Hesse Christian Hesses mathematisches Sammelsurium
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-406-63707-0
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
1:0=Unendlich
E-Book, Deutsch, Band 6064, 237 Seiten
Reihe: Beck'sche Reihe
ISBN: 978-3-406-63707-0
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Unentbehrlich x Unermesslich x Unverbesserlich = Hesses mathematisches Sammelsurium. Und zwar für alle: vom manischen Mathematiker bis zum Zahlenangsthasen, für alle Freunde und Feinde dieser extremsten und coolsten aller Wissenschaften. Math-up your life! Wo sonst finden Sie Themen wie die folgenden zwischen zwei Deckeln vereinigt? Der allergrößte Kartentrick aller Zeiten, die Umrechnung von gemessenen in gefühlte Temperaturen, die Mathematik des Fußballs, ein Schnellrechnen-Schnellkurs, die Eheformel, ein Plädoyer für die Einführung der 137-Cent-Münze, mathematische Lyrik, eine Anleitung für Automaten, Passwörter zu prüfen, ohne sie zu erkennen, die bedeutendsten Mathematikerinnen der Geschichte, eine Möglichkeit, sich die vierte Dimension vorzustellen, Faustregeln für fast alle Fälle der Welt und Vielfältiges andere mehr. Das Buch kommt fast ohne Formeln aus. Es ist eine flammende Hommage an die Mathematik nach gut dreißigjähriger Beschäftigung mit ihr aus nächster Nähe.
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65. Schwarzes Loch (II)
Auch eines der berühmteren Probleme der Mathematik ist im Grunde eine Vermutung über ein Schwarzes Loch. Ich meine die knapp 80 Jahre alte Collatz-Vermutung. Auch hier ist der Ausgangspunkt eine beliebige natürliche Zahl. Wenn sie ungerade ist, verdreifache sie und addiere noch 1 hinzu. Wenn sie gerade ist, dann halbiere sie. Dieser Vorgang wird beständig wiederholt. Die Frage ist: Erreicht man stets früher oder später die Zahl 1? Dann entsteht ein Zyklus, denn nach der 1 bekommt man eine 4, anschließend eine 2 und dann wieder eine 1. Das ist ein Schwarzes Loch in Form eines Zyklus. Ein Schwarzer Zyklus. Auch dies ist ein Problem, mit dem sich schon viele Mathematiker beschäftigt haben. Der japanisch-amerikanische Mathematiker Shizuo Kakutani hörte um 1960 davon und zirkulierte das Problem an seiner Heimatuniversität Yale. Er erwähnte später, dass ungefähr einen Monat lang jeder in Yale daran gearbeitet habe, aber ohne Erfolg. 1970 bot der kürzlich verstorbene Harold Coxeter 50 Dollar für einen Beweis der Vermutung an und 100 Dollar für ein Gegenbeispiel. Kurz darauf steigerte der britische Mathematiker Sir Bryan Thwaites mit einer Ankündigung in der Times das ausgelobte Geld auf 1000 Britische Pfund, ein Angebot, das er 1996 bekräftigte. Nach dem letzten Informationsstand (Dezember 2011) ist die Vermutung immer noch ungelöst, wenn auch vor 9 Monaten Bewegung in die Sache kam. Der deutsche Mathematiker Gerhard Opfer, Professor an der Universität Hamburg, meldete im Frühjahr 2011 einen Beweis der Vermutung, musste allerdings –nachdem dieser von Experten geprüft worden war – am 15. Juni 2011 gegenüber SPIEGEL-ONLINE einräumen, dass seine Argumentation nicht wasserdicht sei. Die Collatz-Vermutung bleibt also einstweilen bei dem, was sie immer war: ungelöst. 66. Kunst der Konversation
Ein Junge ist in Erwartung seiner ersten Verabredung und verständlicherweise etwas nervös, weil er nicht weiß, worüber er dabei mit dem Mädchen sprechen soll. Er fragt seinen Vater um Rat. Der Vater sagt: «Junge, es gibt drei Themen, die immer funktionieren. Sprich über das Essen, die Familie und irgendwas Geistvolles wie Philosophie, Mathematik oder Logik.» Der Junge macht sich auf den Weg und trifft seine Verabredung in einer Eisdiele. Dort sitzt man sich eine Weile schweigend gegenüber. Der Junge beherzigt den Rat seines Vaters und schneidet das erste Thema an. Er fragt das Mädchen: «Magst du Pfannkuchen?» Sie verneint und es kehrt wiederum eine lange Stille ein. Dann kommt der Junge zum zweiten Thema: «Hast du einen Bruder?» Wiederum verneint das Mädchen die Frage und wieder folgt eine lange Stille. Der Junge überlegt und überlegt. Schließlich hat er sich zum dritten Thema des Vaters eine Frage ausgedacht und er stellt sie sogleich: «Wenn du einen Bruder hättest, würde der dann Pfannkuchen mögen?» –?!? 67. Für Rechts- und Linksleser
Mit der Vokabel Palindrom werden Zeichenketten begrifflich erfasst, die von vorne und hinten gelesen das Gleiche liefern. Als längstes Wortpalindrom in irgendeiner Sprache gilt das finnische saippuakivikauppias (zu Deutsch: Specksteinverkäufer). Im Deutschen gibt es so coole Palindrome wie Reliefpfeiler oder Retsinakanister oder Dienstmannamtsneid. Auch ganze Wortfolgen und sogar Sätze können natürlich palindromisch sein. So zum Beispiel der mehr als ratsame Tipp: Lege an eine Brandnarbe nie Naegel. Sowie das gegenüber der Urversion sprachlich etwas verfreundlichte 8. Gebot: Eine güldne, gute Tugend: lüge nie. Nur fallweise opportun sein mag dieser Apell an hilfreiche Helfer und rettende Retter: Rettender Retter, red netter! Zum Weiterdichten animiert dieser mögliche Anfang einer Ode an Udo (z.B. Jürgens oder Lattek oder Lindenberg): O, du relativ reger, vitaler Udo. Der absolute (wenn auch heute nicht mehr gänzlich politisch korrekte) Klassiker ist und bleibt aber ein Palindrom, das man dem Philosophen Schopenhauer zuschreibt: Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie. Muss viel Zeit gekostet haben, diese Lebensweisheit zu kreieren. Wenn man über mehr als nur ein Gran mehr Zeit verfügt, kann man ganze palindromische Gedichte aus der Taufe heben. So wie diese lyrische Einlassung aus dem Palindromikon von Martin Mooz: Metallatem Purismus um Sagrotan-Ort. Ich, Cirrus, der Gin-Hasser, Abgasturbo röhre: Donnerboot. Tatortsanierung nur ein Astro-Tattoo – brenn oder hör o Brut! Sagbares sahnig red, surr ich Citronat-Orgasmus um Sirup. Eine Ungereimtheit in mehr als nur einem Sinne und eine echte hermeneutische Herausforderung für Literaturwissenschaftler hat Martin Mooz damit in die Welt gestellt. Oder sollte es etwa das Beste sein, was an Unverständlichem seit und seitwärts James Joyce literarisch gefertigt wurde? Prickelnd-frisch dünkt auch die uns bescherte Wortneuschöpfung vom Citronat-Orgasmus. Und was erst einmal als Wort da ist, gibt es vielleicht bald auch in der Tat. Was es jetzt schon gibt, ist eine recht filigrane Mathematik der Palindrome. Auch Zahlen, als Ziffernfolgen betrachtet, können nämlich in dieser Sicht palindromisch sein, wie etwa die Zahl 121. Interessanter noch sind palindromische Zahlen, die zusätzlich weitere Eigenschaften aufweisen, beispielsweise prim sind oder kubisch oder glücklich.[24] So ist etwa die 5-stellige Zahl 30.103 ein ansehnliches Primzahlpalindrom, 1367631 = 1113 eine palindromische Kubikzahl und 787 ein glückliches Palindrom. Auch in der menschlichen Erbsubstanz, der DNA-Doppelhelix, gibt es palindromische Abschnitte, die eine besondere Funktion wahrnehmen: Viele Proteine, welche die DNA modifizieren, benutzen diese palindromischen Abschnitte der Basenfolge, bestehend aus den organischen Basen Adenin, Cytosin, Guanin, Thymin, als Erkennungsmerkmale und führen ihre jeweilige Aufgabe symmetrisch an beiden Stücken aus. Das 196-Problem Wählen Sie eine beliebige positive ganze Zahl. Dazu wird die von rechts nach links gelesene sogenannte Spiegelzahl addiert. Möglicherweise ist die Summe der beiden Zahlen ein Palindrom. Dann ist die Spiegelzahl mit der Zahl selbst identisch. Ist die Summe kein Palindrom, wiederhole denselben Vorgang, indem zur Summe wieder deren Spiegelzahl addiert wird. Möglicherweise ist das Resultat jetzt ein Palindrom. Wenn nicht, wiederhole man den Vorgang. Meist ergibt sich früher oder später ein Palindrom. Doch nicht für alle Zahlen. Man vermutet, dass die kleinste Zahl, für die das nicht der Fall ist, die Zahl 196 ist. Ein mathematischer Beweis dieser Vermutung steht aber gegenwärtig noch aus. Mit Höchstleistungscomputerhilfestellung (ein Wort, das ich unbedingt einmal benutzen wollte) wurde der Prozess so häufig wiederholt, bis er Zahlen mit mehr als 300 Millionen Ziffern erzeugte, ohne dass ein Palindrom aufgetaucht wäre. Aus reiner mathematischer Unternehmungslustigkeit noch etwas Zahlenharmonisches zum Ausklang: 123456787654321:11 = 11223344332211 68. Apps für alle (III)
Nun sprechen wir wieder von den Segnungen der Mathematik aus der Nützlichkeiten-Ecke: Will man etwas zählen, kann es aber nicht genau zählen, hilft man sich mit – Zufallszählen. Zufallszählen ist eine Kalkuliermethode, um die Zahl von Dingen abzuschätzen, die notorisch schwer zu zählen sind, etwa weil die Objekte nicht komplett vorliegen oder sie nur mühsam, zeitraubend, inakkurat abzählbar sind. Für solche Bedarfsfälle kann man sich mitunter die Gunst des Zufalls zunutze machen und ein zufallsgesteuertes Verfahren des Abzählens verwenden. Die Kunst, die Gunst des Zufalls zu nutzen, demonstrieren wir am Beispiel der Schätzung der Anzahl der Fische in einem Teich. Angenommen, ein Fischteich enthält eine unbekannte Zahl von N Fischen. Wir fangen M dieser Fische, markieren sie irgendwie und geben sie in den Teich zurück. Nach einer Zeit, die lang genug ist, um wiederum von einer gleichmäßigen Durchmischung aller Fische im Teich auszugehen, fangen wir nun n Fische. Von diesen seien m markiert. Man kann dann plausibel behaupten, dass der Anteil markierter Fische in der zweiten Stichprobe gleich oder annähernd gleich dem Anteil markierter Fische in der Gesamtpopulation aller Fische im Teich ist. Mit anderen Worten: Die zweite Stichprobe ist hinsichtlich Markierung und Nichtmarkierung der Fische eine Stichprobe, die repräsentativ ist für die Gesamtpopulation aller Fische im Teich. Die Annahme der Repräsentativität bedeutet, dass die Gleichheit m/n = M/N recht genau erfüllt ist und somit N = n · M/m eine gute stochastische Schätzung für die unbekannte Anzahl der Fische im Teich liefert. Stochastisches Zählen ist also eine besondere Art von Hochrechnung. Der Soziologe Neil McKeganey schätzte mit dieser Methode in einer Studie über Aids die Zahl der Prostituierten in...