E-Book, Deutsch, Band 9, 176 Seiten
Honegger / De Vito / Bach Mehrsprachigkeiten (E-Book)
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-0355-1426-1
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Mit Vielfalt jonglieren - auf Sekundarstufe II und an Hochschulen
E-Book, Deutsch, Band 9, 176 Seiten
Reihe: Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung
ISBN: 978-3-0355-1426-1
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen.
An Hochschulen und auf der Sekundarstufe II begegnen Lehrende und Lernende zahlreichen Sprachen – und dies keineswegs nur in den Sprachfächern. Wie erleben sie das Miteinander von beispielsweise Englisch, Albanisch, Schweizerdeutsch und Berufssprache? Wie können Lehrende sprachfördernd und professionell auf die Mehrsprachigkeit reagieren? Und wie kann diese Vielfalt positiv eingesetzt und genutzt werden? Beiträge aus der Sprach- und Hochschuldidaktik sowie Praxisberichte zeigen wirklichkeitsnahe Möglichkeiten auf, aber auch die Grenzen im Umgang mit Mehrsprachigkeit.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Afra Sturm
Schreiben im Übergang als literale Enkulturation
1 (Schreib-)Gemeinschaften als Ausgangspunkt
Am Ende der Sekundarstufe I sollten alle Schüler*innen verschiedene Textmuster wie Erzählung, Argumentation, Zeitungsbericht oder Lernjournal kennen und entsprechend ihrem Schreibziel für die eigene Textproduktion nutzen können (Bildungsdirektion Kanton Zürich 2017, S. 33). Dazu gehört auch, dass sie über ein Repertoire an Schreibstrategien verfügen und Formulierungsmuster kennen, die typisch für die jeweilige Textsorte sind (a.a.O.). Dabei ist es ein wichtiges Ziel des Schreibunterrichts, dass die Schüler*innen Schreiben als «sinnhaftes» Tun erfahren: Eine gelingende Schreibentwicklung setzt voraus, dass man sich als Mitglied einer «Schreibgemeinschaft» erfahren kann, in der Texte nicht nur geschrieben werden, sondern in der auch auf die Texte reagiert wird. Während zur Etablierung einer Schreibgemeinschaft auf Sekundarstufe I die eigene Klasse oder auch das schulische Umfeld eine wichtige Rolle spielt, ist in den weiterführenden Schulen die berufliche bzw. akademische Gemeinschaft entscheidend (Kapitel 2). Gleichzeitig gewinnt das schreibende Lernen – oftmals in Form von Lernjournalen – an Bedeutung (Kapitel 3). 2 Berufliches Schreiben als literale Teilhabe
Textmuster wie etwa Protokolle, Berichte oder Briefe (auch in Form von E-Mails) können in nahezu jeder Gemeinschaft eine Rolle spielen. Da aber eine Gemeinschaft aus unterschiedlichen Mitgliedern besteht und verschiedene Funktionen oder Zielsetzungen hat, ergeben sich für die literale Teilhabe auch entsprechend unterschiedliche Formen und Anforderungen. So dient ein Regierapport im Bauwesen unter anderem dazu, die erbrachten und «protokollierten» Leistungen dem Auftraggeber verrechnen zu können, während die Patientenakte in der Krankenpflege beispielsweise beim Dienstwechsel dazu dient, die Kolleg*innen auf den neuesten Informationsstand zu bringen. Eine Schreibgemeinschaft zeichnet sich also durch bestimmte Merkmale aus (Graham 2018), vor allem durch folgende: Die Mitglieder nehmen in den jeweiligen Gemeinschaften unterschiedliche Rollen ein. Ist man Mitglied mehrerer Gemeinschaften, muss man auch verschiedene Rollen wahrnehmen können. Jede Gemeinschaft erfüllt eigene Zwecke oder Funktionen. Damit verbunden kann eine Gemeinschaft eigene Textmuster oder Normen (oft auch in Form von Vorlagen) herausbilden. Es können sich spezifische Tools (Handschrift, abrufbare Textbausteine im Textverarbeitungsprogramm usw.) etablieren. Eine Schreibgemeinschaft kann eine kollektive Geschichte entwickeln. Dies kann beispielsweise meinen, dass eine Chefin begonnen hat, ihren Mitarbeitenden zum Geburtstag eine Postkarte zu schreiben, dass ihre Mitarbeitenden das wissen und eine entsprechende Erwartungshaltung aufbauen. Wie berufliche Schreibfähigkeiten erworben werden, ist entsprechend wesentlich eine Frage der Enkulturation im jeweiligen beruflichen Feld (Jakobs 2005). Daraus lassen sich zwei zentrale Implikationen ableiten: a) Schulisches Schreiben kann zwar die Voraussetzungen für den Erwerb des beruflichen und akademischen Schreibens schaffen, es kann jedoch nicht berufliches bzw. akademisches Schreiben vermitteln, da die Merkmale einer beruflichen oder akademischen Gemeinschaft anders ausgeprägt sind als die einer schulischen Schreibgemeinschaft. Wer beispielsweise selbst nicht als Ärztin oder Maurer mit Kundenkontakt arbeitet, wird die entsprechenden literalen Praktiken auch nicht erwerben und damit keinen beruflich angemessenen Rapport verfassen können. b) Die Vermittlung und Förderung beruflicher Schreibfähigkeiten kann nicht nur eine Aufgabe der weiterführenden Schulen sein, sondern ist auch eine wichtige Aufgabe der jeweiligen (Lehr-)Betriebe beziehungsweise der akademischen Institutionen (zu Letzteren sind auch die Hochschulen selbst zu zählen), da sich die Textproduktion, die «Dokumentenentstehung» und die Unternehmenskultur gegenseitig beeinflussen (Jakobs 2005, S. 30). Wissen die Schüler*innen, welche Funktion etwa Protokolle grundsätzlich haben, haben sie im Verlauf ihrer schulischen Bildung zudem bereits verschiedene Formen kennengelernt – zum Beispiel ein Versuchsprotokoll aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht oder ein Klassenratsprotokoll aus dem Deutschunterricht – und dabei auch erfahren, dass Form und Funktion zusammenhängen, dann sind sie zwar eher in der Lage, andere Formen zu verstehen und selbst Texte in dieser Form zu verfassen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie sich einen Regierapport oder eine Patientenakte selbstständig erschliessen können. Hinzu kommt, dass mehrsprachige Lerner*innen, die einen Teil ihrer schulischen Bildung nicht in der Schweiz erworben haben, möglicherweise andere Textformen kennengelernt haben. Auch diese Lerner*innen müssen nicht nur wissen, wie bestimmte Textformen aufgebaut sind, sondern auch, wie Form und Funktion zusammenhängen, mit welchen sprachlichen Mitteln sie angemessen umzusetzen sind. Insgesamt sind damit bestimmte Anforderungen an den Schreibunterricht an weiterführenden Schulen verbunden: Es braucht in erster Linie Lehr- und Lernarrangements, die berufliche beziehungsweise berufsnahe, aber prototypische Situierungen zum Ausgangspunkt nehmen. Solche Situierungen können die spezifischen Merkmale ihrer beruflichen Schreibgemeinschaft modellieren. Das hat auch den Vorteil, dass die Lernenden Schreiben nicht als etwas Isoliertes wahrnehmen oder als Selbstzweck erleben, sondern dessen berufliche Relevanz erfahren können (Schneider u. a. 2013, Kapitel 5). Eine Verzahnung von berufsfachlichem und sprachlichem Lernen ist nicht nur ein didaktisches Gebot, vielmehr geht es ebenso mit weiteren Herausforderungen einher: Zum einen können diese organisatorisch gemeistert werden, indem Sprach- und Fachlehrpersonen gemeinsam unterrichten, zum anderen wäre auch denkbar, dass die Fachlehrpersonen und Ausbilder*innen in der Aus- und Weiterbildung so vorbereitet werden, dass berufliches Schreiben (und Lesen) Teil ihres Unterrichts, ihrer Förderkonzepte werden. Im Folgenden wird dies mit Blick auf das Schreiben mit Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache – hinsichtlich wirksamer Fördermassnahmen und darauf aufbauend auch bezogen auf formatives Feedback – kurz ausgeführt. 2.1 Schreiben mit Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache In der deutschsprachigen Schreibforschung zu «Schreiben mit Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache» dominiert nach wie vor eine Defizitorientierung, das heisst eine Orientierung an dem, was sprachlich nicht korrekt oder nicht angemessen ist (stellvertretend sei hierzu Jeuk 2013, genannt). Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Forschung in erster Linie kontrastiv angelegt ist (Marx 2017): Mit Blick auf Deutsch als Zweitsprache werden vor allem L2-Texte mit L1-Texten kontrastiert und so die sprachlichen Aspekte von Texten untersucht, während bezogen auf Schreiben mit Deutsch als Fremdsprache eher Schreibstrategien im Zentrum stehen (vgl. z. B. Sasaki 2000 zum akademischen Schreiben). Dagegen werden in der angloamerikanischen L2-Schreibforschung soziokulturelle Ansätze stärker berücksichtigt, wie Marx (2017, S. 142 f.) hervorhebt. Darüber hinaus zeigt sich, dass sich die Schwierigkeiten im Schreibprozess bei L2- oder L1-Lernenden nicht grundsätzlich unterscheiden, auch wenn L2-Lernende in der Regel weniger planen oder weniger flüssig schreiben, dafür mehr in das Überführen von Ideen in Sprache investieren und mehr sprachlich überarbeiten, ohne deswegen aber die konzeptuelle Überarbeitung aus dem Blick zu verlieren (Schoonen u. a. 2009). Umso wichtiger ist, dass L2-Schreibende ausreichend Schreibgelegenheiten erhalten, um den schriftlichen Formulierungswortschatz aufbauen und auch rascher abrufen zu können. Eine Studie von Verheyden u. a. (2012) zu jüngeren L2-Schüler*innen belegt, dass ein Unterricht, der sprachliche Angemessenheit und Korrektheit betont, dazu führt, dass die Schüler*innen zwar akkurater, insgesamt aber weniger komplexe Texte schreiben. Wird dagegen zu Beginn einer Textproduktion im Unterricht die Textebene – Schreibziel, Inhalt und Aufbau – fokussiert und erst später beim sprachformalen Überarbeiten die Akkuratheit, entstehen sowohl zunehmend komplexe als auch zunehmend akkurate Texte. Eine vergleichbare Studie zu älteren Schüler*innen stellt ein Desiderat dar. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Vermittlung von beruflichem Schreiben mit Deutsch als Zweitsprache nicht einseitig sprachformale Aspekte fokussieren sollte, da berufliches Schreiben im Wesentlichen eine Frage der Enkulturation ist. 2.2 Wirksame Fördermassnahmen Als besonders wirksame Fördermassnahme im Bereich Schreiben hat sich über mehrere Metaanalysen hinweg die sogenannte explizite Vermittlung von Schreibstrategien erwiesen (Schneider u. a. 2013, Kapitel 3). Bei diesem Verfahren wird nicht nur der Textproduktionsprozess portioniert – sofern es sich um komplexere Schreibaufgaben handelt –, sondern die für die «Lösung» der Aufgabe zentralen kognitiven Aktivitäten werden stärker bewusst gemacht (ein Schreibziel generieren, Ideen generieren, auswählen und in eine Reihenfolge...