junge Frau ist spurlos verschwunden. Verzweifelt wenden sich ihre Großeltern an den pensionierten Kommissar Konráð, den sie von früher kennen. Sie wissen, dass ihre Enkelin Drogen geschmuggelt hat, und nun ist sie unauffindbar. Eigentlich hat Konráð mit seiner beruflichen Vergangenheit abgeschlossen und widmet sich vor allem seiner eigenen Familiengeschichte. Doch als er bei seinen Recherchen auf ein kleines Mädchen stößt, das vor Jahrzehnten im Reykjavíker Stadtsee Tjörnin ertrunken ist, will er die Wahrheit unbedingt ans Licht zu bringen. War der Tod des Mädchens wirklich nur ein tragischer Unfall? Und gibt es eine Verbindung zum Verschwinden der jungen Frau? Übersetzt von Anika Wolf
Arnaldur Indriðason ist der erfolgreichste Krimiautor Islands. Seine Romane werden in über 40 Sprachen übersetzt und wurden weltweit mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet. Das Mädchen an der Brücke ist Band 2 der Krimireihe mit Kommissar Konráð. In Island stand das Buch wochenlang auf Platz 1 der Bestsellerliste. Arnaldur Indriðason lebt mit seiner Familie in der Nähe von Reykjavík.
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Vier
Jedes Mal wenn Konráð die Sæbraut entlangfuhr, warf er unwillkürlich einen Blick zur parallel verlaufenden Skúlagata hinüber, wo sich einst der Südisländische Schlachtverband befunden hatte, mit dem schwarzen Eisentor zum Hof. Das passierte ganz von selbst, war fast wie ein Tick, den er nicht mehr loswurde. Heute war die gesamte Straße mit hohen Wohnblocks bebaut, für Konráðs Geschmack hässliche Klötze, die sich auch noch das erste Stück den Skólavörðuholt hinaufdrängten. Für Konráð zerstörten diese modernen Hochhäuser den ursprünglichen Charme des Schattenviertels, das zum alten Reykjavík gehörte. Dort war Konráð aufgewachsen, lange bevor die Stadtplaner ihre Hochhäuser aus dem Boden gestampft hatten. Es schmerzte ihn, wie mit seinem alten Viertel umgegangen wurde, und er konnte die Dummheit der Menschen nicht begreifen, die ausgerechnet diesen Ort zum hässlichsten Flecken der Stadt verschandeln mussten. Die misslungene Bebauung war aber nicht der Grund, warum er zum ehemaligen Schlachthofgelände hinüberblickte. An besagtem Tor war 1963 sein Vater gestorben, war dort von einem unbekannten Angreifer erstochen worden. In der letzten Zeit, seit Konráð sich zur Ruhe gesetzt hatte, kreisten seine Gedanken verstärkt um den Tod seines Vaters. Vor Kurzem noch war er abends losgefahren und hatte eine ganze Weile an der Stelle gestanden, wo man seinen Vater nach zwei tödlichen Messerstichen gefunden hatte. Das hatte er seit Jahren nicht mehr getan. Der Polizeibericht enthielt eine Schätzung über die Menge Blut, die auf den Gehweg geflossen war. Konráð parkte hinter dem Hauptdezernat an der Hverfisgata und suchte einen Mann von der Drogenfahndung auf, den er von früher kannte. Er berichtete ihm von den Sorgen der Großeltern, ohne jedoch die Kondome in der Kloschüssel zu erwähnen. Sie hatten gesagt, die Enkelin nenne ihren Freund Lassi, doch weitere Informationen hätten sie ihr nicht entlocken können. »Er ist einfach mein Freund«, habe sie gesagt und das Gespräch beendet. Sie wüssten nicht, wie sie Kontakt zu ihm herstellen könnten. Wüssten nicht, was er machte. Hätten noch nicht einmal seinen richtigen Namen. »Der Typ, mit dem sie zusammen ist, könnte Lars oder Lárus oder so heißen, sein Spitzname ist wohl Lassi«, sagte Konráð. »Ich dachte, vielleicht kennt ihr den. Das Mädchen heißt Daníela, Danní genannt.« »Was hast du mit diesen Leuten zu tun?«, fragte der Polizist. Er war mittleren Alters, auffallend schmal, hatte einen fusseligen Vollbart und schulterlange Haare. Er interessierte sich für Heavy Metal, hatte sogar selbst mal in einer Metal-Band gespielt. »Das sind Bekannte von mir«, antwortete Konráð. »Das Mädchen ist abgehauen. Hängt wohl an der Flasche. Sie haben mich gebeten, ihnen zu helfen.« »Ja und, bist du jetzt eine Art Privatdetektiv?« »Ganz genau«, sagte Konráð. Mit so einer Bemerkung hatte er gerechnet. »Würdest du das für mich kurz checken?« Der Schreibtischstuhl quietschte, als der Mann zu seinem PC rollte und den Namen des Mädchens eintippte, wobei er murmelte, dass er das eigentlich nicht tun sollte und es auch gar nicht dürfte. Konráð stimmte ihm zu, sagte, dass er das wisse, und dankte ihm sehr. Die Suche ergab keine Treffer. Falls die Drogenfahndung oder der Zoll jemals mit ihr zu tun gehabt hatten, gab es zumindest keinen Eintrag in der Datenbank. Mögliche Lassis hingegen gab es drei, einer davon hieß Lárus und war im selben Alter wie das Mädchen. Er war mehrfach wegen Diebstahls auf Bewährung verurteilt worden und hatte wegen der Einfuhr von Drogen im Gefängnis gesessen. »Wenn sie bei dem ist, sieht es schlecht für sie aus«, sagte der Rocker. »Der ist ein echter Vollidiot.« »Wir werden sehen«, sagte Konráð und notierte sich die Namen. »Die Leute sorgen sich um ihre Enkeltochter. Mehr weiß ich auch nicht.« »Du gibst mir Bescheid, falls du auf irgendetwas Relevantes stößt«, sagte der Rocker der Form halber. Konráð wusste, dass er bis zum Hals in Arbeit steckte und nicht wirklich daran interessiert war. »Selbstverständlich«, antwortete Konráð mit nicht minder großem Elan. Er hatte nicht vor, sich lange mit dem Mädchen zu befassen, das sicher nicht verschwunden war, sondern schlicht seinen Großeltern aus dem Weg ging. Wenn es wirklich stimmte, was ihre Oma auf der Toilette beobachtet hatte, war Danní bereits ziemlich tief gesunken, und Konráð bezweifelte, dass sie so ohne Weiteres auf den rechten Weg zurückfinden würde, nur weil man sie einfach wieder zu Hause ablieferte. Nur der seligen Erna zuliebe ließ er sich auf die Suche nach dem Mädchen ein, denn diese Leute waren ihre Freunde gewesen. Aber wenn er das Mädchen beim ersten Versuch nicht fand, würde er mit den beiden sprechen und ihnen noch einmal raten, sich an die Polizei zu wenden, selbst wenn das den Ruf der Familie beflecken sollte. Die Sache mit den Drogen musste er in jedem Fall melden. In diese Gedanken vertieft ging Konráð über den Parkplatz hinter dem Dezernat zu seinem Wagen, als ihm seine alte Kollegin und Freundin über den Weg lief. Sie hieß Marta, hielt zielstrebig auf ihn zu und wollte sofort wissen, warum er sich hier herumtrieb. Sie war die ungehobeltste Frau, der Konráð je begegnet war, groß, schwer und mit einem losen Mundwerk. Nach mehreren gescheiterten Beziehungen mit Frauen, die alle irgendwann das Handtuch geschmissen hatten, lebte sie allein. Unter seiner Führung hatte sie bei der Kriminalpolizei angefangen und sie waren schnell gute Freunde geworden. Er kannte keine bessere Kommissarin als sie. »Hallo, Marta«, sagte Konráð. »Mal wieder der reinste Sonnenschein.« »Müsstest du nicht auf dem Golfplatz stehen oder irgendeiner anderen verrückten Tätigkeit nachgehen? Hat Leó Stress gemacht?« »Nein. Was ist mit ihm?« »Der nervt unglaublich. Hat irgendwas über dich gesagt. Über eure Zusammenarbeit damals. Durch die Blume. Du weißt ja, wie er ist. Hat wieder mit dem Trinken angefangen und denkt, keiner merkt es. Armes Schwein …« »Aber er hatte doch einen Entzug gemacht?« »Ja, letztes Jahr. Das wirkt bei ihm nicht. Und womit vertreibst du dir die Tage? Drehst du nicht durch vor Langeweile?« »Darauf läuft es wohl hinaus«, sagte Konráð. »Und trotzdem beneide ich dich«, seufzte Marta und winkte im Gehen. »Was werde ich es mir nett machen, wenn ich mit diesem Blödsinn hier aufhöre …« Konráð schmunzelte. So redete sie häufiger, doch Konráð wusste, dass sie es nicht ernst meinte. Nicht nur einmal hatte er Marta darauf hingewiesen, dass keine Beziehung eine Chance haben würde, solange sie mit der Polizei verheiratet war. Mit den Adressen der drei Lassis machte er sich auf den Weg und begann mit dem, bei dem er das Mädchen am ehesten vermutete. Lárus Hinriksson hieß der Mann, offenbar ein alter Bekannter der Polizei mit einer typischen Karriere, Drogen und Kleinkriminalität von Jugend an, hatte bereits diverse Haftstrafen abgesessen und machte laufend Probleme. Er wohnte im Breiðholt-Bezirk, was für Konráð auf dem Heimweg lag. Es war ein Nachmittag im Spätherbst, und es dämmerte schon. Der kalte Nordwind war ein Vorbote des Winters, der bald Einzug halten würde. Konráð parkte vor dem Wohnblock. Im Keller wurden einzelne Zimmer vermietet, und wenn es stimmte, was der Rocker gesagt hatte, wohnte Lassi in einem davon. Vor dem Haus reihten sich Garagen aneinander. Die Haustür ließ sich nicht öffnen, also drückte Konráð auf eine der Klingeln. Keine Reaktion. Er probierte es mit einer anderen, wieder nichts, doch als er die dritte Klingel gedrückt hatte, wurde der Türöffner betätigt, ohne dass jemand wissen wollte, wer da vor der Tür stand. Konráð betrat das Treppenhaus und nahm die Treppe nach unten. Irgendwo weiter oben trat ein Mann auf den Flur und rief hinunter, wer da geklingelt habe. Konráð antwortete nicht, sondern wartete ab, bis der Mann wieder in seine Wohnung verschwand. Der Keller bestand aus einem dunklen Gang mit verschlossenen Abstellräumen, die zu den Wohnungen gehörten, und zwei separaten Zimmern. Konráð klopfte an die erste Tür und lauschte. Nichts rührte sich. Er drückte die Klinke hinunter, doch das Zimmer war abgeschlossen. Dasselbe Spiel beim zweiten Zimmer, doch diesmal ließ sich die Tür öffnen. Er trat in ein dreckiges, muffiges Nest und wusste sofort, dass er zu spät kam. Ein schmuddeliges Bett stand an einer Wand, Essensreste und andere Dinge waren über den Boden verteilt, und mittendrin lag ein Mädchen um die zwanzig. Sie trug Jeans und ein T-Shirt, das den Blick auf die nackten Arme freigab. In einer Armbeuge steckte eine Spritze. Konráð kniete sich neben sie und suchte nach ihrem Puls. Das Mädchen war tot. Und das nicht erst seit eben, wie es ihm schien. Sie lag auf der Seite, die Augen geschlossen, so friedlich, als ob sie schliefe. Konráð stieß einen Fluch aus, stand auf und zog das Foto aus der Tasche, um sicherzugehen, dass es sich um das vermisste Mädchen handelte. Sein klingelndes Handy zerriss die Stille. Der Name Eygló stand auf dem Display, und obwohl er ihre Stimme eine Weile nicht gehört hatte, war sie ihm sofort vertraut. »Wir müssen uns treffen«, sagte sie. »Gibt’s was Besonderes?« »Wir müssen reden.« »Tja, ich bin gerade ziemlich be…« »Am besten noch heute Abend, Konráð. Kannst du zu mir kommen?« »Okay«, sagte er. »Aber es könnte spät werden.« »Kein Problem, komm einfach, sobald du Zeit hast.« Sie verabschiedeten sich, und Konráð suchte...