Imhof | Die Krise der Öffentlichkeit | Buch | 978-3-593-39522-7 | sack.de

Buch, Deutsch, 319 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 404 g

Imhof

Die Krise der Öffentlichkeit

Kommunikation und Medien als Faktoren des sozialen Wandels
2. Auflage 2011
ISBN: 978-3-593-39522-7
Verlag: Campus

Kommunikation und Medien als Faktoren des sozialen Wandels

Buch, Deutsch, 319 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 404 g

ISBN: 978-3-593-39522-7
Verlag: Campus


In den aktuellen Krisen und Umbrüchen tritt die Macht der Medien und der öffentlichen Kommunikation deutlich zutage. Kurt Imhof zeigt, dass Umbruchperioden, wie etwa die jüngste Weltwirtschaftskrise, wiederkehrende Phänomene darstellen und theoriefähig sind. Aus der gesellschaftstheoretischen Auseinandersetzung mit 'Öffentlichkeit' und 'Privatheit' von den Klassikern bis in die Gegenwart entwickelt Kurt Imhof eine Theorie des neuen Strukturwandels der Öffentlichkeit und begründet die Kommunikation als wichtigsten Faktor des sozialen Wandels.

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Inhalt

Vorwort 7

Einleitung: Öffentlichkeit und sozialer Wandel 10

1 Öffentlichkeit und Deliberation 36
1.1 Aporien der Freiheit 38
1.2 Basisnormen der Moderne 45
1.3 Öffentlichkeit und Deliberation in der Sozialtheorie 51

2 Krise der Öffentlichkeit (Theorie der Öffentlichkeit) 85
2.1 Arenen, Kommunikationsflüsse und Akteure 90
2.2 Funktionen der Öffentlichkeit 99
2.3 Neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit 108
2.4 Moralische Repolitisierung und Personalisierung der Ökonomie 149

3 Öffentlichkeit in Krisen (Theorie der Krise) 160
3.1 Dualisierung der Konflikttheorie 161
3.2 Revolutionen und die Differenzsemantiken der Moderne 176
3.3 Regularitäten in der Diskontinuität 181
3.4 Krisen und Gesellschaftsmodelle 198

4 Semiautonome Sphären und autonome Öffentlichkeiten 214
4.1 Wissenschaft in der politisch-kulturellen Öffentlichkeit 219
4.2 Religion in der politisch-kulturellen Öffentlichkeit 222
4.3 Kunst in der politisch-kulturellen Öffentlichkeit 225
4.4 Wissensvermittlung in der politisch-kulturellen Öffentlichkeit 230
4.5 Verschiebung der Rationalitätsbezüge im neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit 246
4.6 Autonome Öffentlichkeiten 251

5 Resümee: Zwischen Barbarei und Zivilität 268
5.1 Krisenanalyse und Krisentypen 269
5.2 Voraussetzungen und Hindernisse eines neuen Gesellschaftsmodells 284

Literatur 290


Die Moderne wird zur Moderne, indem ihre Subjekte sich selbst als Produzenten sozialer Ordnung entwerfen. Dieser Schritt bedeutete, die "Vernunft" an die Stelle der "Vorsehung" zu setzen. Für den sozialen Wandel dieser Moderne ist an diesem epochalen Vorgang entscheidend, dass "ihr" säkulares Weltbild im Gegensatz zu allen vormodernen, religiösen Weltbildern keine krisenresistenten Weltinterpretationen mehr zulässt. Alles erklärende religiöse Begriffe wie "Schicksal", "Vorsehung" und "Fügung" verlieren in Sprache und Denken ihren Sinn stiftenden Gehalt. Das einst das "Wahre", das "Gute" und das "Schöne" umfassende Wahrheitsverständnis religiösen Denkens muss einem wissenschaftlichen Wahrheitsbegriff weichen, der über Beobachtung (Experiment) und Diskurs Aussagen über Sachverhalte der objektiven Welt produziert. Die göttlich gesetzte Ordnung, das Gute, muss einer sozialen Ordnung weichen, deren Normen und Werte wohl zu einem großen Teil in der religiösen Tradition wurzeln, aber nun weltanschaulich begründet werden müssen. Und schließlich muss das über Begriffe wie "Seele", "Gewissen" und "Talent" von Gott verliehene Schöne im Menschen mitsamt dem damit gegebenen identifikativen Bezug der Gläubigen zum Göttlichen und zur Glaubensgemeinschaft neuen Kollektividentitäten weichen, die auch säkular begründet werden müssen.

Solange das religiöse Weltbild, das das Wahre, das Gute und das Schöne im Gottesbegriff zusammenhielt, das Denken beherrschte, konnte der soziale Wandel noch nicht jene Fragilität und Innovativität entwickeln, die ihn seit Beginn der Moderne kennzeichnen. Im Maße jedoch, wie sich das posttraditionale Denken über die am beruflichen Erfolg orientierte Wirtschaftsethik des Protestantismus, über die Milieus der Kunst-, Literatur- und Wissenschaftsproduktion sowie über die Naturrechts- und Aufklärungsphilosophie durchsetzt, wird vorab in der öffentlichen Kommunikation der Bezug zum Göttlichen eliminiert. Damit wird die in der Vorsehung gründende Stabilität des religiösen Weltbildes preisgegeben. Dies war die Voraussetzung der Revolutionen am Ende der anciens régimes. Zusätzlich wurde durch die Affinität der protestantischen Ethik mit den bereits in der frühen Neuzeit entstandenen marktwirtschaftlichen Sphären und der staatlichen Bürokratie sowie durch die Verbindung von Wissenschaft und Technik der Okzident zum Industriekapitalismus transformiert und entzaubert.

Die Vorgänge in der Welt können nun nicht mehr mit einer Gottesfigur erklärt werden, in deren Vorsehung sie gründen. An die Stelle dieser transzendentalen Sinnstiftung tritt auf folgenreiche Weise der Anspruch auf Vernunft. Der Vernunftgebrauch oder der "Austritt aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit" ist jedoch an Zeit gebunden, weil er einen kollektiven Emanzipationsprozess erfordert. Erst dem modernen Denken ist eigen, dass die Entwicklung von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft als irreversibler Vorgang interpretiert wird, in dem die Geschichte als fortlaufender Prozess der Menschheitsrealisierung erscheint. Damit vollzieht sich jene grundsätzliche Wandlung des Zeitverständnisses, die Reinhard Koselleck als sprunghaft gewachsene Differenz zwischen "Erfahrungsraum und Erwartungshorizont" beschrieben hat. Der "Erwartungshorizont" schießt mit dem Beginn der Moderne weit über den "Erfahrungsraum" hinaus. Dieser Erwartungshorizont entsteht in der neuen Perspektive geschichtsphilosophischen Denkens zunächst im Öffentlichkeitsverständnis der Aufklärungsbewegung: Darin verwandeln sich die Eschatologien der Vormoderne in säkulare Zukunftserwartungen, die über menschliches Handeln eingelöst werden können, sofern dieses Handeln der Vernunft gehorcht. Dies ist im aufgeklärten Weltbild dann der Fall, wenn die Bürger sich wechselseitig Publikum sind und sich in freier Kommunikation selbst aufklären. Indem diese freie Kommunikation Vernunft hervorbringt, sichert sie die Zivilisierung des Menschen wie der Gesellschaft.

Dieser utopischen Hoffnung verdanken wir vieles, insbesondere den modernen Rechtsstaat, der die freie Öffentlichkeit zu schützen hat, und die Grundrechte, die sie zu ermöglichen haben. Von dieser utopischen Hoffnung erbten wir aber auch einen neuen Sinnbedarf und eine offene Zukunft, weil nun die göttliche Fügung in der öffentlichen Kommunikation keine Rolle mehr spielen darf. Die einst die soziale Ordnung insgesamt bestimmende religiöse Metaphysik zieht sich - unter Einbuße ihrer Geschlossenheit - in den vorerst unpolitischen Raum des Privaten zurück. Hier in der privaten Sphäre modernen Lebens bleiben die religiöse Gesinnung sowie religiöse, magische und esoterische Handlungen durch die ganze Moderne hindurch Sinn stiftend. Die Öffentlichkeit ist hingegen seit der Aufklärung dem Geltungsanspruch der Vernunft und damit der Säkularisierung ausgesetzt.


Kurt Imhof ist Professor für Publizistik und Soziologie und Leiter des 'Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög)' an der Universität Zürich.



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