E-Book, Deutsch, Band 144, 64 Seiten
Reihe: Lore-Roman
Hochried Lore-Roman 144
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7517-4021-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der unbekannte Patient
E-Book, Deutsch, Band 144, 64 Seiten
Reihe: Lore-Roman
ISBN: 978-3-7517-4021-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Dr. Horst Beumer ist ein erfolgreicher Schönheitschirurg. Mit der Schauspielerin Carlotta Riva genießt er die Freuden des Lebens. In ihrer Villa geht er fast täglich ein und aus. Eines Nachmittags kommt er mit Carlottas Sekretärin Inge Görgen ins Gespräch. Die schöne zurückhaltende Frau bittet Dr. Beumer um einen Gefallen: Er möge sich bitte ihren vom Kriege schwer entstellten Bekannten ansehen. Wer wenn nicht er könne aus einem von der Gesellschaft ausgestoßenen wieder einen lebensmutigeren Menschen machen. Der Schönheitschirurg zögert. Normalerweise beschäftigt er sich mit schiefen Nasen, schmalen Lippen oder Falten. Diese schwierigen Eingriffe erfordern viel Zeit, die er nicht hat, und zu allem Überfluss werden sie auch noch sehr schlecht honoriert. Doch ein Blick in Inges Augen verrät dem Arzt, dass es ihr besonders ernst ist. Soll er für die so reizende junge Frau über seinen Schatten springen?
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Der unbekannte Patient Ein dramatischer Arzt- und Schicksalsroman Von Ina von Hochried Dr. Horst Beumer ist ein erfolgreicher Schönheitschirurg. Mit der Schauspielerin Carlotta Riva genießt er die Freuden des Lebens. In ihrer Villa geht er fast täglich ein und aus. Eines Nachmittags kommt er mit Carlottas Sekretärin Inge Görgen ins Gespräch. Die schöne zurückhaltende Frau bittet Dr. Beumer um einen Gefallen: Er möge sich bitte ihren vom Kriege schwer entstellten Bekannten ansehen. Wer wenn nicht er könne aus einem von der Gesellschaft ausgestoßenen wieder einen lebensmutigeren Menschen machen. Der Schönheitschirurg zögert. Normalerweise beschäftigt er sich mit schiefen Nasen, schmalen Lippen oder Falten. Diese schwierigen Eingriffe erfordern viel Zeit, die er nicht hat, und zu allem Überfluss werden sie auch noch sehr schlecht honoriert. Doch ein Blick in Inges Augen verrät dem Arzt, dass es ihr besonders ernst ist. Soll er für die so reizende junge Frau über seinen Schatten springen? Dr. Horst Beumer trat ans Fenster und schaute auf die breite gepflegte Allee hinaus, an der sein Haus mit der Praxis stand. Dr. Beumer hatte hier erst vor einem halben Jahr Einzug gehalten. Er hatte eine Menge Geld bezahlen müssen, um dieses Haus an diesem Platz bauen zu können, aber dieses Geld hatte sich bereits gut verzinst. Seit er hier, im besten Viertel der Großstadt, seine Patienten empfing, hatte sich gerade der Kreis der vermögenden Besucher wesentlich erhöht. Genau das war letztlich Sinn seiner Pläne gewesen. »Herr Doktor?« Der Arzt ging zu seinem Schreibtisch und drückte einen Knopf an der Sprechanlage. »Was gibt's, Fräulein Frey?« »Frau von Altenhein möchte mit Ihnen sprechen.« »Du meine Güte! Muss das sein?« Die Sekretärin blieb die Antwort schuldig. »Lassen Sie sie hereinkommen«, entschied Dr. Beumer seufzend. »In zehn Minuten erinnern Sie mich an die Konferenz mit der Bank.« »Davon weiß ich nichts.« »Ich auch nicht. Trotzdem erinnern Sie mich.« »Ich verstehe.« Es war klar, dass Dr. Beumer mit diesem fingierten Termin einen Vorwand suchte, um seine angekündigte Besucherin rasch wieder loszuwerden. Es gab Menschen, die zuweilen dem Arzt die Frage aufdrängten, ob es nicht besser sei, sein Spezialgebiet, die kosmetische Chirurgie, aufzugeben und sich einem anderen Gebiet zuzuwenden. Diese Frau von Altenhein gehörte zu ihnen. Das Schicksal wollte es jedoch, dass gerade diese Menschen zumeist die höchsten Rechnungen bezahlten, mit Freude sogar, denn es gehörte zu ihrer Mentalität, dass sie nur mit hohen Rechnungen zufrieden waren. Dr. Beumer hatte anfangs um diese zwar schwer verständliche, aber nicht von der Hand zu weisende Tatsache nicht gewusst, und er hatte sich gewundert, warum einige Patientinnen sehr auf ihn schimpften, obwohl die Eingriffe durchweg gut gelungen waren. Später hatte es ihm jemand gesagt: diese Leute, die das Geld viel zu leicht verdienen, wollen zahlen müssen, sonst fühlen sie sich nicht für voll genommen. Sie wollen, dass die Umwelt ihr Geld sieht, sonst werden sie böse. Dr. Beumer hatte sich seither nach dieser Erfahrung gerichtet. Sie hatte ihm Patienten erhalten, neue zugeführt und sein Bankkonto mehr und mehr anschwellen lassen. Die Tür öffnete sich, und Frau von Altenhein rauschte herein. Die Frau war eine »imposante« Erscheinung. Sie trug Pariser Modelle, die für sie zu jugendlich waren. Sie duftete nach Parfümen, die man am Abend allenfalls verwendet, dann aber auch nur in geringsten Dosen. Sie hatte sich mit Schmuck behängt, mit dem man gut und gerne die gesamte Auslage eines Juweliergeschäftes hätte bestreiten können. Dabei zeigte ihr rundes, fleischiges Gesicht den Ausdruck affektierter Koketterie und jener Dümmlichkeit, die bei den Menschen, die rasch und unverhofft zu Geld gekommen sind, leider nicht eben selten ist. »Herr Doktor!«, zwitscherte die Frau, ließ ihr Gesicht zu einem breiten Lächeln zerfließen und segelte auf den Arzt zu. »Wie nett, Sie wiederzusehen!« »Die Freude ist ganz auf meiner Seite!«, versicherte Dr. Beumer und neigte sich über die schmuckglitzernde Hand. »So galant wie immer, Herr Doktor!«, säuselte die Frau. »Wie ich sehe, haben Sie eine neue, entzückende Frisur komponieren lassen?«, heuchelte Dr. Beumer. »Gefällt sie Ihnen?« »Passt genau zu Ihrem Typ, gnädige Frau«, erwiderte der Arzt. Es war an der Zeit, das Gesicht dieser Frau zu bewundern. Dr. Beumer hatte es selbst »konstruiert«, wie er zuweilen scherzhaft zu sagen pflegte. Schon zweimal hatte er Hautraffungen vorgenommen, hatte einen Sattel im Nasenrücken ausgefüllt und hatte schließlich Wangenpolster unterlegt, weil die Frau sich für den slawischen Gesichtstyp begeisterte. Nach so vielen Korrekturen hatte das Gesicht nicht mehr viel Ähnlichkeit mit dessen ursprünglicher Gestalt, es wirkte seltsam angespannt, fast starr, aber das war eine Folge der letzten Behandlung, die vor etwa einem Vierteljahr erfolgt war. Dr. Beumer sagte ein paar schmeichelhafte Worte. Frau von Altenheim wehrte geziert ab, aber es war ihr deutlich anzumerken, dass sie auf diese Worte gewartet hatte. »Sie werden sicherlich wissen wollen, weshalb ich zu Ihnen gekommen bin, Herr Doktor?«, sagte sie mit einem neckisch sein sollenden Augenaufschlag. »Ich bin sehr neugierig, gnädige Frau.« »Wussten Sie eigentlich, dass ich ein fünfjähriges Töchterchen habe?« »Was Sie nicht sagen! Bei Ihrem Aussehen? Unmöglich!« »Sie sind ein ganz Schlimmer, Herr Doktor! Doch, doch, ich habe eine Tochter, und ich habe sie sogar mitgebracht.« »Wie reizend!« »Möchten Sie sie sehen?« »Brennend gern.« »Katy!« Die Tür öffnete sich, ein kleines hübsches Kindergesicht trug eine seltsam ernste Miene zur Schau und war sehr adrett gekleidet — für ein Kind dieses Alters ein bisschen zu ordentlich. »Nun gib dem Onkel Doktor die Hand, Katy!« Das Mädchen machte einen Knicks. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Herr Doktor!« Die kleine Stimme klang geziert, unnatürlich. »Ist sie nicht süß, meine Katy?«, zwitscherte die Mutter. »Wirklich reizend. Und so vernünftig!« »Nicht wahr? Ich gebe mir mit dem Kinde auch sehr viel Mühe. Ich gehöre nicht zu jenen Müttern, die ihre Kinder auf die Straße schicken, wo sie mit den Gören aus der Nachbarschaft spielen sollen. Für meine Katy kommt das nicht infrage. Übrigens werde ich sie auch nicht in die Schule schicken, sondern einen Hauslehrer einstellen.« Armes Kind, dachte Dr. Beumer. Laut sagte er: »Die kleine Katy wird ihrer Mutter später gewiss sehr dankbar sein.« »Und sie lernt so fleißig! Katy, willst du dem Herrn Doktor nicht das neue Gedicht aufsagen?« Katy trat einen Schritt vor, tat einen Knicks und plapperte wie eine Aufziehpuppe los: »Der Mond — gestern Abend, als ich durch die dunklen Straßen ging, als der Wind durch das dürre Laub der Bäume fuhr.« »Bravo!«, klatschte Dr. Beumer in die Hände, indem er das Kind einfach unterbrach. »Den Rest höre ich mir ein andermal an, gnädige Frau. Meine Zeit ist leider etwas bemessen.« »O ja, Sie sind ein vielbeschäftigter Arzt!«, rief die Frau empathisch und zog das Kind an sich. »Nun schauen Sie sich doch bitte einmal Katys Nase an.« »Wie bitte?« Dr. Beumer glaubte nicht richtig gehört zu haben. »Diese Nase! Ist sie nicht schrecklich?« Dr. Beumer sah nichts anderes als ein typisch kindliches Stupsnäschen. »Ich finde, Katy sieht mit dieser Nase unmöglich aus. Ich hatte an etwas Klassisches gedacht, so griechisch, verstehen sie?« Dr. Beumer hüstelte. So etwas war ihm noch nicht vorgekommen. Nun sollte gar ein Kind schon ... »Gnädige Frau, in diesem Alter ist die Form noch nicht fixiert. Das wächst sich sehr rasch aus.« »Ich kann diesen Anblick aber nicht mehr ertragen!«, rief die Frau weinerlich. »Es macht mich ganz nervös.« »Gnädige Frau, in spätestens einem halben Jahr ist davon nichts mehr zu sehen.« »Oh, wie soll ich diese langen sechs Monate nur überstehen?« »Gnädige Frau ...« »Herr Doktor — Sie werden mich doch nicht im Stich lassen?« Dr. Beumer schwankte. Was sollte er tun? Es war natürlich heller Wahnsinn, bei einem solchen Kinde eine Korrektur vornehmen zu wollen. Andererseits ... »Bei Kindern ist die Sache sehr kompliziert, gnädige Frau.« »Sie sind doch so unheimlich tüchtig, Herr Doktor! Gestern erst sagte ich zur Gräfin Dobel: der Herr Doktor Beumer, sagte ich, ist ein Genie!« »Aber, aber!« »Doch, das sind Sie! Und deswegen werden Sie auch diese...