E-Book, Deutsch, 323 Seiten
Herrmann-Nytko PHASENRAUM
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7487-1281-7
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Zeitreise-Roman
E-Book, Deutsch, 323 Seiten
ISBN: 978-3-7487-1281-7
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Angeführt von unserem Prof, setzten wir uns wieder in Marsch. Wir stürzten uns ins Gewühl der ausgelassen lärmenden Menschen, die nahezu alle in dieselbe Richtung strebten wie wir. Wir staksten durch die schlammigen Gassen des Aventin, traten in Dunghaufen und Abfälle, von denen ich gar nicht wissen wollte, woher sie stammten, und je näher wir dem Forum kamen, umso durchdringender wurde der Lärm. Die nächtliche Luft war erfüllt von einem Summen und Brausen wie vor einem drohenden Unwetter. Und dann endlich waren wir da. Es war wie eine Offenbarung. Ein passenderes Wort fällt mir nicht ein. Wir traten aus dem klaustrophobischen, finsteren Gassengewirr des Aventin, und vor uns lag ein weiter, von zahllosen Fackeln, Laternen und Öllampen erhellter Platz, der zu allen Seiten gesäumt war von prächtigen Gebäuden. Tempelfassaden aus weißem, schwarzem und farbigem Marmor spiegelten das Licht der Flammen wieder, und die ganze grandiose Kulisse schien sich übergangslos fortzusetzen in einem samtigen Nachthimmel, an dem Myriaden von Sternen funkelten. Die Szenerie raubte uns schier den Atem. Der Debüt-Roman Phasenraum von Literatur-Übersetzerin Ingrid Herrmann-Nytko ist ein Zeitreise-Roman der ganz besonderen Art: mitreißend und spannend, dabei humorvoll und stets auf augenzwinkernde Weise lehrreich. Ein Science-Fiction-Lese-Vergnügen von der ersten bis zur letzten Seite! Phasenraum erscheint als deutsche Erstveröffentlichung im Verlag Der Romankiosk.
Autoren/Hrsg.
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Erster Teil: CAHS Exkursionen in das antike Rom
»Io Saturnalia!«, grölte es rings um uns her. Eine Gruppe junger Burschen, trotz der schicken Bekleidung offenkundig Sklaven, taumelte uns entgegen. Den Amphoren Wein nach zu urteilen, die sie durch die Luft schwenkten, waren sie im Begriff, sich einen ordentlichen Rausch anzuschickern. Das gewundene Gässchen, in dem das Zusammentreffen stattfand, war so schmal, dass ich schon eine Rangelei befürchtete. Zudem merkte ich, dass die Kerle uns unverhohlen lüstern angafften, nicht nur uns Mädchen, sondern auch die beiden Männer die bei uns waren. Und schon streckte einer der Typen, ein vierschrötiger Klotz, seine Pranke mit den dreckigen Fingernägeln nach Line aus, die quiekte wie eine Gummiente, auf die man drauftritt, und sich schutzsuchend an unseren Prof drängte. Doch Professor Dr. Denzil Defoe - oder DD, wie wir ihn unter uns nannten, hatte die Situation natürlich wieder einmal voll im Griff, »Io Saturnalia, Tribun«, erwiderte er lachend und deutete eine Verbeugung an, während er gleichzeitig Line an sich zog. »Hast du einen Schluck für mich und meine Tussi übrig, Kamerad? Wir könnten beide eine kleine Stärkung vertragen, bevor wir - na du weißt schon.« Der grobschlächtige Typ, der sich schon zum Pöbeln bereitgemacht hatte, grinste von einem Ohr zum anderen und entblößte ein lückenhaftes Gebiss. »Na klar doch, Legat«, nuschelte er und reichte Denzil seine Amphore. »Hier, trink, bester Falerner. Mein Herr - hicks - der ehrenwerte Senator Lucius Septimus Longinus, hat ihn mir höchstselbst ausgehändigt.« Mit Kennermiene musterte er Line von oben bis unten. »Niedlich, die Kleine, wo hast du denn die aufgegabelt? Gallierin?« »Ita est, was denn sonst? Ist in meinem Haus in der Küche beschäftigt. Wenn sie nicht gerade die Betten macht. Sofern der Pater Familias sie dabei nicht von ihren Haushaltspflichten abhält, he he!« DD genehmigte sich einen kräftigen Schluck aus der Amphore und verzog genießerisch das Gesicht. »Ein unverschämtes Tröpfchen.« Er reichte die Amphore an Pete weiter und zischelte ihm aus dem Mundwinkel zu: »Trinken Sie, Pete, egal, wer vorher an der Amphore genuckelt hat. Sie werden schon nicht daran sterben! Denken Sie immer daran: When you are in Rome, do as the Romans do! Wir dürfen diese Herrschaften auf keinen Fall verprellen. Jetzt sind die Saturnalien, der Pöbel beherrscht die Straße!« Pete setzte ein gequältes Grinsen auf und trank mit spitzen Lippen aus der Amphore. Mit Sicherheit würde dieser Hygienefanatiker gleich einen Herpesausschlag bekommen, dachte ich schadenfroh, denn obwohl ich Pete im Grunde genommen mochte, ging mir sein etepetete Getue mächtig auf den Senkel. Übertrieben hastig reichte Pete die Amphore dann an mich weiter. Na ja, ich bin auf einer hinterwäldlerischen Farm aufgewachsen, wo man dem ganzen Bioschnickschnack huldigt wie dem heiligen Gral, und das bezieht auch den Mist ein, den unsere artgerecht gehaltenen Viecher massenhaft produzieren, deshalb können mich ein paar Bakterien nicht das Fürchten lehren. Probehalber trank ich ein Schlückchen, dann legte ich den Kopf in den Nacken und kippte so viel von dem Göttertrunk in mich rein, wie meine Kehle fassen konnte, ohne dass ich einen Erstickungsanfall bekam. Ein unverschämtes Tröpfchen, in der Tat - und wieder einmal hatte DD mit diesem Terminus den Nagel auf den Kopf getroffen. Maxi streckte bereits beide Hände nach der Amphore aus, die ich ihr mit nur leichtem Zögern überließ. Kein Wunder, dachte ich bei mir, die ist immer schnell dabei, wenn sie etwas für lau kriegt. Nachdem Maxi sich an dem Falerner gütlich getan hatte, kam Elsie an die Reihe, die auch nicht gerade eine Kostverächterin war - und das in mancherlei Hinsicht. Sie gab den Krug an den grobschlächtigen Typen zurück und zwinkerte ihm mit einem Lächeln auf ihrem Mondgesicht zu, das wohl kokett wirken sollte. Aber dieser Klotz schien mehr Geschmack zu haben, als man ihm ansah, denn er prallte mit gelindem Erschrecken zurück und hatte es auf einmal ziemlich eilig, fortzukommen. Zusammen mit seinen Saufkumpanen trollte er sich. Sowie wir allein waren - sofern man in dem Gedränge, das dieses Gässchen verstopfte, überhaupt allein sein konnte, gab DD uns ein Zeichen, und wir scharten uns um ihn wie Groupies um einen Rockstar, wobei dieser Vergleich nicht einmal hinkt. Denn DD, ordentlicher Professor am College für Angewandte Historische Studien, abgekürzt CAHS, wurde von nahezu allen seinen Studentinnen und Studenten buchstäblich angehimmelt. Für ihn wären wir alle durchs Feuer gegangen. Wir fanden ihn schlichtweg toll. »Alle mal herhören«, begann er. »Das Thema dieser Exkursion lautet 'Das antike Rom während der Saturnalien'. Im Seminar haben wir bereits darüber gesprochen. Die Saturnalien waren eine Zeit, in der während weniger Tage und Nächte die sozialen Rollen vertauscht wurden. Im Klartext heißt das, die Sklaven und Bediensteten schlüpfen in die Rolle der Herren, während die Personen, die sonst über sie herrschen, die Funktion der Diener übernehmen. Es geht turbulent zu, so gut wie alles ist erlaubt. Den ersten Vorgeschmack auf das, was uns erwartet, haben Sie bereits bekommen. Stellen Sie sich darauf ein, machen Sie jeden Jux mit, und genießen Sie diese Exkursion in vollen Zügen.« Er setzte eine Verschwörermiene auf. »Schlemmen und trinken Sie nach Herzenslust. Es geht alles auf Kosten der Fakultät.« Als er dann jeden von uns angrinste, schmolzen wir dahin, nicht nur wir Mädchen, auch Pete, der sich insgeheim DD zum Vorbild genommen hatte, ohne auch nur je an ihn heranreichen zu können. »Abmarsch, Leute, stürzen wir uns ins Getümmel. Aber schön zusammen bleiben. Sollten wir getrennt werden, treffen wir uns zum vereinbarten Zeitpunkt am TS. Damit war der Time-Shuttle gemeint, das Vehikel, mit dem das College die Exkursionen in andere Epochen ermöglichte. Flotten Schrittes trabten wir los, angeführt von unserem Prof, der das Abbild eines römischen Helden darstellte. Groß, breitschultrig, das pechschwarze lange Haar zu einem Knoten gezwirbelt, wie ihn damals Wagenlenker und aktive Gladiatoren trugen. Dazu passten seine kühn geschnittenen Gesichtszüge und das verwegene Grinsen. Durch ein Gewirr aus ungepflasterten Gassen und Gässchen, die mitunter so schmal waren, dass ein mittelgroßer Hund nicht mal mit dem Schwanz hätte wedeln können, ohne rechts und links an bröckelige Mauern anzustoßen, trotteten wir den Aventin hinunter, einer der sieben Hügel, auf denen das antike Rom erbaut war. Schon bald mussten wir langsamer gehen, weil wir in dem Gewühl der Menschenmassen, die den gleichen Weg hatten wie wir, nicht zügig vorankamen. Ein bunteres Völkergemisch hätte man sich gar nicht vorstellen können. Anscheinend war ganz Rom auf den Beinen. Sklaven in Gewändern, die ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Herrschaft geliehen hatte, tänzelten, torkelten, wankten in ausgelassener Stimmung dahin. Dazwischen würdige ältere Herren in Lumpen, denen man ansah, dass sie ihre Demutshaltung nur mimten. Vermutlich Freigelassene, die mitunter in höchste Ämter aufsteigen konnten, Kaufleute oder gar Angehörige des Adels, die sich den Kick verschafften, mal auszuprobieren, wie es sich anfühlte, der unterprivilegierten Schicht anzugehören. War ja nur für wenige Tage, und hinterher konnte man sein Mütchen wieder ungestraft an denen kühlen, die sozial tief unter einem standen. DD bog scharf in einen Durchlass zwischen zwei sechsgeschossigen Mietskasernen ab und blieb stehen. Wir folgten ihm wie Entenküken ihrer Mutter. Die Passage war stockfinster, bis auf einen Torbogen, der zu beiden Seiten von blakenden Fackeln beleuchtet wurde. Der Prof hob die Hand, ein Zeichen, dass er unsere Aufmerksamkeit verlangte. Wir waren aufmerksam. »Typisch für das antike Rom waren die Graffiti an den Häuserwänden«, hob er in dem dozierenden Ton an, den wir gleichzeitig fürchteten und liebten. Jetzt hieß es aufpassen für die nächste Klausur. Er deutete auf die kruden Schriftzüge neben dem Torbogen. Was steht hier?« »Marcia bene fellat«, las Pete laut vor. »Venus pendula. Fututa sum hic. Pedicare.« Fragend blickte er den Prof an. Ein breites Grinsen zog sich über DDs Gesicht. »Sie alle haben das große Latinum. Wenn Ihnen jetzt nichts dazu einfällt, recherchieren Sie im Netz, wenn wir wieder zu Hause sind. Weiter, Leute. Wir sind nicht nur zum Vergnügen hier, sondern betreiben ernsthafte Studien.« Unser Aufbruch verzögerte sich dann doch ein wenig, weil sich just in diesem Moment eine Horde von Leuten durch die schmale Passage zwängte und sie völlig verstopfte. Der Zustand dieser Individuen reichte von angeheitert bis dermaßen betrunken, dass sie von ihren Kumpanen mitgeschleift werden mussten. Die Gruppe bestand aus Männern, Frauen und Personen unbestimmbaren Geschlechts. Die Mädels, einige von ihnen nicht mehr die Jüngsten, waren stark geschminkt und sahen aus, als würden sie vor nichts zurückschrecken. Der Radau, den diese Typen veranstalteten, war ohrenbetäubend. »Io Saturnalia, Konsul!«, lallte ein Bursche, taumelte auf DD zu und blies ihm seine Weinfahne ins Gesicht. Taxierend musterte er unser Grüppchen. »Lässt es dir heute wohl von allen Seiten besorgen, was? Richtig so, sag ich, man muss die Mädels und auch die Jungs nehmen, wie sie kommen!« Wieder einmal bewies unser Prof, dass er jeder Situation gewachsen war. »Bei Jupiter, Kamerad«, gab er gutgelaunt zurück. Du verstehst zu leben, weißt, was gut ist für unsereins.« »Na klar doch«, nuschelte der aufdringliche Kerl. »Was ist, kommt ihr mit rein?« Mit einer ruckhaften...




