Hilderbrand | Inselwinter | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 288 Seiten

Reihe: Die Winter-Street-Reihe

Hilderbrand Inselwinter

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-18622-7
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 2, 288 Seiten

Reihe: Die Winter-Street-Reihe

ISBN: 978-3-641-18622-7
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Puderzuckerschnee, Lichterfunkeln und Glühweinduft - es weihnachtet sehr auf Nantucket. Wie in jedem Jahr kommen die Quinns im Winter Street Inn, der kleinen Pension der Familie, zusammen, und es gibt Grund zu feiern: Familienoberhaupt Kelley und seine Exfrau Margaret sind einander wieder nähergekommen, ihr Sohn Kevin ist frischgebackener Vater, und auch Tochter Ava hat endlich die Liebe gefunden. Doch plötzlich steht Kelleys zweite Ehefrau, Noch-Gattin Mitzi, vor der Tür - und drei unter dem Mistelzweig sind eindeutig einer zu viel ... Nur ein Weihnachtswunder kann das Fest der Quinns jetzt noch retten.

Elin Hilderbrand hat ihre besten Ideen am Strand oder in den belebten Straßen von Boston. Sie hat drei Kinder und lebt mit ihrer Familie auf Nantucket, Massachusetts, wo auch ihre Geschichten spielen. Ihre Bücher stehen regelmäßig an der Spitze der New-York-Times-Bestsellerliste.
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MITZI

Sie verlässt das Hotel durch die Hintertür und zündet sich eine Zigarette an. George weiß, dass sie raucht, weigert sich jedoch, ihr dabei zuzusehen – also muss sie es schnell und heimlich tun. Wenn sie länger als zehn Minuten weg ist, schickt er einen Suchtrupp aus, der meistens aus ihm selbst und seinem Jack-Russell-Terrier Rudy besteht, manchmal aber auch aus einer oder mehreren der Frauen, die in der Hutmacherei arbeiten. George glaubt, Mitzi könnte sich etwas antun. Oder ihn womöglich mit jemandem betrügen, wie sie auch ihren Ehemann Kelley betrogen hat, und mit ihm durchbrennen.

Für Mitzi ist eine Affäre in ihrem Zustand undenkbar. Und sich etwas anzutun, käme ihr überflüssig vor; sie erleidet schon jetzt den schlimmsten Schmerz, den ein Mensch durchleben kann.

Bart Bart Bart Bart Bart.

George behauptet, sie zu verstehen, aber er hat nie ein Kind gehabt, wie also könnte er?

Nikotin ist Gift. Und doch gehören Zigaretten, seit Bart vermisst wird, zu den beiden Dingen, mit denen es Mitzi besser geht. Das zweite ist Alkohol. Sie hat eine Vorliebe für einen Tequila namens Casa Dragones entwickelt, der in einen eleganten, schmalen türkisgrünen Karton verpackt ist und in dem einzigen Geschäft mit Edelspirituosen, das es in Lenox gibt, fünfundachtzig Dollar kostet.

Mitzi fragt sich, ob eine der Spirituosenhandlungen auf Nantucket wohl Casa Dragones führt. Murray’s vielleicht? Sie hätte jetzt gern ein paar Schlucke, um den Schmerz ein bisschen zu lindern.

Als Bart sich vor achtzehn Monaten bei den Marines verpflichtete, nahm Mitzi naiverweise an, der sogenannte Krieg gegen den Terror sei vorbei. Osama bin Laden war getötet und seine Leiche im Meer versenkt worden. Mitzi ging davon aus, dass Barts Einsatz in Afghanistan dazu dienen sollte, einem vom Krieg geschundenen Volk wieder auf die Beine zu helfen. Sie dachte, er würde Brunnen graben und Schulen neu aufbauen. Sie stellte sich vor, wie er mit Kindern arbeitete – ihnen Stifte und Kaugummi schenkte und anstößige Wendungen aus irgendwelchen Rap-Songs beibrachte. Aber Bart war noch keine vierundzwanzig Stunden im Land gewesen, als sein aus fünfundvierzig Soldaten bestehender Konvoi gefangen genommen wurde.

Inzwischen gilt er seit fast einem Jahr als vermisst.

Das Verteidigungsministerium glaubt, dass die für die Entführung verantwortliche extremistische Gruppe der Beleh ist, was auf Afghanisch »ja« bedeutet. Sie ist noch nie öffentlich in Erscheinung getreten; man weiß nur, dass ihre Mitglieder jung sind – die meisten erst Teenager – und sehr bösartig. Ein Beamter soll gesagt haben: »Gegen diese Jugendlichen sind ISIS und Taliban die reinsten Chorknaben.« Und anscheinend sind sie auch Zauberkünstler, denn obwohl das US-Militär in Sangin und der umliegenden Provinz drei Aufklärungsmissionen durchführte, weiß man immer noch nicht, wohin die Marines verschleppt wurden.

Mitzi kann nicht mehr fernsehen oder die Zeitung lesen; sie schafft es kaum, ihren Computer einzuschalten. Wenn es entscheidende Neuigkeiten über den Verbleib von Barts Konvoi gibt, wird das Verteidigungsministerium Kelley und Mitzi direkt kontaktieren.

Georges Ratschlag ist: Versuch, nicht daran zu denken. So geht man am Nordpol wohl mit Schicksalsschlägen um. Man ignoriert sie.

Mitzi hat aufgeraucht, drückt die Zigarette auf der Sohle ihres Clogs aus und wirft eine Pfefferminzpastille ein – warum, weiß sie selbst nicht recht. George küsst sie nicht mehr, und Sex haben sie selten. George ist schon älter und benötigt die Hilfe einer Pille beim Geschlechtsverkehr, und Mitzi gelingt es nicht, sich auch nur für eine halbe Stunde fallen zu lassen. Sie ist ebenfalls eine Gefangene – ihrer Sorge, ihrer Angst, ihrer Unruhe und ihrer schlechten Angewohnheiten.

Sie holt ihr Handy hervor und ruft Kelley an.

»Hallo?«, sagt er. Seine Stimme klingt kräftig, beinahe fröhlich; im Hintergrund hört Mitzi Weihnachtsmusik, »Carol of the Bells«. Mitzi hat einige Schwierigkeiten mit Kelley, aber die größte ist, dass er sich anscheinend manchmal gar nicht mehr daran erinnert, dass ihr Sohn vermisst wird. Er behandelt Barts Verschwinden mit einem Gleichmut, den Mitzi irritierend findet. Typisches Beispiel: Im Moment scheint er Weihnachtslieder zu hören! Und vermutlich bereitet er sich darauf vor, Champagnercocktails für die Gäste zu mixen. Es ist das Wochenende des Adventsbummels – das auf Nantucket weihnachtlicher ist als Weihnachten selbst. Die Stadt durchzieht der berauschende Geruch von Fichtengrün, salziger Luft und Holzrauch. Als die Fähre am frühen Nachmittag Brant Point umrundete und Mitzi den riesigen Kranz mit seinen Lichtern am Leuchtturm hängen sah, fiel ihr für einen Augenblick wieder ein, wie sehr sie die Feiertage auf dieser Insel liebte.

Doch dann senkte sich die Realität wie eine dunkle Decke auf sie herab.

»Kelley«, sagt sie jetzt. »Ich bin hier.«

»Hier?«, fragt Kelley.

»Auf Nantucket«, sagt Mitzi. »Übers Wochenende. Wir wohnen im Schloss.«

»Um Himmels willen, Mitzi«, sagt Kelley. »Warum?«

Warum? Warum? Warum? Sie und Kelley haben sich darauf geeinigt, dass es für alle das Beste wäre, wenn Mitzi in der Weihnachtszeit bei George in Lenox bleiben würde.

»Du hast deine Entscheidung getroffen«, sagte Kelley, als Mitzi einmal erwähnte, besuchsweise nach Nantucket zurückkehren zu wollen. »Du hast dich für George entschieden.«

Ich habe mich für George entschieden, denkt Mitzi. Zwölf Jahre lang hatten sie und George über Weihnachten eine Liebesaffäre gehabt, wenn George mit seinem alten Feuerwehrauto auf die Insel gekommen war und sich für das Winter Street Inn als Santa Claus verkleidet hatte. Im letzten Jahr spitzte sich die Sache zu, und Mitzi beschloss, Kelley für George zu verlassen. Bart war gerade in seinen Einsatz entsandt worden und Mitzis Urteilsvermögen geschwächt. Mehr als alles andere wollte sie den Gegebenheiten entfliehen, sich in eine Fantasiewelt voller Schlittenglocken und Elfen zurückziehen.

Es war ein riesengroßer Fehler gewesen. Jetzt, da Mitzi tagein, tagaus mit George zusammen ist, hat sich der Zauber abgenutzt. Wer möchte schon am St. Patrick’s Day oder am vierten Juli Santa Claus um sich haben? Niemand. Santas Sexappeal ist dem Monat Dezember vorbehalten. An guten Tagen verspürt Mitzi eine schwesterliche Zuneigung für George; an schlechten ist sie von bitterer Reue erfüllt.

»Ich musste einfach kommen«, sagt sie jetzt. »Ich habe die Insel so sehr vermisst, und ich weiß, dass Kevin und Isabelle am Sonntag das Baby taufen lassen.«

»Woher?«, fragt Kelley. »Von wem weißt du das?«

Mitzi zermalmt ihre Pfefferminzpastille. Sie will ihre Quelle nicht preisgeben.

»Ava hat es dir bestimmt nicht erzählt«, sagt Kelley. »Und Kevin oder Isabelle auch nicht. Und Patrick ist im Gefängnis.«

Gleich kommt er drauf, denkt Mitzi.

»Jennifer!«, sagt Kelley. »Du weißt es von Jennifer. Ich fasse es nicht, dass sie noch mit dir spricht. Sie ist wirklich der netteste Mensch auf der Welt, genau wie wir immer vermutet haben.«

»Jennifer und ich sitzen im selben Boot«, sagt Mitzi. »Sie hat ihren Ehemann verloren und ich meinen Sohn.«

»Sie hat ihren Mann nicht verloren«, sagt Kelley. »Patrick ist im Gefängnis, nicht tot. Und« – an dieser Stelle räuspert Kelley sich – »Bart auch nicht, Mitzi.«

Mitzi kneift die Augen zusammen. Sie kann nicht erklären, wie wichtig es ihr ist, das von Kelley zu hören. Bart ist nicht tot. Das heißt, dass Bart lebt. Er ist irgendwo. Die Beleh-Leute sind Feinde, über die man nichts weiß, abgesehen von ihrem zarten Alter. Manche Nächte übersteht Mitzi nur, wenn sie sich vorstellt, wie Bart und die anderen Marines mit ihren Pendants vom Beleh Fußball oder Karten spielen.

Als Mitzi George diese Vision mitteilte, gab er ihr einen aufmunternden Klaps und sagte: »So ist es richtig, Mrs Claus.«

Mitzi hat über einen vom Verteidigungsministerium angebotenen Service mit zweien der Mütter der anderen vermissten Soldaten Brieffreundschaft geschlossen, und obwohl die beiden in ganz anderen Milieus zu Hause sind als sie – die eine ist eine christliche Fundamentalistin aus Tallahassee, Florida, die zweite lebt in der Flatbush Avenue in Brooklyn, beide sind schwarz –, geben ihre E-Mails Mitzi Kraft und ein Gefühl der Gemeinschaft. Es existieren mindestens zwei andere Menschen auf der Welt, die genau wissen, was Mitzi empfindet.

»Kann ich zur Taufe kommen?«, fragt sie. »Bitte?«

Kelley schnauft laut. »Das möchte ich eigentlich nicht. Du hast mich verlassen, du hast mich betrogen, du hast mich hintergangen, du hast mir das Herz gebrochen, Mitzi.«

»Ich weiß«, sagt sie. »Es tut mir leid.«

»Wenn es eine einmalige Sache gewesen wäre, hätte ich es vielleicht verstanden. Aber zwölf Jahre? Das war vorsätzlicher, geplanter, langjähriger Betrug, Mitzi.«

»Ich weiß«, sagt Mitzi. Sie haben dieses Thema im letzten Jahr Dutzende Male durchgekaut, und Mitzi hat festgestellt, dass es am besten ist, Kelley einfach zuzustimmen, statt sich zu verteidigen.

»›Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen‹, Lukas, Kapitel 2, die Verkündigung an die Hirten«,...


Carstens, Almuth
Almuth Carstens, 1948 in Kiel geboren, hat u. a. Soziologie studiert und lebte längere Zeit in Amerika. Sie ist Übersetzerin von u. a. Kathy Acker, Jane Rogers, Alice Sebold und Jeff Talarigo. Sie lebt heute in Berlin.

Hilderbrand, Elin
Elin Hilderbrand hat ihre besten Ideen am Strand oder in den belebten Straßen von Boston. Sie hat drei Kinder und lebt mit ihrer Familie auf Nantucket, Massachusetts, wo auch ihre Geschichten spielen. Ihre Bücher stehen regelmäßig an der Spitze der New-York-Times-Bestsellerliste.



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