Hofmann Der Klassenfeind
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-608-10807-1
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 251 Seiten
ISBN: 978-3-608-10807-1
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gymnasiallehrer Harry Milford hat viele Probleme und ein Ziel: Frühpensionierung. Als ihm eine Referendarin den Kopf verdreht, glaubt er kurz, alles wird gut. Ein grandioser Irrtum. Marc Hofmann, Lehrer und Kabarettist, seziert den Wahnsinn zwischen Schule und Kleinfamilienhölle messerscharf, böse – und irre lustig.
Harry Milford hat Wichtigeres zu tun, als es allen recht zu machen. Wenn der Deutschlehrer, Ehemann und Vater zweier pubertärer Zeitbomben die Augen schließt, sieht er einen friedlichen Karpfenteich, im Wasser hängt seine Angelschnur. Öffnet er sie, sitzt da ein Haufen frühreifer, aknegeplagter Vollpfosten: seine achte Klasse. Weiter soll er sich auch noch um die Referendarin Mareike Selig kümmern, und zuhause macht seine Frau dem Hausfreund schöne Augen. Wer würde da nicht zum Zyniker werden? Da hilft nur eins: Ab auf Klassenfahrt und rein ins amouröse Abenteuer. Und ehe Harry weiß, wie ihm geschieht, ist es mit der Ruhe vorbei …
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Homo Faller
Wir betreten die Klasse. Ich schreie laut »So!« und lasse wie immer erst einmal meine Tasche aufs Pult knallen, gefolgt von meinem riesigen Schlüsselbund. Ich lege eine Folie auf den Projektor, aber der ist immer noch kaputt. Klar, der Hausmeister hatte ja schließlich auch Ferien. Die Tür geht auf. Eine Schülerin schlendert lässig ins Zimmer. Dass sie zwei Minuten zu spät kommt, scheint für sie kein Grund für eine Entschuldigung zu sein. Dann muss ich wohl aktiv werden. »Verzeihung?« Sie blickt mich erstaunt an. Ich tippe mit dem Zeigefinger auf meine Uhr und mache eine fragende Geste. »Ach so … Ich hab verschlafen.« Sie setzt sich hin in der Gewissheit, dass der Fall damit erledigt ist. »Soso«, erwidere ich, »dann komm du doch nach der Stunde direkt mal zu mir.« »Boah, das ist ja wohl voll unfair!« Mein Blick bleibt am Dekolleté einer Schülerin in der zweiten Reihe hängen. Es ist eine Frechheit. Wer will das denn sehen? Ich wollte gerade noch etwas Maßgebliches zu der Zuspätkommerin sagen, aber ich habe vergessen, was es war. Ich wünsche mich in eine andere Zeit oder in ein anderes Land. Eines mit Schuluniform oder wenigstens einem Mindestmaß an textiler Contenance. Ich reiße mich zusammen und entdecke Lukas Meier, der mit dümmlichem Gesichtsausdruck ins Leere starrt. »Lukas, du Flitzpiepe, kannst du mir sagen, wieso der Roman Homo Faber heißt?« Lukas Meier könnte im richtigen Leben vielleicht ein gar nicht so unsympathischer Kerl sein, aber als Schüler würde man gern auf ihn verzichten. »Also Homo heißt ja, äh … Mensch«, beginnt er seine profunden Ausführungen, aber er wird von Pascal Faller unterbrochen, der mit übertrieben tuckiger Stimme Homo! durch den Raum ruft. Pascal Fallers Familie ist eine bildungsferne Schicht für sich. Ich habe schon seine beiden älteren Brüder unterrichtet, das waren genau die gleichen Dummbatze. Seit der fünften Klasse bildet Faller auf jeder Versetzungskonferenz einen eigenen Tagesordnungspunkt. Ich starre ihn an. »Was genau willst du damit sagen?« »Nichts.« »Du unterbrichst deinen Klassenkameraden und zerrst an meinen Nerven, um nichts zu sagen, ist es das, was du mir hier erzählst?« »Äh, ja«, sagt er und grinst. Ich will gerade zu einer Tirade anheben, da fällt mir auf, dass die Referendarin immer noch mitten im Zimmer steht, weil sie keinen Stuhl hat. So, Bursche, jetzt bist du fällig. »Faller, komm doch mal her!«, sage ich. Pascal Faller hampelt nach vorne und zieht eine kleine Show für seine Kumpane ab, indem er läuft wie die Karikatur eines Rappers. Ich frage mich, was sein Friseur wohl beruflich macht. Die Jungs in der letzten Reihe sitzen alle mit den Händen unter den Tischen da, den Blicke scharf nach unten gerichtet. Ich entscheide mich, ihren Plants versus Zombies-Wettbewerb nicht zu unterbrechen, so sind sie wenigstens ruhig. Die Tür geht auf. Zwei Schülerinnen betreten kichernd den Raum. Sie sehen keine Veranlassung, mich zu beachten. Ich blicke ihnen nach und warte darauf, dass sie merken, dass zu wenige Stühle im Raum sind. Sie schauen sich ratlos um. »Die Damen, was mag wohl die Ursache für dieses dreiste Zuspätkommen sein?« »Wir hatten Führerscheintheorie«, sagt die eine und geht mit der Stimme am Ende des Satzes zickig hoch. »Prüfung?« »Äh, nee, Unterricht.« »Morgens um neun?« »Ja, hallo? Können wir doch nichts für?« Die Schüler grinsen in sich hinein. Am Rand meines Sichtfeldes irritiert mich etwas Unangenehmes. Es ist Faller, der immer noch neben mir steht. »Faller, meinst du, ich käme damit durch, wenn ich deine Eltern auf Schmerzensgeld verklage, dafür, dass ich dich unterrichten muss?« »Äh, was?«, fragt er. »Vergiss es! Frau … nehmen Sie sich Fallers Stuhl!« »Selig«, sagt die Referendarin leise. »Und wir?«, fragen die beiden Führerscheinexpertinnen. »Mir doch egal«, antworte ich wahrheitsgemäß. Ein Handy klingelt. Die Schüler kichern. Ich bin gespannt, ob ich irgendwann noch erleben darf, dass mal tatsächlich ein Schüler während des Unterrichts drangeht. Ich überlege, ob ich den Schuldigen ermitteln soll, aber es ist mir zu aufwendig. Ich blicke streng über den Rand meiner Brille. Dann wende ich mich wieder Faller zu. »So, du Vogel! Willkommen im 21. Jahrhundert. Du schreibst mir jetzt bis morgen folgenden Satz zwanzig Mal von Hand: Ich mache mich nie mehr über Homosexualität lustig, und ich werde nie mehr sprechen, wenn ich nichts zu sagen habe. Kannst du dir das merken?« Er meint, ich scherze. »Und wo soll ich mich jetzt hinsetzen?« »Frag nebenan nach einem Stuhl! Lukas, wo waren wir noch gleich, ehe man uns so jäh unterbrach?« Lukas Meier, der gerade damit beschäftigt war, seinem Nachbarn mit dem Lineal Schmerzen zuzufügen, blickt mich verwirrt an. »Äh …« Die beiden Fahrschülerinnen, die Faller gefolgt waren, kommen mit Stühlen zurück. Sie plappern und kichern miteinander. »Schnauze!«, herrsche ich sie an. Bevor sie empört reagieren können, sage ich: »So! Heute schauen wir uns Herrn Fabers Beziehungen zu den Frauen näher an.« Draußen herrscht plötzlich ein Wahnsinnsradau. Alle paar Sekunden klopft es an die Tür. Eine Klasse läuft durch den Gang und schreit, als wären sie im Fußballstadion. Ich öffne vorsichtig die Tür und spähe hinaus. Ein Schüler hämmert im Vorbeilaufen gegen die Tür des Nebenzimmers. Ich schleiche ihm hinterher, packe ihn am Kragen und schreie: »Los, komm mit, du Kasper!« Damit hat er nicht gerechnet. Entsetzt starrt er mich an. »Wir haben doch gar nichts gemacht«, sagt einer seiner Kumpane allen Ernstes. »Na dann ist doch alles tippitoppi, oder?«, sage ich und ziehe den Klopfer an seinem Sweatshirt ins Zimmer der Elfer. Pascal Faller hat sich einen Stuhl besorgt und will sich gerade wieder in die letzte Reihe setzen. »Faller! Deinen Stuhl, schnell«, schreie ich. »Was soll das denn jetzt?« »Los, mach, oder willst du nachsitzen?« »Das können Sie doch nicht …« »Leg’s drauf an!«, schreie ich ihn an. In der Klasse herrscht Totenstille. Er bringt mir seinen Stuhl. »Los, hol dir einen neuen«, sage ich zu ihm. Ich stelle den Stuhl neben die Tafel und bedeute dem Türenklopfer, sich zu setzen, mit dem Gesicht zur Klasse. »Also, ihr Experten«, frage ich in die phlegmatische Runde, »wie heißen die Frauen in Fabers Leben?« Die Blicke der meisten Schüler verlieren sich in imaginären Weiten. Trotz ihrer unzweifelhaften körperlichen Anwesenheit versuchen sie, so zu tun, als seien sie es nicht. Und irgendwann meldet sich Julia Weber. Julia Weber meldet sich immer. Hin und wieder nehme ich sie absichtlich nicht dran, in der leeren Hoffnung, andere könnten sich dadurch animiert fühlen, auch mal etwas beizusteuern. Ich warte dann auch gerne mal, bis die Spannung nicht mehr auszuhalten ist. Es ist ein seltsames und unwürdiges Spiel, das wir da spielen: Auf der einen Seite die Mittel- oder Oberstufenschüler, von denen jeder hofft, irgendjemand würde sich erbarmen und endlich die Scheißantwort geben (bei den Kleinen ist es eher das Gegenteil, da melden sich immer alle, um einem von ihren Kaninchen zu erzählen, auch wenn man sie gerade nach dem Präteritum von backen gefragt hat), und auf der anderen Seite ich, der sie zappeln lässt. Am Ende gibt es zwei Möglichkeiten. Man verschafft den Schülern einen angenehmen Lernschlaf, das heißt, der Lehrer stellt Fragen und beantwortet sie gleich selbst, oder Julia Weber rettet allen den Tag. Den Schülern, die wieder ein paar Minuten Zeit bis zur nächsten Frage gewonnen haben, und mir, weil ich mir einreden kann, ich hätte meine Unterrichtsziele auf schülerzentrierte Weise erreicht. »Sabeth, Hanna …«, sagt Julia Weber. Es klopft an der Tür. »Was?«, belle ich genervt. Eine dieser engagierten Jungkolleginnen, die einfach noch nicht lange genug da ist, als dass ich mir ihren Namen hätte merken können, steht im Türrahmen. Sie fällt mir immer mal unangenehm auf, weil sie in jeder Gesamtlehrerkonferenz eine Schülerumfrage vorschlägt: Doppelstundenmodell? Klingelton abschaffen? Cafeteriapreise? Fragen wir doch einfach die Schüler, was die davon halten. Wollt ihr in Religion jede oder nur jede zweite Stunde Mandalas ausmalen? Sollen wir die Schule vielleicht gleich ganz abschaffen? Damit eines klar ist: Schule ist etwa so demokratisch wie Nordkorea. Schülerumfragen sind vergleichbar mit Wahlen in Russland. Sie bedeuten nichts. Alles, was die Schüler entscheiden können, ist, ob das Schul-T-Shirt rot oder blau sein soll. Und das ist auch verdammt gut so! »Herr Milford, Sie haben einen meiner Schüler entführt!«, sagt sie streng. Ich schüttle den Kopf. »Ja, und?« »Das dürfen Sie gar nicht. Kann ich ihn bitte wiederhaben?« Das ist so eine ganz Verständnisvolle, Schülernahe, Oberliberale. Ich glaube, die ist sogar Vertrauenslehrerin. Oder Verbindungslehrerin. Oder wie das heißt. »Ich unterziehe ihn gerade einer...