Holeman | Die Tochter des Seefahrers | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 704 Seiten

Holeman Die Tochter des Seefahrers

Historischer Roman
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-15320-5
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Historischer Roman

E-Book, Deutsch, 704 Seiten

ISBN: 978-3-641-15320-5
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Portugal 1745: Auf einer kleinen, von Armut geplagten Insel wächst die junge Diamantina auf. Trost findet sie in den Geschichten ihres Vaters Arie, eines Seefahrers, der ihr oft von fernen, faszinierenden Ländern erzählt. Als Arie sein Glück in Südamerika sucht, träumt auch seine Tochter davon, die karge Insel zu verlassen. In ihrer Not nimmt sie den Antrag des Weinbauern Bonifacio an und geht mit ihm nach Madeira. Doch die Ehe wird zum Gefängnis. Den einzigen Ausweg sieht die junge Frau in der Flucht in die Neue Welt. Schon bald aber muss Diamantina sich fragen, wo ihr Herz sie wirklich hinzieht, denn zwischen ihr und Bonifacios Bruder Espirito entsteht eine zarte Liebe ... Ein bewegender Roman der Bestsellerautorin Linda Holeman mit einem zusätzlichen Kapitel über dessen Entstehungsgeschichte.

Linda Holeman, geboren im kanadischen Winnipeg, arbeitete nach ihrem Studium der Soziologie und Psychologie zunächst zehn Jahre als Lehrerin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ihre historischen Romane, darunter 'Smaragdvogel', 'Das Mondamulett' und 'Der Duft von Safran', sind internationale Bestseller und in sechzehn Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt in Toronto und Santa Monica, Kalifornien.
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PROLOG

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Archipel Madeira, Portugal

1730

Estra ging jeden Morgen bei Sonnenaufgang über das einsame Ende des Strands von Calheta und suchte nach Meeresschnecken und kleinen Kostbarkeiten. Der schmale Strand mit dem feinen goldgelben Sand lag im Schutz der Felseninsel Ilhéu de Baixo und bildete eine natürliche Bucht, in der sich alles sammelte, was nachts angeschwemmt wurde. Der Atlantik zwischen dem Archipel Madeira und Nordafrika spülte fortwährend das Treibgut der Schiffe heran. In verheerenden Unwettern sanken die Karavellen und Galeonen, die Brigantinen, Dogger und Korvetten, die gen Westen in die Kolonie Brasilien segelten oder ums Kap der Guten Hoffnung herum gen Osten. Die Überreste landeten hier, am Strand der kleinen Insel Porto Santo.

Unter dem rosa gestreiften Himmel stocherte Estra mit ihrem Stock im harten, nassen Sand zwischen den algenbedeckten Felsen herum, die bei Ebbe trockenfielen. Hinter den windgepeitschten Klippen jenseits der Dünen war sie schon gewesen, um Pflanzen für ihre Trünke zu sammeln. Das Tuch vor ihrer Brust, das sie zurechtrückte, war prall gefüllt mit Seetang, Meersenf, Knöterich, Purgiernuss und Mariendisteln.

Den Mann sah sie erst, als sie direkt vor ihm stand. Er lag mit dem Bauch nach unten und wurde von den schäumenden Wellen umspült, den Kopf auf den angewinkelten Arm gebettet. Sein sandverkrustetes Haar war fast weiß, aber nicht von dem Weiß der Haare alter Männer, sondern von einem fast goldenen Weiß. Um seinen Hals hing ein verknoteter Lederriemen. Estra schob ihren Kranz zurück – den selbst gebastelten Haarkranz aus zähem Seegras mit eingeflochtenen Glasteilchen und Bleikugeln – und stupste den Mann mit ihrem Stock an. Keine Reaktion.

Sie beugte sich über ihn. Vielleicht war es ja ein toter Pirat. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie eine Leiche gefunden hätte. Normalerweise waren sie allerdings aufgequollen und krümmten die Finger zu Klauen, während ihnen die Kleidung in Fetzen am Leib hing. Estra ließ die Toten einfach liegen, bis einer der Fischer vom Strand sie mit Steinen beschwerte und weit draußen auf dem Meer über Bord warf.

Eine kleine Krabbe huschte durch das Haar mit der sonderbaren Farbe und purzelte in den Sand. Der Mann war mit einer Kette, die um seine schmale Hüfte geschlungen war, an ein aufgequollenes Holzfass mit den Buchstaben VOC gebunden. Um seine Handgelenke wanden sich zerrissene Seile. Die Füße waren nackt, und auch sonst verbarg der Körper nicht viele seiner Geheimnisse, in dieser weiten schwarzen Hose und dem zerschlissenen Hemd aus grober, ausgebleichter Baumwolle. Treibgut fand sich nicht in der Nähe, nur langer, knotiger Tang und stinkende Algen; der Mann konnte also nicht von einer gesunkenen Karavelle stammen. Er war wohl über Bord gegangen, was gelegentlich passierte, wie Estra wusste. Junge Matrosen, die sich an den Rhythmus der rollenden, schlingernden Schiffe noch nicht gewöhnt hatten, fielen manchmal aus dem Krähennest oder aus der Takelage. Sie stupste mit dem Fuß gegen das Fass, das ein Stück wegrollte. Offenbar war es leer und wasserdicht. Warum war der Mann an ein leeres Fass gekettet?

Sie kniete sich hin und beugte sich vor, um einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen. An dem Lederriemen um seinen Hals hing ein schmales, längliches Silberteil. Sie nahm es und versuchte, den Riemen abzureißen. Im nächsten Moment schnellte die Hand des Mannes vor und packte sie am Handgelenk. Sie schrie auf, riss sich los und sprang zurück, den Stock vor sich ausgestreckt.

Langsam wälzte sich der Mann herum. Seine strohfarbenen Wimpern flatterten, als er sie anschaute und gegen den Sand anblinzelte. Sein salzverkrustetes Gesicht war sonnenverbrannt, und die Haut schälte sich, seine Lippen waren geschwollen und aufgesprungen. Er krächzte einen Satz – es klang wie eine Frage –, aber sie verstand ihn nicht. Als er sich unter Schmerzen aufsetzte, zog sich Estra noch ein Stück zurück.

Solche Haare hatte sie noch nie gesehen, und auch nicht so helle blaue Augen. Sie holte tief Luft.

Er war es. Er war gekommen.

Arie ten Brink hielt Estra für eine Erscheinung, vielleicht für die Schwarze Madonna, von deren Abbild im Kloster Montserrat bei Barcelona man so viel hörte. Vielleicht war es auch ein dunkelhäutiger Engel, mit diesem verrutschten Heiligenschein, in dem sich die Sonne fing, um Prismen in sein Antlitz zu werfen.

Das letzte Gesicht, in das er geschaut hatte, war das von Broos gewesen, dem Vollstrecker seines Todesurteils. Broos hatte Arie, dessen Hände mit dickem, teerverschmiertem Tau vor seinem Bauch gefesselt waren, zum Bug des Indienfahrers Slot ter Hooge geführt. Broos hatte die Anweisung, Arie mit dem Schwert zu durchbohren – in keinem Fall durfte Munition verschwendet werden – und dann über Bord zu werfen. Nun stammte Broos aber aus Aries Heimatstadt Middelburg in Zeeland. Sie waren schon als Kinder befreundet gewesen, und auch zur Niederländischen Ostindien-Kompanie waren sie zur selben Zeit gegangen. Sie waren bereits einmal auf demselben Schiff gefahren, und auf der gegenwärtigen Reise zu den Niederlassungen der Kompanie in Batavia schlief Broos in der Koje unter Arie. In den dunklen Stunden vor der Schlafenszeit tauschten sie oft Erinnerungen an ihr Leben in Middelburg aus. Während sie auf hoher See nichts als madiges Pökelfleisch und von Käfern angefressenen Schiffszwieback bekamen, dazu modriges Wasser und warmes, saures Bier, fantasierten sie von der Frühlingssuppe mit Fleischbällchen, die ihre Mütter gekocht hatten, und von dem Topf mit Apfelrotkohl, der immer auf dem Herd gestanden hatte. Zum Sonntagsfrühstück hatte es stroopwafels gegeben, Sirupwaffeln, die so süß waren, dass sie an den Zähnen schmerzten. Sie verglichen die Mädchen, an die sie sich erinnerten, und sehnten sich nach der kühlen, frischen Herbstluft, die von der Zuider Zee herüberwehte.

Noch vor Ende des ersten Monats der achtmonatigen Reise brachte Arie dann den Bootsmann Falco um, einen herzlosen Mann mit groben Pranken, der sich gerne auf bestialische Weise mit den jüngsten Besatzungsmitgliedern verlustierte. Irgendwann kam Arie dazu, als Falco sich an Jansie verging, einem zehnjährigen Knaben, der zum ersten Mal zur See fuhr. Arie wollte Falco wegziehen, aber Falco lachte nur und dachte gar nicht daran, von dem Jungen abzulassen. Jansies Gesicht war verzerrt vor Angst und Schmerz, und plötzlich fühlte sich Arie in die Zeit zurückversetzt, in der er selbst ein solcher Junge gewesen war. Er nahm den nächstbesten Gegenstand – den Verschluss einer defekten Kanone – und schlug zu. Eigentlich hatte er nur die Folterqualen des Jungen beenden wollen, aber tatsächlich brach er Falco das Genick.

Obwohl der Kapitän derartige derbe Freizeitspäße bei seinen Matrosen keineswegs billigte, konnte er bei seiner Mannschaft nicht den Eindruck erwecken, er würde Mord und Totschlag dulden. Falco hatte man bereits in ein Laken gewickelt und ohne großes Brimborium über die Reling geworfen. Jetzt war Arie an der Reihe.

Während Falco bei allen verhasst gewesen war, hatte Arie viele Freunde. Da der Kapitän eine Meuterei befürchtete, wenn er Arie verurteilte, versammelte er die Mannschaft unter Deck und ließ eine Extraration kill-devil verteilen, ein faulig schmeckendes, fermentiertes Zuckerrohrgebräu, das als Rum herhalten musste. Niemand durfte Broos folgen, als er Arie fortführte.

Als sie alleine an Deck waren, fragte Broos seinen Freund, wie er so verrückt sein konnte, Jansie beschützen zu wollen. Jansie hätte das schon überlebt. »Wir haben es doch auch überlebt, Arie«, sagte Broos.

Arie sagte nichts. In dem Moment, in dem er zu dem Geschützverschluss gegriffen hatte, war ihm durch den Kopf gegangen, dass Jansie als Mann dieselben Erinnerungen haben würde, die ihn selbst immer noch aus dem Schlaf hochfahren ließen, schweißgebadet, den Geschmack der Angst auf der Zunge. Einen Mann wie ihn. Das wollte er diesem Kind ersparen.

Bevor Broos das Schwert hob, entschuldigte er sich. Arie schloss die Augen und atmete tief durch, als er die Klinge durch die Luft schwirren hörte. Broos kappte aber nur die Taue an Aries Handgelenken und sagte: »Ich kann dich nicht töten, alter Freund. Aber … was habe ich für eine Wahl?«

»Sag meinen Eltern, dass ich eines ehrenvollen Todes gestorben bin«, sagte Arie, kletterte über die Reling und sprang ins Meer. Als er wieder auftauchte, warf ihm Broos ein leeres, mit einer Kette umwickeltes Wasserfass hinab. Arie hielt sich an dem Fass fest und schaute dem Schiff hinterher, bis es zwischen den Wellenbergen verschwunden war.

Er schaffte es, die Kette um seine Hüfte zu schlingen und sich an das Fass zu binden. Als er den Zapfen aus dem Spundloch zog, drang allerdings nur der Gestank der Algen heraus, die so viele Wasservorräte verdarben. Schnell rammte er den Spund wieder hinein, hielt sich am Fass fest und trieb mit ihm durch die Dunkelheit, dann durchs Licht, dann wieder durch die Dunkelheit. Als er den dumpfen Schlag des Sandes unter sich spürte, konnte er schon keinen klaren Gedanken mehr fassen. Mit jeder Welle wurde sein Körper an Land geschwemmt und wieder fortgerissen, aber er fühlte sich wie eine Scherbe, deren Kanten mit jeder Bewegung von Sand, Salz und Wasser stumpfer wurden.

Danach spürte er gar nichts mehr, bis er von einem Ruck an dem Riemen um seinen Hals geweckt wurde.

Und nun sah er in reglose grüne Augen unter kräftigen, gebogenen Brauen. »Bin ich im Himmel?«, fragte er auf Niederländisch.

Die Erscheinung hob die Hand und kratzte sich an...


Holeman, Linda
Linda Holeman, geboren im kanadischen Winnipeg, arbeitete nach ihrem Studium der Soziologie und Psychologie zunächst zehn Jahre als Lehrerin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ihre historischen Romane, darunter »Smaragdvogel«, »Das Mondamulett« und »Der Duft von Safran«, sind internationale Bestseller und in sechzehn Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt in Toronto und Santa Monica, Kalifornien.



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