Hollinghurst | Die Schwimmbad-Bibliothek | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Hollinghurst Die Schwimmbad-Bibliothek


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95985-053-7
Verlag: Albino Verlag, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

ISBN: 978-3-95985-053-7
Verlag: Albino Verlag, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
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Sie sind ein ungleiches Paar, der junge William Beckwith und der alte Lord Nantwich. William genießt sein Leben in vollen Zügen - verliebt, sorglos. Die schwule Subkultur Londons ist sein Zuhause. Er besucht die Sportclubs und Schwimmbäder, die Pornokinos, die verrauchten Bars und Clubs, immer auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer. Als er dem Lord auf einer öffentlichen Toilette das Leben rettet, weiß er noch nicht, dass er schon bald die Memoiren des früheren Kolonialbeamten schreiben wird. Vertieft in Nantwichs Tagebücher, wird für ihn eine Subkultur verbotener erotischer Beziehungen lebendig. Der grandiose Erfolgsroman von Alan Hollinghurst - ironisch, sexy und brillant erzählt.

Alan Hollinghurst (*1954 in Stroud, England) ist einer der bekanntesten britischen Schriftsteller der Gegenwart. Er arbeitete lange Zeit als Literaturkritiker für das renommierte Times Literary Supplement. 1989 erhielt er für Die Schwimmbad- Bibliothek (The Swimming-Pool Library) den Somerset Maugham Award und den Stonewall Book Award, 2004 den Booker Prize für Die Schönheitslinie (The Line of Beauty). Zuletzt erschien sein Roman Des Fremden Kind (The Stranger's Child). Alan Hollinghurst lebt in London.

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1
Ich fuhr mit der letzten Bahn nach Hause. Mir gegenüber saßen zwei Streckenarbeiter von London Transport, einer klein, fünfzig, abgelebt, der andere ein unverschämt gut aussehender Schwarzer um die fünfundzwanzig. Schwere Segeltuchtaschen lehnten an ihren Stiefeln, die Overalls waren in der abgestandenen Hitze der Underground über dem Unterhemd offen. Jetzt begannen sie mit der Arbeit! Ich betrachtete sie mit einer Art betäubtem, trunkenem Staunen, verblüfft über die Vorstellung ihres verkehrten Lebens, darüber, wie ihre Arbeit davon abhing, dass wir fuhren, aber nur verrichtet werden konnte, wie ich nun sah, wenn wir nicht fuhren. Während wir nach Hause gingen und in Bewusstlosigkeit sanken, zogen diese Männer in Trupps mit Leuchten und Lötlampen und langstieligen Ratschenschraubenschlüsseln durch die Tunnel; und Wagen, nicht für Passagiere gebaut, abartig funktionell, rollten langsam und scheppernd von Nebengleisen heran, die der Pendler nicht kennt. Eine so einsame, unsichtbare Arbeit musste seltsame Gedanken zeitigen; die Männer, die durch jeden Tunnel des Labyrinths schritten und die Schienen abklopften, mussten so erleichtert sein, wenn sie die Lichter anderer nahen sahen und freundliche Stimmen ihren Fachjargon herüberriefen. Der Schwarze schaute auf seine locker daliegenden Hände: Er wirkte sehr unnahbar, beherrscht und strahlte eine enorme, kaum bewusste Kompetenz aus – ich empfand mehr als Respekt für ihn, etwas wie Zärtlichkeit. Ich stellte mir seine Erleichterung vor, wenn er nach Hause kam und die Stiefel auszog und ins Bett ging, während es um die Vorhänge herum hell wurde und der Straßenlärm draußen allmählich anschwoll. Er drehte die Hände um, und ich sah das blassgoldene Band seines Eherings. Am Bahnhof waren die Ausgänge bis auf einen verschlossen, und ich drückte mich mit zwei, drei andern hinaus, als würde uns ein ungewöhnliches Zugeständnis gemacht. Dann noch die zehn Minuten zu Fuß nach Hause. Der Alkohol schien sie zu verkürzen, sodass ich mich am nächsten Morgen gar nicht mehr an den Weg erinnern würde. Und dass ich den Gedanken an Arthur unterdrückt hatte, damit es desto aufregender würde, wenn ich mich an ihn erinnerte, musste mich auch ganz schön getrieben haben. Allmählich fand ich Geschmack an schwarzen Namen, westindischen Namen; sie waren eine Art Reise durch die Zeit, die Worte, die die Leute ihrem Kissen zuflüsterten, an den Rand ihres Schreibhefts malten, in Leidenschaft ausriefen, als mein Großvater ein junger Mann war. Ich hatte immer geglaubt, dass diese eduardianischen Namen die Verleugnung jeglicher Liebesgefühle seien: Archibald, Ernest, Lionel, Hubert waren lächerlich spröde; sie kündeten von Persönlichkeiten, die von Sex oder Bosheit ungetrübt waren; doch erst in diesem Jahr war ich mit Jungen zusammen, die eben solche gemessene Namen trugen; aber die Jungen waren nicht gemessen. Auch Arthur nicht. Sein Name war wohl derjenige, den ich mir am wenigsten jung vorstellen konnte: Er beschwor das sonnenlose Äußere, den ungelüfteten Anzugstoff und die Metallbrille eines Buchhalters aus einer verschwundenen Zeit. Jedenfalls so lange, bis ich meinen schönen, großspurigen, verluderten Arthur fand – einen Arthur, den man sich unmöglich alt vorstellen konnte. Sein glattes Gesicht mit den großen schwarzen Augen und dem sinnlich schwachen Kinn war immer vom Licht und Schatten des Zweifels überzogen und stellte sich dem Blick mit der entwurzelten Selbstsicherheit der Jugend. Arthur war siebzehn und kam aus Stratford East. Ich war den ganzen Tag über weg gewesen, und als ich mit meinem ältesten Freund James zu Abend aß, hätte ich ihm um ein Haar gesagt, dass ich diesen Jungen zu Hause hatte, schluckte die Worte jedoch hinunter und strahlte besoffen vor heimlicher Freude. James war nämlich Arzt, stets bedächtig und vernünftig; er hätte mich für verrückt erklärt, dass ich praktisch einen Fremden bei mir zu Hause warten ließ. In meiner steifen, selbstgefälligen Familie gab es jedoch eine störrische Tradition des Vertrauens, und vielleicht hatte ich die Angewohnheit, Personal und Fensterputzer auf die Probe zu stellen, indem ich sie der Versuchung aussetzte, von meiner Mutter übernommen. Es bereitete mir ein leicht gruseliges Vergnügen, mir Arthur allein in der Wohnung vorzustellen, wie er ihren fremden Reichtum aufsog, die Bilder betrachtete, sich natürlich auf Whitehavens Fotografie von mir in der kleinen Badehose konzentrierte, den Schatten über meinen Augen … Ich konnte mir einfach keine Sorgen um die elektrischen Geräte machen, die bei Einbrechern gemeinhin hoch im Kurs stehen – und ich bezweifelte, ob die wertvollen Platten (darunter der Tristan von Rattle) nach Arthurs Geschmack sein würden. Ihm gefiel Tanzmusik, die heiß und cool war – wie sie über die Tanzfläche des Shaft, wo ich ihn vergangene Nacht kennengelernt hatte, peitschte und schnulzte. Als ich eintrat, sah er fern. Die Vorhänge waren zugezogen, und er hatte einen alten, halb kaputten elektrischen Ofen ausgegraben; es war ungeheuer warm. Er erhob sich aus seinem Sessel und lächelte nervös. »Ich hab grad ferngesehen«, sagte er. Ich legte mein Jackett ab, schaute ihn an und war plötzlich von seinem Aussehen überrascht. Ich hatte mich sehr oft an die eine oder andere Einzelheit von ihm erinnert, sodass mir seine Gesamterscheinung entfallen war. Ich fragte mich, wie viel Arbeit darin stecken musste, sein Haar in die schmalen Rippen zu kämmen, die ihm von der Stirn nach hinten in den Nacken liefen, wo sie zu jungen festen Zöpfchen geflochten waren, acht vielleicht, gerade zwei Zentimeter lang. Ich küsste ihn, meine linke Hand glitt zwischen seine hohen, drallen Hinterbacken, während ich ihn mit der andern im Nacken streichelte. Oh, die immer offene Weichheit schwarzer Lippen; und die eigenartige Trockenheit seiner Zöpfchen, die knisterten, als ich sie zwischen den Fingern rollte, und tot und halb erigiert zugleich erschienen. Um drei wachte ich auf und musste aufs Klo. Obwohl ich benommen und im Halbschlaf war, hämmerte mein Herz, als ich zurück ins Zimmer kam und Arthur in dem sanften Licht der Lampe, das über die Kissen fiel, schlafen sah, der eine Arm ragte seltsam verdreht unter der Steppdecke hervor, als wollte er die Augen damit schützen. Ich setzte mich und glitt neben ihn, wobei ich ihn sorgfältig beobachtete, über seinem Gesicht verharrte und wieder den Kindgeruch seines Atems einsog. Als ich das Licht ausschaltete, fühlte ich, wie er sich zu mir drehte und seine riesigen Hände sich unter mich gruben, fast, als wollte er mich wegtragen. Ich umarmte ihn, und er fasste mich noch fester, packte mich, als wäre er in Gefahr. Ich murmelte einige Male »Baby«, bis ich merkte, dass er noch immer schlief. In jenem Sommer, dem letzten Sommer, der noch einmal so sein sollte, sah mein Leben seltsam aus. Ich schwebte auf einer Wolke aus Sex und Selbstüberschätzung – es war meine Zeit, meine belle époque –, doch immer war da noch ein schwaches, unheilvolles Flackern, wie Flammen um eine Fotografie, wie etwas, das man aus dem Augenwinkel sieht. Ich hatte keine Arbeit – o nein, keine Elendsgeschichte, kein Opfer der Rezession, nicht einmal, das hoffe ich jedenfalls, ein Teil einer Statistik. Ich hatte meine Arbeitslosigkeit bewusst oder wenigstens wissentlich selbst geschaffen. Mich betrachtete man als einen, der zu viel Geld hat, ich gehörte zu jenem winzigen Teil der Bevölkerung, dem tatsächlich fast alles gehört. Ich hatte mich der Aussicht auf ein Nichtstun ergeben, wenngleich mich das ganz schön in Atem hielt. Fast zwei Jahre lang war ich in der Redaktion des Lexikons der Architektur bei Cubitt gewesen, einem hochfliegenden Projekt, das mit Verzögerungen und Verdruss behaftet war. Der Herausgeber war ein Freund meines Oxforder Tutors, der sich darum sorgte, dass ich mich widerstandslos in den Kreislauf der Bars und Clubs treiben ließ, der mich schon in verderblicher Muße versumpfen sah und eine Bemerkung fallen ließ – eine jener bloßen Andeutungen, die einen Nerv der Schuld treffen und die Macht eines Befehls annehmen. Und so erschien ich denn Tag für Tag am St. James’s Square, wo ich in einem Hinterzimmer saß, meinen Kater als eine Art dünnhäutige, ästhetische Geistesabwesenheit verkleidete und aktenweise Forschungsmaterial auf Vordermann brachte. Band eins sollte A bis D umfassen, und ich durfte an einigen der Themen arbeiten, die mich am meisten interessierten – Adams, Lord Burlington, Colen Campbell. Ich redigierte die Aufsätze sich wiederholender Autoritäten, wurde in die British Library oder das Sir John Soane’s Museum auf die Suche nach Plänen und Stichen geschickt; über kleinere Themen durfte ich selber schreiben: Ich steuerte einen exemplarischen Artikel über Coade-Stone-Vasen bei. Doch das Lexikon war eine verrückte Geschichte, eine falsch gehandhabte Angelegenheit, ein Escorial, der zu einer Fonthill Abbey wurde, je länger wir daran arbeiteten. Ich rief Leute an, und es gab Partys von sechs bis acht – was bleiben bedeutete und danach ein alkoholreiches Abendessen und dann in aller Regel das Shaft und Handlungen, in denen die Bedeutung der Säulenordnung, des Doms, des Portikus kaum noch erkannt werden konnten. Nach meinem Ausscheiden bei Cubitt empfand ich eine heitere Erleichterung, nicht mehr eine Kreuzung aus Professor und Laufbursche zu sein – einer, dessen Anwesenheit ebenso durch seinen Namen wie durch sein Interesse an der Kunst erklärt war. Gleichzeitig aber war ich doch etwas traurig über den Verlust der schludrigen Büroroutine, der Erklärungen beim ersten miesen Kaffee, wohin ich mit wem gegangen und wie er in allen Einzelheiten war. Es war eine Welt, die einen zum Original machte...


Alan Hollinghurst (*1954 in Stroud, England) ist einer der bekanntesten britischen Schriftsteller der Gegenwart. Er arbeitete lange Zeit als Literaturkritiker für das renommierte Times Literary Supplement. 1989 erhielt er für Die Schwimmbad- Bibliothek (The Swimming-Pool Library) den Somerset Maugham Award und den Stonewall Book Award, 2004 den Booker Prize für Die Schönheitslinie (The Line of Beauty). Zuletzt erschien sein Roman Des Fremden Kind (The Stranger's Child). Alan Hollinghurst lebt in London.



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