Herwig | Sag beim Abschied leise Blödmann | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Herwig Sag beim Abschied leise Blödmann

Roman
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8437-0610-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0610-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Charlotte wirft ihren Mann raus, weil der sie zum x-ten Mal betrogen hat. Beim Leerräumen des gemeinsamen Hauses stolpert sie über ein altes Handy. Und über eine uralte Mailboxnachricht von Doro. Das verrückte Huhn ist schon seit Jahren untergetaucht, doch plötzlich hat Charlotte Sehnsucht nach ihrer unsteten Schwester. Charlotte macht sich auf die Suche. Ihre heißeste Spur: Doros ehemalige Liebhaber. Und jeder Mann bringt sie ihrer Schwester näher - und einem bunten Leben, das sie sich an der Seite ihres Exmanns nie hat träumen lassen.

Ulrike Herwig arbeitete zehn Jahre in London als Deutschlehrerin. Seit 2001 lebt sie mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Seattle, USA. Um sich nicht den ganzen Tag über die verrückten amerikanischen Moms wundern zu müssen, zieht sich Ulrike Herwig so oft es geht an ihren Schreibtisch zurück. Außerdem regnet es ganz schön oft in Seattle, und da will man sowieso nicht vor die Tür. Ideal für eine Autorin!
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1 Das Schaf stand mitten auf dem Holzweg und sah sie beide erstaunt an. Sein längliches Gesicht und die langsamen Kaubewegungen erinnerten Charlotte an ihre Schülerin Berenike Katscheck, ihre ganz persönliche Pest aus der Klasse BF1 der Berufsschule Berlin-Mitte. Berenike schob immer einen Kaugummi im Mund hin und her und lagerte ihre schweren Brüste demonstrativ auf dem Tisch, als ob deren Gewicht sie sonst ins Erdinnere ziehen würde. Charlotte versuchte, den Gedanken an Berenike und die Berufsschule zu verscheuchen. Sie war schließlich hier, um sich eine kostbare Februarwoche lang zu erholen. Von ihrer anstrengenden Lehrertätigkeit und von Berenike und all den anderen gelangweilten Mädchen im einjährigen Bildungsgang Soziales und Hauswirtschaft. Die verbrachten nämlich Charlottes mühsam vorbereitete Unterrichtsstunden vor allem damit, zu gähnen, sich Klumpen aus der Wimperntusche zu entfernen oder ihr Facebook-Profil mit vor dem Spiegel aufgenommenen Fotos und ihren täglichen Horoskopen zu verschönern.

»Heißt das Schaf Geschiebemergel?« Die Stimme ihrer Tochter Miriam riss Charlotte aus den Gedanken. Miriam zeigte auf ein Schild. »Da steht: Achtung – auf den nächsten 500 Metern ist mit Geschiebemergeln zu rechnen

»Was?« Charlotte riss sich von dem hypnotischen Gekaue des Schafes los. Geschiebemergel? Was war das gleich? Blass waberte eine Erinnerung an die Oberfläche ihres Gedächtnisses. Ihre alte Erdkundelehrerin, wie hieß die nur gleich, die immer so eine Frisur wie ein Verkehrshütchen hatte und die Brocken von Gestein auf dem Lehrertisch aufbaute und diese liebevoll herumreichte wie kostbare Gaben aus dem Morgenland. Geschiebemergel war Kalk, oder? »Das ist so ein Gestein«, antwortete Charlotte zögernd. »Mit Kalk. Glaube ich. Nein, warte.« Es fiel ihr wieder ein. »Das sind so Reste, die vom Gletschereis geschoben werden, also wurden …«

»Ist okay, Mama. Ich google es«, schnitt Miriam ihr das Wort ab. »Da kann ich gleich mal nachgucken, ob in Berlin auch so ein kackblödes Wetter ist.«

»Miriam!«

»Und wenn nicht, dann können wir wieder fahren. Wir waren doch schon lange genug hier.«

»Wir sind gerade mal drei Tage hier. Und hier ist es doch schön. Herrliche Natur, Strand, Felsen und …« Charlotte breitete die Arme aus, trat einen Schritt zur Seite und landete mit dem Fuß in etwas Nassem, Weichem und Braunem. »Herrgott noch mal!«, entfuhr es ihr. Die Schuhe waren hin. Phantastisch. Ansonsten hatte sie nämlich nur noch die Gummistiefel mit Blumenaufdruck mit in den Urlaub genommen, die sie in einer teuren Berliner Boutique gekauft, aber noch nie angehabt hatte. Sie kam sich damit wie ein überaltertes Kindergartenkind vor.

Miriam kicherte. »… und herrlicher Schlamm!«

Charlotte rieb ihren Schuh am Gras ab. Wem wollte sie eigentlich etwas vormachen? Der Urlaub war keine Erholung. Es regnete nicht nur seit Tagen immer wieder, es stürmte und wehte, Sand flog ihnen in den Mund, sobald sie ihn öffneten, scharfer Wind fuhr brutal durch alle Stoffritzen, ließ die Augen tränen und verursachte einen permanent stechenden Kopfschmerz. Charlotte trank jeden Abend allein zu viel Wein, und Miriam hatte bereits alle ihre Bücher ausgelesen und sich aus der mageren Bibliothek der Pension Sanddorn gestern Abend Entfesselte Dämonen geliehen. Charlotte hatte das geflissentlich ignoriert, musste sich aber insgeheim eingestehen, dass sie unbedingt abreisen sollten, ehe Miriam sich zum Restbestand der Bibliothek (Geheimes Verlangen und In seinem Bann) durchgearbeitet hatte. Sie war schließlich noch nicht mal zehn.

»Wir gehen weiter. Wir wollten doch eine Strandwanderung machen.« Charlotte wedelte halbherzig mit der Hand. »Na los, du Schaf. Aus dem Weg.«

Das Schaf hörte auf zu kauen und setzte sich dann verwirrt in Richtung Fischräucherei in Bewegung.

»Wow, es gehorcht dir.« Miriam war voller Bewunderung.

Charlotte war selbst ganz überrascht. Ja, es gehorchte, im Gegensatz zu ihren Schülern. Vielleicht gäbe sie eine viel bessere Schafhirtin als eine Lehrerin ab? Sie ließ ihren Blick über die Dünen und die regengraue Ostsee schweifen. Das wäre es doch. Sich hier auf Rügen ansiedeln und jeden Tag würzige Ostseeluft einatmen und nicht den Mief von Nikotin, Schweiß und süßlichen Promi-Parfüms, der sich täglich in den Klassenzimmern ausbreitete wie eine Biowaffe. Obwohl – wenn Charlotte ehrlich war, hatte sie sich als Teenager ebenfalls eimerweise Parfüm auf den Körper gekippt. Gabriela Sabatini – Eau de Parfum. Wenigstens so lange, bis ein Junge, in den sie damals leidenschaftlich verknallt war, behauptet hatte, sie rieche damit wie die Sabatini nach dem fünften Satz.

Aber trotzdem – nach Rügen zu fliehen, das hatte was. Hier wohnen und sich um Schafe kümmern, die zugegebenermaßen auch ein bisschen streng rochen, aber wenigstens nicht dauernd hinterfragten, wozu sie denn Englisch oder gar Deutsch brauchten.

Charlotte seufzte. So ein Haus am Meer war unbezahlbar. Und ihr Mann Phillip hasste die Provinz, der würde sowieso nie mitmachen. »Komm, Schatz. Noch ein bisschen laufen«, sagte sie betont munter und streckte die Hand nach ihrer widerstrebenden Tochter aus.

Ohne Vorwarnung setzte ein sturzbachartiger Regen ein. Miriam drehte sich reflexartig um und marschierte in entgegengesetzter Richtung davon, Charlotte stieß einen leisen Fluch aus. Voller Neid dachte sie an Phillip, der vorausschauend in Berlin geblieben war. Er wollte die ganze Woche straff zu Hause durcharbeiten, um endlich einmal Liegengebliebenes in seiner Firma aufzuholen. Mit vielen Gesten des Bedauerns und der Entschuldigung hatte er seiner Tochter versichert, dass er nichts lieber täte, als mit ihr im Sand nach Schätzen zu suchen, aber leider, leider … Von wegen, dachte Charlotte grimmig. Was du lieber machst als alles andere auf der Welt, ist, die Beine am Schreibtisch hochzulegen, literweise Espresso zu trinken, wichtigtuerisch Befehle ins Telefon zu bellen und bei StayFriends.de nachzusehen, welche deiner ehemaligen Klassenkameradinnen am wenigsten aus dem Leim gegangen sind, um ihnen dann per E-Mail von deinen Erfolgen zu berichten.

Das Schaf blökte leise, und eine besonders hinterlistige Böe klatschte einen Schwall eisigen Regenwassers in Charlottes Gesicht. Sie atmete tief durch und folgte Miriam.

Auf der Strandpromenade in Binz hörte der Regen wieder auf, und sofort spuckten die Cafés und Restaurants ihre Gäste wieder aus – Stadtmenschen, die gierig die feuchte Meeresluft einatmeten und ihre extra für den Urlaub angeschafften Jack-Wolfskin-Jacken ausführten.

»Darf ich Rosi ein Geschenk kaufen?«, fragte Miriam.

Charlotte zuckte mit den Schultern. »Von mir aus.« Rosi war Miriams Klavierlehrerin, eine blonde Studentin Mitte zwanzig, mit lila Federn im Haar und dunkelrot geschminkten Lippen, die Miriam in einer chaotischen Wohnung seit einigen Wochen die Tonleitern auf und ab spielen ließ. Voller Eifer sang Miriam dazu: »Der Tante Nudelbeck, der läuft der Pudel weg«, immer und immer wieder, während Rosi – den Verdacht hatte Charlotte zumindest – gelegentlich auf eine Zigarettenlänge auf den mit tropfnasser Unterwäsche bespannten Balkon davonschlich. Rosi schien in Miriam eine echte Begeisterung für Musik hervorzurufen, weshalb Charlotte ihre Tochter trotz allem jede Woche zum Klavierunterricht im Prenzlauer Berg ablieferte und es sogar fertigbrachte, dem stets stumm in der Küche sitzenden Mitbewohner mit dem Nasenring freundlich einen guten Tag zu wünschen.

Sie betraten einen kleinen Souvenirladen, dessen Schaufenster mit maritimem Kitsch für jede Stimmungslage angefüllt war.

»Das hier oder das hier?« Miriam hielt einen Miniaturstrandkorb und einen großen Hühnergott hoch. Charlotte lag es auf der Zunge zu sagen, dass Rosi sich wahrscheinlich eher über eine Literflasche Sanddornlikör freuen würde, aber sie hielt sich zurück. »Den Hühnergott vielleicht? Zeig mal her.« Sie betrachtete den faustgroßen Stein, in den jemand eindeutig mit einem Bohrer oder Meißel ein exakt kreisrundes Loch gebohrt hatte. »Der ist ja gar nicht echt«, rief sie überrascht.

»Natürlich ist der echt. Sind alle echt«, meldete sich beleidigt das Hutzelmännchen hinter der Kasse.

»Das Loch ist nicht echt. Hier sieht man ja noch die Bohrrillen.« Charlotte hielt ihm den Stein hin.

Der Mann verzog keine Miene. »Is echt«, wiederholte er stur.

»Sehen Sie das denn nicht? Das ist doch kein natürlich entstandenes Loch!« Dieser Mensch regte Charlotte langsam auf.

Der Ladenbesitzer zuckte nur mit den Schultern. »Natürlich entstandenes Loch … Bin ich Mutter Erde oder was? Wollen Sie den Stein jetzt oder nicht?«

»Ja«, sagte Miriam schnell. »Bitte, Mama. Ich gebe es dir auch von meinem Taschengeld wieder.« Charlotte verdrehte die Augen, zog einen Schein aus dem Portemonnaie, bezahlte eine Unsumme für den größten Nepp seit der Erfindung der Kaffeefahrt und wartete anschließend im wieder einsetzenden Regen vor der Tür, bis das Rumpelstilzchen da drin den Stein für Miriam umständlich in mehrere Lagen Zeitungspapier eingewickelt hatte.

»Jetzt habe ich ein Geschenk für Rosi, jetzt können wir zurück nach Hause«, meinte Miriam zufrieden, als sie aus dem Geschäft kam.

Auf dem Weg zurück zur Pension Sanddorn quietschte der Schlamm in Charlottes Schuh bei jedem Schritt, und der Wind fauchte dazu wie eine gereizte Katze.

»Warum können wir nicht nach Hause fahren?«,...


Herwig, Ulrike
Ulrike Herwig arbeitete zehn Jahre in London als Deutschlehrerin. Seit 2001 lebt sie mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Seattle, USA. Um sich nicht den ganzen Tag über die verrückten amerikanischen Moms wundern zu müssen, zieht sich Ulrike Herwig so oft es geht an ihren Schreibtisch zurück. Außerdem regnet es ganz schön oft in Seattle, und da will man sowieso nicht vor die Tür. Ideal für eine Autorin!

Ulrike Herwig arbeitete zehn Jahre in London als Deutschlehrerin. Seit 2001 lebt sie mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Seattle, USA. Um sich nicht den ganzen Tag über die verrückten amerikanischen Moms wundern zu müssen, zieht sich Ulrike Herwig so oft es geht an ihren Schreibtisch zurück. Außerdem regnet es ganz schön oft in Seattle, und da will man sowieso nicht vor die Tür. Ideal für eine Autorin!



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