E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: HarperCollins
Hertz Bis ans Ende aller Fragen
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7499-5122-2
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Reihe: HarperCollins
ISBN: 978-3-7499-5122-2
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wenn der Weg das Ziel ist - ist die Richtung dann egal?
Meistens kommt es anders, als man denkt. Mit Anfang vierzig wird Maxi klar, wie viel Wahrheit in diesem Sprichwort steckt. Denn ihr Leben ist von dem, was sie sich als Teenager erträumt hat, Lichtjahre entfernt. Statt steiler Karriere ein Job im Café, statt großer Liebe nur verkorkste Typen, die Hoffnung auf Kinder ist längst begraben. Aus der Traum vom Familienglück? Auf keinen Fall! findet Maxis Nichte. Ihre skurrile Idee: Ein Witwer mit Anhang wäre perfekt! Süße Kinder, keine nervige Ex. Wo Maxi den findet? In einer Trauergruppe! Klar, dass sie dort behaupten muss, ihr Mann sei verstorben. Und ebenfalls klar, dass das Kribbeln im Bauch, das sie bei gleich zwei »Leidensgenossen« verspürt, in Wahrheit das Donnergrollen der nahenden Katastrophe ist ...
»Das Schwestern-Duo Anne Hertz liefert mit seinem siebten Frauenroman wieder allerfeinsten Lesespaß. [...] Ein echter Hertz-Roman, der die romantischen Seiten starker Frauen auch mal auf die Schippe nimmt, urkomisch und lebensweise.«
Petra über Wunschkonzert
»Es gibt liebenswerte Figuren, gelungene Milieuschilderungen, sogar alltagstaugliche Lebensweisheiten.«
Westdeutsche Allgemeine Zeitung über Flitterwochen
Anne Hertz ist das Pseudonym der Schwestern Frauke Scheunemann und Wiebke Lorenz. Bevor die Autorin 2006 in Hamburg zur Welt kam, wurde sie 1969 und 1972 in Düsseldorf geboren. 50 Prozent von ihr studierten Jura, die andere Hälfte Germanistik und Anglistik. Danach arbeiteten 100 Prozent als Journalistin. Anne Hertz hat im Schnitt 3,5 Kinder, 1,0 Männer und 0,3 Haustiere, sie ist 170,5 cm groß und wiegt - je nach Jahreszeit - zwischen 58,6 und 69,5 kg. Ihre Romane haben sich weltweit über 2 Millionen Mal verkauft.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 1
»Darf ich Sie vielleicht kurz stören?«
Erschrocken zucke ich zusammen, klappe mein Notebook zu und schiebe es auf dem Tresen meines Cafés mit einem so hektischen Stoß zur Seite, dass es fast herunterfällt. In der letzten Sekunde kann ich es am Kabel festhalten und vor dem sicheren Absturz retten. Während ich mich in die Richtung umdrehe, aus der die Stimme gekommen ist, sage ich automatisch: »Entschuldigung …«
Vor mir steht ein Mann und das Erste, was ich absurderweise denke, ist: O mein Gott, hat der schöne Augen. Im nächsten Moment komme ich mir deshalb ziemlich albern und insbesondere extrem unprofessionell vor. Jetzt reiß dich mal zusammen, Maxi! weise ich mich selbst zurecht. »Wie bitte?«, bringe ich ziemlich krächzend heraus. Dann räuspere ich mich geräuschvoll und hoffe, dass der Frosch in meinem Hals davonhüpft.
»Ob das in Ordnung für Sie ist, habe ich gefragt«, wiederholt der Mann.
»Entschuldigen Sie bitte, ich fürchte, ich war mit meinem Kopf gerade woanders und habe nicht richtig zugehört«, gestehe ich und trete einen kleinen Schritt zurück. Dabei vergesse ich allerdings, dass ich auf dem Vorsprung stehe, der unten einmal rings um die Theke verläuft und eigentlich dazu gedacht ist, dass man dort gemütlich seine Füße abstellen kann, wenn man auf einem der Barhocker davor sitzt. Kurz gerate ich ins Wanken, kann mich aber mit einem weiteren Griff nach dem Ladekabel des Notebooks abfangen und das Gleichgewicht halten. Glaube ich jedenfalls, bis ich nur eine Sekunde später mein Rettungsseil in Händen halte, da es sich aus der Anschlussbuchse des Laptops gelöst hat. Mit einem erschrockenen Aufschrei taumele ich ungebremst nach hinten.
»Hoppla!« Im letzten Moment bekommt der Mann mich am Arm zu packen, und verhindert damit, dass ich im freien Fall auf dem geölten Holzparkett aufschlage.
»Danke schön«, murmele ich, während er mich wieder loslässt. Die Lider gesenkt, streiche ich mir über den Oberarm, an dem ich noch immer den Druck seiner Finger spüren kann. Es tut etwas weh, aber wesentlich schmerzhafter ist der Gedanke, was für einen konfusen Eindruck ich gerade gemacht haben muss. Peinlich!
»Gern geschehen.« Seine tiefe Stimme klingt unbewegt, nicht ein Hauch von Fröhlichkeit oder Belustigung schwingt in ihr mit, dabei war mein Beinahe-Abgang mit Sicherheit nicht nur blamabel, sondern gleichzeitig auch ziemlich komisch. Über besonders viel Humor scheint der Gute wohl nicht gerade zu verfügen.
»Äh, also … ich …«, stottere ich, unterbreche mich dann mit einem zweiten Räuspern und betrachte mutig, wenn auch wahrscheinlich mit hochrotem Kopf, das Gesamterscheinungsbild meines Helfers.
Der Mann ist schlank, groß und trägt einen grau gemusterten Kaschmirschal zum schwarzen Anzug. Er wird zwischen Mitte und Ende vierzig sein, seine dunklen Haare sind zwar noch voll und dicht – und vor allem sehr akkurat geschnitten, was einen starken Kontrast zu den Bartstoppeln an seinem Kinn bildet –, aber die Schläfen sind schon ergraut. Auf der Stirn und in den Augenwinkeln entdecke ich die gleichen feinen Fältchen, die auch mir bei jedem Blick in den Spiegel beweisen, dass der erste Lack unwiderruflich ab ist. Wobei solche »Lebenslinien« bekanntermaßen nur bei Frauen ein Zeichen vom Älterwerden sind – Männer machen sie interessanter. Und interessant, ja, das ist mein Retter durchaus.
Und dennoch entspricht er so gar nicht dem klassischen »Coffee & Cream«-Gast. Durch die erdigen Farbtöne und die lichten Nuancen herrschen hier drinnen ländliche Naturverbundenheit und gelassene Gemütlichkeit vor. Wer der Hektik und dem Lärm der Großstadt für einen Augenblick entfliehen will, kann bei mir behagliche Landhaus-Atmosphäre genießen und schätzt das in der Regel auch sehr. Nur danach sieht mir der Mann in seinem schwarzen, eleganten Anzug und dem ausgesprochen ernsten Gesichtsausdruck beim besten Willen nicht aus. »Tut mir leid«, erkläre ich und versuche mich an einem schiefen Grinsen. »Sie müssen wohl noch einmal ganz von vorn anfangen.«
»Ich bin Gregor Blomberg«, stellt er sich vor, streckt mir dabei allerdings nicht seine rechte Hand entgegen, sondern lässt sie in der Tasche seines Mantels verschwinden, als wolle er ganz sichergehen, dass ich mich ihrer nicht gewaltsam bemächtige.
»Herr Blomberg?«, rufe ich aus. Dabei klinge ich so überrascht, als stünde niemand Geringeres als der Heilige Geist vor mir. Nun, eine Art Erscheinung ist dieser Mann in der Tat, und er bringt mich komplett aus dem Konzept, weil ich mit jemand vollkommen anderem gerechnet hatte und vor allem nicht schon jetzt.
Gregor Blomberg, der vor einigen Tagen bei meiner Nichte Summer – Summer wie Sommer und nicht wie der Türsummer – das Coffee & Cream für eine Trauerfeier gebucht hat, ist kein tattriger Greis. Er ist auch nicht der gebeugte Witwer, von dem ich ausgegangen war, als Summer mir erzählt hatte, es handele sich um einen Mann, der nach der Bestattung seiner Frau mit etwa sechzig Personen kommen wird.
Nein, das alles ist Gregor Blomberg wahrhaftig nicht. Ganz im Gegenteil, er ist ein attraktiver Mann im sogenannten besten Alter, der seine Frau betrauert, die höchstwahrscheinlich aus der Mitte ihres Lebens gerissen wurde.
»Tut mir leid«, stottere ich meine dritte Entschuldigung innerhalb von fünf Minuten. »Mein herzliches Beileid!«, schiebe ich schnell hinterher.
»Danke«, sagt er und verzieht dabei keine Miene, sein Gesichtsausdruck ist nach wie vor traurig und ernst. Was ich nun natürlich verstehen kann. Er schluckt einmal kurz, dann spricht er in sachlichem Ton weiter: »Ich hatte ab fünf …«
»Ich weiß«, unterbreche ich ihn dienstbeflissen. »Circa sechzig Personen ab fünf Uhr.« Während ich das sage, hole ich den Kellnerblock hervor, der hinterm Bund meiner langen Schürze klemmt, und halte ihn mir dicht vors Gesicht. Da steht allerdings rein gar nichts, den Kalender mit Reservierungen verwalte ich in meinem Notebook, das gerade beinahe zu Bruch gegangen wäre. Aber ich hoffe, mit dieser Geste einen professionellen und geschäftigen Eindruck zu vermitteln. Quasi absolut im Bilde. Wenn Gregor Blomberg nicht merkt, dass ich nur ein leeres Blatt Papier anstarre, könnte das vielleicht sogar klappen. »Sie sind allerdings um einiges zu …«
»Fünfzehn«, unterbricht er mich, ehe ich »zu früh dran« sagen kann.
»Wa…« Ich korrigiere mich schnell. »Wie bitte?«
»Fünfzehn Uhr«, erwidert er. »Ich habe ab fünfzehn Uhr reserviert.« Er nimmt seine rechte Hand aus ihrem sicheren Versteck, schiebt den Ärmel seines Mantels nach oben und wirft einen Blick auf die Armbanduhr, die an seinem Handgelenk zum Vorschein kommt. »Und das ist genau jetzt.«
»Fünfzehn Uhr?«, hake ich irritiert nach, woraufhin er nickt. »Hier steht aber fünf Uhr!«, behaupte ich, runzele demonstrativ die Stirn und tippe mit dem Zeigefinger auf meinen leeren Block.
»Dann ist das falsch«, gibt er trocken zurück. »Und Sie können ganz sicher davon ausgehen, dass ich mich da nicht vertue.«
»Nein, äh, natürlich nicht!« Augenblicklich bricht mir der kalte Schweiß aus, weil ich in der nächsten Sekunde eine Katastrophe befürchte. Wenn Gregor Blomberg einen Blick auf meine »Notizen« erhascht und feststellt, dass ich nur weiße Blätter in der Hand halte, werde ich vor Scham im Boden versinken. Dabei ist die Situation bereits peinlich genug. Fünfzehn Uhr, nicht fünf, ganze zwei Stunden früher! Und ich habe noch seelenruhig an meinem Laptop gesessen und mich durchs Netz geklickt, statt mich auf die große und wichtige Gesellschaft vorzubereiten, die jeden Moment ins Café einfallen wird!
Wenn ich Summer in die Finger kriege, bringe ich sie um! Schließlich hat sie die Reservierung angenommen und die Sache somit versemmelt. Was natürlich mal passieren kann. Jedenfalls bei anderen kann es vorkommen, ich selbst habe eher zwanghafte Züge und gelte in meinem Umfeld als pathologisch pünktlich. Nie im Leben hätte ich die Uhrzeiten verwechselt, schon gar nicht bei einer Trauerfeier. So eine Reservierung hätte ich doppelt und dreifach gecheckt, damit auf gar keinen Fall etwas schiefgeht.
Natürlich werde ich Gregor Blomberg nicht verraten, wie dieses Debakel geschehen konnte und wer die Schuld daran trägt. Weil ich ihn zum einen in seiner tragischen Situation bestimmt nicht mit unseren internen Kommunikationsproblemen belästigen will und es zum anderen als meine Verantwortung betrachte, mich voll und ganz hinter mein Team zu stellen. Auch, wenn dieses »Team« mit meiner Nichte fast nur aus einer einzigen Mitarbeiterin besteht. Summer, die die älteste Tochter meines Bruders Joachim und seiner Frau Anne ist, arbeitet als studentische Aushilfe bei mir, was mir allerdings meine Schwester Claudia gern mal vorwirft, weil ich ihrer Meinung nach Summer meinen anderen drei Nichten und Neffen vorziehen würde. Neben Summer gibt es lediglich noch Emil, unseren zweiundsiebzigjährigen Koch und ehemaligen Besitzers meines Cafés. Eine Seele von Mann und ein absoluter Star an Topf und Herd, nur bedauerlicherweise nicht mehr der Allerflinkste, seitdem ihm seine Bandscheibe ordentlich zu schaffen macht.
»Und was tun wir jetzt?«, beendet Gregor Blomberg meinen gedanklichen Exkurs.
»Das ist überhaupt kein Problem«, erwidere ich und gebe mir Mühe, dabei so selbstsicher und gelassen wie möglich zu klingen. »Wir sind längst startklar.« Was eine etwas gewagte Behauptung ist. Zwar sind sämtliche Tische eingedeckt, und vorn auf dem Tresen steht der große...