Buch, Deutsch, 304 Seiten, KART, Format (B × H): 238 mm x 168 mm, Gewicht: 522 g
Trauma, Krankheit und Todesnähe überwinden
Buch, Deutsch, 304 Seiten, KART, Format (B × H): 238 mm x 168 mm, Gewicht: 522 g
ISBN: 978-3-87387-686-6
Verlag: Junfermann Verlag
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TEIL I VON MICHAELA HUBER
Von der Qual genesen. Der Körper zwischen Dissoziation und Achtsamkeit
The body keeps the score - der Körper merkt sich alles
Am Anfang war die Bindung
Fühllosigkeit und immer wiederkehrende Qual
Nicht das Trauma macht krank, sondern die PTBS
Die komplexe Posttraumatische Belastungsstörung
Posttraumatische Belastungsstörung und Sucht: doppelte Probleme
Umgekehrt gilt auch: Krankheit bedeutet (unter Umständen) ein Trauma
Traumatisierte Jungen und Männer: zwischen Depression und Aggression
Was sollten Ärzte und andere Professionelle im Gesundheitswesen bei Menschen mit PTBS bedenken?
Die Affektkette
Vom Umgang mit dem Bösen in der Psychotherapie - eine Herausforderung für PsychotherapeutInnen
Gewalt ist viel zu normal
Sonderfall "Psychopathy"
Krieg und andere Gräueltaten
Was macht uns bei Gewalt so hilflos?
Das Ausmaß von Gewalt erkennen
Auch böse Energie kann man nicht vernichten, nur verwandeln
Zerstörerischen Impulsen nicht nachgeben, sondern sie verändern
Bei Gewalt durch nahe Bindungspersonen: Abstinenz hilft
Reinszenierung von Täter-Opfer-Situationen
(Selbst-)Zerstörung ist gelerntes und gebahntes Verhalten, das auch "verlernt" werden kann
Wertschätzende Arbeit auf der inneren Bühne
Grundhaltungen in der Arbeit mit komplex traumatisierten Menschen. Über das Verhältnis von HelferIn und KlientIn in der Traumatherapie
Frühtraumatisierte sind anders
TherapeutInnen sollten eigene Lebenskrisen überwunden haben
KlientInnen müssen in der Traumatherapie hart arbeiten
Gute Traumatherapie ist eine Ivestition in die Ausbildung der Persönlichkeit
Empathische Abstinenz
Professionelle Aufrichtigkeit
Partnerschaftliches Arbeiten
Fördern und Fordern
Unterschiede beachten, Differenz aushalten
Erwachsene Position - kindliches Leid
Respekt und Achtung
Ressourcen erweitern
Arbeit mit der "anderen Seite"
An der Struktur, aber auch am Trauma arbeiten
TEIL II VON PAULINE C. FREI
Warum lebt sie denn noch?
Warten
Wachstumsschmerz und zugefügter Schmerz
Vergangenheitsgespräche mit meinem Sohn
Was half auf dem Weg?
Komplexität der inneren Wahrheiten
Die dunklen Innenanteile helfen
Zeitlosigkeit - Grenzenlosigkeit
Von Liebe und Würde
Engelsgespräche - Gedichte
Vorbestimmung, Wille, Schicksal
top
Eine liebevolle, verlässliche Mutter ist die beste Garantie für ein Neugeborenes, gut ins Leben starten zu können, aber auch andere vergleichbar verlässliche und liebevolle Menschen sind wunderbar für ein Kind. Nicht nur, weil es sich dann aufgehoben fühlt und gut gedeiht. Sondern es ist eine "conditio sine qua non": Ohne sichere Bindungserfahrung geht vieles schief für das Kind. Die An- oder Abwesenheit einer feinfühlig sich auf das Kind ein-"schwingenden" Bindungsperson entscheidet in den ersten Jahren des Lebens darüber, ob ein Überschuss an Nervenzellen, den das Kind genetisch herstellt, auch genutzt wird, oder ob Nervenzellen ungenutzt absterben, ob Synapsen (Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen) gebildet werden oder nicht (Siegel, 1999, 2001). Für viele Kinder, die früh traumatisiert werden, indem man sie schreien lässt, wenn sie in Not sind, oder sie überstimuliert, wenn sie Ruhe brauchen, ist dieses Nicht-Feinfühlige der Mutter und anderer Bindungspersonen, insbesondere dann, wenn sie auch noch mit seelischen Quälereien oder gar körperlichen und/oder sexuellen Misshandlungen einhergeht, ein Desaster.
Um es ganz deutlich auszudrücken: "Blutsbande" sagen gar nichts darüber aus, ob eine Person eine gute Bindungsperson ist. Die eigene Mutter bzw. der eigene Vater sind also nicht automatisch immer auch die besten Bindungspersonen. Vielmehr ist es so, dass ein Kind sich an die Person in seiner Umgebung bindet, die am feinfühligsten ist. Wenn sonst niemand da ist, muss es sich auch an nicht-feinfühlige Menschen binden, etwa an misshandelnde Eltern. Kinder, die Gelegenheit oder eine Wahl haben, ziehen auch wirklich andere Personen vor, etwa eine Oma, Tante oder ältere Schwester. Eine frühe Elternbindung bekommt erst im Laufe der Zeit und Gewöhnung eine gewisse Exklusivität, sodass ein misshandeltes Kind auch dann zu seinen Eltern zurück will, wenn es bessere Bindungsangebote von anderen Menschen bekommt.
Haben HelferInnen das Beste für das Kind im Sinn, dann helfen sie ihm aus der Misshandlungs-Beziehung heraus, auch wenn sich das Kind nach den misshandelnden Elternteilen sehnt und in einem Zeitraum des "Entzugs" häufig nach den Eltern weint. Es gibt allerdings auch Kinder, die nur froh sind, dem Inferno daheim entkommen zu sein, aber auch bei Kindern, die ihre misshandelnden Eltern "bevorzugen", dürfen HelferInnen nicht glauben, es sei besser, sie blieben daheim. Ein Kind, das misshandelt wird, erleidet nämlich erhebliche Schäden: an Körper und Seele - und sogar an seinem Gehirn. Und: Mehr Misshandlung macht schlimmere Schäden.
Misshandlung kann also die Entwicklungsmöglichkeiten eines Kindes erheblich einschränken, weshalb externe Helfer auch immer eingreifen müssen, wenn ein Kind daheim misshandelt wird. Lernen die Eltern, sich besser zu verhalten - sehr gut. Lernen sie nichts dazu, dürfen sie das Kind nicht unbegleitet weitersehen. Die Bindungsforschung und die Ergebnisse der Entwicklungs-Traumatologie sagen uns zumindest, dass das Kind dann die besseren Bindungspersonen - etwa Pflegeeltern, Adoptiveltern oder verlässliche Bezugspflegepersonen in der stationären Heimerziehung - zu akzeptieren lernen wird und sich besser entwickeln wird, als wäre es bei den misshandelnden Eltern geblieben (Brisch, 2008).
Einem Kind jedoch, das bei misshandelnden Eltern bleiben muss, drohen erhebliche Risiken für die seelische und körperliche Gesundheit. So wird es weit weniger zur Stressmodulation benötigte Nervenverbindungen entwickeln. Ein solches Kind wird aber auch das Vertrauen in andere Menschen verlieren, muss es doch zunächst hilflos als "Geisel" der misshandelnden Eltern warten. Warten, bis jemand kommt. Warten, bis endlich jemand hilft und der unangenehme Zustand aufhört.