E-Book, Deutsch, 120 Seiten
Reihe: Preselect
Hille / Renold-Fuchs / Schreier Wenn dem JA kein ABER folgt (E-Book)
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-0355-0700-3
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Innovationen im Bildungswesen - wer will, sucht Wege.
E-Book, Deutsch, 120 Seiten
Reihe: Preselect
ISBN: 978-3-0355-0700-3
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen.
Bildungsinstitutionen sehen sich zunehmend vor neue Herausforderungen gestellt. Und der Druck, sich stärker auf die sich verändernden Ansprüche einzustellen, nimmt zu. Nicht erst seit gestern. Doch Wandel ist nicht gerade das, was das Bildungswesen vorrangig auszeichnet. Denn Wandel ist unbequem. Aber es gibt auch Gegenbeispiele. Menschen, die Wege suchen aus dem Jammertal. Menschen, die den Mut haben, sich ein Stück weit aus der kollektiven Geborgenheit des Systems und der Sicherheit schützender Gemeinschaft herauszubegeben. Menschen, die Ja sagen. Ein Ja, dem nicht sogleich ein Aber folgt. Von solchen Menschen und ihren Ideen handelt dieses Buch.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Die Schule ist embryonische Gesellschaft und Gemeinschaft zugleich:
Wie Antje Rümenapf im Odenwald ein ermutigendes Beispiel in die Welt bringt
Von Helmut Schreier Geographische Lage und organigraphische Situation der Schule I n der Mittelgebirgslandschaft des hessischen Odenwaldes mit seinen Streuobstwiesen, Buchenwäldern und Burgruinen, wo die Idylle des Naturparks Bergstrasse auf den Einfluss der nahegelegenen Ballungsräume Mannheim-Ludwigshafen und Hanau-Frankfurt-Wiesbaden trifft, liegt an der B38 zwischen Fränkisch-Crumbach und Reichelsheim der Ort Beerfurth. Folgt man dort dem grünen Wegweiser «Grundschule» durch schmale Gassen an den Fassaden von Fachwerkhäuschen vorüber in den Neubaubereich mit seinen Eigenheimen hinein, die genau so aussehen, wie sie überall in Deutschland aussehen, kommt man schliesslich ans Ziel, den weiten, asphaltierten Schulhof mit zwei entsiegelten Oasen voller Baumstämme und Schaukeln, eingerahmt im rechten Winkel von den flachen und einstöckigen weiss geputzten Schulgebäuden. Hinter dem Gebäude rechterhand als langgestreckter Riegel ein auffallend gepflegter Schulgarten und am unteren Ende, wo sich das Gelände öffnet, eine hölzerne Pergola – «das Naturklassenzimmer» – und der Rasen eines Bolzplatzes mit zwei Toren. Schulleiterin Antje Rümenapf Viel Platz für 70 Schulkinder. Und für sieben Lehrerinnen – die Schulleiterin unterrichtet selbstverständlich ebenfalls – und «locker zwanzig» (sagt die Schulleiterin) weitere Erwachsene, die in irgendeiner pädagogischen Funktion mit den Kindern und der Schule zu tun haben. Ich stelle mir das Zusammenwirken der hier dauernd oder zeitweilig pädagogisch tätigen Menschen nach dem Muster von konzentrischen Kreisen vor, mit dem Kollegium in der Mitte, dem Team von Betreuern und Fachleuten in einem zweiten Kreis drumherum, und in einem dritten Kreis alle, die in der Nähe leben und greifbar sind: Potenzielle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die bei sich bietender Gelegenheit rekrutierbar wären. Die Schule ufert organigraphisch gewissermassen über ihre administrativ vorgegebenen Grenzen hinaus. Im Zentrum die Leiterin, sie «fährt» das Unternehmen, indem sie Impulse gibt und die Menschen im Team ermutigt. Bei einem unserer Gespräche singt sie mir den Refrain aus dem Schullied vor: «Unsre Schul’ hat keine Segel und fährt nicht auf’m Ozean, aber wie ein Schiff auf grosser Reise hat sie manches schon gesehn in all den Jahrn ... und als Käpt’n steht Frau Rümenapf auf dem Deck, ahoi!» SINUS: Beispiel für Projekte Ich kenne Antje Rümenapf von der Zusammenarbeit beim SINUS-Projekt Grundschule[1], einer Investition des Bundesbildungsministeriums aus dem Jahre 2004 zur Förderung des Anfangsunterrichts in Mathematik und Naturwissenschaft an deutschen Grundschulen. (Es war ausserdem der Versuch der Bundesministerin, die Kleinstaaterei der Länder mit ihren erbarmungslos eigenwilligen Bildungsplänen durch wechselseitigen Austausch in diesem Bereich abzumildern.) Wir trafen uns auf Tagungen und bei Workshops, die sie mit ihrem Kollegium besuchte, und im Lauf der folgenden sechs Jahre und der dabei zunehmenden SINUS- Erfahrung übernahm sie zusammen mit Kolleginnen Präsentationen zu Unterrichts-Themen – «Das Fliegen» war ein besonders ausgiebig recherchiertes Phänomen – oder zur Einrichtung von Forscherräumen und Forschungsprozeduren mit Kindern. Sie koordinierte die didaktische Strategie der hessischen Grundschulkollegien, die am naturwissenschaftlichen Teil des Projekts beteiligt waren. Beim Besuch dieser Schulen im Jahre 2010 war mir aufgefallen, dass jede ihren eigenen «Forscherraum» zum Experimentieren eingerichtet hatte und dort den Königsweg des naturwissenschaftlichen Vorgehens zu vermitteln suchte – eine Vermutung aufstellen, die Vermutung überprüfen und das Ergebnis festhalten. Gleichzeitig waren die Schulen aber eigene Wege gegangen, was Einrichtung und Ausstattung, Themenwahl und Ausformulierung der Methode anging. Das Gleichgewicht zwischen zentraler Vorgabe und lokaler Eigeninitiative erschien wie ein gutes Omen für die Aussicht auf den dauerhaften Erfolg des SINUS-Impulses. Es gestattet die Aussage: Das haben wir selbst aufgebaut. Und das, was von den Lehrkräften selbst entwickelt und aufgebaut wird, hält länger als das, was durch Vorgaben in die Welt kommt. «Um eine gute Idee am Leben
zu halten, sind Menschen
nötig, die diese Idee zur
Anwendung bringen.» Inzwischen ist das SINUS-Projekt ausgelaufen, die Mittel für Fortbildung und Material sind aufgebraucht, und die über Jahre hin angekurbelten Aktivitäten zum naturwissenschaftlichen Lernen haben sich überall auf einem im Vergleich niedrigeren Niveau als noch vor wenigen Jahren eingependelt, wie mir scheint.[2] In der Schule in Brensbach, die Antje seit einem Jahr neben der benachbarten Schule in Beerfurth leitet[3], fällt mein Blick auf die roten Koffer mit Material zu naturwissenschaftlichen Versuchen, die vom Verlag cvk in den siebziger Jahren (vor nahezu einem halben Jahrhundert) an Tausende von Grundschulen in der Bundesrepublik Deutschland verkauft und im Unterricht vermutlich anfangs über einige Jahre eingesetzt worden sind – so lange der bildungspolitisch eingespielte naturwissenschaftliche Impuls im Sachunterricht anhielt, der damals durch die Curriculum- Orientierung nach amerikanischem Vorbild ausgelöst worden war. Jetzt liegt der Stapel roter Koffer auf dem Schrank, seit Jahrzehnten von Menschenhand – jedenfalls für Unterrichtszwecke – unberührt. Ich sehe die gleiche Koffersammlung in vielen Schulen, meist auf den Schränken in den Lehrerzimmern, eine Illustration der zynischen Vorstellung, wonach all die guten Impulse und Reformbestrebungen zur Verbesserung von Schule und Unterricht schliesslich im Wüstensand eines innovationsunfähigen Betriebes verschwinden müssen. Aber in der Lindenhofschule in Brensbach ist neben dem Schrank mit den roten Koffern eine Materialwand aufgebaut, mit Schubkästen voller Objekte, mit denen Kinder herumprobieren und die Zusammenhänge der physischen Welt erforschen können. Da ist ein Forscherraum entstanden, eingerichtet vom Kollegium, das von Antje Rümenapf, der neuen Schulleiterin i. V., inspiriert und instruiert worden ist. Um eine gute Idee am Leben zu halten, sind Menschen nötig, die diese Idee zur Anwendung bringen. Ohne sie bliebe von der besten Idee nichts übrig. Schulleiterin Antje Rümenapf vor der Materialwand des neu eingerichteten Forscherraumes der Lindenhofschule in Brensbach Inklusion: Beispiel für Schulgemeinschaft Eingeladen zur Schülerversammlung, finden wir uns in der Turnhalle der Grundschule Beerfurth inmitten der Kinder, unter denen sich die Lehrerinnen verteilt haben, dazwischen zwei Frauen, die als Betreuerinnen dabei sind; ich sitze neben einem jungen Mann, Polizeibeamter ohne Uniform, der ein Gewaltpräventionsprojekt leitet. Die sechs Kinder aus der Umwelt- AG von Frau Köhler präsentieren die Idee einer Tauschbörse, bei der alte Besitztümer mithilfe eines ausgeklügelten Punktesystems bewertet und getauscht werden können, als Alternative zum Wegwerfen alter und Kauf neuer Dinge. Frau Köhler hat den Forscherraum der Schule eingerichtet und pflegt mit einer Gruppe von Kindern den Schulgarten. Frau Spänle hat den Lesewettbewerb eingeführt, die Bibliothek aufgebaut, und kümmert sich um die Leseförderung und alles, «was künstlerisch angehaucht ist». Frau Schubert leitet die Sportprogramme und sorgt für die Teilnahme an Sportwettbewerben. «Wenn ich sehe, eine Kollegin hat diese Neigungen und hat auch das Potential, dann geb ich ihr die Möglichkeiten, sich zu entfalten», sagt die Schulleiterin. In der ersten Reihe sitzt Lily mit ihrer Schlumpf-Puppe neben andern Mädchen auf einer Bodenturn-Matte; mit katzenartiger Eleganz springt sie auf und drängt sich an ihre Begleiterin. Die Puppe protestiert (durch Lilys Mund), als ich ein Foto machen will: kein Foto von Lily, aber dann, auf Rückfrage, ein Signal der Zustimmung: ein Foto von der Puppe. It takes a village Lily ist seit einem Jahr in der Schule, die Mutter hatte damals verzweifelt angerufen, da gab es eine Begutachtung, die aufgrund des ausgeprägten Autismus eine Überweisung an die Schule für geistige Entwicklung (ein neuer Euphemismus anstelle des alten Euphemismus «praktisch bildbar») vorsah. Die Schulleiterin hatte sich das Kind angeschaut und das Potential in Lilys Augen wahrgenommen. Sie hatte eine neue Begutachtung veranlasst und mit verschiedenen Ämtern zusammengearbeitet, um die Stelle für die Schulbegleitung mit einer Fachkraft besetzen zu können. Sie kennt sich aus im Umgang mit den Ämtern und Behörden. Gelder, die sonst ans Rote Kreuz gehen, sind unter Umständen verfügbar, und es gibt im Umfeld der Schule fähige Männer und Frauen, die als Schulbegleiter geeignet sind, auch wenn sie noch kein Zertifikat über diese Ausbildung besitzen. Man muss sich unter den Leuten umschauen und die Augen offen halten. Zum Beispiel traf es sich gut, dass ein junger Mann verfügbar war, der nach dem Tode seines Onkels, der für...