E-Book, Deutsch, 316 Seiten
Herrmann Gerda rockt die Bühne
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7534-0116-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Oma dreht durch
E-Book, Deutsch, 316 Seiten
ISBN: 978-3-7534-0116-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Oma Gerda hat die Nase voll. Sie hat ihren starrköpfigen, dominanten Ehemann überlebt und hofft auf eine bessere Zeit. Doch anstatt endlich das Leben neu zu beginnen, wird sie von ihrer Tochter und deren Kindern eingespannt und ausgenutzt. Als sie eines Tages das Zimmer ihrer Enkelin aufräumt, stolpert sie über deren E-Gitarre. Wie unter Zwang legt sie los und lässt die Rock´n Roll-Zeit ihrer Jugend wiederauferstehen. Der kurze Ausflug in die Vergangenheit legt in Gerda einen Schalter um. Sie erinnert sich an das alte Motorrad ihres Mannes, das immer noch im Schuppen steht, packt einen Koffer und ihre winzige Rente und verlässt das Haus. Eine abenteuerliche Reise beginnt, in deren Verlauf Gerda sogar eine Musikerkarriere startet. Ein turbulenter und kecker Roman über das Leben der alten Junggebliebenen, erzählt mit einem Augenzwinkern und einer großen Portion Humor.
Barbara Herrmann ist in Karlsruhe geboren und in Kraichtal-Oberöwisheim aufgewachsen. Ihre Liebe zu Büchern und zum Schreiben begleitete sie während ihres ganzen Berufslebens als Kauffrau. Nach ihrem Eintritt in den Ruhestand sind mehrere Bücher (Romane, Reiseberichte, humorvolles Mundart-Wörterbuch) von ihr er-schienen. Heute lebt die Mutter zweier Söhne mit ihrer Familie in Berlin.
Autoren/Hrsg.
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1
»Oma! Wo bist du? Ich brauche meine Sportklamotten«, rief Josefine die Treppe herunter. Es war gerade halb sieben am Morgen, und die Hektik strömte spürbar durch das ganze Haus. Türen wurden auf- und zugeschlagen, die Toilettenspülungen schienen im Dauereinsatz, das Duschwasser rauschte, und der Geruch diverser Seifen und Parfums vermischte sich zu einem bunten Strauß von Blütendüften. Das alles ging Gerda zugegebenermaßen tierisch auf den Keks, denn sie würde nie im Leben verstehen, warum drei weibliche Geschöpfe bereits am frühen Morgen so ein Chaos verbreiten konnten. Deshalb zog sie sich, nachdem sie für ihre Familie das Frühstück zubereitet hatte, auf ihr Zimmer zurück und setzte sich auf das Bett. Sie brauchte morgens nach dem ersten Ansturm einfach ein paar Minuten für sich, und anscheinend war ihr dieser kleine Moment heute nicht gegönnt. Also erhob sie sich gleich wieder und stieß einen tiefen Seufzer aus, um sich notgedrungen auf den Ruf ihrer Enkelin einzulassen. Noch ehe sie allerdings selbst die Tür öffnen konnte, flog diese schon auf, und natürlich war da zuvor auch kein Klopfen zu hören gewesen. Warum auch? Es war doch nur Oma. Josefine stand mit einem Marmeladenbrot in der Hand vor ihr. »Oma, bist du taub? Wo sind meine Klamotten für den Turnbeutel?«, rief sie mit vollem Mund. »Na, da, wo du sie zuletzt hingeworfen hast, schätze ich mal.« Gerda hätte sie am liebsten rausgeworfen, stattdessen betrachtete sie ihre Enkelin eingehend. Josefine war fünfzehn Jahre alt, ein schlankes, großes Mädchen mit langen blonden Haaren und blauen Augen. Heute trug sie schrille Hotpants, ein bauchfreies Top und passende Ballerinas. Ihr eigentlich schönes Gesicht war für ein Mädchen in ihrem Alter viel zu auffällig geschminkt. »Was schaust du denn so? Habe ich was Komisches an mir?« Josefine blickte an sich hinunter und kaute auf ihrer Brotkruste rum. »Ne, hast du nicht. Du siehst aber aus, als wärst du in einen Farbtopf gefallen. Das ist nicht wirklich schön, wenn du dich als junges Ding so auffällig schminkst.« Warum nur sagte ihre Mutter der Kleinen nicht, dass es nicht gut war, so auffällig rumzulaufen? Sie war noch blutjung und kleidete sich viel zu aufreizend. So etwas barg doch auch unvorhersehbare Gefahren. Fehlte nur noch, dass sie sich so aufgestylt mit einem … – wie hieß das noch mal? Gerda musste überlegen, dieses moderne Zeug verlangte einem aber auch alles ab, stellte sie fest. Ah, dann fiel es ihr ein: mit einem Selfie selbst postet. »Du hast doch keine Ahnung, Oma. Du weißt doch gar nicht mehr, was modern ist. Gib mir meine Klamotten, ich muss los.« »Ja, wenn du das von einer alten Schachtel wie mir denkst, dann ist ja gut so, wie du aussiehst und wie du rumläufst. Ich habe übrigens keine Sportkleidung von dir. Wenn du sie nicht in den Wäschekorb getan hast, dann kann ich sie nicht gewaschen haben, und dann liegt die Wäsche auch nicht gebügelt im Schrank. Bis du das irgendwann einmal kapiert hast, musst du schauen, was du in die Schule mitnimmst.« »Mist! Das geht aber nicht, Oma.« »Lass mich gefälligst alleine!« Gerda stellte sich an die Tür und zeigte ihrer Enkelin mit der ausgestreckten Hand den Weg aus dem Zimmer. Sie hatte jetzt keine Lust mehr, zu diskutieren oder gar hinter der Göre herzulaufen. Wütend drehte sich Josefine um und stapfte davon. Plötzlich war von der kleinen Halbstarken nichts mehr übrig, da rannte nur noch ein kleines, verzogenes Mädchen aus dem Zimmer. Wenn sie jetzt noch mit dem Bein aufstampfte, wäre ihr kindisches Verhalten perfekt. »Oma, bring heute meine Jacke zur Reinigung!« Das war jetzt die helle Stimme von Natalie. »Oh Herr, lass Abend werden, der Morgen kommt von alleine«, flüsterte Gerda. »Jetzt kommt die nächste Enkelin. Fehlt nur noch meine Tochter, dann habe ich wenigstens dieses morgendliche Theater hinter mir.« »Oma, ich habe die Tüte mit der Jacke neben den Schirmständer gestellt.« Natalie machte sich noch nicht einmal die Mühe, ihre Oma zu fragen, ob sie überhaupt Zeit hatte, die Jacke wegzubringen. Warum sollte sie auch? Oma wird das schon machen. Die macht immer alles. Natalie war siebzehn Jahre alt und sah ihrer Schwester ziemlich ähnlich. Auch sie war groß gewachsen, schlank und hatte ebenso blonde lange Haare. Nur die Augen waren nicht blau, sondern grün. Die hatte sie von ihrem Vater. Gerda raffte sich auf und hastete in die Küche. Dort traf sie auf ihre Tochter Victoria, die bereits im Mantel am gedeckten Küchentisch stand – in einer Hand die Kaffeetasse, in der anderen ein halbes Brötchen, das sie voller Hektik runterwürgte. Gerda schüttelte den Kopf. »Das kann man ja nicht mehr mit anschauen. Warum setzt du dich nicht für ein paar Minuten hin und trinkst deinen Kaffee?« Sie konnte so ein Verhalten nicht begreifen. Es wurde doch die gleiche Zeit verbraucht, egal ob man auf einem Stuhl saß oder in Hut und Mantel vor dem Tisch stand. Victoria ging auf den leisen Vorwurf ihrer Mutter gar nicht erst ein. Sie wollte keine Diskussion am frühen Morgen. Und die würde unweigerlich folgen, wenn sie sich jetzt auf diesen Dialog einließ. »Ich komme heute Abend später. Kümmere dich um den Einkauf, die Liste habe ich auf meinen Schreibtisch gelegt.« Gerda war kurz davor zu explodieren, als sie das hörte. In letzter Zeit verspürte sie immer öfter den Wunsch, der Familie nicht mehr zur Verfügung stehen zu wollen. Ihr Gefühlsleben schwankte zwischen der Meinung, es hier aushalten zu müssen, und dem Drang, diese Ausbeuterei abzulehnen. Momentan war das aber nur ein Gefühl. »Mit vollem Mund spricht man nicht, Victoria«, sagte sie stattdessen, um ihre Wut ein wenig zu unterdrücken. »Das habe ich dir bereits vor vierzig Jahren beigebracht.« »Ach Mama, lass gut sein mit der Erziehung. Ich bin in Eile.« Mit einem Ruck schob Gerda den Stuhl, der mitten in der Küche stand, ordentlich an den Tisch. »Ich habe keinen Bock mehr auf eure Aufträge und euren Saustall. Ihr müsst respektieren, dass ich ein Recht auf ein eigenes Leben habe, auch wenn ich hier wohne.« »Hör auf zu meckern, Mama, und entspann dich lieber. Du hast es doch gut hier, wohnst in einem großen Haus und hast einen schönen Garten.« Victoria griff nach ihrer Aktentasche. »Ein bisschen was zum Haushalt musst auch du beitragen. Andere Mütter müssen ins Altersheim, da ist es bestimmt nicht so angenehm wie hier. Tschüss, bis heute Abend.« Mit einem Kopfnicken drehte sie sich um und verließ das Haus. Sie war ja schließlich in Eile. Gerda ließ sich auf den nächstbesten Stuhl fallen. Sie war geplättet. Was ihre Tochter ihr gerade so ganz nebenbei aufs Brot geschmiert hatte, das war schon … Was war es eigentlich? Es war eine Ungezogenheit. Nein, es war eine Schweinerei, so etwas zur eigenen Mutter zu sagen, ihr einfach zwischen Tür und Angel mit dem Altersheim zu drohen, obwohl sie keinerlei Gebrechen hatte und durchaus alleine leben konnte. Das war schon harter Tobak. Die hat wohl vergessen, dass es gewissermaßen mein Haus ist und eigentlich sie selbst froh sein müsste, mit ihren Mädels hier wohnen zu dürfen, überlegte sie wütend weiter. Andersherum wird also ein Schuh daraus. Aus rein steuerlichen Gründen hatte Gerda ihrer Tochter das Haus bereits zu Lebzeiten überschrieben, und jetzt so zu tun, als müsste sie auch noch dankbar sein, nicht abgeschoben zu werden, war einfach unglaublich. Gerda erhob sich und lief zum Fenster. Ihre Gedanken analysierten weiter. Und nicht zu vergessen, sie hatte lebenslanges Wohnrecht. Dennoch lud ihr die Bande trotz des geschenkten Hauses auch noch den ganzen Haushalt auf den Buckel und schämte sich nicht einmal dafür. Nach Augusts Tod war das alles nahtlos über die Bühne gegangen. Sie hatten wohl gedacht, dass es am einfachsten sei, wenn Gerda bei ihrer bisherigen Aufgabe blieb und weiterhin Haus und Hof versorgte. Gerda drehte sich um und schüttelte unentwegt den Kopf. Sie hätte heulen können, aber die Wut verbot ihr strikt, diesem Wunsch nachzugeben. Also ging sie erst einmal wieder in ihr Zimmer. Sie musste jetzt nachdenken. Auf der kleinen Kommode stand das gerahmte Bild von ihrem verstorbenen Mann August, der sie mit seinem strengen Gesichtsausdruck mahnend ansah. Wenn sie nur lange genug draufschaute, siegte die täuschende Wahrnehmung, dass sich seine streng blickenden Augen vergrößerten und hervorstachen. Ja, es entstand sogar der Eindruck, dass sie sich bewegten. »Du brauchst mich gar nicht so...