E-Book, Deutsch, Band 352, 256 Seiten
Reihe: Historical
Hobbes Verzehrende Küsse zwischen Leben und Tod
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7337-3694-1
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 352, 256 Seiten
Reihe: Historical
ISBN: 978-3-7337-3694-1
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gefesselt und schmerzgepeinigt kommt Ritter Sir Roger zu sich: Mit festen Stricken hat die junge Wirtin Lucy Carew ihn an eine Bettstatt gebunden! Hält sie ihn für gefährlich, für einen Dieb oder gar einen Mörder? Dabei war die zarte Schönheit mit den sturmgrauen Augen gestern Nacht, als er schwerverletzt in ihr Gasthaus taumelte, mehr als zugänglich. Oder hat er ihren verzehrenden Kuss zwischen Leben und Tod nur im Fieberwahn geträumt? Auf jeden Fall muss sie ihn rasch gehen lassen, weil ein geheimer Auftrag im Namen des Königs auf ihn wartet. Bevor Lucy auch noch sein stolzes Herz in Fesseln legt ...
Weitere Infos & Material
1. KAPITEL
Wacht auf, Mylord! Wir müssen aufbrechen!“
Ungeduldige Rufe drangen in Roger Danbys Träume, zerrten ihn aus dem Haus seiner Kindheit im heidebedeckten Moor auf die Schlachtfelder Frankreichs. Das Gemetzel dort empfand er beinahe als Erleichterung.
Er hatte wieder von Yorkshire geträumt, wie jede Nacht, seit er nach England zurückgekehrt war: Die endlosen purpurfarbenen Moore und tiefen Täler, die er beinahe vier Jahre lang nicht gesehen hatte. Auch die Menschen aus seiner Vergangenheit waren anwesend und machten seine Träume noch düsterer. Obwohl ihm bewusst war, dass er träumte, fühlte er den Schmerz des Verlustes. Er fragte sich, ob sie wohl so oft an ihn dachten wie er an sie und ob sein Name wohl jemals erwähnt wurde in den roten Steinmauern seines Vaterhauses.
Jemand rief noch immer seinen Namen, und ein sterbender Bogenschütze zerrte am Halsausschnitt seines Umhangs. Er hob den Arm, um den Mann abzuwehren, aber den Zug spürte er noch immer. Die Rufe gehörten nicht zu dem Traum, und als er die Augen aufschlug, sah er Thomas, seinen Knappen, der sich über ihn beugte, die Hand auf Rogers nackter Schulter.
Der junge Mann sah ihn aus großen Augen an, sein Haar war ungekämmt. Thomas hatte in Frankreich an Rogers Seite gekämpft, daher war es nicht überraschend, dass er auch in Rogers Traum auf dem Schlachtfeld stand. Aber Roger benötigte einen Moment, um den Traum vollständig abzuschütteln und in das bequeme Bett im Herrenhaus eines Adligen aus Derbyshire zurückzufinden, was sehr ungewohnt war nach Monaten, in denen er auf Strohmatten oder dem nackten Boden geschlafen hatte.
„Mylord, bitte. Wir müssen aufbrechen“, wiederholte Thomas.
Wenn er von zu Hause geträumt hatte, dann waren Rogers Nerven immer gespannt wie eine Bogensehne. Er blickte zu Thomas auf, verwirrt und irritiert durch die Federmatratze. Zwischen den Vorhängen, die vor dem Fenster hingen, fiel etwas Licht ein. In dem kalten Raum bildete sein Atem eine Wolke.
„Habe ich verschlafen?“
„Nein, es ist noch früh.“
Mit einem Stöhnen ließ Roger sich zurückfallen. Es war die dritte Nacht bei Lord Harpur in Bukestone, und sie hatten vor, am Morgen aufzubrechen, allerdings nicht so früh. Das Hausmädchen, das ihm während der Nacht Gesellschaft geleistet hatte, rollte sich zur Seite, noch immer fest schlafend. Ihre nackten Schenkel stießen gegen Rogers Hüfte, als sie sich bewegte, und er spürte einen wohligen Schauer. Er griff nach der Weinflasche, die neben ihm lag, aber die war leer.
„Der Tag ist kaum angebrochen“, murrte er. „Warum die Eile?“
Thomas lief bereits in der kleinen Kammer umher, sammelte Habseligkeiten zusammen und stopfte sie in seine Satteltasche. Rogers Stiefel und den Umhang warf er auf das Fußende des Bettes.
„Lady Harpur geruhte heute Morgen ihrer Tochter einen Besuch abzustatten“, murmelte Thomas. Seine Miene wirkte angespannt, und unter dem dünnen Bart war er sehr bleich. „Sie musste feststellen, dass Katherine nicht allein in ihrem Zimmer war – und das schon die ganze Nacht über.“
Roger fluchte. Katherine Harpur war ein Mädchen von sechzehn Jahren mit der zarten, blassen Haut ihrer Mutter und dem dunklen Lockenhaar des Vaters. Sie war reif genug, aber Roger hatte die Tändelei, die er zwischen ihr und Thomas bemerkt hatte, als nicht besorgniserregend eingestuft. Offenbar hatte er sich getäuscht. Er zwang sich aus dem Bett. Der kalte Luftzug weckte ihn schlagartig auf, aber selbst wenn es im Zimmer angenehm warm gewesen wäre, hätte ihn sein soldatischer Instinkt auf die drohende Gefahr hingewiesen, in der sie sich befanden.
„Du verdammter junger Narr! Lord Harpur hat jedes Recht, dich niederzustrecken, gleich da, wo du jetzt stehst, und ich bin fast entschlossen, ihn gewähren zu lassen.“
In Thomas’ rundem Gesicht spiegelte sich Panik wider, und Roger erinnerte sich daran, wie jung sein Kamerad noch war. Obwohl er die Schlachtfelder Europas überlebt hatte, ängstigte ihn der Gedanke an den Tod offensichtlich. Thomas ist noch keine neunzehn Jahre alt, und wenn er weiterhin so unüberlegt handelt, dann wird er dieses Alter auch nicht erreichen, dachte Roger mit der Missbilligung eines um zehn Jahre älteren Mannes. Wenn Thomas alt genug war, um es mit einer willigen Frau zu treiben, dann war er auch alt genug, um die Folgen unüberlegten Handelns zu tragen.
„Wie lange ist es her, seit du entdeckt wurdest?“
„Ich bin direkt hierhergelaufen“, sagte Thomas bedrückt. „Katherine versuchte, ihre Mutter zu überreden, nicht gleich zu Lord Harpur zu gehen, aber ich weiß nicht, wie erfolgreich sie dabei sein wird.“
Das verschaffte ihnen etwas Zeit. Wenn das Glück auf ihrer Seite war, dann hatten sie das Haus vielleicht verlassen, ehe der empörte Vater nach ihnen zu suchen begann.
„Ich habe mich hinter der Tür versteckt und bin hinausgeschlüpft, ehe man mich sah. Lady Harpur weiß vielleicht nicht, dass ich es war.“
Thomas klang hoffnungsvoll. Roger wandte sich ab, damit Thomas nicht sah, wie … verärgert er war. Wie viele dunkelhaarige Gäste hielten sich in Lord Harpurs Haus auf?
Zwei, beantwortete er sich die Frage selbst und kratzte sich den Bart, der sein Gesicht bedeckte. Mit Glück würde Katherine Harpur bestätigen, mit welchem der beiden Männer sie sich indiskret verhalten hatte, und Roger würde nicht als der Schuldige dastehen. Er war erfüllt von dem Wunsch, Thomas etwas Verstand einzuprügeln, aber Strafen und Zurechtweisungen konnten bis später warten. Jetzt war es am wichtigsten, schnell abzureisen. Ihre Mission durfte nicht durch etwas so Banales gefährdet werden, nicht wenn Roger die Gelegenheit hatte, endlich den Reichtum zu gewinnen, nach dem er sich so sehnte.
Er zog die Leinenhose an, darüber die wollene Reithose und eine Tunika. Dann warf er einen bedauernden Blick auf seine eigene Bettgefährtin. Er hatte noch auf ein Schäferstündchen mit ihr gehofft, ehe sie aufbrachen. Allein dafür verdiente Thomas schon eine Kopfnuss. Aber egal, es würde nicht lange dauern, bis er ein anderes Bett fand und zweifellos auch jemanden, der es ihm wärmte. Auf diese Weise vermied er zumindest den tränenreichen Abschied von einem Mädchen, das gehofft hatte, er würde länger bleiben, als er es eigentlich beabsichtigt hatte. Roger warf einen Farthing, einen Viertelpenny, auf das Kissen, wo ihn das Mädchen beim Aufwachen sehen würde. Die Börse mit seinen letzten Münzen befestigte er an seinem Gürtel.
Thomas hatte die Ledertaschen geholt, die ihren Besitz enthielten, darunter auch die Tasche mit dem übrigen Geld, die Roger eingerollt zwischen seiner Wäsche versteckt hatte. Schnell legte Roger das dick gepolsterte Lederwams und den Reiseumhang an, dann griff er nach seinem Schwert. Er warf einen letzten Blick in den Raum, um sich zu vergewissern, dass er nichts vergessen hatte, dann machte er sich auf den Weg in die Küche, wo, wie er wusste, die Tür nicht bewacht wurde. Sich mit dem Hausmädchen anzufreunden hatte Vorteile, an die er vorher nicht gedacht hatte, und sie konnten sich auf diese Weise unbemerkt hinausschleichen und zu den Stallungen gehen.
Lautlos wickelten sie Sackleinen um die Hufe der Pferde und nahmen die Sättel auf die Schultern. Die Tiere wieherten leise aus Protest gegen den frühen Aufbruch, und Roger blieb stehen, um über das raue Winterfell seines Braunen zu streichen. Sie führten die Pferde am Rand des Hofes entlang, und das Glück war auf ihrer Seite, als sie das Tor passierten, ohne gesehen zu werden.
Sie sattelten die Pferde, verstauten die Taschen und saßen auf. In der frostigen Morgenluft war ihr Atem zu sehen, aber es zogen sich Wolken zusammen, die andeuteten, dass der Tag wärmer und nasser werden würde. Die Pferde waren nicht aufgewärmt, und sie im Trab laufen zu lassen wäre nicht gut.
Als sie zu einer Gabelung kamen, wandte Roger sich nach rechts.
„Dies ist die falsche Richtung, Mylord. Hier sind wir bei unserer Ankunft entlanggekommen.“
Roger unterdrückte seinen Ärger und nickte. „Lord Harpur weiß, dass wir nach Cheshire wollen. Wenn er sich entschließt, uns zu verfolgen, wird er diese Richtung einschlagen, deswegen wählen wir die andere. Und jetzt los!“
Sie hielten an, als Rogers Magen zu knurren begann, saßen ab und führten die Pferde in den Schutz einiger Bäume. Kräftiger Regen hatte eingesetzt, und die beiden Männer hüllten sich in ihre mit Öl imprägnierten Wollumhänge, um sich warmzuhalten.
Kaum hatten sie sich hingesetzt, versetzte Roger Thomas eine Ohrfeige. Der junge Mann schrie leise auf.
„Was glaubst du, was du da gemacht hast?“, wollte Roger wissen. „Ich weiß, wir haben uns schon seit Monaten nicht mehr in zivilisierter Gesellschaft bewegt – und vielleicht hast du das sogar noch nie getan –, aber die Regel lautet: Wenn du mit irgendwem im Haus ins Bett gehen willst, dann such dir nicht das edelste Schmuckstück aus der Schatztruhe des Herrn aus.“
„Wir – wir haben nicht miteinander geschlafen.“ Thomas wurde rot. „Wir haben nichts Böses getan. Wir haben nur beieinander gelegen und die ganze Nacht geredet.“
Roger lachte. „Du hast deine Zeit vergeudet und Schwierigkeiten verursacht – und das für gar nichts! Wofür gibt es Frauen, wenn nicht zum Vögeln? Wenn du schon das Risiko eingehst, dass man dir die Kehle durchschneidet oder dich entmannt, dann sorge wenigstens dafür, dass du vorher deinen Spaß hattest.“
Thomas schob schmollend die Unterlippe vor. „Katherine und ich lieben...