E-Book, Deutsch, 312 Seiten
Illmann Kult war nicht geplant
Erstauflage 2021
ISBN: 978-3-948486-53-2
Verlag: CharlesVerlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Sehnsucht 80er: Lebensgefühl, Popmusik, Videoclips - Ein Blick hinter die Kulissen gestern und heute
E-Book, Deutsch, 312 Seiten
ISBN: 978-3-948486-53-2
Verlag: CharlesVerlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Peter Illmann prägte als Moderator der bis heute unvergessenen Sendungen »P. I. T.«, »Peters Pop Show« und vor allem der legendären Musiksendung »Formel Eins« eine ganze Generation. Illmann war neben Gottschalk DIE Stimme der 1980er Jahre und stellte mit Sprüchen wie »Ich bin für alles bereit, aber zu nichts zu gebrauchen« eine unvergleichlich sympathische Nähe zu seinem Publikum her.
In diesem Buch verarbeitet Peter Illmann nicht nur Autobiographisches, sondern präsentiert auch bis dato unbekannte Geschichten aus der Medienwelt - inklusive Anekdoten aus der Prominentenszene. Er setzt sich mit gesellschaftlichen,
sozialen, politischen und technischen Entwicklungen der damaligen Zeit auseinander und stellt sie späteren Entwicklungen gegenüber, nimmt sie kritisch unter die Lupe und bewertet sie in seinem ihm ureigenen Tonfall.
Weitere Infos & Material
Statt Bundeswehr ins Kloster Nach dem Ende der Schulzeit hatte ich ganz andere Probleme: Es drohte die Einberufung zur Bundeswehr. Für mich war klar, Dienst an der Waffe kam nicht infrage, ich musste den Wehrdienst verweigern. Das war Ende der 1970er-Jahre noch eher die Ausnahme und bedeutete einen regelrechten Spießrutenlauf, um die diversen Gewissensprüfungen zu bestehen. Möglicherweise verdankte ich meine Entschlossenheit einfach der Unerschrockenheit der Jugend, aber vor allem den abstoßenden Geschichten, die mir von den autoritären, hierarchischen Strukturen der Bundeswehr berichtet wurden: Vorgesetzte, die sinnlose Befehle gaben, nur um Untergebene zu demütigen, Ordnung und Disziplin um ihrer selbst willen. Für mich wäre das die Hölle gewesen, auch wenn ich weiß, dass Armeen leider immer noch notwendig sind. Mein Vater hätte meinen Dienst in Uniform durchaus gerne gesehen. Das war nicht einer Faszination für das Militär, sondern der Überzeugung geschuldet, dass einem jungen Mann die Vermittlung von Disziplin und Ordnung gut zu Gesichte stünde, was rückblickend – selbstkritisch betrachtet – möglicherweise nicht falsch gewesen wäre. Allerdings verstand er meinen Standpunkt und machte sich daran, die seinerzeit erforderliche schriftliche Stellungnahme seitens der Eltern zu verfassen, in der er meinen Antrag auf Wehrdienstverweigerung argumentativ unterstützte. Das fiel ihm sicherlich schwer, aber er hat es gemacht. Die an ein Kreuzverhör erinnernde Gewissensüberprüfung absolvierte ich ohne Angst. Selbst die gebräuchliche provokante Frage »Was würden Sie tun, wenn jemand vor Ihren Augen Ihre Mutter tödlich bedroht?« beantwortete ich souverän mit: »Wissen Sie, das kann ich mir so wenig vorstellen, dass ich das theoretisch nicht beantworten kann. Wenn ich in der Situation bin, werde ich mich entscheiden. Aber zum jetzigen Zeitpunkt kann ich es Ihnen nicht sagen.« »Ja, aber Sie müssen doch …!«, begann die Gegenseite zu insistieren, was ich mit »Nein, kann ich nicht« konterte. Was nun auch immer den Ausschlag gab, weiß ich nicht, aber ich wurde vom Wehrdienst befreit. Die »Gewissensprüfung« zur Vermeidung der Bundeswehr hatte ich also erfolgreich bestanden, nun war die Frage: Wo mache ich meinen Zivildienst? Eigentlich fühlte ich mich ganz wohl in Dortmund, aber das war die Chance auf etwas mehr Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Freiheit. Eine andere Stadt, eigenes Zimmer, weg von den Eltern! »Geh doch nach Köln oder Düsseldorf, da ist mehr los als im Ruhrgebiet«, meinten einige Freunde. Aber mich zog es weiter weg. Warum es nun München sein musste, weiß ich auch nicht ganz genau. Vielleicht war es das Image als »heimliche Hauptstadt« mit Charme und Boheme, Optimismus und Lebensfreude. In München lebten viele Künstler, vom Schlagerstar Jürgen Marcus über bekannte Schauspieler wie Senta Berger bis hin zu meinem Regie-Idol Rainer Werner Fassbinder. Fast alle großen Filme wurden durch die Bavaria Film GmbH produziert (Babelsberg war damals noch in den Händen der DEFA in der DDR) und selbst die Krimiserien im deutschen Fernsehen spielten meist in München (»Der Kommissar«, »Derrick« etc.). Vor allem aber gab es das Oktoberfest! Nicht, dass ich auf das Bier aus war, was ja für die meisten das Wichtigste auf der Wiesn ist. Das lernte ich erst später zu schätzen. Schon als kleiner Junge hatten mich die Fahrgeschäfte fasziniert, die Atmosphäre des Rummels. Zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen zählten die Besuche auf der Cranger Kirmes in Wanne-Eickel, auch heute noch eine Institution. Mein Traum war schon damals, Sprecher bei der »Raupe« zu sein: »Zusteigen, Anteil nehmen, die nächste Fahrt rückwärts!« Das habe ich nie geschafft, aber Fernsehmoderator geht ja ein wenig in die Richtung: Ich spreche in ein Mikrofon, die Leute hören zu und haben hoffentlich Spaß. Wenn eine Stadt das größte Volksfest der Welt auf die Beine stellt, kann dort zu leben ja auch nicht ganz schlecht sein. Klingt aus heutiger Sicht etwas naiv, aber so war mein Gefühl und manchmal sollte man Gefühlen einfach vertrauen. Also ließ ich mir vom Zivildienstamt Adressen für mögliche Stellen in München schicken. Von dieser Liste wollte ich mir zwei genauer ansehen, und das hieß: Auf nach München! Dort musste ich erst mal ein günstiges Zimmer zum Übernachten bekommen. Im Internet nachschauen, Zimmer in Citylage, möglichst günstig, das ging damals leider noch nicht. Manchmal frage ich mich, wie ich vor den Zeiten des Internets überhaupt Hotels und Urlaube gebucht habe. Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit: Ich griff zum Telefon. »Grüß Gott, Fremdenverkehrsamt München! Wie kann ich Ihnen helfen?« Die freundliche Dame mit leicht bayerischem Akzent weiß wohl bis heute nicht, dass sie mich in meinem Entschluss für München sehr bestärkt hat. Das war doch etwas anderes als ein eher ruppiges »Verkehrsamt Bottrop, was gibts?«. Nicht falsch verstehen, ich weiß als Dortmunder die nüchterne, direkte Sprechweise in NRW durchaus zu schätzen. Und dass sie nicht immer unfreundlich gemeint ist, versteht sich auch. Aber beim Münchener Akzent ging für mich irgendwie verbal die Sonne auf, in einigen anderen Teilen Deutschlands versteckt sie sich dagegen eher in Nebelschwaden und man muss sie erst suchen. Der Zivildienst war dazu gedacht, der Gesellschaft etwas zu geben. Aber irgendetwas sollte mir das auch bringen, dachte ich. Somit hatte ich mir als Erstes das Haus International ausgesucht. Dieses Jugendhostel gibt es auch heute noch in der Elisabethstraße in München. Mit Jugendlichen aus der ganzen Welt zu tun zu haben, das erschien mir interessant. Meine Arbeit sollte allerdings mehr eine Art Hausmeisterstelle sein und mit meinen zwei linken Händen wäre das nicht so ideal gewesen. Außerdem strahlte mein Ansprechpartner dort das Gegenteil von Münchener Leichtigkeit aus, er wirkte einfach nur bräsig und unfreundlich. Wieder einmal hörte ich auf mein Bauchgefühl und sagte Nein. Die zweite Adresse war die Abtei St. Bonifaz in der Karlstraße, mitten in der Stadt. Diese Wahl ist vielleicht erstaunlich nach meinen schlechten Erfahrungen mit einem von Nonnen geführten Kinderheim auf Norderney. Ich bin zwar katholisch getauft, aber sehr viel hatte ich mit der Kirche eigentlich nicht am Hut. Die Benediktinerabtei gehörte zum bekannten Kloster Andechs am Ammersee (ja, das mit dem wunderbaren Bier aus einer der wenigen unabhängigen echten Klosterbrauereien). Das deutete auf eine gewisse Weltläufigkeit hin, aber auch hier war nicht das Bier der Grund meiner Entscheidung. Es war vor allem der damalige Abt Odilo Lechner, der mich mit seiner ruhigen, intellektuellen und auch einfühlsamen Art begeisterte. »Dilatato Corde – mit weitem Herzen« war sein Wahlspruch aus der Benediktinerregel, den er wirklich beherzigte und lebte. Odilo Lechner hielt Vorträge, schrieb Bücher zu religiösen, spirituellen und esoterischen Themen und wurde zu einem der bekanntesten und angesehensten Theologen Bayerns. Er war aber auch verantwortlich für den Wirtschaftsbetrieb Andechs mit besagter Brauerei, die ihre Spezialitäten in alle Welt verkaufte. Abt Odilo hatte einen Dienstwagen mit Chauffeur und eine Sekretärin, die ich in einem Klosterbetrieb eher nicht vermutet hätte. Neben der Abtei und der Basilika war ein Veranstaltungszentrum gebaut worden. Hier finden bis heute kirchliche und kulturelle Veranstaltungen statt: Vorträge, Diskussionen, Film- und Lichtbilderabende. Das sollte meine Wirkungsstätte als Zivildienstleistender sein: Gäste begrüßen, Events organisieren, Saal und Räume für den jeweiligen Zweck herrichten. Hörte sich interessant an, das war das Richtige! Die Stelle und auch eines der Zimmer im Studentenheim der Abtei waren allerdings noch für zwei Monate von meinem Vorgänger besetzt und so wollte man für mich übergangsweise eine andere Lösung finden. Die sah dann folgendermaßen aus: Ich sollte Pater Benedikt, dem Leiter der umfangreichen Klosterbibliothek, zur Hand gehen. Hätte auch interessant sein können, war es aber nicht. Ich musste jedes einzelne Buch aus dem Regal nehmen, mit einem Staubsauger vom Staub der Jahrzehnte befreien, abwischen und wieder zurückstellen. Bei der enormen Größe der Bibliothek sah ich mich schon monatelang diese doch sehr gleichförmige Arbeit verrichten und eine etwas schlechte Stimmung machte sich bei mir breit. Diese wurde durch meine Unterbringung in einem Klosterzimmer noch verstärkt: ein schmaler, hoher, weiß gestrichener Raum, schon etwas vergilbt, in dem sich ein Bett, ein alter Schrank und an der Wand ein Holzkreuz befanden – nicht gerade gemütlich. Mittags nahm ich zunächst am Essen der Glaubensbrüder teil. Abgesehen von Gebeten wurde geschwiegen. Immerhin waren die Speisen ziemlich gut. Am schlimmsten war es abends in der Abtei: Ab etwa 20 Uhr herrschte Totenstille und ich ging durch hohe, kalte Gänge, vorbei an Heiligenbildern und Kreuzen, in mein Zimmer. Gruselfilme, die in alten Klöstern spielten, waren ständig in meinem Kopf und hinter jeder Ecke vermutete ich den von Pfeilen durchbohrten Heiligen Sebastian oder andere grausam zugerichtete Märtyrer. Der Film »Der Name der Rose«, den ich Jahre später sah, drückt genau diese Stimmung aus. Um wenigstens mein Zimmer etwas wohnlicher zu gestalten, hatte ich eine grandiose Idee: Ich zog eine Art Zwischendecke aus rosa Krepppapier ein. »Das sieht doch eh keiner«, dachte ich mir. Falsch gedacht: Als ich vom Weihnachtsaufenthalt bei meinen Eltern zurück nach München kam, hatte man mein Zimmer neu gestrichen. Die Krepppapierdekoration war verschwunden,...




