E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Hoffmann Architektur und Kunst im Erzgebirge
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-940860-20-0
Verlag: Hermann, Robin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Westerzgebirge
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-940860-20-0
Verlag: Hermann, Robin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Steffen Hoffmann, geboren 1977 in Erlabrunn (Erzgeb.) und aufgewachsen in der Nähe von Schwarzenberg (Erzgeb.), entwickelte schon früh ein ausgeprägtes Interesse an der Kulturgeschichte seiner erzgebirgischen Heimat. In Halle (Saale) und Leipzig studierte er Kunstgeschichte und Archäologie. Sein Studium schloss er mit einer Forschungsarbeit über die mittelalterliche Bauplanung des Naumburger Domes ab. Aber auf eine bestimmte Epoche hat sich Steffen Hoffmann nie begrenzt. In seinen bisherigen Forschungs- und Lehrtätigkeiten spielte neben dem Mittelalter u. a. auch die Architektur während der Zeit des Nationalsozialismus eine wichtige Rolle. Dem langjährigen Gästeführer ist vor allem die verständliche Vermittlung von Kunstgeschichte an ein Laienpublikum ein besonderes Anliegen. Der passionierte Radsportler lebt und arbeitet in Leipzig.
Weitere Infos & Material
Schneeberg
Übersicht der Objektstandorte
St. Wolfgangskirche
Die Einheitlichste der sächsischen Hallenkirchen mit dem größten Cranach-Altarretabel
Mit 61 m Länge und 27 m Breite erreicht die Wolfgangskirche annähernd die Größe der Annaberger Annenkirche.
Abb. 57: Das 19 m hohe Gewölbe der St. Wolfgangskirche wurde 1977–88 rekonstruiert, ist jedoch deutlich flacher als im ursprünglichen Zustand.
An höchster Stelle des damaligen Stadtgebietes errichtet, erscheint die St. Wolfgangskirche [Abb. 19, Kap. Kunstgeschichte] im Stadtbild wie eine fürsorgliche Mutter, um die sich ihre Kinder scharen. Kunsthistorisch gilt sie als Schwesterkirche der spätgotischen St. Annenkirche in Annaberg. Dabei hat sie einen ganz anderen Charakter, der bisweilen zur Annahme führt, sie sei ein protestantischer Kirchenbau. Doch zunächst zur Vorgeschichte: 1477 wurde von Herzog Albrecht dem Beherzten der Grundstein zur ersten, steinernen Wolfgangskirche auf der Kuppe des Schneebergs gelegt [Abb. 58]. Die wachsende Stadt verlangte aber schon wenige Jahrzehnte später nach einem Neubau. Hinzu kam die Konkurrenzsituation mit Annaberg und letztlich auch Zwickau, in denen neue, größere Gotteshäuser »heranwuchsen«.1
Abb. 58: Erste Wolfgangskirche (Federzeichnung von 1516)
1515 wurde der Grundstein für die heutige Wolfgangskirche gelegt, die auch die Bedeutung Schneebergs symbolisieren sollte. Der erste Baumeister, welcher den Plan entwarf, war Hans Meltwitz aus Torgau. Finanziert wurde der Bau vor allem durch die Stadt selbst, die u. a. Bergwerksanteile verwendete. Zwar gab es auch Spenden von Seiten des ernestinischen Landesherrn, diese lagen jedoch weit unter denen, welche Herzog Georg der Bärtige »seiner« Annenkirche beisteuerte.2 Bis 1521 war der Rohbau fertig, 1526 konnten die Gewölbe geschlossen werden. In diesem Jahr übernahm Fabian Lobwasser die Bauleitung und vollendete bis 1540 die Pläne seines wohl kurz vorher verstorbenen Vorgängers.
1536/37 wurden durch Wolf Riediger die Emporen eingebaut. Spätere äußere Veränderungen der Kirche konzentrierten sich vor allem auf den Turm, der ursprünglich nicht einmal die Dachfirsthöhe erreichte. 1673–76 wurde der Turm nach Plänen Johann Heinrich Böhmes d. Ä. erheblich vergrößert. Der Stadtbrand von 1719 bedingte eine Neugestaltung des Turmhelmes, die 1751–53 durch August Siegert (Entwurf) und Christian Klar (Bauleitung) realisiert wurde.3
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die schützende Putzschicht entfernt.4 Den verheerendsten Eingriff hatte der Zweite Weltkrieg für die Kirche zur Folge. Kurz vor Kriegsende im April 1945 wurde der Dachstuhl in Brand geschossen, was erst im Nachhinein das Gewölbe zum Einsturz brachte und damit den größten Teil der damals sehr reichen Ausstattung zerstörte. Es folgte ab 1946 ein langjähriger, vor allem von der Bevölkerung getragener Wiederaufbau, der 1996 mit der Neuaufstellung des Cranach-Altars weitestgehend abgeschlossen werden konnte.
Die St. Wolfgangskirche ist eine dreischiffige Hallenkirche mit einem 4/16-Chor der die gesamte Altarseite einnimmt [Abb. 17, Kap. Kunstgeschichte]. Der helle, 19 m hohe Innenraum ist von großer Einheitlichkeit geprägt. Dazu trägt neben dem Verzicht auf eine räumliche Ausgrenzung des Altarraumes nicht zuletzt die selbst hinter dem Altar fortlaufende Empore bei. Ein Sterngewölbe überspannt die Halle [Abb. 18, Kap. Kunstgeschichte]. Der 72 m hohe Turm beinhaltet teilweise seinen Vorgängerbau der ersten Wolfgangskirche. Obwohl die Einheitlichkeit des Innenraums und die heute gänzlich verschwundene einstige katholische Ausstattung die Kirche sehr protestantisch-lutherisch wirken lassen, stammt ihre Planung aus vorreformatorischer Zeit. Tatsächlich gab es den ersten offiziellen lutherischen Gottesdienst in der Wolfgangskirche erst im Jahr 1534!5
Von den wenigen erhaltenen älteren Ausstattungen ist heute vor allem das 16. Jahrhundert präsent. Beachtenswert sind die Treppenaufgänge der Emporen, die Renaissanceformen aufweisen [Abb. 28, Kap. Kunstgeschichte]. Von der Malerfamilie Krodel stammen Epitaphbilder wie die Taufe Christi (um 1561, Wolfgang Krodel) oder Christus tötet den Drachen [Abb. 59 – um 1556, Wolfgang Krodel] und Aposteldarstellungen (Martin Krodel, um 1583, im 17. Jh. verändert). Der Taufdeckel mit der Taufe Christi entstand 1595.
Abb. 59: Epitaphbild Christus tötet den Drachen (1556) – Detail
Abb. 60: Taufdeckel mit Taufe Christi (1595)
Die berühmteste und bedeutsamste Ausstattung ist zweifelsohne der monumentale, 1539 aufgestellte Hauptaltar aus der Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren. Gestiftet von Kurfürst Johann Friedrich und seinem Mitregenten Johann Ernst. Geschaffen 1537/38,6 erlebte das größte Altarretabel Cranachs mancherlei Veränderungen. 1633 wurde es im Dreißigjährigen Krieg von kaiserlichen Truppen geraubt, 1649 zurückerworben. Der 1712 vollendete Barockaltar (kriegszerstört) sah nur noch zwei Bildtafeln vor (Abendmahl und Kreuzigung), während die restlichen Bilder seitlich aufgehängt und 1929 schließlich an die Dresdner Gemäldegalerie verkauft wurden. Die beiden Altarbilder wurden 1945 aus der brennenden Kirche gerettet, jedoch verbrannte die Rückseite des Abendmahls. Nach der Restaurierung wurden die Bildtafeln 1996 im Originalzusammenhang mit neuem Rahmen am Originalort aufgestellt. Der Wandelaltar gilt als erstes reformatorisches Retabel seiner Art und zeigt die zentralen lutherischen Glaubensinhalte von Gesetz und Gnade. Über dem Predellenbild, das dem Abendmahl gewidmet ist, stellt vor allem die Werktagsseite [Abb. 24, Kap. Kunstgeschichte] diese Prinzipien heraus. Links widmen sich zwei Bildtafeln der Verdammnis (Gesetz), während rechts zwei Bildtafeln die Erlösung durch den Glauben (Gnade) thematisieren. Die Festtagsseite überträgt dieses Prinzip auf die Passion Christi, mit der Ölbergszene links, der Kreuzigung in der Mitte und der Auferstehung rechts. In den Seitenflügeln sind darunter die fürstlichen Stifter porträtiert. Die Rückseite stellt das Jüngste Gericht mit der Sintflut (links) und Lot mit seinen Töchtern vor dem brennenden Sodom und Gomorrha dar [Abb. 291, Bed. Künstler und Architekten].
Abb. 61: Cranach-Retabel in der St. Wolfgangskirche – Festtagsseite
Von der ehemals einzigartigen und äußerst umfangreichen Barockausstattung [Abb. 33, Kap. Kunstgeschichte] gibt es in der Wolfgangskirche heute nur noch die Figurengruppe der 1714 von Johann Caspar Hahnel geschaffenen Marmortaufe.
Abb. 62: Marmortaufe
Stadtrundgang durch Schneeberg
Die St. Trinitatiskirche, die heutige Winterkirche der St. Wolfgangsgemeinde, ist vor allem als »Hospitalkirche« bekannt. Um 1500 wurde hier, am damaligen Stadtrand, ein Hospital errichtet, neben dem sich eine St. Helenakapelle befand. 1529 wurde auch der Schneeberger Friedhof hierher, also an seinen heutigen Standort verlegt. 1567–73 kam es unter Maurermeister Peter Weiß zum Umbau der St. Helenakapelle, die nun zur Hospital- und Friedhofskirche wurde.7 Nach dem großen Stadtbrand von 1719 wurde die stark beschädigte Kirche 1728–37 unter Mitwirkung von August Siegert, Christian Klar und Friedrich Christian Lochmann wiederaufgebaut. Allerdings erhielten Fenster und Türen nun barocke, gerade für Schneeberg typische Formen. 1849 entstand die markante Doppelturmfassade des Bauwerks durch eine Stiftung des Kaufmanns August Hähnel.8 Der schlichte Innenraum ist heute vor allem geprägt von dem hölzernen Spiegelgewölbe. Bemerkenswert sind die barocken Quadraturmalereien der mittleren Fenster.
Abb. 63: Auf dem Altar der Trinitatiskirche befand sich nach den Zerstörungen des 2. Weltkrieges das berühmte Cranach-Retabel.
Gleich hinter der Kirche befindet sich der Friedhof von Schneeberg. Nach seiner Verlegung an diesen Standort wurde er 1701 erweitert. Vor allem für die kunstgeschichtliche Bedeutung der Stadt Schneeberg ist die parkartige Anlage von großem Interesse. Auf dem Kreuzungspunkt der Hauptwege befindet sich ein lebensgroßes Sandsteinkruzifix [Abb. 64] mit davor kniender weiblicher Figur (vielleicht Maria Magdalena). 1683 wurde es als Sühneleistung des Handelsherrn Georg Meyer in der Werkstatt des Schneeberger Bildhauers Andreas Petzoldt unter Mitwirkung seines Sohnes Johann Petzoldt geschaffen.
Abb. 64: Sandsteinkruzifix (1683)
Das besterhaltendste Mausoleum ist jenes der Familie Schnorr von Carolsfeld, welches sich an der Ostmauer (parallel zur Hartensteiner...