22 Lebensbilder
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-8438-0264-2
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Absurdistan & Narragonien total Narr zu sein, muß nicht jedem Betroffenen schaden – Hauptsache, am Aschermittwoch ist alles vorbei. Doch in Rom und Venedig ließen die Narren am Schluß ihre Larven einfach drauf und wollten zum Business nicht zurückfinden. Zu Ostern und Nikolaus verebbte manchmal das Remmidemmi immer noch nicht. Saufkumpane bevölkerten derbfröhlich humpenschwingend jedes Mittelalter plus Barock und alle folgenden Zeitläufte und kreisten mit Weinkrug und mitgrölenden Sittenwächtern um die goldensten aller Stuten, Kälber, Stiere und Ochsen, um Götze Bauch. »Stultorum infinitus est numerus!« (Eccl 1,15) Mohren, Pagen, Fußknechte schwenkten burgundisches Banner, schleppten die reichbestickten Azurmantelschleppen von Spottkönig, Narrenpapst und Narrenmutter, vornweg Herolde, berittene Garden, Vögte, Falkoniere, die dank Waffenverbot lediglich mit Holz-Imitaten fuchtelten. Rügegerichte fällten lachsalvenauslösende Urteile. Bischofsstäbe mündeten in Narrenköpfe – keine Kanzel ohne Falltür! Narren bekamen Bartverbot, und Kleriker – Maskenverbot! Schelmenzünfte verbrannten als Weihrauch – Schuhsohlen. Olle Weiblein krähten: »I’d Muetter bi vom Antichrist!« Watschenfänger bekamen im Drommetenschall Versöhnungs-Bonbonnieren gereicht. Roßärzte, Riemer, Sattler stempelten auf freigelegte Hinterbacken: »So sag mir du au, wer du bist!« Auf Schaukissen wurden – Kotwürste präsentiert. Vorzeigepaare mit Eselsohren führten einen Actus carnalis vor, kreisende Becken, wie später auf Love Parades, auf denen dann leider der Knalleffekt fehlte, daß auch moribunde Uralt-Pärchen solch Ehestandsrambazamba und Kopulierruckizucki öffentlich vorführten. Endlich Mittelalter pur, katholische Prozessionen, von Karnevalsumzügen imitiert, eine einzige jahrhundertelange, quietschbunt verfilmbare, karnevalistische Farbenpracht und Massenorgie. Dann aber kam der neutralgraue Aschermittwoch der Neuzeit und zog sich hin, und schon sahen punktuelle Mittelalterreste und Gotikzitate wie Richterrobe, Talarträger, Dalai Lamas, Saudis allesamt wie Kostümrummel aus. Vatikangestalten, wenn sie in ihren Domen und Kathedralen von Kondomen und Gott redeten und sangen, sahen hierbei aus wie todernste Narrhallesen, was wahnsinnig stilbrüchig, hülsenhaft und närrisch rüberkam, als wandelnde Selbstparodie. Unfreiwilliger Humor toppte immer verrückter den knapp noch freiwilligen Humor. Genauso: Karlheinz aus Wuppertal, der gern in den Jemen fuhr, pfropfte sich einen Turban auf, der aber seine banale Identität nicht ernstlich aufpeppen half. Entweder versteckt sich am Rosenmontag in jedem Vermögensberater sein wahreres Selbst, und das will grölen, rülpsen und foppen, oder andersherum: Geborene Witzereißer halten 333 Tage im Jahr die rauslaßbare Sau streng unter Verschluß. In summa: Das 20. Jahrhundert zog auf Jahrtausende humaner Farbenfreude eine technizistisch-kommunistisch neutralgraue Alufolie, kein Wunder, daß nun Milliarden Armbanduhr-Araber, PKW-Chinesen und Dosenkost-Russen verstärkt nach Kaiser, Sultan und Zar brüllen. Bevor gummibunt vergoldetes Königtum bei abschmelzenden Polkappen die zentralgeheizte freie Welt fortspült, bitte schnell noch die Relation zwischen Pigmentstörungen und Demokratie erforschen! Fragt sich nur, wie im Gegenzug bunte Diktaturen ihre Kostümfilmhaftigkeit loswerden wollen. Narrologie für Fortgeschrittene Experten unterscheiden Munaficun und Madschdubun, genauer: einerseits Nach- und Vorbeter, Mitläufer, Uneinweihbare, Hyliker, Muggels, kurz: Normalbürger, andererseits Übergeschnappte, von Dschinnen besessene Derwische, Sufi-Narren. Hinzu kommen Scheiche, Schelme und Spinner, und nicht zuletzt Oberspinner und viele andere Sorten, Typen, Leute und Menschen. Einerseits lassen sich Clowns, Chefs, Freaks, Guys, Snobs, Stars, Tramps, Wracks unterscheiden, andererseits Bettler, Boten, Bräute, Dandys, Denker, Dulder, Gurus, Gaukler, Huren, Kuppler, Lesben, Macher, Maler, Magier, Musen, Mönche, Mörder, Nonnen, Päpste, Pilger, Popfreaks, Prinzen, Scheiche, Schwuchteln, Staatschefs, Sammler, Softies, Spinner, Stifter, Stripper, Yogis und nicht zuletzt Baumnarren, Beichtväter, Bildhauer, Blutsäufer, Dorfdeppen, Einsiedel, Fischprediger, Gutmenschen, Großmäuler, Lustmolche, Knastbrüder, Kunstmaler, Mondnarren, Moonwalker, Schauspieler, Schwarzdenker, Stadtnarren, Türhüter, Tonsetzer, Totmacher, Weinfreunde, Wortführer, Ulknudeln, Umwerter und Zuchthäusler. Alle diese Abenteurer, Alchimisten, Blödelbarden, Busenwunder, Casanovas, Dadasophen, Dao-Dichter, Dschungelhelden, Eingeweihte, Eigenbrötler, Einzelgänger, Fetischisten, Frugivoren, Geognosten, Hilfsarbeiter, Kavaliere, Komponisten, Kupferstecher, Liebesboten und Müslifresser kamen auf diese Welt, um vom gesunden Mainstream pathologisch und theologisch abzuweichen. Religionen kämpften gegen Mystagogen, Mythologen, Okkultisten, Pädagogen, Serienkiller, Tänzerinnen, Theosophen, Pantomimen und Possenreißer und hielten ihre Anhänger zum Narren. Kaum kamen religiöse Mitläufer mit viel Ach und Krach in jeweiliger Evidenz an, stand nicht mal ein halbwegs greifbares Nirwana zur Verfügung. Götter foppten arme Säue und Seelen mit grausam unzumutbarer Nichtexistenz. Patriarchen, Rattenfänger, Selbstvergotter, Tagediebe, Visionäre, Wüstentöchter, Wunderkinder und Zappeltanten schossen ständig wieder aus dem Boden, in den sie ständig wieder gestampft wurden, um nicht zu sagen: zurückgebombt. Ketzer wichen vom Dogma oft verblüffend geringfügig ab. Dissidenten kommen also genauso vom Fließband. Banale Gestalten funktionieren genauso wie die berühmtesten Heiligen, die mit Stigmatum, Gotteskuß und Qualitätsstempel auf frommer Stirn: »Echt!« Kein Wunder, daß im ABC Tiervater Brehm neben Buddha landet, und Turnvater Jahn neben Jesus. Was unterscheidet falsche Fuffziger und echtes Katzensilber? Frühe Obergurus und göttliche Greise (à la Pythagoras, Petrus, Dionysius Areopagita, Melchisedek, Jesus von Panthera) sahen im Rückblick, kraft Patina & Exotik, unsagbar gültig aus, heilig, unerreichbar groß, jeder Kontrolle entzogen – vor Ort aber geizten sie mit Wunderheilungen und rechtzeitigen Originalzitaten sehr, oft auch mit spirituellem Format. Und vice versa: Ausbrüter dubiöser Privatreligionen stiegen zu Weltreligionsstiftern auf. Narren, die man postum weihevoll hochschaukelte, trumpften als Jahrtausendgestalten auf, aber Narren, die man zufällig zu pushen vergaß, hatten sich zu begnügen, bloß als Sektenchefs zu hausieren. Päpste sprachen zentnerweise frömmelnde Schwundköpfe – darunter auch Mörder – selig und heilig, und andersrum: Päpste ließen vernunftbegabte Vordenker jahrhundertelang umsonst auf Rehabilitierung warten. Am Schluß nippeln Karrieristen so tragisch und kläglich ab wie Narren, schrumpfen weg und gehn von uns – wozu eine künstliche Zweiteilung derselben vertrackten Chose? Viele Narren sind so humorlos gebaut wie Ezechiel, Savonarola, Franz von Assisi oder Osama bin Laden, der genau wie ein Hofnarr die Welt mit makabren Scherzen aufrüttelte. Komische Mystiker übertrumpften profane Kleriker. Kosmische Träumer und Psychiatriepatienten leuchteten heiliger als 365 Kalenderheilige. Windbeutel, Sexgurus, Scharlatane brachten mehr Wahrheit rüber, zur Not auch bloß ›truth‹, als hochseriöse Menschheitslehrer. Falls sie recht haben mit ihrer schönsten These »In jedem Tautropfen steckt der Ozean«, dann wohnt in absolut jedem verklebten Pennergehirn und Wahnsystem das ganze göttliche Universum! Selbst in gottlosen Zeiten hören wunderliche Heilige nicht auf, ihr Unwesen zu treiben, und ihr Wesen. Fazit: Normalbürger sind oft noch närrischer als andere Narren. Und vice versa: Narren sind oft nicht weniger närrisch als andere Leute. Wand an Wand, ja: Wange an Wange, im Global Village: One Big Family, One World, Yin & Yang! Die Unterscheidung, die man zwecks Dualismuspflege unerleuchtet aufrechthielt, kann in schwachen Minuten und hellen Momenten bestens entfallen, zwecks Unio mystica, Coincidentia oppositorum & Tat twam asi & Apokatastasis panthon. Aber zum Ausgleich, daß für Stino-Leute Buddha wie Uriella aus demselben Holz geschnitzt wurden, sehen Sektenopfer ihre Ausbeuter gern als Bodhisattwas. Hereinspaziert – Eintritt nur für Verrückte Farbtupfer dieser grauen Welt: Herzbuben und Herzdamen können keinen einzigen Joker ersetzen. Endlich bildschöne Wahrheit, kaum umzingelt von Realität! Selbst Engel wärmen sich an Nonsenseversen! Ein Königreich für eine Windmühle, gegen die ich kämpfen könnte! Doch hüte dich, gewissen Narren ähnlich zu sehn! Sonst geht alles immer so weiter, mit dieser fragwürdigen Welt. Pick einfach mal ein paar heraus, zwecks näherer Untersuchung. Aber öffnest du einem die Tür, kommen gleich 333 herein, oder 222! Eine Demokratie für eine Phänomenologie, damit endlich jeder erfährt, wie solche Subjekte ticken und woran man sie erkennt. »Kosmos sucht 22 Superstars!« »Wir warten draußen vor der Tür.« »So voll hier – nix wie raus hier!« Drinsein oder Nichtdrinsein, in Google und Mahabharata, Kanon und Pantheon, Kosmos, Panoptikum und Narratorium. Jede Einzelfigur saß geduldig im Vor- und Wartezimmer, im zen-buddhistischen ›Niwa-Zume‹, einzuwandern in 7 x 7 Narrenhimmel, vorbeizuschlüpfen an TÜV-Prüfstand, Riechkontrolle, einköpfiger Jury, oje, sogar Rampe, mit und ohne Schmiergeld für Hausmeister und Torhüter. Größte Namen rückten an, IPs & VIPs (important persons & very important persons), Oberbonzen, Überformate, Supergirls, in Sänften herbeigetragen, eingeflogen von Sponsoren, umflort von Nimbus und Corona,...