Hilbig / Bong / Hosemann | Werke, Band 1: Gedichte | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 1, 544 Seiten

Reihe: Werke

Hilbig / Bong / Hosemann Werke, Band 1: Gedichte


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-10-403353-2
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 1, 544 Seiten

Reihe: Werke

ISBN: 978-3-10-403353-2
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als Wolfgang Hilbig am 2. Juni 2007 starb, verlor die deutschsprachige Literatur eine einzigartige Stimme. Bis zuletzt gelangen ihm Gedichte von dunkler, träumerischer Schönheit - sie waren der Anfang und das Ende seines Schreibens. Selbst in seinen großen Romanen war der lyrische Ton unüberhörbar. Ausgehend von den Traditionen der Romantik, des Symbolismus, des Expressionismus und geprägt von den Alltagserfahrungen eines Arbeiterlebens in der DDR, schuf er sich seine eigene Sprache: leidenschaftlich und voll brennender Sehnsucht, elegisch, grüblerisch, zärtlich. Dieser Band - Band I der Werkausgabe - sammelt die Gedichte aus »abwesenheit«, »stimme stimme«, »die versprengung«, »Bilder vom Erzählen« und ergänzt sie um die verstreut veröffentlichten Texte. Hinzu kommen mehr als 150 Gedichte aus dem Nachlass, die hier erstmals zugänglich gemacht werden. Erkennbar wird, von den furiosen Jugendgedichten bis zum grandiosen Spätwerk, die Selbstgründung und Entwicklung eines Dichters, der sich aus der Enge des Schweigens befreit und hinaustritt in den unendlichen Raum der poetischen Sprache.

Wolfgang Hilbig, geboren 1941 in Meuselwitz bei Leipzig, gestorben 2007 in Berlin, übersiedelte 1985 aus der DDR in die Bundesrepublik. Er erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen, darunter den Georg-Büchner-Preis, den Ingeborg-Bachmann-Preis, den Bremer Literaturpreis, den Berliner Literaturpreis, den Literaturpreis des Landes Brandenburg, den Lessing-Preis, den Fontane-Preis, den Stadtschreiberpreis von Frankfurt-Bergen-Enkheim, den Peter-Huchel-Preis und den Erwin-Strittmatter-Preis. Im S. Fischer Verlag erscheint die siebenbändige Ausgabe seiner Werke, »eine der wichtigsten Werkausgaben der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur« (Uwe Schütte, Wiener Zeitung). Wolfgang Hilbig WERKE Band I GEDICHTE Band II ERZÄHLUNGEN UND KURZPROSA Band III DIE WEIBER - ALTE ABDECKEREI - DIE KUNDE VON DEN BÄUMEN (Erzählungen) Band IV EINE ÜBERTRAGUNG (Roman) Band V »ICH« (Roman) Band VI DAS PROVISORIUM (Roman) Band VII ESSAYS, REDEN, INTERVIEWS Literaturpreise: 1983 Brüder-Grimm-Preis 1985 Förderpreis der Akademie der Künste, Berlin 1987 Kranichsteiner Literaturpreis 1989 Ingeborg-Bachmann-Preis 1992 Berliner Literaturpreis 1993 Brandenburgischer Literaturpreis 1994 Bremer Literaturpreis 1996 Literaturpreis der Deutschen Schillerstiftung, Dresden 1997 Lessingpreis des Freistaates Sachsen 1997 Fontane-Preis der Berliner Akademie der Künste 1997 Hans-Erich-Nossack-Preis (Kulturkreis d. dt. Wirtschaft) 2001 Stadtschreiberpreis von Frankfurt-Bergen-Enkheim 2002 Peter-Huchel-Preis für deutschsprachige Lyrik 2002 Georg-Büchner-Preis 2002 Walter-Bauer-Literaturpreis der Stadt Merseburg 2007 Erwin-Strittmatter-Preis des Landes Brandenburg
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die versprengung


I


der eingang[92]


für s.

seife

aus dem mond zwischen uns. geld

am himmel. und ich werde bis aufs blut gereinigt

kalt rasiert bis auf mein skelett unter gestirnten

bäumen die im mark verrotten. wo ich verwandelt

werde ins negativ eines rendez-vous: o warten

welch eine traurige karriere …

schreckliches bürgertum das mich nicht treffen will

ich habe es um dich betrogen

du liebst

mein knochenuniversum das der wirklichkeit entgegensteht

die sich aus der gewißheit meines daseins fortstahl.

fort … denn das dasein bleibt uns nur gewiß

um uns noch einmal zu beflecken mit der finsternis

um nicht in unschuld zu vergehen in dem loch

von gnadenloser reinheit …

aus dieser lichten grube fort

auf die ganz ohne lust und zorn ich zukroch

in wirklichkeit verwandelt in ergebenheit

in der ich war um nichts zu sein als dieser: ort

ankerlos[93] lautlos schmerzlos gehörlos

so kaum gestuftes material des siebten tags der schöpfung:

als er uns glaubte daß es gut war führten

wir diesen harten marmor auf

zu formen uns

nach seinem bild auf sinkenden terrassen

mit dem die riesennächte seines schattens schliefen

hinabgetürmt ins eis … sonnen monden aller ufer

preisgegeben

standbilder die (gestaltlos wie sein name

unglaube schleift

vor treppen in die flut gestürzt

umspült vom irrlicht das sein greises aug erfand

land aus geruch:[94] wie es fliegt aus kaminen

von braunen fahnen abgewehtes gottgeröchel

wie immer erzittert verschwimmt die geschichte:

ganz konsonante nacht

sie ist schon der rauch

aller folgenden tage der von den dächern läutet.

im geschlossenen frieden landen die schatten

von pfählen im schoß der luft

wenn das frühlicht

die wasserspiegel der erinnerung sprengt –

in den überlagerungen: runenpfähle. phallische gerüche.

am zweiten tag schon

der geburt warst du fort warst verschollen

klang aus dem vatersnamen anderer buchstab

gnädiges anwesen: unwesenheit.

schwarzäther blutäther[95]

überspannt diesen härtestgeballten rest der erde

aus allen winden der rauch des aufruhrs der lärm

der einstürzt an den grenzen der stille.

dachau

hinter der gedankenplüschmauer

entläßt den tod aus der umerziehung

funktions

tüchtig schließt er seinen bogen

in der geliberten luft meines gespaltenen schädels

feuerverwobenes blutgemisch[96] in höhe des gehörs

in grüngetrübter augenhöhe

ein schnitt

gehißt am hirngehalt: der über kopf gerissne flügel

zerbrochen –

flatternd in seiner ideologischen takelage

wie das schnapsbanner meines mörders

den ich lautlos grüßte: gleicher unter gleichen.

und totenstarre die im mund beginnt

und kleine münzen die von tellern in aborten blinzeln.

der engel aus asphalt

der dir entgegenfliegt wenn du nicht zu ihm kommst:

die klinge weht in seiner faust

nur eines schritts

bedarf es auf den blanken horizont. es heißt geworfen

wird der erste für den ersten stein.

erinnerung. chemie.[97] ein eingeweide

verschmolzener erinnerungen

traumgemisch von schatten.

ich schied sie wieder ab die dunkle seite

das ego neben mir das schwitzte rauchte

das mich verwies in die ererbten konsistenzen

seiner flüchtig eingeschlafnen grenzen.

ein zweites bild das in der sonne untertauchte

ein wurf aus mir der atem auf dem matten

spiegel –

gottes chemie

die ich im schmelzfluß meiner rasse suchte

(die ihre ketten nie

wie ihre eigne brut verfluchte

hieß die ungestalt

die vor mir land gewann

doch niemals ihrer finsternis entrann.

in ihr ist eines das mich nicht begreift

dennoch aus meiner völkerschaften untergrund geballt:

ein memorial von ich-gerüchen aus dem feuerfesten tiegel

das meinem umriß gleicht der über mauern schweift.

die stimme eines wesens[98] rief mich aus dem erz

vor orten ungesondert weder fest noch abgefallen

versiegt im wasser das zu scheiden ich geschickt

aus dem chaos aus dem tauben erz …

aus dem ich rief zu einem wesen über mir …

und glänzend stieg aus dämmermooren eine fliegenbrut

moskitos motten zur gestalt des unsichtbaren

heulend emporgewölkt aus gifterfüllten höllenküchen …

dem schöpfer der materie einem leichnam in der sonne

ausgerissen: so liegt mir vor dem weg das leben

so hoffe ich auf gnade übersteige

am abendausgang immer was mich rief den langen schatten

der wolke der ich glich bevor das erzne licht

am wesenlosen ort versiegte.

das glück zahlt summen[99] für hohngelächter

seiner spitzel einzige pflicht ist es zu lachen

wenn der empörte daumen der verächter

von oben befehl gibt schluß zu machen

dann senkt der ritter auf dem stein am strand

das gesicht in die hände: er scheint durchschaut

bis auf den schatten der den stein umkreist

der sonne hingeneigt doch ihrem strahlen abgewandt

(als zöge licht nicht auch die schattenhaut

ab von der niedertracht die sich als glück verheißt)

in eile ist das glück es scheint die zeit

ihm jederzeit zu winken: bist du dabei so eile mit

und sei bereit

man wird dich schminken

wenn dir das joch aus den wangen tritt.

ich wollte mein brandmal[100] waschen.

und suchte spiegel um mich selbst zu zeugen

schulterte ab die schaufel meiner sklavenbürde

füllte den kopf mir mit traktaten über menschenwürde

doch blieb mein auge unstet und getrübt –

ein dürsten blieb das ahnenreihen vor mir eingeübt.

im spiegel sah ich mich ins abgestandne beugen

aura der erbschaft: über batterien geleerter flaschen.

so nichtsbeladen[101] daß mein schweigen zweifelt ob es schwieg

oder noch schrieb: ein dunkel das ein glühen kreuzte

licht im geleise überschnitt sich sprang

unter die brücken über der unteren stufe der stadt

flammen elektrisch und dünung der luft

schnellzüge die sich in die weichen schwingen –

und ob ich selbst in einem dieser züge

das ziel verlor: nicht ich der schrieb der ausgeraufte

der hirnverbrannten wüste in der schwarzen scheibe gleich

gesicht und schweigen feuerschweifdurchschnitten

diktierten mir was ich an zweifeln aufgereiht.

sprachgeflacker[102]

in den schläfen der selbstsucht. die wagenreihe

im dunkel auf dem gleis verschweißt … plötzlich im

blutlicht

eines waggons der vorbeifährt

der vergessene schreck aus der anderen stadt. fratze

inwendig (wenn das erwachen zum körper wird –

bricht dieses hektische reden entzwei: rhythmus

sich nähernder schienenschläge panik bis zum aufschrei und

mühelos das umsteigen des gesamten

vergangenen lebens in den schnellzug der langsam

davonrollt. leiseres schlagen … leiser

das ticken bis die uhr der nacht

steht.

traumverdunsten[103]

des glücklichen gegenspielers unter dem schimmer

der echosphären von sandgesängen

und seegeschichten kehlig

verlorn

schwarzer schlamm

voller morgenrot hinter fensterkreuz

und simslinie –

feuchte in kragen und knopfloch, kopflos und

schweißfahnenfett

der leeren hemden erschöpfung

und rückerschaffen

der gang zum wasserklosett

abgeabert

brüllendes gähnen (duplizität ermüdet

bekränzt uns.[104] kalte gräber sind wir heute schon.

doch morgen werden wir die straßen säumen

und dem vorbeimarsch zuschaun: eurer prozession

werden erwacht sein und nicht wissen was wir waren.

nicht wir die alten morgenröten werden rot

und sterbend in den heldenfriedhof sinken

wir nicht: die gleich- und fortgeschrittnen werden träumen –

wir werden sie...


Hilbig, Wolfgang
Wolfgang Hilbig, geboren 1941 in Meuselwitz bei Leipzig, gestorben 2007 in Berlin, übersiedelte 1985 aus der DDR in die Bundesrepublik. Er erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen, darunter den Georg-Büchner-Preis, den Ingeborg-Bachmann-Preis, den Bremer Literaturpreis, den Berliner Literaturpreis, den Literaturpreis des Landes Brandenburg, den Lessing-Preis, den Fontane-Preis, den Stadtschreiberpreis von Frankfurt-Bergen-Enkheim, den Peter-Huchel-Preis und den Erwin-Strittmatter-Preis.
Im S. Fischer Verlag erscheint die siebenbändige Ausgabe seiner Werke, 'eine der wichtigsten Werkausgaben der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur' (Uwe Schütte, Wiener Zeitung).

Wolfgang Hilbig
WERKE
Band I GEDICHTE
Band II ERZÄHLUNGEN UND KURZPROSA
Band III DIE WEIBER – ALTE ABDECKEREI –
DIE KUNDE VON DEN BÄUMEN (Erzählungen)
Band IV EINE ÜBERTRAGUNG (Roman)
Band V 'ICH' (Roman)
Band VI DAS PROVISORIUM (Roman)
Band VII ESSAYS, REDEN, INTERVIEWS

Literaturpreise:

1983 Brüder-Grimm-Preis
1985 Förderpreis der Akademie der Künste, Berlin
1987 Kranichsteiner Literaturpreis
1989 Ingeborg-Bachmann-Preis
1992 Berliner Literaturpreis
1993 Brandenburgischer Literaturpreis
1994 Bremer Literaturpreis
1996 Literaturpreis der Deutschen Schillerstiftung, Dresden
1997 Lessingpreis des Freistaates Sachsen
1997 Fontane-Preis der Berliner Akademie der Künste
1997 Hans-Erich-Nossack-Preis (Kulturkreis d. dt. Wirtschaft)
2001 Stadtschreiberpreis von Frankfurt-Bergen-Enkheim
2002 Peter-Huchel-Preis für deutschsprachige Lyrik
2002 Georg-Büchner-Preis
2002 Walter-Bauer-Literaturpreis der Stadt Merseburg
2007 Erwin-Strittmatter-Preis des Landes Brandenburg

Hosemann, Jürgen
Jürgen Hosemann, geboren 1967, arbeitet nach einer Ausbildung zum Verlagskaufmann und einem Studium der Germanistik als Lektor für den S. Fischer Verlag in Frankfurt am Main. Er ist Herausgeber zahlreicher Anthologien, Mitherausgeber der Werke Wolfgang Hilbigs und Autor von 'Das Meer am 31. August'.

Wolfgang HilbigWolfgang Hilbig, geboren 1941 in Meuselwitz bei Leipzig, gestorben 2007 in Berlin, übersiedelte 1985 aus der DDR in die Bundesrepublik. Er erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen, darunter den Georg-Büchner-Preis, den Ingeborg-Bachmann-Preis, den Bremer Literaturpreis, den Berliner Literaturpreis, den Literaturpreis des Landes Brandenburg, den Lessing-Preis, den Fontane-Preis, den Stadtschreiberpreis von Frankfurt-Bergen-Enkheim, den Peter-Huchel-Preis und den Erwin-Strittmatter-Preis.
Im S. Fischer Verlag erscheint die siebenbändige Ausgabe seiner Werke, 'eine der wichtigsten Werkausgaben der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur' (Uwe Schütte, Wiener Zeitung).

Wolfgang Hilbig
WERKE
Band I GEDICHTE
Band II ERZÄHLUNGEN UND KURZPROSA
Band III DIE WEIBER – ALTE ABDECKEREI –
DIE KUNDE VON DEN BÄUMEN (Erzählungen)
Band IV EINE ÜBERTRAGUNG (Roman)
Band V 'ICH' (Roman)
Band VI DAS PROVISORIUM (Roman)
Band VII ESSAYS, REDEN, INTERVIEWS

Literaturpreise:

1983 Brüder-Grimm-Preis
1985 Förderpreis der Akademie der Künste, Berlin
1987 Kranichsteiner Literaturpreis
1989 Ingeborg-Bachmann-Preis
1992 Berliner Literaturpreis
1993 Brandenburgischer Literaturpreis
1994 Bremer Literaturpreis
1996 Literaturpreis der Deutschen Schillerstiftung, Dresden
1997 Lessingpreis des Freistaates Sachsen
1997 Fontane-Preis der Berliner Akademie der Künste
1997 Hans-Erich-Nossack-Preis (Kulturkreis d. dt. Wirtschaft)
2001 Stadtschreiberpreis von Frankfurt-Bergen-Enkheim
2002 Peter-Huchel-Preis für deutschsprachige Lyrik
2002 Georg-Büchner-Preis
2002 Walter-Bauer-Literaturpreis der Stadt Merseburg
2007 Erwin-Strittmatter-Preis des Landes Brandenburg
Jürgen HosemannJürgen Hosemann, geboren 1967, arbeitet nach einer Ausbildung zum Verlagskaufmann und einem Studium der Germanistik als Lektor für den S. Fischer Verlag in Frankfurt am Main. Er ist Herausgeber zahlreicher Anthologien, Mitherausgeber der Werke Wolfgang Hilbigs und Autor von 'Das Meer am 31. August'.



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