E-Book, Deutsch, Band 26, 482 Seiten
Reihe: Liebe, Gerüchte und Skandale - Die unvergesslichen Regency Liebesromane von Georgette
Heyer Venetia und der Wüstling
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7325-3178-3
Verlag: beHEARTBEAT
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 26, 482 Seiten
Reihe: Liebe, Gerüchte und Skandale - Die unvergesslichen Regency Liebesromane von Georgette
ISBN: 978-3-7325-3178-3
Verlag: beHEARTBEAT
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Yorkshire, 1818: Venetia Lanyon war noch nie verliebt. Und mit fünfundzwanzig glaubt sie nicht mehr daran, einen Mann zu treffen, der ihr Herz erobert. Doch dann begegnet sie Lord Damerel - auch 'der Verruchte Baron' genannt -, über den in der Grafschaft die schlimmsten Gerüchte kursieren. Venetia ist fasziniert von dem charmanten Lebemann, der ihren Humor zu schätzen weiß und mit dem sie wundervolle Gespräche führen kann.
Bald schon verbindet das ungleiche Paar eine tiefe Freundschaft. Doch die feine Gesellschaft ist empört, und alle Nachbarn und Verwandten versuchen, das unschuldige Mädchen aus den Klauen des Wüstlings zu befreien. Auch Damerel möchte Venetias Ruf nicht ruinieren und wendet sich von ihr ab. Aber so einfach lässt Venetia sich nicht abweisen und ersinnt eine List, um den Lord zum gemeinsamen Glück zu zwingen ...
'Venetia und der Wüstling' ist einer der humorvollsten Regency Romane von Georgette Heyer, der seine Leser mit fein geschliffenem Wortwitz und entzückend verschrobenen Charakteren in seinen Bann zieht. Jetzt als eBook bei beHEARTBEAT.
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1. KAPITEL
„Heute Nacht ist ein Fuchs unter die Hennen geraten und hat eine unserer besten Legerinnen entführt“, bemerkte Miss Lanyon. „Noch dazu eine Urgroßmutter! Er sollte sich wirklich schämen!“ Da sie keine Antwort bekam, fuhr sie mit veränderter Stimme fort: „Ja, wirklich! Das ist zu schlimm. Was sollen wir jetzt tun?“
Ihr Gefährte wurde aufmerksam, hob die Augen von dem Buch, das offen neben ihm auf dem Tisch lag, und schaute sie, etwas geistesabwesend, fragend an. „Was soll das? Hast du etwas zu mir gesagt, Venetia?“
„Ja, Liebling“, antwortete seine Schwester heiter, „aber es war ganz und gar unwichtig, und ich habe auf alle Fälle gleich für dich geantwortet. Du würdest wirklich staunen, wenn du wüsstest, was für interessante Gespräche ich mit mir führe und wie ich sie genieße.“
„Ich habe gelesen.“
„Stimmt – und deinen Kaffee kalt werden lassen, abgesehen davon, dass du das Butterbrot nicht fertiggegessen hast. So iss es doch auf! Ich glaube wirklich, ich sollte dir nicht erlauben, bei Tisch zu lesen.“
„Och, ohnehin nur am Frühstückstisch!“, sagte er verächtlich. „Probier’s, ob du mich davon abhalten kannst!“
„Natürlich kann ich das nicht. Was ist es eigentlich?“, gab sie zurück und schaute den Band an. „Ach, Griechisch! Zweifellos irgendeine erbauliche Geschichte.“
„Die ‚Medea‘“, sagte er zurückhaltend. „In der Ausgabe von Porson, die mir Mr. Appersett geliehen hat.“
„Und ob ich die kenne! Sie war doch dieses bezaubernde Geschöpf, das ihren Bruder zerschnippelt und die Stücke ihrem Papa vor die Füße geworfen hat, nicht? Sicher eine absolut liebenswürdige Person, wenn man sie erst näher kennt.“
Er zuckte ungeduldig die Achsel und antwortete wegwerfend: „Das verstehst du nicht, und es ist pure Zeitverschwendung, dir das zu erklären.“
Sie zwinkerte ihm zu. „Aber ich versichere dir, ich verstehe sie! Ja, bin ganz auf ihrer Seite, abgesehen davon, dass ich mir wünsche, ich besäße ihre Entschlossenheit! Obwohl ich glaube, ich hätte deine Überreste fein säuberlich im Garten vergraben, mein Lieber!“
Diese ausfallende Bemerkung entlockte ihm ein Grinsen. Aber er sagte bloß, bevor er sich wieder seinem Buch zuwandte, ein solcher Befehl an sie wäre bestimmt die einzige Aufmerksamkeit gewesen, die ihre Eltern der Sache gewidmet hätten.
Gegen seine Gewohnheiten abgehärtet, versuchte es seine Schwester nicht weiter, seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Das Butterbrot – alles, was er an diesem Morgen zu essen gewillt war – lag zur Hälfte aufgegessen auf seinem Teller, aber ihn weiter zu ermahnen wäre Zeitverschwendung gewesen. Und hätte sie es gewagt, sich zu erkundigen, wie er sich heute Morgen fühle, hätte sie ihn doch nur aufgebracht.
Er war ein magerer Junge, ziemlich klein für sein Alter, keineswegs unhübsch, aber mit einem Gesicht, das über seine Jahre hinaus scharf und von Linien durchzogen war. Einem Fremden wäre es schwergefallen, sein Alter zu schätzen, da die Unreife seines Körpers in seltsamem Gegensatz zu seinem Gesicht und seinem Benehmen stand. Tatsächlich war er erst vor Kurzem siebzehn geworden, aber körperliches Leiden hatte die Linien in sein Gesicht gegraben. Auch der Umgang ausschließlich mit Menschen, die älter waren als er, gepaart mit einem Intellekt, der zu Gelehrsamkeit neigte und sehr ausgeprägt war, hatte ihn frühreif gemacht.
Eine Erkrankung des Hüftgelenks hatte ihn von Eton ferngehalten, wo sein Bruder Conway, um sechs Jahre älter als er, erzogen worden war. Diese, und – oder, wie seine Schwester manchmal dachte, die verschiedenen Behandlungen seiner Krankheit, die er hatte durchmachen müssen – hatte dazu geführt, dass eines seiner Beine kürzer war. Er konnte nur mit einem sehr deutlich merkbaren und hässlichen Hinken gehen; und obwohl die Krankheit angeblich zum Stillstand gebracht worden war, schmerzte ihn das Gelenk bei ungünstigem Wetter oder wenn er sich überanstrengt hatte immer noch. Sportarten, für die sich sein Bruder begeisterte, waren ihm verwehrt.
Aber er war ein tapferer Reiter und ein recht guter Schütze, und nur er wusste – und Venetia erriet es –, wie bitterlich er sein Leiden hasste.
Eine Knabenzeit erzwungener physischer Unbeweglichkeit hatte in ihm die angeborene Neigung zur Gelehrsamkeit verstärkt. Als er vierzehn war, hatte er seinen Erzieher, wenn nicht an Wissen, so doch an Erfassen übertroffen; und der würdige Mann erkannte, dass der Junge einen Pauker höheren Wissens bedurfte, als er es zu liefern imstande war.
Zum Glück war ein Mann, der darüber verfügte, vorhanden. Der Pastor war ein bedeutender Gelehrter und hatte seit Langem mit einer Art sehnsüchtigem Entzücken Aubrey Lanyons Fortschritte verfolgt. Er bot sich an, den Jungen für Cambridge vorzubereiten; Sir Francis Lanyon, erleichtert, dass es ihm erspart blieb, einen neuen Erzieher in seinen Haushalt aufnehmen zu müssen, stimmte dem Arrangement zu; und Aubrey, damals bereits imstande, sich auf ein Pferd zu setzen, verbrachte daraufhin den größten Teil des Tages im Pfarrhaus.
Er brütete in dem halbdunklen Bücherzimmer des Reverend Julius Appersett über gelehrten Texten, sog eifrig das umfassende Wissen seines sanften Präzeptors in sich ein und erfüllte diesen mit einem sich ständig steigernden Glauben an Aubreys Fähigkeit, dereinst zu brillieren. Aubrey war schon im Trinity College immatrikuliert, wo er im kommenden Jahr zu Michaeli aufgenommen werden würde. Und Mr. Appersett setzte durchaus keinen Zweifel dahingehend, dass Aubrey, so jung er dann noch immer sein würde, sich sehr bald in den Rang eines Scholaren erhoben sähe.
Weder seine Schwester noch sein älterer Bruder hegten in diesem Punkt die geringsten Zweifel. Venetia wusste, dass er einen hohen Verstand besaß; und Conway, selbst ein prächtig robuster junger Sportler, für den schon das Schreiben eines Briefes eine unerträgliche Mühe bedeutete, betrachtete den Bruder mit ebenso großer Ehrfurcht wie mit Mitleid. Scholar werden zu wollen erschien Conway ein seltsamer Ehrgeiz, aber er hoffte aufrichtig, dass es Aubrey gelingen würde, denn was sonst – sagte er einmal zu Venetia – konnte der arme kleine Bursche tun, als sich an seine Bücher zu halten?
Was Venetia betraf, so meinte sie, dass er sich viel zu eng an diese hielt und in einem erschreckend frühen Alter alle Anzeichen zeigte, ein ebenso eigensinniger Eigenbrötler zu werden, wie es ihr Vater gewesen war. Derzeit sollte er gerade Ferien genießen, denn Mr. Appersett war in Bath und erholte sich von einer schweren Krankheit, indes ein Vetter, mit dem er zum Glück hatte tauschen können, seine Pflichten hier erfüllte.
Jeder andere Junge hätte seine Bücher in ein Regal gestopft und wäre mit seiner Angelrute ausgezogen. Aubrey brachte selbst an den Frühstückstisch Bücher mit und ließ seinen Kaffee kalt werden, während er dasaß, seine hohe, zarte Stirn aufgestützt, die Augen auf die Druckseite gerichtet, das Gehirn derart darauf konzentriert, was er gerade las. Man hätte seinen Namen dutzendmal aussprechen können und trotzdem keine Antwort erhalten. Es fiel ihm nicht auf, dass er durch eine derartige Konzentration zu einem schlechten Gesellschafter wurde. Erzwungenerweise fiel es Venetia auf. Aber da sie seit Langem erkannt hatte, dass er genauso egoistisch war wie sein Vater oder sein Bruder, konnte sie seine seltsame Art völlig gleichmütig hinnehmen und ihn auch weiterhin gernhaben, ohne schmerzlich enttäuscht zu sein.
Sie war um neun Jahre älter als er, das älteste der drei überlebenden Kinder eines Großgrundbesitzers in Yorkshire mit einer langen Ahnenreihe, einem behaglich großen Vermögen und exzentrischen Gewohnheiten. Der Verlust seiner Frau, bevor Aubrey noch lange Hosen trug, war die Ursache gewesen, dass sich Sir Francis in den dicken Mauern seines Herrenhauses, etliche fünfundzwanzig Meilen von York entfernt, vergrub; voll erhabener Gleichgültigkeit dem Wohlergehen seiner Sprösslinge gegenüber und der Gesellschaft seiner Kameraden abschwor. Venetia konnte nur annehmen, dass sein Wesen schon immer zum Einsiedlertum geneigt hatte, denn sie konnte unmöglich glauben, dass ein derart ausgefallenes Verhalten aus einem gebrochenen Herzen kam.
Sir Francis war ein Mann von steifem Stolz, aber nie ein empfindsamer Mensch gewesen, und dass seine Ehe ungetrübte Seligkeit gewesen wäre, war eine liebenswürdige Fiktion, die seine klaräugige Tochter einfach nicht glaubte. Ihre Erinnerungen an die Mutter waren vage, aber sie enthielten den Nachhall erbitterten Zanks, zugepfefferter Türen und peinlich hysterischer Anfälle.
Sie konnte sich erinnern, dass sie in das duftende Schlafzimmer ihrer Mutter kommen durfte, um zuzuschauen, wie diese für einen Ball im Howard-Schloss angekleidet wurde; sie konnte sich an ein wunderschönes, aber unzufriedenes Gesicht erinnern, an ein Gewirr teurer Kleider, an eine französische Kammerzofe. Aber sie konnte nicht eine einzige Erinnerung an mütterliche Besorgnis oder Liebe...




