Humboldt / Lubrich | Die Russland-Expedition | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Reihe: textura

Humboldt / Lubrich Die Russland-Expedition

Von der Newa bis zum Altai

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Reihe: textura

ISBN: 978-3-406-73379-6
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Mit seiner Russland-Reise im Jahr 1829 erfüllt sich für Alexander von Humboldt ein Jugendtraum. Nach dem Südamerika-Unternehmen dreißig Jahre zuvor ist es seine zweite große Expedition - die bislang jedoch weitaus weniger bekannt ist.
Auf Einladung des Zaren Nikolaus I. bereist Humboldt die Weiten des eurasischen Kontinents bis an die chinesische Grenze. Mehr als 18.000 Kilometer werden er und seine Begleiter am Ende zurückgelegt haben. Während Humboldt die Natur erforscht - Berge und Gesteine, Tiere und Pflanzen und vor allem das Klima -, durchmisst er zugleich ein Imperium, das sich in einer Phase der Repression befindet. Von politischen Zwängen kann auch er sich nicht freihalten. Aus den Reisebriefen Humboldts an den russischen Finanzminister, an den Bruder Wilhelm und den Freund François Arago sowie dem Bericht seines Begleiters Gustav Rose hat Oliver Lubrich eine mehrstimmige Erzählung von dieser Expedition zusammengestellt. Sie vermittelt ein lebhaftes Bild des schon damals international berühmten Gelehrten, aber auch des einfühlsamen Bruders und Freundes.
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Rose
Das linke Ufer des Irtysch ist in dieser Gegend frei und steppenartig. Es wird von den nomadisirenden Kirgisen der grossen Horde bewohnt, die indessen auch auf dem rechten Ufer herumstreifen. Wir kamen bei mehreren ihrer Aule vorbei, wie man ihre zusammen herumziehenden Gemeinden nennt, und fanden in der Nähe derselben auch den Boden stellenweise bebaut. Meistentheils sahen wir Hirse (Holcus Sorgum) gezogen, die überall recht gut stand, weil die Kirgisen den Acker sehr geschickt zu bewässern verstehen, und ihn überall mit kleinen Gräben durchschneiden, durch welche das Wasser von den Bergen dem Acker zugeführt wird. Auch Weizen sollen die Kirgisen in der Steppe bauen. Um 1 Uhr kamen wir bei dem chinesischen Posten an; es sind eigentlich deren zwei, einer auf dem rechten, ein anderer auf dem linken Ufer des Irtysch, deren Mannschaft in Zelten oder kirgisischen Jurten,[1] die ohne Ordnung durcheinander gestellt sind, wohnt. In dem Posten des linken Ufers stehen Mongolen, in dem des rechten Ufers Chinesen, doch werden beide von chinesischen Offizieren befehligt. In der Mitte zwischen beiden Posten befindet sich auf einer Insel im Irtysch ein kleines Kosaken-Piket unter einem Rittmeister (Jessaul), für welches dort einige Häuser erbaut sind. Diess Piket ist dazu bestimmt, die Aufsicht über den Fischfang zu führen, der von den Kosaken der umliegenden Dörfer auf dem chinesischen Irtysch bis zum Saissan-See getrieben wird, die mässige Abgabe an Salz und Stören, die sie dafür dem chinesischen Posten zu entrichten haben, anzuordnen, und überhaupt auf die Erhaltung des guten Einverständnisses zwischen Russen und Chinesen zu sehen. Im Winter, wo kein Fischfang getrieben wird, zieht sich das Russische Piket bis zum nächsten Dorfe Krasnojarsk zurück, dann bleibt aber auch der chinesische Posten nicht auf seiner Stelle, sondern geht nach Tschugutschack einer Stadt im Süden des Saissan Sees zurück. Da unsere Ankunft schon vorher angemeldet war, so hatten die Kosaken des russischen Pikets zwei kirgisische Jurten auf dem rechten Ufer aufgeschlagen, in welchen wir erst abstiegen, und sodann dem Befehlshaber des rechten Postens einen Besuch machten. Er kam uns schon vor seinem Zelte mit zwei Begleitern, die hinter ihm gingen, entgegen. Es war ein langer, hagerer, und wie es schien noch junger Mann, mit einem blauen seidenen Ueberrocke bekleidet, der bis zu den Knöcheln hinabreichte, und mit der bekannten spitzen, unten umgekrempten Mütze bedeckt, in welche hinten mehrere, seinen Rang verkündende Pfauenfedern horizontal gesteckt waren. Seine Begleiter waren ebenso gekleidet, hatten aber die Pfauenfedern in der Mütze nicht. Er lud uns durch Zeichen ein, in sein Zelt zu treten, eine kirgisische Jurte, in welcher der Thür gegenüber und zur Seite mehrere Koffer und Kisten mit Teppichen und Polstern bedeckt standen, und ein Teppich auf dem Boden ausgebreitet war. Der Chinesische Befehlshaber nahm der Thür gegenüber Platz, ihm zur Seite Herr v. Humboldt, die übrige Gesellschaft setzte sich theils auf die übrigen Kisten oder Polster, oder auf den Boden. Wir hatten einen Dolmetscher aus Buchtarminsk mitgebracht, der indessen nur mongolisch sprach, welches aber der Chinesische Offizier verstand. Die Fragen des Herrn v. Humboldt wurden daher nun von unsern russischen Begleitern dem Dolmetscher ins Russische, und von diesem dem chinesischen Offiziere ins Mongolische übersetzt, und denselben Weg machten die Antworten zurück. Der chinesische Befehlshaber bot uns Thee an, welcher von den Chinesen ohne Milch und Zucker getrunken wird, wofür ihm aber gedankt wurde; er erkundigte sich darauf nach der Absicht der Reise des Herrn v. Humboldt, welcher ihm erwiedern liess, dass er gekommen sei, um die Bergwerke, von denen der chinesische Offizier wohl Kenntniss hatte, zu besuchen. Herr v. Humboldt dagegen fragte ihn nach seiner Heimath, worauf er erwiederte, dass er direkt von Peking hierher gesandt sei, und erzählte, dass er den Weg zu Pferde und in 4 Monaten zurückgelegt habe, dass er noch nicht lange hier sei, und dass die Befehlshaber dieses Postens alle drei Jahre wechselten. Nach einem kurzen Aufenthalte entfernten wir uns, und liessen uns nach dem jenseitigen Ufer übersetzen, um dem Offizier des andern Postens gleichfalls unsern Besuch zu machen. Er erwartete uns in seiner Jurte, vor deren Thür eine Menge Stangen mit Stücken frischen Fleisches behängt, aufgestellt waren, zwischen denen wir uns einen Durchweg suchen mussten. Er war wie der Befehlshaber des rechten Postens gekleidet, war aber älter und schmutziger, und einen ähnlichen Anstrich hatte auch seine Jurte und seine ganze Umgebung. Die Unterhaltung mit ihm war noch etwas mühsamer, da ihm erst die Reden des Dolmetschers von einem seiner Untergebenen ins Chinesische übersetzt werden mussten, sei es, dass er selbst nicht mongolisch verstand, oder dass er es seiner Würde für angemessener hielt, nicht unmittelbar mit dem Dolmetscher zu sprechen. Herr v. Humboldt schenkte ihm ein Stück rothen Sammet, das schon zu diesem Zwecke in Buchtarminsk gekauft war, und welches er mit Dank annahm. Er bot uns darauf Thee an, wofür ihm jedoch auch gedankt wurde. Nach einigem Verweilen führte er uns in den Tempel, der auf dieser Seite des Irtysch nicht weit vom Flusse stand. Es war ein kleines viereckiges hölzernes Gebäude, dessen Thür dem Flusse zugekehrt war; im Innern fanden wir es fast leer, da es ausser einem Altar der Thür gegenüber, und der Abbildung eines Idols des Buddhistischen Cultus an der Wand über dem Altar, keine anderen Gegenstände enthielt. Ausserhalb war der Thür gegenüber zwischen dem Tempel und dem Flusse eine Mauer von etwas grösserer Breite als der Tempel aufgeführt, und zwischen der Mauer und dem Tempel ein anderer Altar errichtet, der aus Schieferstücken bestand, und oben mit einer grossen Schieferplatte belegt war, auf welcher wir noch unausgebrannte Kohlen liegen sahen. Wir kehrten nun wieder nach dem andern Ufer zurück, und erhielten bald darauf von dem ersten Befehlshaber und zweien seiner Begleiter einen Gegenbesuch. Herr v. Humboldt bewillkommnete sie, und lud sie ein in unsere Jurte zu treten, in welcher wir uns, da sie ganz leer war, auf die am Boden ausgebreitete Matte niederliessen; Herr v. Humboldt in der Mitte, zu seiner linken General Litwinoff und wir übrigen, zu seiner Rechten der chinesische Befehlshaber mit seinen Begleitern. Die gemeinen Mongolen drängten sich dabei an die Jurte heran, und betrachteten uns von der Thür aus. Der chinesische Befehlshaber und seine Begleiter holten ihre Tabackspfeifen hervor und fingen an zu rauchen, nachdem sie uns aufgefordert hatten, ein Gleiches zu thun. Die chinesischen Pfeifenköpfe sind bekanntlich nur sehr klein, und nach einigen Zügen schon ausgeraucht, sie müssen daher unaufhörlich neu gestopft und angezündet werden, was die Begleiter des Offiziers für diesen thaten. Dieser kostete auch von unserm Taback, den Herr v. Jermoloff ihm anbot, und der ihm auch zu schmecken schien, legte jedoch bald seine Pfeife weg, da Herr v. Humboldt und der grössere Theil unserer Gesellschaft nicht rauchte. Letzterer überreichte nun dem chinesischen Befehlshaber ein Stück feines blaues Tuch, was dieser jedoch lange anzunehmen zögerte. Während er nämlich durch den Dolmetscher sein Bedenken, ein so grosses Geschenk anzunehmen, ausdrücken liess, gab er diess auch selbst durch Zeichen Hrn. v. Humboldt zu verstehen, und schob das Stück wieder zurück, worauf dieser ihm durch den Dolmetscher und durch Zeichen bedeutete, dass er es annehmen müsse, und ihm das Tuch wieder zuschob. Nachdem diess Hin- und Herschieben mehrmals wiederholt war, gab der Befehlshaber endlich nach, und wie es schien mit Vergnügen. Er erkundigte sich darauf bei dem Dolmetscher, welches Gegengeschenk er wohl machen könnte, und da für diesen Fall der Dolmetscher schon unterrichtet war, dass Hrn. v. Humboldt nichts lieber als einige Bücher sein würden, die wir in der Jurte des chinesischen Befehlshabers hatten liegen sehen, so liess dieser sogleich die Bücher holen, und überreichte sie Hrn. v. Humboldt, der sie sehr erfreut über das für ihn so werthvolle Geschenk, doch ebenfalls erst nach mehreren Höflichkeiten und längerm Zögern annahm. Der chinesische Befehlshaber...


Alexander von Humboldt (1769 - 1859) war einer der weltweit bedeutendsten Naturforscher des 19. Jahrhunderts. Seine Neugier galt fast allen Gebieten der Naturwissenschaften. Zu seinen bekanntesten Schriften zählen "Ansichten der Natur" (1808), "Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents" (1814 - 1831) und der fünfbändige "Kosmos" (1845 - 1862).

Oliver Lubrich ist Ordinarius für Neuere deutsche Literatur und Komparatistik an der Universität Bern. Er leitet das Editionsprojekt "Alexander von Humboldt: Sämtliche Schriften (Aufsätze, Artikel, Essays)".

Karl Schlögel lehrte bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2013 Osteuropäische Geschichte an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Seine Bücher wurden mit dem Preis des Historischen Kollegs ("Historikerpreis") und dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.


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