Huizing Der letzte Dandy
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-641-01070-6
Verlag: Knaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 225 Seiten
ISBN: 978-3-641-01070-6
Verlag: Knaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zwei Herren lustwandeln an den Gestaden des Paradieses und plaudern in gepflegtem Ton. Sie lassen es an geistreichen Komplimenten füreinander nicht fehlen und insbesondere Thomas, einst im irdischen Dasein ein hochangesehener Literat, beklagt die himmlische Durchschnittsware, mit der man sich abgeben muss. Sören, empfindsam und stets in raffinierter Toilette, gesteht, dass er an einer Romanbiographie arbeitet. Thomas, erfahrener Wortkünstler, bietet seine Hilfe an. In langen Gesprächen taucht Sören in seine kurze intensive Erdengeschichte ein, erzählt von der erdrückenden Welt seiner dänischen Familie, aus der er einst auszubrechen versuchte. Als Dandy wurde er stadtbekannt. Aber konnte er sich aus dem Kokon des protestantischen Puritanismus befreien, erotische Gefühle und körperliche Lust nie wirklich auskosten. Alles geriet zur Inszenierung bis hin zu seinem frühen irdischen Tod.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;10
2;Der Club der falschen Propheten;12
3;Wanderungen in der Gehirnkammer und rosige Finger;20
4;Flanieren auf der Promenade und Salomos Traum;43
5;Kleine Fluchten und eine Jagd mit dem Speer;70
6;Irrungen und die Kunst, sich selbst zu überleben;93
7;Rücktritte und eine kühne Maskerade;118
8;Dampferfahrten und Berliner Impotenz;142
9;EINE ERBAULICHE REDE ÜBER DIE TATEN DER LIEBE;166
10;Botengänge und einstweilige Verfügungen;169
11;Letzte Wege und die Kunst, pünktlich zu sterben;191
12;Epilog: Die Verleihung der Silbernen Taube;216
(S. 69-71)
«Juniorprofessorin, welch albern-kindliches Wort!» «Wohlgesetzte Worte findet man in der Presse kaum noch, verehrter Thomas.» «Übrigens. Manchmal fehlt mir ein Hund. Wissen Sie, ich halte es auch weiterhin für einen unverzeihlichen Fehler, Tieren die Auferstehung zu verweigern, mit Ausnahme der Taube, dabei hasse ich Tauben, sie verkoten alles, auch den Strand, überall Federn, Schnäbel, diese abstoßenden, dabei hässlich manikürten Krallen, weiße, überall nur unerträglich weiße bischöfliche Tauben in ihren fetten Federanzügen, dazu beizender Geruch, man klatscht in die Hände, und sie rühren sich kaum, verspotten uns, spazieren überall herum, man muss sie mit der Hand beiseite schieben, schrecklich, mehr Tauben als in Venedig – und bereits dort haben sie mir den Aufenthalt in Maßen verdorben. Und dann dieses unerträgliche monotone Gurren, die lächerlichen Versuche die Gurrelieder von Schönberg anzustimmen, und keiner darf sie kritisieren. Ich plädiere sehr entschieden dafür, diese Gurrelieder auf den Index zu setzen. Früh aufstehen und beim Fönsturm mit dem Hund am Strand herumtollen, wenn es nicht so abgeschmackt wäre, das würde ich paradiesisch nennen. »
«Hunde, lieber Thomas, leben in mir unzugänglichen Sphären. Mir fehlen sie gar nicht.» «Bitte, bitte, lassen Sie uns nicht streiten! Perfekt! Erledigt! Aber ich möchte mich an Ihrer kleinen Erzählung beteiligen: Ich erinnere mich auch sehr lebhaft an meine erste Anprobe zurück. Ich stand in Trikotage beim Schneidermeister, hatte mir, bevor meine Mutter und ich uns aufmachten, eine fil d’écosse-Unterhose übergestreift, aber leider vergessen, meine seidenschwarzen Strümpfe anzuziehen. Ich starrte also auf die verwaschenen Socken, schämte mich ein wenig, die Arme waren vom Körper abgewinkelt, der Schneider kniete vor mir und legte das Maßband um die Taille – ich hatte übrigens nie Probleme mit Fettleibigkeit –, da entdeckte ich, weil mir unwohl war, auf meinem linken Arm die frisch vernarbte kleine Wunde, die ich mir bei einem Fahrradunfall zugezogen hatte, warten Sie, hier, dieses hellrosa Stigma –» «Sind Sie sicher, dass es nicht vielleicht eine Zecke war, die sich an Ihnen gütlich getan hat?»
«An mir knabberte kein Tierchen, Sören, nein, nein. Also, wo war ich stehen geblieben? Ja, richtig, weil ich ganz passiv verharrte und in Gedanken versunken war, registrierte ich nicht, dass man mir auftrug, ich möge mich anziehen. Ganz im Unterbewusstsein vernahm ich einen Befehl, und weil ich wohl glaubte, ich sei im Sportunterricht, begann ich Kniebeugen zu machen. Meine Mutter hat mich jahrelang damit aufgezogen.» «Eine reizende kleine Anekdote!» «Ich habe meinen Vater übrigens niemals in einem Zustand angetroffen, in dem er nicht Herr seiner selbst gewesen wäre. Guter, angeheiterter Laune, das schon, aber mein Vater war wohl nie wirklich verzweifelt, sein Interesse galt in einem sehr hohen Maße den Geschäften, nicht der eigenen Innerlichkeit.
Eine verlorene Schiffsladung Getreide oder ein beachtlicher Auftrag, der ihm von der Konkurrenz durch Unregelmäßigkeiten abgeworben wurde, konnten ihn zwar gallig werden lassen, aber spätestens nach einer guten Zigarre war der Ärger, wenn Sie mir das kleine Wortspiel durchgehen lassen, verraucht. Und religiöse Schulden wurden ebenfalls geschäftsmäßig am dafür vorgesehenen Wochentag abgearbeitet. Pragmatisch nennt man das heute wohl. Ich glaube, mich hätte der Anblick eines besudelten Vaters auch lebenslang traumatisiert. Ich kann mich so gut in Sie hineinversetzen! Wie müssen Sie gelitten haben! Außerordentlich! »