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E-Book, Deutsch, 400 Seiten, ePub

Herngren Scheidung

Ein Roman
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-0369-9654-7
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Roman

E-Book, Deutsch, 400 Seiten, ePub

ISBN: 978-3-0369-9654-7
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Bea und Niklas sind seit über dreißig Jahren ein Paar. Mit zwei Töchtern im Teenageralter und einer komfortablen Wohnung mitten in Stockholm führen sie eine glückliche Ehe. Als Niklas eines Abends nach einem belanglosen Streit ohne Erklärung die Wohnung verlässt, ist Bea fassungslos. Sie erwartet, dass er reumütig nach Hause kommt, sobald er sich beruhigt hat. Aber die Stunden vergehen ohne Nachricht von Niklas. Stattdessen verhärten sich die Fronten, und die Lage spitzt sich zu: Bea muss nicht nur erfahren, dass Niklas eine andere Frau kennengelernt hat, er hat zudem keinerlei Interesse, über die plötzliche Krise zu sprechen, und fordert die Scheidung. Doch kommt die Scheidung wirklich aus heiterem Himmel? Ist der Verlassende immer der Bösewicht? Was kommt zum Vorschein, wenn man beginnt, an der Oberfläche zu kratzen?

MOA HERNGREN, geboren 1969, ist die schwedische Autorin der Beziehungsdramen Scheidung, Schwiegermutter und Geschwister. Sie ist Journalistin, ehemalige Chefredakteurin der Zeitschrift Elle sowie Co-Autorin der Netflix-Hitserie Bonus Family. Bei Kein & Aber erscheinen die schwedischen Bestseller erstmals in deutscher Übersetzung.

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BANÉRGATAN, STOCKHOLM

Juni 2016

Sie wälzt sich im Bett herum, den verdrehten Bettbezug zwischen den Beinen. Die Daunendecke ist schon seit Mai weggeräumt, sie liegt ganz oben im Schrank auf Niklas’ Bettseite. Das grelle Licht der Sommernacht dringt wie spitze Nadeln durch die Vorhänge. Daran, dass es nie richtig dunkel wird, kann sie sich nicht recht gewöhnen. Während der warmen, hellen Nächte fällt sie meist nur in ein unruhiges Dämmern. Hat sie überhaupt schon geschlafen? Schwer zu sagen.

Bea streckt sich nach ihrem Handy. 00:41. Keine Nachrichten. Wahrscheinlich ist er auf dem Heimweg. Oder bricht zumindest gerade auf. Hat das Daphne’s überhaupt so lange offen? Sie klickt auf die Messenger-App und macht sich daran, eine versöhnliche Nachricht zu formulieren. Vielleicht ist sie vorhin zu hart mit ihm gewesen?

Mitten in der Nachricht hält sie inne. Denkt sich ein paar Stunden zurück. Entschuldigen, warum eigentlich? Er ist derjenige, der um Verzeihung bitten sollte, und sie sollte wütend sein. Sie ist wütend. Schließlich hat ja nicht sie vergessen, die Rechnung von Destination Gotland zu bezahlen und dafür gesorgt, dass sie noch eine ganze Woche in der Stadt festsitzen, weil die Fähre bis zum nächsten Samstag komplett ausgebucht ist. Erst dann gibt es wieder einen freien Autoplatz – auf der Nachtfähre. Abfahrt 01:10, Ankunft 04:25.

Eine Woche eingepfercht in einer stickigen Wohnung, statt gemütlich in Hogreps im Garten zu liegen und mit dem Fahrrad in die Dünen bei Grynge zu fahren, wenn es zu heiß wird. In der Nase den mit der Brandung heranrollenden Duft nach Seegras und Salz, das kühlende Nass nur ein paar Schritte entfernt. Aber nein, daraus wird nichts. Jetzt liegt sie hier, schwitzend, schlaflos, gefangen in einem Vakuum.

Bea spürt ihren Puls wieder steigen. Wie zum Teufel konnte er das nur vergessen? Wo sie ihn doch noch mehrmals erinnert hat.

Warum hast du die Rechnung nicht einfach selbst bezahlt? Wäre das nicht einfacher gewesen, als mich damit zu nerven?

Weil sie sich schon um alles andere gekümmert hat. Weil es wie üblich Bea gewesen ist, die den Sommerurlaub geplant, die Tickets gekauft, mit den Nachbarn das Blumengießen organisiert, ihnen den Ersatzschlüssel übergeben und alles Nötige für die Reise eingekauft hat.

Nur für eine einzige Sache sollte er die Verantwortung übernehmen. Und da besitzt er die Dreistigkeit, sauer zu werden? Auf sie? Ihr Körper spannt sich vor Wut an, und sie wirft sich ein weiteres Mal halb herum. Verfluchter Volltrottel. Der Schweiß fließt, obwohl alle Fenster der Wohnung sperrangelweit offen stehen. Wenn sie nicht so müde wäre, könnte sie aufstehen und in die Küche gehen, ein paar Kühlakkus in ein Handtuch wickeln und sie sich auf den Bauch legen. Zu müde zum Aufstehen, zu heiß zum Liegenbleiben. Zu sauer zum Einschlafen. Ein Klicken im Flur, sie zuckt zusammen.

Ein Schlüssel im Schloss. Da kommt er. Wahrscheinlich beschwipst nach ein paar Bier zu viel. Vielleicht immer noch eingeschnappt. Oder der Rausch ist schon in Reue übergegangen und bringt ihn dazu, sich von hinten an sie zu schmiegen und eine atemlose Entschuldigung zu flüstern. Als könnte er damit wiedergutmachen, dass er die ganze Woche verdorben hat. Nein, sie ist noch nicht bereit, ihm zu verzeihen. Schritte im Flur. Die Klotür geht auf. Bea horcht aufmerksam. Aber die Schritte sind zu leicht. Nackte Fußsohlen, die über das knarrende Parkett tapsen. Ganz anders als Niklas’ rücksichtsloses Gepolter und Geklapper, wenn er frühmorgens nach Hause kommt und sich noch ein Brot schmiert und mit dem Wasserhahn hantiert.

»Oh, entschuldige, hab ich dich geweckt?«, fragt er dann.

Zweiunddreißig gemeinsame Jahre, und er hat immer noch nicht kapiert, dass sie einen leichten Schlaf hat.

»Liebst du mich noch?«, fragt er dann mit schiefgelegtem Kopf und Verzeih-mir-Blick, und Bea antwortet, ja natürlich, obwohl sie genervt ist.

Mitunter fragt sie sich, wie sehr diese Genervtheit wohl an ihrer Liebe zehrt. Doch in diesem Moment hofft sie trotzdem, dass es Niklas ist. Dass er einmal ihretwegen vorsichtig auf Zehenspitzen läuft und ihm klar ist, was er getan hat. Oder was er vielmehr nicht getan hat. Aber die Schritte entfernen sich wieder und verstummen dann ganz.

Die Neugierde zwingt ihre Beine über die Bettkante, ihre Zehen berühren das Eichenparkett. Der fensterlose Durchgang zur Küche ist dunkel und voller Schatten. Es ist ganz still, bis auf ein Murmeln, das aus Alexias Zimmer zu kommen scheint. Vorsichtig öffnet Bea die Tür einen Spaltbreit. Die Vorhänge sind zugezogen, der Schein, der den halb nackten Körper ihrer Tochter teilweise beleuchtet, kommt vom iPad auf dem Schreibtisch, eine amerikanische YouTuberin hält einen schrillen Monolog. Alexia schnappt sich den bodenlangen Wickelrock aus hellblauer Baumwolle, den sie von Bea geerbt hat, und verdeckt hastig ihre Brust.

»Scheiße, kannst du vielleicht klopfen?«

»Entschuldige.«

»Meine Güte …«

Bea wird sich plötzlich ihrer eigenen Nacktheit bewusst. Fühlt sich unter dem peinlich berührten Blick ihrer Tochter abstoßend und hässlich. So, wie sie sich ohnehin zusehends wahrnimmt. Die Strapazen der Wechseljahre treffen sie mit ebenso unerbittlicher Wucht wie einst die monatlichen Krämpfe und das Bluten. Ausscheidungen und Trockenheit an den falschen Stellen. Klatschnass unter den Achseln und staubtrocken zwischen den Beinen. Herzlichen Dank auch.

»Bist du eben erst heimgekommen?«, fragt sie und versucht gleichzeitig, sich so zu positionieren, dass die Tür zumindest ihren Unterkörper verdeckt.

»Ja …? Du hast doch ein Uhr gesagt«, brummt Alexia.

»Stimmt. Und Alma? Wolltet ihr nicht auf dieselbe Party?«

»Hä? Nein.« Ihre Tochter schüttelt den Kopf und wendet mit angewiderter Miene den Blick ab. »Könntest du jetzt vielleicht …«

Stimmungsmäßig liegen Mutter und Tochter fast gleichauf. Beide gleich reizbar, wenn auch an verschiedenen Enden der weiblichen Fertilität. Merkwürdigerweise scheint Alma vom Wüten der Hormone bisher weitgehend unberührt, sie ist noch weich. Alexia und Alma. Yin und Yang. Zwillinge, die sich nie ähnlich waren. Schon im Bauch hat sich das so angefühlt. Natürlich schläft Alma schon. Bea war zu beschäftigt mit ihren eigenen Gedanken, um zu registrieren, wann ihre Tochter ins Bett gegangen ist, erinnert sich nun aber vage, dass sie Gute Nacht gesagt hat.

Sie schiebt sich rückwärts aus dem Zimmer und schließt die Tür. Macht einen kurzen Abstecher in den Flur, und auch wenn sie weiß, dass Niklas’ Leinenjacke nicht dort hängt, kontrolliert sie trotzdem seinen leeren Haken. Im Schuhregal unter der Garderobe stehen Almas Reitstiefel und Ballerinas ordentlich aufgereiht neben Alexias schmutzigen Sneakern, Beas Birkenstocksandalen und Niklas’ Loafers und Joggingschuhen. Ein Meer aus Jacken und Schuhen. Die ganze Familie auf einem Haufen und doch verstreut.

Bea geht zurück ins Schlafzimmer, das sich jetzt noch wärmer anfühlt. Die Luft ist stickig, obwohl die Balkontür zum Hof offen ist. Gleich neben der Tür steht auch der hässliche, sündhaft teure Ventilator, den Niklas gekauft hat. Sie hätte vor dem Hinlegen die Fernbedienung suchen sollen, war aber zu müde.

Jetzt setzt sie sich auf seine Bettseite und zieht die Nachttischschublade auf. Ein E-Reader und Antiallergika, schlicht und einfach. Ganz anders als Beas überladene Schublade, vollgestopft mit Handcremetuben, Büchern und Krimskrams. Schließlich findet sie die Fernbedienung auf dem Fenstersims, dreht den Ventilator voll auf, und zu seinem monotonen Brummen gerät die Luft im Schlafzimmer endlich in Bewegung.

03:31. Sie muss geschlafen haben, denn sie fährt mit einem Ruck hoch. Noch immer liegt sie auf Niklas’ Bettseite, nun fröstelt sie fast ein wenig. Sie zieht den Bettbezug über sich und tastet nach dem Handy auf der anderen Seite des Doppelbetts. Keine Nachrichten. Keine verpassten Anrufe. Die Wut macht sie hellwach.

Wo zum Teufel bist du?

??

Hallo!?

Antworte!

Jetzt wird sie richtig sauer. Warum reagiert er nicht? Kein Wort der Entschuldigung, kein »verzeih mir«. Stattdessen bleibt er die ganze Nacht weg, ohne sich zu melden, wie ein Teenager. Das ist nicht okay. Überhaupt nicht okay. Bea bleibt im Bett liegen und kocht vor Wut. Das Daphne’s hat jetzt definitiv zu. Sie schaut auf ihr Handy. Greift danach, legt es wieder hin. Schiebt es beiseite. Greift wieder danach. Wartet. Aber kein Piep. Obwohl es im Zimmer kühl ist, glühen ihre Wangen.

04:48 und das Bett ist von Beas rastlosem Wälzen völlig zerwühlt. Warum meldet er sich nicht? Ja, er ist manchmal zerstreut und nervig, aber er würde sie doch nie mit Absicht beunruhigen. Selbst wenn er beruflich unterwegs ist, geht er immer ran. Mit einer Ausnahme vorigen Herbst, als Alexia während ihres Filmdrehs Probleme und er auf einer Ärztekonferenz in Kenia sein Handy ausgeschaltet hatte.

Dank einer ganzen Menge hilfsbereiter Menschen bekam sie ihn schließlich ans Telefon, draußen auf dem Indischen Ozean, obwohl er offenbar lieber schnorchelte, als sich um seine Tochter und seine Familie zu kümmern. Später, als ihm sein Verhalten leidtat, rief er mehrmals an, um sich zu entschuldigen. Aber jetzt scheint er in einem Funkloch verschwunden zu sein.

Was, wenn etwas passiert...


Herngren, Moa
MOA HERNGREN, geboren 1969, ist die schwedische Autorin der Beziehungsdramen Scheidung, Schwiegermutter und Geschwister. Sie ist Journalistin, ehemalige Chefredakteurin der Zeitschrift Elle sowie Co-Autorin der Netflix-Hitserie Bonus Family. Bei Kein & Aber erscheinen die schwedischen Bestseller erstmals in deutscher Übersetzung.

Martl, Katharina
Katharina Martl, geboren 1987, übersetzt aus dem Englischen und den festlandskandinavischen Sprachen. Sie lebt in München.

MOA HERNGREN, geboren 1969, ist die schwedische Autorin der Beziehungsdramen Scheidung, Schwiegermutter und Geschwister. Sie ist Journalistin, ehemalige Chefredakteurin der Zeitschrift Elle sowie Co-Autorin der Netflix-Hitserie Bonus Family. Bei Kein & Aber erscheinen die schwedischen Bestseller erstmals in deutscher Übersetzung.

Katharina Martl, geboren 1987, übersetzt aus dem Englischen und den festlandskandinavischen Sprachen. Sie lebt in München.



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