E-Book, Deutsch, 364 Seiten
Holland Die Ritterin
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-220-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman | Eine junge Frau im Kampf um den Thron der Westgoten
E-Book, Deutsch, 364 Seiten
ISBN: 978-3-98952-220-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Cecelia Holland wurde in Nevada geboren und begann schon mit 12 Jahren, ihre ersten eigenen Geschichten zu verfassen. Später studierte sie Kreatives Schreiben am Connecticut College unter dem preisgekrönten Lyriker William Meredith. Heute ist Cecelia Holland Autorin zahlreicher Romane, in denen sie sich mit der Geschichte verschiedenster Epochen und Länder auseinandersetzt. Die Website der Autorin: thefiredrake.com/ Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre historischen Romane »Im Tal der Könige«, »Die Königin von Jerusalem«, »Die Ritterin«, »Stonehenge: Die Säulen des Himmels«, »Im Schatten der Borgias«, »California: Der Ruf der Freiheit«, sowie ihre Norsemen-Saga mit den Einzelbänden »Der Thron der Wikinger« und »Der Erbe der Wikinger«.
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Kapitel 1
Königin Ingunn hatte einen Fehler begangen, für den sie zeit ihres Lebens bezahlt hatte, aber nun, da ihr Leben vorbei war, sah sie eine Möglichkeit zur Wiedergutmachung.
»Meine Tochter!« Sie sammelte ihre schwindenden Kräfte und rief in den Raum hinaus: »Wo ist Ragny? Wo ist meine Tochter?«
Das wuchtige Holzbett umschloss sie wie eine Kiste. Ein hölzerner Rahmen für ihren Tod. Im Raum davor rührte sich etwas. Die Männer drehten sich um, als sie ihre Stimme hörten. Markold, ihr Gemahl, trat einige Schritte vor, mit schweren Stiefeltritten auf dem binsenbestreuten Fußboden.
»Sie ist schlecht und lieblos, meine Königin. Sie ist einfach fortgegangen.« Seine schwarzen Augen leuchteten. Königin Ingunn sah, mit welch aufmerksamem Eifer sein Blick sie erforschte, ihre Schwäche abschätzte, ihre Seufzer, ihre Blässe und ihr Zittern, um festzustellen, wie nahe sie dem Tode bereits war.
Sie wusste, dass er log. Er besaß die Kraft der Wahrheit nicht. Sicher hatte er das Mädchen fortgeschickt, um sie und ihre Mutter in diesem alles entscheidenden Moment voneinander fernzuhalten. Obwohl Markold mit gierigen Augen ihren Todeskampf verfolgte, blieb er zurück, nicht gewillt, ihr zu nahe zu kommen. Selbst Markold, dieser grobe Klotz menschlichen Lehms, wusste um die Mächte, die jetzt um sie waren, da die Tore des Himmels sich auftaten und ein Kraftstrudel sie dorthin zog.
Er hatte Angst, der Narr. Sie schloss die Augen und sammelte den letzten Rest ihrer Kraft. Markold war ihre Sünde. Als sie jung und wild gewesen war, hatte sie ihn erwählt, seines Körpers, seines Muts und seiner Kraft wegen. Sie hatte ihn zum König gemacht, ohne sich dabei um seine Seele zu scheren, und er hatte sie verraten. Wertlos wie Schlacke war Markold und, schlimmer noch, böse und herzlos.
König war er nur durch sie, seine Gemahlin, das letzte Gefäß, in dem Roderichs heiliges Blut floss, das heiligste Blut der Christenheit, das jetzt abgedrängt war in diese letzte kleine Bergfestung, diese letzte Ecke des einstigen Königreichs. Roderichs Reich würde mit ihr sterben. Markold konnte nicht König werden, und das wusste er. Und trotzdem wollte er irgendwie Vorteil aus ihrem Tod schlagen. Sie würde seine gemeinen, ehrgeizigen Pläne vereiteln. Am Ende, ganz am Ende, würde sie wieder in Ordnung bringen, was sie vor langer Zeit, als achtloses, lüsternes und eigenwilliges Mädchen, angerichtet hatte.
Im Sterben machte sie den Weg für ihre Tochter frei. Ragny würde einen besseren König für das Reich finden, damit die Sünde der alten Königin wieder gutgemacht und Roderichs Haus auf den rechten Weg zurückgebracht werde, um das Königreich von den Ungläubigen zurückzuerobern, zur größeren Ehre Christi. Ingunn hatte versagt und ihren Teil in diesem großen Schicksalsplan nicht erfüllt, aber jetzt würde sie alles wieder bereinigen, durch Ragny.
Sie schloss die Augen. Noch würde sie nicht sterben. Markold würde sich noch gedulden müssen. Er hatte sich geweigert, nach einem Priester zu schicken. Erst hatte er gesagt, so krank sei sie nun auch wieder nicht, und dann ließ sich natürlich kein Priester finden, der gewillt war, in die Nähe von Markolds Turm zu kommen, nicht einmal für die rechtmäßige Königin.
Es kümmerte sie nicht, dass kein Priester bei ihr war, aber sie musste Ragny unbedingt noch einmal sehen. Das Tor zwischen den Welten stand offen vor ihr, sie sah dem Tod ins Angesicht, war aber noch am Leben. Während sie sich mit aller Kraft festklammerte, wurde das gewaltige Himmelslicht stetig stärker, fast hörbar in seiner Beharrlichkeit, und sandte ein Prickeln über ihre müden Gliedmaßen. Aus dieser anschwellenden Kraft, durch dieses Tor, wollte sie einen Beschützer für ihre Tochter rufen, eine Macht, die schon alt gewesen war, ehe Christus geboren wurde.
Nur würde sie nicht mehr lange durchhalten können. »Ragny!«, rief sie erneut. »Wo ist meine Tochter?«
Markold trat wieder näher, blieb in einiger Entfernung stehen und starrte sie mit der kalten Lust seiner grenzenlosen Begierde nach dem Tod an. Er rang die Hände. »Wie ich schon sagte, meine Königin, sie ist irgendwohin verschwunden. Ich kann sie nicht finden.«
Sie knirschte mit den Zähnen. Der Tod zerrte sie davon. Ragny würde bald kommen müssen. Verzweifelt stieß sie eine Lüge hervor. »Hol sie her, Markold, oder ich nehme dich mit. Ich werde nicht sterben, bevor du stirbst, Markold –«
Hastig wich er vom Bett zurück. Derb, roh und erdgebunden, ein Klumpen menschlichen Lehms, fürchtete er dumme, nicht reale Dinge. Er sagte: »Ich werde Seffrid schicken, meine Königin.«
Sie ließ sich wieder auf die Kissen zurücksinken. Mit ihrer Drohung hatte sie zu viel von ihrer Kraft verbraucht. Sie konnte spüren, wie der Tod sie einhüllte wie ein Mantel, wie er sie an sich zog, Zoll um Zoll. Ragny musste kommen und sie musste ihre Kräfte schonen. Geduldig schloss sie die Augen.
Markold trat vom Bett weg. Seffrid, der neben der Tür Wache stand, stellte sich gerader hin, mit herabhängenden Armen, als er seinen Namen hörte. Er konnte erkennen, dass die Königin noch nicht tot war, wenn sie auch so aussah mit ihren glasigen, eingesunkenen Augen und der grauen Haut. Aber tot war sie noch nicht. Kalt fragte er sich, was Markold ihr wohl gegeben hatte. Und warum der König sie nicht einfach mit den Betttüchern erdrosselt hatte.
Markold war der König, und Seffrid, sein Hauptmann, tat den Willen des Königs. Nichts anderes spielte eine Rolle. Markold nickte ihm zu.
»Geh, such Prinzessin Ragny und bring sie her.« Er sagte das mit lauter, schallender Stimme, damit sogar die Leiche auf dem Bett ihn hören konnte. Das breite, pockennarbige Gesicht des Königs glänzte vor Schweiß. Sie warteten hier schon seit Stunden und für Markold war es harte Arbeit.
Er begleitete Seffrid zur Tür der Kammer, und dort murmelte er: »Du brauchst nicht besonders gründlich zu suchen, Seffrid.« Er klopfte ihm auf die Schulter und zwinkerte ihm zu.
Seffrid trat auf den Treppenabsatz hinaus. Es gefiel ihm nicht, die Prinzessin von ihrer sterbenden Mutter fernzuhalten, aber er hatte schließlich nichts zu sagen. Schon seit langem wusste er, dass er dazu neigte, sich wie ein lendenlahmer Weichling von Gefühlen überwältigen zu lassen, und so überließ er alles Derartige Markold, der stark war und auch Seffrid stark machte. Es spielte keine Rolle, was er von der Sache hielt. Er musste tun, was ihm befohlen wurde. Er stieg die Treppen des Turms hinab, durchquerte die hölzerne Dürnitz, Markolds Burgsaal, und im Burghof schickte er einen der herumlungernden Knechte nach seinem Pferd.
In der Nacht war starker Regen gefallen, aber jetzt ragte der klobige graue Turm in einen harten blauen Himmel und die Sonne funkelte grell in den Pfützen. Irgendwo gackerte ein Huhn. Der Geruch nach angebranntem Fett hing in der Luft. Bei der Burgmauer rollten zwei Sklaven einen Eisentopf herum und versuchten, ihn zu säubern. Der Knecht führte das Pferd durch den aufspritzenden Schlamm.
Am Burgtor saß der Wächter und aß etwas, einen Krug auf dem Schoß. Als Seffrid aufstieg, rief der Wächter: »Lebt sie noch?«
Seffrid ritt zum Tor. »Sie lebt.« Er wusste nicht wieso; sie sollte längst tot sein, das arme Wesen.
Er unterdrückte diese weichliche Regung. Markold wusste schon, was er tat.
Der Wächter bekreuzigte sich verstohlen und warf über die Schulter hinweg einen Blick auf den Turm. »Gott schütze unsere Königin Ingunn. Verrat ihm nicht, dass ich das gesagt habe.« Er schob das Tor auf und entließ Seffrid in die Welt.
Markolds Turm stand auf dem Sattel des Passes. Gen Norden führte die Straße in ein Bergtal hinunter und gen Süden schlängelte sie sich auf die Ebenen Spaniens zu. Seffrid zügelte sein Pferd und fragte sich, wo er am besten nicht nach Prinzessin Ragny suchen sollte. Die Sonne brannte auf ihn nieder, und es wehte ein leichter, warmer Wind, aber im Westen verdunkelte sich der Horizont. Seffrid war nicht hier geboren – er war Franke, und eines Tages war er, von Norden kommend, auf dieser Straße zu Markolds Turm gelangt -, aber er hatte den Geruch eines kommenden Sturms erkennen gelernt und jetzt bekam er einen Hauch davon in die Nase.
Auch Ragny kannte er, ein seltsames und wildes Mädchen, und er nahm an, dass sie nach Norden geritten war, um zu jagen. Also wandte er sich nach Süden und ritt die Straße hinunter zu der kleinen Ansammlung von Steinhütten am Fuß des Passes.
Früher war hier ein Dorf gewesen. Als er herkam, waren die meisten dieser Hütten noch bewohnt gewesen, aber Markold hatte alle Bewohner vertrieben. Er hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, sie zu töten, sondern ihnen einfach alles genommen, was sie besaßen. Und jetzt waren nur noch ein, zwei Familien übrig, Schafhirten, deren Herden draußen in den Bergen grasten. Sie gaben Markold von ihren Schafen, wann immer er welche haben wollte. Außer ihren Schafen besaßen sie nichts, und ihre Hütten waren aus runden weißen Steinen erbaut, die sie vom Berghang geholt hatten. Der Ort war leer wie ein Friedhof, aber als er hineinritt, kam plötzlich Ragny den Hang herunter auf ihn zu galoppiert. Ihr roter Umhang flatterte hinter ihr, und ihr langes, bleiches Haar flutete im Wind. Sie ritt auf ihn zu, zog die Zügel ihres grauen Pferdes an und hielt.
»Seffrid«, sagte sie, »wie geht es meiner Mutter?« Sie hatte gewartet, begriff Seffrid. Irgendwie hatte sie gewusst, dass ihre Mutter versuchen würde sie zu erreichen, und sie hatte das Burgtor im Auge behalten und gewartet.
Er verbeugte sich so tief vor ihr, wie es dem heiligsten Blut Spaniens anstand. »Prinzessin, sie schickt nach Euch.«
»Dann werde...