E-Book, Deutsch, Band 2, 304 Seiten
Höhne Mord am Thalia
2024
ISBN: 978-3-7349-3054-6
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 2, 304 Seiten
Reihe: Kriminalkommissar Jakob Mortensen
ISBN: 978-3-7349-3054-6
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Im Thalia Theater wird ausgelassen gefeiert. Als Max Schwartau, Bildhauer und Maler, tot aufgefunden wird, übernimmt Kommissar Jakob Mortensen den Fall während der laufenden Festveranstaltung. Der erste Verdacht fällt auf die russischstämmige Alina Krylow, später auch auf Eva Scheller, die Frau eines Galeristen. Während Mortensen zusehends Alina verfällt, verliert er den Fall komplett aus den Augen und riskiert damit seine berufliche Stellung - und seine Beziehung. Dann geschieht ein zweiter Mord.
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1
»Du meine Güte«, ätzte Ellen, »die reinste Räucherkammer. Wenn du hier ein paar Fische aufhängst, sind sie in einer Stunde durch.« Clara verzog den Mund zu einem gepressten Lächeln. Etwas in der Art hörte sie an jedem der drei Nachmittage, an denen sie hier, im Café Ha-Ka, Gäste bediente. Und wenn sie an manchen Tagen auch abends aushalf, hörte sie es erst recht. »Frische Luft ist hier nicht erwünscht«, erwiderte sie, »wenn ich die Tür aufmache, erfrieren mir die Herrschaften. Jedenfalls tun sie so. Soll ich mal?« Ihr Finger wies zur Tür. Ellen, ihre ältere Schwester, nickte mit einem schelmischen Blick. Kaum stand die Eingangstür einige Sekunden lang offen, folgten die ersten launigen Kommentare: »Wollen Sie uns umbringen, Frollein Clara? Wie in Sibirien!«, »Soll ich mir den Tod holen?«, »Wir haben tiefsten Winter, meine Liebe, bitte schließen Sie doch diese Tür, ja?!« »Na, was sag ich?«, fragte Clara. »Ja, ich seh schon. Du bist wirklich nicht zu beneiden.« »Nein, nein, lass mal. Was meinst du, wie froh ich bin, dass ich diese Stelle gefunden habe. Na ja, eigentlich hat sie ja eher mich gefunden, aber das hab ich dir ja schon erzählt.« Ellen nickte. Ja, da hatte ihre Schwester Glück gehabt, dass ihr Professor von der Kunstgewerbeschule ihr diese Anstellung als Bedienung so rasch verschaffen konnte. Er gehörte zu den Stammgästen, kannte hier alles und jeden. Es war in finanzieller Hinsicht ein Stückchen Unabhängigkeit für sie. Im Übrigen erhielt sie durch den ständigen Kontakt der ein und aus gehenden Künstlerinnen und Künstler allerlei Informationen rund um das kulturelle Leben in Hamburg. Vieles wurde lediglich über informelle Kanäle verhandelt, Aufträge, Verbindungen zu Galerien, neue Ausstellungsorte, wer mit wem ein Problem hatte und überhaupt: Ja, Klatsch und Tratsch aus der Szene gehörten auch dazu. Großartig und höchst nützlich. Anni, Claras Chefin, die ebenfalls mit »Frollein« angesprochen wurde, machte sich hinter dem Schanktresen bemerkbar, deutete auf das Tablett mit den gefüllten Biergläsern und zwei Kaffeetassen. Wie üblich saß ihre aufwendige Wasserwellenfrisur perfekt, da war sie eigen, selbst bei der Tresenarbeit. Ihr halb langes Haar wirkte noch blonder als sonst. »Bin schon da, Anni. Entschuldige, ich schnacke so viel mit Ellen und du machst die ganze Arbeit. Ich gelobe Besserung.« »Na, lass man, Deern, muss auch sein, ist ja noch nicht so viel Betrieb, gerade erst fünf. Nett, deine Schwester, guckt so goldig in die Welt. Schneiderin ist sie, hast du gesagt?« Clara lachte laut auf. »Goldig ist gut, Anni, ich werd’s ihr ausrichten. Ja, eine richtig tolle Schneiderin ist sie.« Sie schnappte sich das Tablett und verteilte die Biergläser an eine Gruppe männlicher Nachmittagsgäste. Das Ha-Ka stand als Abkürzung für »Hamburger Kammerspiele-Klause«. Vor zwei Jahren war das Privattheater Hamburger Kammerspiele hier am Besenbinderhof in St. Georg eröffnet worden. Eine Treppe führte hinunter zu der neuen Spielstätte und dem Café. Es lag rückwärtig in einem Hinterhof. Viele hatten sich nicht vorstellen können, dass sich ein Publikum finden würde, welches sich in diese düstere Gegend verirrte. Es war tatsächlich recht zentral gelegen, Nähe Hauptbahnhof, dennoch seitlich abgelegen, und es wirkte alles ein wenig finster. Doch dann wirtschafteten die Kammerspiele von Beginn an erfolgreich. Die Aufführungen des Theatergründers und Regisseurs Erich Ziegel – mit einer Mischung aus jungen, erfahrenen Schauspielern und einer beherzten Auswahl an ungewöhnlichen Stücken – bildeten den Zeitgeist ab. Die neue Epoche brachte frischen Wind in die Stadt, man wagte Experimente, lebte freier, stellte neue Fragen an die Gegenwart, gemäß der Devise: Es lebe die Republik, nichts bleibt, wie es war. Und: Die Menschen gierten nach Orientierung und kultureller Belebung. Längst hatte sich das Ha-Ka zum beliebtesten Treffpunkt für Künstler entwickelt, vor allem für Schauspieler, Literaten, Maler und Bildhauer. Die hiesige Boheme hatte in diesem Hof ihren Anlaufpunkt gefunden. Mancher kreative Geist sah im Ha-Ka eine Art zweites Wohnzimmer. Frollein Anni kannte sie alle, samt ihren Marotten, Schnurrigkeiten, Vorlieben und Geldnöten. In einer der kabinettartigen Nischen saßen zwei Frauen, die eine im mittleren Alter, vielleicht Anfang vierzig, die andere Ende fünfzig. Die Ältere zeigte ihrem Gegenüber eine Zeichnung in einem Skizzenblock. Ein Entwurf, flüchtig dahingeworfen mit Grafit, nicht ausgearbeitet, aber er enthielt bereits alles Wesentliche, wie Clara sofort auffiel, als sie den beiden ihren Kaffee servierte. Eine Biergartenszene über der Elbe, wahrscheinlich auf dem Süllberg in Blankenese. »Danke, Liebes«, bemerkte die Jüngere an Clara gewandt. Die errötete leicht, weil es nicht üblich war, dass die Gäste sich bei der Bedienung bedankten, wenn sie ihnen ihre Bestellung brachte. Sie tat eben ihre Arbeit. Dennoch gefiel es ihr, es hatte etwas Respektvolles. Sie mochte es umso mehr, da sie die beiden Frauen kannte und schätzte. Es waren Malerinnen, Alma del Banco, die Ältere, und ihre Kollegin Gretchen Wohlwill. Clara stellte noch ein Glasschälchen mit Keksen auf den Tisch. Dabei ärgerte sie sich über sich selbst. Dieses kindchenhafte Erröten, es war nicht auszuhalten. Mit bald siebenundzwanzig Jahren sollte das eigentlich kein Thema mehr sein. Es passierte ihr in aller Regel, wenn sie von einer Person gelobt wurde, die sie als natürliche Autorität anerkannte. Wehe dem, der sie daraufhin ansprach, gar noch in Gegenwart anderer. Dann konnte es passieren, dass ihre sanftmütigen hellbraunen Augen Zornesblitze abfeuerten, die ihr niemand zugetraut hätte. Einer ihrer Berliner Studienkollegen hatte sich einmal zu der Bemerkung verstiegen, sie sei anscheinend autoritätsfixiert, worauf sie ihn furchterregend angefunkelt und schließlich über Wochen hinweg keines Blickes gewürdigt hatte. Seine Werbungsversuche hatten sich damit von selbst erledigt. Die beiden Frauen hier am Tisch enthielten sich jedes Kommentars. Die Tür flog auf, eine weitere Gruppe betrat den Gastraum. »Moin allerseits«, lärmte einer. Alles wandte sich zur Tür, grüßte zurück oder hielt sich die Ohren zu. »Otto, was brüllst du denn so?«, rief die Wirtin, ebenfalls mit einer volltönenden Stimme ausgestattet. »Oha«, ahnte Alma del Banco, »jetzt ist es vorbei mit der Ruhe.« Ihre Tischgenossin nickte. Halb an Carla gewandt, sagte sie: »Pass mal auf, gleich gibt’s wieder den Kampf der Klötze. Da haben sich drei gefunden, so unterschiedlich sie auch sind.« Clara stimmte zu, wenngleich nicht klar war, ob Gretchen Wohlwill sie angesprochen hatte oder die Freundin. Genau genommen handelte es sich nicht nur um drei männliche Klötze, die das Ha-Ka lautstark in Besitz nahmen, sie hatten noch zwei junge, gut gelaunte Frauen im Schlepptau. Die waren nicht weniger laut, aber wohl nicht prominent genug, um Beachtung zu finden. Ihre Frisuren waren dem neuen Lebensgefühl entsprungen: Beide trugen Bubikopf. Das Haar war knabenhaft kurz geschnitten, es bedeckte gerade einmal die Ohren. Die eine hatte die unteren Enden spitz zu den Wangen hingelegt, sie erreichten beinahe die Nase und wiegten sich mit jedem Schritt. Nicht so die Schmachtlocke auf der rechten Stirnseite, die wirkte wie angeklebt. Bei der anderen war das schwarze Haar knapp unter dem Ohr in einer geraden Linie geschnitten, von Ohr zu Ohr. Vorn fiel es ihr als Pony in die Stirn. Die Lidränder waren mit Kajal nachgezogen, was ihre Augen noch größer erscheinen ließ. Überhaupt fehlte es nirgends an Schminke. Viele Frauen zeigten ihr neues Selbstbewusstsein inzwischen auf diese Weise. Ellen saß noch immer in der Nähe des Tresens an einem schlichten runden Tisch. Sie tauschte vielsagende Blicke mit Anni. Sie kam sich fast alt vor mit ihren vierunddreißig Jahren. Dabei verstand sie sich auf das Modische. Als Schneiderin war sie keine ausgewiesene Frisurenexpertin, aber sie wusste, wie man sich vorteilhaft und zeitgemäß kleidete. Die weit ausgestellte Hose der einen wäre für sie ganz gewiss nichts. Und diese riesige rote Schleife um den Hals, nein, das würde nicht zu ihr passen. Auch zu Clara nicht, die doch immerhin fast acht Jahre jünger war, das Nesthäkchen in der Familie. Sie mochten es beide dezenter, eleganter, weniger burschikos. Ellen trug ihr Haar schulterlang, die Schwester ließ es wachsen, und jetzt, während der Arbeit, band sie es zu einem Pferdeschwanz zusammen. »Bier, Frollein Anni, und Likör für die Damen«, rief einer der Klötze. Es war Emil Maetzel, wusste Clara, Maler und Sammler sogenannter Negerplastiken. Er war ganz eingenommen von der Kunst urwüchsiger Völker. Somit folgte er einem Trend in der aktuellen Kunstszene. Auf jeden Fall fand Clara es außergewöhnlich, sie hatte sich bislang nicht damit beschäftigt, kannte lediglich einige seiner Bilder. Sie wunderte sich, dass er um diese Uhrzeit schon mit Malerkollegen auf Zechtour war, wo er als Architekt und Oberbaurat doch einem ehrbaren Brotberuf in der Hamburger Baudeputation nachging. Ein echtes Alphamännchen. Ebenso wie seine beiden Kollegen, Otto Tügel, der sich gerne Tetjus nannte, ein Was-kostet-die-Welt-Typ und Maler wie der Dritte im Bunde: Max Schwartau. Von seiner Statur her wirkte er schmalbrüstig. Max war auch bildhauerisch tätig und in seiner künstlerischen Ausrichtung sicher einzigartig in Hamburg. Die beiden jungen Frauen hatte Clara noch nie gesehen, vielleicht waren sie früher schon mal hier gewesen, sie...