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E-Book, Deutsch, 168 Seiten

Imbach Unstimmigkeiten im Reich Gottes

Kurioses und Kritisches aus dem Leben der Heiligen

E-Book, Deutsch, 168 Seiten

ISBN: 978-3-7917-6249-4
Verlag: Friedrich Pustet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Warum die Liebe den einen durch den Magen und anderen auf die Nerven geht? Wie aus einer Heiligen eine Hure wurde? Worüber griesgrämige Christenmenschen nachdenken sollten? Das erfährt, wer sich mit Heiligenviten und -legenden befasst. Heilige gelten als Vorbilder. Aber längst nicht alle sind nachahmenswert. So ist etwa die Grenze zwischen Glaubenseifer und Fanatismus oft fließend. Mehrere "Heilige", die sich zeitweise großer Verehrung erfreuten, haben nie existiert. Andere verdanken ihren Aufenthalt im Heiligenhimmel weniger ihrer Lebensweise als vielmehr der Legende, die für ihre Geschwätzigkeit bekannt und allemal bereit ist, Unerfreuliches zu beschönigen und zu verklären.
In seiner launig-lockeren Darstellung folgt der Autor dem paulinischen Rat: "Prüft alles und behaltet das Gute!"
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Serienangefertigte Heiligenscheine
WIE MARTIN ZUR GANS UND EIN BETTLER ZU EINEM HALBEN MANTEL KAM SPÄTESTENS GEGEN ENDE OKTOBER, wenn Rilke wieder einmal recht behält („Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. / Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, / wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben …“) und der Herbst schon fortgeschritten ist und an die bald einmal fällige Martinsgans erinnert, läuft selbst militanten Atheisten und eingefleischten Agnostikerinnen das Wasser im Mund zusammen. Der Gänsebraten kommt zusammen mit dem noch jungen, kaum vergorenen Wein aber erst am 11. November auf den Tisch, zu Sankt Martini, wie aufrechte Christenmenschen zu sagen pflegen. Einer Legende zufolge soll Martin einst dem norwegischen König Olav I. Tryggvason († 1000) im Traum erschienen sein und ihn aufgefordert haben, anstelle des heidnischen Gottes Odin ihn, Martin, durch Trankopfer zu ehren. Auf diese Weise erhielt ein kollektives Besäufnis, wenn es sich denn schon nicht verhindern ließ, zumindest einen christlichen Anstrich. Im österreichischen Burgenland verbreitet war der Brauch des Martinilobens, der darin bestand, am 11. November jungen Wein auszuschenken. In Köln sprach man in diesem Zusammenhang von der Martinsminne. Ausgelassene Trinkgelage am Martinsfest in weiten Teilen Europas sind schon früh dokumentiert. Bereits im 6. Jahrhundert sah sich eine im französischen Auxerre abgehaltene Synode gezwungen, die feuchtfröhlichen Exzesse der Martinijünger zu verbieten, allerdings mit mäßigem Erfolg. Aus mährischen Dörfern ist bekannt, dass noch im ausgehenden 19. Jahrhundert der neue Wein nach demjenigen benannt wurde, der am Martinitag den größten Rausch davongetragen hatte. Der hieß dann je nach Namensträger Sepplwein oder Franzlwein oder Gustlwein … In den Dörfern, an denen am Martinsabend zu Ehren des heiligen Bischofs der Laternenumzug stattfindet (ein Brauch, der sich in vielen Gegenden erhalten hat), gehen sogar jene auf die Straße, die mit der Kirche nichts am Hut haben. Über den Ursprung dieser Veranstaltungen gibt ein handgeschriebenes aus dem 11. Jahrhundert stammendes Missale aus dem Kloster von Monte Cassino Aufschluss. Für die Eucharistiefeier am Martinstag war damals ein Evangelientext vorgesehen, in dem es unter anderem heißt: „Eure Hüften sollen gegürtet sein und eure Lampen brennen“ (Lk 12,35). Vom Licht war auch in dem im Auftrag des Konzils von Trient erneuerten Römischen Brevier von 1568 in einer der Lesungen zum Martinsfest die Rede: „Dies ist die Lampe, die angezündet wird, die Tugend unseres Geistes und Sinnes …“ Heute weiß kaum jemand mehr, dass die Vorweihnachtszeit vorzeiten nicht mit dem ersten Adventssonntag, sondern bereits unmittelbar nach dem Martinstag begann. Dies wiederum hängt mit dem ursprünglichen Datum des Weihnachtsfestes zusammen, das anfänglich am 6. Januar, also an Epiphanie (‚Erscheinung des Herrn‘; später auch ‚Dreikönigstag‘ genannt), gefeiert wurde. Auf Weihnachten bereitete man sich mit einem vierzigtägigen Fasten vor, welches an die Zeit erinnern sollte, die Jesus vor seinem öffentlichen Auftreten in der Wüste zubrachte. Die vierzig Tage zählte man unter Auslassung der Sonnabende und der Sonntage von Epiphanie aus zurück und gelangte so zum 12. November, dem Tag nach Sankt Martini. Als man in Rom im 3. Jahrhundert die Feier des Weihnachtsfestes auf den 25. Dezember vorverlegte, verkürzte sich die lange Bußzeit ganz von selbst. Offiziell wurde die neue Fastenordnung von einer im Jahr 581 in Mâcon abgehaltenen Kirchenversammlung bestätigt – und gleichzeitig gemildert: „Vom Tag des heiligen Martin an bis Weihnachten muss [nur] am Montag, Mittwoch und Freitag gefastet werden.“ Schon damals empfanden viele diese Vorschrift als hart. Inzwischen ist sie längst nicht mehr in Kraft. Das gilt auch für manche andere mit dem 11. November verbundene Gepflogenheiten. Während der vorweihnachtlichen Fastenzeit waren im Mittelalter nicht nur lärmige Festivitäten, sondern auch sämtliche Rechtsgeschäfte untersagt. Dieses Verbot wiederum bewirkte indirekt, dass ‚Martini‘ zu einem wichtigen Zinstermin wurde und dass an diesem Tag der Gesindewechsel stattfand. Die Handwerker und Händler veranstalteten bei dieser Gelegenheit den letzten großen Jahrmarkt. Dass es dabei oft recht weinfeucht zuging, lag in der Natur der Sache. Tatsächlich fällt der Martinstag in etwa mit dem Zeitpunkt zusammen, an dem der Traubensaft die Gärung erreicht. Gleichzeitig mussten die auf den Bauernhöfen gemästeten Gänse wegen des anstehenden Futtermangels geschlachtet werden. Damit ist auch das Geheimnis gelüftet, wie der heilige Martin zur Gans und die Weinbauern zu ihrem Patron kamen. Das Gansessen am Gedenktag des Heiligen, das vielerorts noch heute zum festen Repertoire gehört, beflügelte auch die Fabulierfreude fantasievoller Prediger, die die Mär in die Welt setzten, dass sich der schüchterne Martin nach seiner Wahl zum Bischof in einem Gänsestall versteckte, um das Amt nicht annehmen zu müssen, und dann vom Schnattern der aufgeregten Tiere verraten wurde … Dass das Gansessen am Martinstag immer schon ein bisschen ausgelassen begangen wurde, dokumentieren einige in einer Handschrift aus der Zeit um 1400 überlieferte Liedverse, die man vermutlich zum Auftakt des Gelages anstimmte: Martin, lieber Herre, nun lass uns fröhlich sein, heut zu deinen Ehren und durch den Willen dein. Die Gäns’ sollst du uns mehren, und auch den kühlen Wein; gesotten und gebraten, sie müssen all herein! Herein kamen sie nicht nur in die Mäuler und Mägen, sondern bisweilen sogar in die Predigten. Von einem gewissen Melchior de Fabris ist überliefert, dass er gegen Ende des 16. Jahrhunderts eine Martinspredigt hielt, deren Titel uns heute mehr erheitert als erbaut. Von der Martins Gans. Ein schöne nützliche Predig / darinnen zuo sehen ein feyne außlegung deß H. Evangelij: Unnd ein hailsame anmanung / wie und was gestalt wir S. Martins Gans essen / und unser leben in ein andern gang richten sollen. / Gedruckt im Closter zuo Thierhaupten 1595. Kann man es dem Prediger verübeln, wenn er in seiner Betrachtung den Blick der Gläubigen auf das Evangelium lenkt, ohne dabei die Gans aus dem Auge zu verlieren? Im Zusammenhang mit dem zu Martini verzehrten Gänsebraten sind im Lauf der Zeit allerlei Spiele entstanden, so etwa das sogenannte Gansscheibenschießen, bei dem der Sieger eine ‚Martinsgans‘ gewann. Eine besondere Volksbelustigung bildet das Gansreißen (in der Schweiz spricht man von der ‚Gansabhauet‘) mancherorts noch heute. In dem am schweizerischen Sempachersee gelegenen Städtchen Sursee spannt man dazu einen Draht über den Rathausplatz, an dem eine abgestochene Gans hängt. Ein mit Maske und stumpfem Säbel ausstaffierter Kandidat (mittlerweile sind auch Frauen willkommen) muss Kopf und Rumpf der Gans mit einem einzigen Hieb trennen. Wer’s schafft, kriegt die Beute. Der um 316 geborene Martinus wuchs als Sohn eines römischen Militärtribuns in Pannonien im heutigen Ungarn auf. Die Jugend verbrachte er in Pavia, der Heimat seines Vaters, wo er erstmals mit dem Christentum in Berührung kam. Im Alter von zehn Jahren wurde er in die Gruppe der Taufbewerber aufgenommen. Als Sohn eines römischen Offiziers war er zum Militärdienst verpflichtet. Mit 15 Jahren gehörte er zur Leibwache Kaiser Konstantins II., der in Mailand residierte. Ab 334 war Martin als Soldat der Reiterei im gallischen Amiens stationiert. Irgendwann begegnete er an einem kalten Wintertag einem frierenden Bettler. Spontan teilte er seinen Mantel mit dem Schwert und gab die eine Hälfte dem Unglücklichen. 351 empfing er als 35-Jähriger die Taufe. Ein Jahrfünft danach, nachdem er sich vom Krieger zum Pazifisten gemausert hatte, wurde er aus dem Heerdienst entlassen und zog sich als Einsiedler auf die Insel Gallinara bei Genua zurück. Wieder in Gallien, errichtete er 361 in Ligugé das erste Kloster des Abendlandes. Zehn Jahre danach, als der Bischofssitz von Tours vakant wurde, wollte ihn das Volk gegen den Widerstand des Klerus zum Bischof haben. Statt in der Stadt zu residieren, wählte er als Wohnsitz eine Holzhütte vor der Stadtmauer. Am 8. November 397 verstarb der als Mönchsvater und Missionar hochverehrte Martin im Alter von 81 Jahren. Am 11. November wurde er in Tours unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zu Grabe getragen. Was wir über Martin wissen, verdanken wir zum größten Teil seinem Freund und Biografen Sulpicius Severus. Dessen Vita Martini jedoch unterscheidet sich nur wenig von anderen Heiligendarstellungen, mittels derer man in der Antike den Gläubigen die Heiligen schmackhaft zu machen versuchte. Viele dieser Viten, die von der Spätantike bis hinauf ins hohe Mittelalter verfasst wurden, gleichen einander fast wie eineiige Zwillinge. Die...


Josef Imbach,
Dr. theol., war Professor für Fundamentaltheologie an der Päpstlichen Theologischen Fakultät San Bonaventura in Rom und Lehrbeauftragter für Katholische Theologie an der Universität Basel. Er ist an der Seniorenuniversität Luzern, in der Erwachsenenbildung und in der praktischen Seelsorge tätig.


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