Hermann / Rausch | Der kleine Gast | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2/5, 504 Seiten

Reihe: Kette

Hermann / Rausch Der kleine Gast


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7583-9740-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 2/5, 504 Seiten

Reihe: Kette

ISBN: 978-3-7583-9740-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Im ersten Band waren sie noch Brautleute, die beiden Lindenberg-Töchter und ihre Verlobten. Jetzt, etwa sechs Jahre später, sind sie bereits gestandene Eheleute mit Nachwuchs - allerdings auch schon mit den ersten Rissen in ihren Beziehungen. Während der eine Ehemann sich schon aus dem Staube macht, hält Fritz Eisner noch die Stellung, obwohl auch er bereits die Sackgasse in seiner Verbindung mit Annchen erkennt, die in einer anderen Welt lebt als er. Die kleine Tochter Dorchen, gerade mal acht Monate alt und häufig Mittelpunkt des häuslichen Lebens, spielt gegen Ende des Romans die tragische Rolle. Unser Schriftsteller geht ganz im gehobenen Bildungsbürgertum auf, während Annchen aus ihrem engen Kleinbürgertum nicht herauskann. Trotzdem gelingt es Fritz Eisner, beide Welten in einer großen Feier zusammenzuführen - ein Panoptikum des frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland, wobei auch kleinbürgerlicher Tratsch genüsslich ausgebreitet wird. Ein Schmunzeln bleibt für den Leser allemal. Aber außerhalb dieser Grenzen brandet das Berliner Leben, schlägt sich der Protagonist als Zeitungsschreiber für den Kulturteil durch und kämpft mit dem Aufbau seiner Existenz als Schriftsteller. Nicht der Pfaffe, nicht der Richter, nicht der Kaiser und auch nicht der Staat sind Siegelbewahrer der Menschlichkeit - nein, der Schriftsteller ist es! Und tatsächlich gelingt ihm schließlich der Durchbruch mit seinem neuen Roman (Jettchen Gebert). Gleichzeitig kümmert er sich um die Versorgung der schwerkranken Schwägerin und ahnt einer alten Liebe hinterher. Das meist jüdische Milieu fällt dabei fast nie ins Gewicht. Nur einmal blitzt der antisemitische Zeitgeist des späten Kaiserreichs auf. Einmal mehr setzt Georg Hermann ein Zeichen für Toleranz, Verständnis und Duldung - auch für noch so verschrobene Literaten und einen Morphinisten. Zahlreiche Beziehungen in Fritz Eisners Umfeld entsprechen nicht gerade dem Zeitgeist. Kritik? Fehlanzeige! Üble Bankrotte, dunkle Geschäfte und seltsame Erbschaften, es fehlt an nichts. Alltag eben, kein Schickimicki. Ein jeder ist und bleibt ein kleiner Mensch - mag er noch so bedeutend scheinen! Und dann noch das: Ein erschütternder Todeskampf mit tragischem Ausgang überschattet die Familie Eisner. Wer Georg Hermann verstehen will, muss das autobiographische Vermächtnis seiner Romanreihe Kette lesen! Lebensweisheiten und Zeitgeist in einer unterhaltsamen Verpackung.

Leider kennen heute nur noch wenige Leser den Autor Georg Hermann (1871 - 1943), allerdings lassen die neuesten Ver-lagsaktivitäten auf Besserung hoffen. Geboren als Georg Borchardt in einer jüdischen Berliner Familie, wählte er später den Vornamen des Vaters als seinen Nachnamen. Neben seiner kaufmännischen Lehre interessierten ihn vor allem Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie. Sein literarischer Werdegang begann Ende des 19. Jh., während er beim Statistischen Amt in Berlin beschäftigt war und für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften schrieb. Vor dem 1. Weltkrieg zog es ihn von Berlin nach Neckargemünd und er war maßgeblich an der Gründung des SDS, des Schutzver-bands Deutscher Schriftsteller, beteiligt, zum Schutz der Schriftsteller vor Ausbeutung durch die Verlage. In der Nazizeit war er gezwungen, das Land zu verlassen. Im holländischen Exil wurde er jedoch nach Auschwitz deportiert und von den Nazis ermordet. Seinen literarischen Ruhm - häufig wurde er nach seinem Vorbild als "jüdischer Fontane" bezeichnet - begründeten vor allem zwei Romane: "Jettchen Gebert" (1906) und die Fortsetzung "Henriette Jacoby" (1908), beide ein Millionenerfolg! Ihr gesellschaftlicher Hintergrund ist die Biedermeierzeit um 1840. Zahlreiche weitere Romane sollten folgen (insgesamt knapp zwanzig). Den stärksten autobiographischen Bezug haben die Romane der sogenannten "Kette", das sind insgesamt fünf Werke mit der Titelfigur Fritz Eisner, wovon die beiden ersten ("Einen Sommer lang", "Der kleine Gast") Ende des 19. Jh. bzw. zu Beginn des 20. Jh. spielen. Sie wurden eine Zeit lang in einer Kassette unter dem Titel "Die steile Treppe" zusammen verkauft. Der dritte Teil der Pentalogie, "November achtzehn", spielt in den letzten Tagen des 1. Weltkriegs. Die beiden letzten Teile ("Ruths schwere Stunde", "Eine Zeit stirbt") führen uns in die Zeit unmittelbar nach dem Krieg 1919 bzw. in die Hochinflationszeit 1923.

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Es war damals, als die Gans noch einen guten Groschen auf dem Markt kostete, und man ein Kalb um fünf Groschen Preußisch Kurant kaufen konnte. So beginnen oft die Geschichten in alten Chroniken. Nun, eine Gans konnte man »damals« – das heißt in der Zeit, von der ich hier rede, schon nicht mehr um einen guten Groschen kaufen. Der Markt war auch unmodern geworden. Man liebte die Manieren der Marktleute nicht mehr. Man schätzte es nicht als belustigend, Kohlköpfe, Kalbsknochen und Schimpfworte nachgeworfen zu bekommen, wenn man etwa die Preise zu hoch und den jungen Spinat zu alt und zu welk fand. Man kaufte nicht nur Spachtelblusen, sondern auch Gänse an Ausnahmetagen im Warenhaus. Und sie kosteten – ebenso wie diese – fünf bis sechs Mark. Und, wenn sie besonders reich durchbrochen ... ach nein besonders fett und schwer waren, wohl auch ein kleines Goldstück oder einen Zehnmarkschein – was ehedem (wie man sich wohl nicht mehr erinnern wird!) das gleiche war; weil, wie auf dem Schein zu lesen, die Reichsbank sich für verpflichtet hielt, das Papier jederzeit gegen Gold einzuwechseln. Und so etwas, wenn man sie beim Wort nahm, auch wirklich tat. Ich will nicht unnütz abschweifen, aber ich habe eigentlich nie recht verstanden, warum eine Spachtelbluse stark durchbrochen teurer sein soll als eine weniger durchbrochene, da man doch den Stoff und nicht sein Fehlen bezahlt. Das wäre doch genau das gleiche, als ob eine Scheibe Schweizerkäse um so teurer würde, desto größer die Löcher wären. Warum aber eine fette Gans mehr kosten sollte als eine magere, das habe ich schon eher begriffen. Im Augenblick will es mir zwar scheinen, als ob zwischen den beiden Dingen – sofern man eine Gans als ein Ding bezeichnen darf?! – irgendwelche geheimnisreichen Beziehungen wechselseitiger Art sind, indem die Fleischfülle der Gans und die Abmessungen der Durchbrüche der Spachtelbluse ... aber, dieses Trick Track von Gedanken schwebt doch nur wie ein formloser Nebel im Halbdämmer meines Unterbewußtseins, und es weicht immer wieder scheu vor dem klaren Licht einwandfreier Erkenntnis in sein Nichts zurück. Und besonders deshalb soll es auch unerörtert bleiben. Außerdem aber steht es nicht zur Diskussion und würde uns nur vom Thema entfernen. Wieviel jedoch »damals« ein Kalb kostete, entzieht sich meiner Wissenschaft. Was aber hätte man auch mit einem ganzen Kalb tun sollen?! Man erstand ein Pfund Kalbsschnitzel oder im besten Fall, wenn Besuch erwartet wurde, ein paar Pfund Kalbskeule. Beides war nichts Besonderes. Man zahlte es, sozusagen, mit der linken Hand ... wenn man es nicht beim Schlächter anschreiben ließ und schuldig blieb. – (Eine Tatsache, die weniger bedauerlich für den Schlächter als für den Kunden sich auswirkte, denn der Schlächter kam dabei, durch doppelte Buchführung, zum Schluß immer noch auf seine Rechnung.) Also, – um es endlich zu sagen! – »Damals« also war es, ... als viele Leute gerade noch jung waren, sich eben noch so nennen durften, mit ihren Fünfundzwanzig oder Dreißig oder ein wenig mehr, die es heute nicht mehr sind. Und die sich jetzt nur lächerlich machen würden, wenn sie darauf Anspruch erhöben. »Damals« also war es, ... als viele Leute, die nicht mehr jung waren, doch noch aufatmend, im rötlichen Glanz einer abendlichen Frühlingssonne durch die Alleen gingen ... Leute, die es heute nicht mehr tun, noch je wieder tun werden. »Damals« also war es, ... als auf den umbuschten Spielplätzen vor roten Dutzendkirchen – das heißt sie heißen so, weil dreizehn aufs Dutzend gehen! – die Jungen, kreischend wie die Mauersegler, wie der Vogel Wupp von Hermann Löns, Jagd, Zeck, Räuber und Stadtsoldat spielten und um die Füße der Spaziergänger tollten ... die gleichen Bengel, die zumeist heute längst – sofern sie nicht auf dem Meeresgrund schlafen – weit abseits von Wilmersdorf und Friedenau und seinen linden- und ulmenbestandenen Straßen unter den Birken Rußlands ... den Steineichen Kleinasiens ... den Platanen des Balkans ... den Tannen der Vogesen und der Alpen ... in dem schweren Boden Flanderns ... in dem kreidigen Lehm der Rebenhügel der Champagne ... und weiß Gott noch wo sonst ... Dauerquartier bezogen haben, vorzeitig und traurig genug. »Damals« also war es, als der Admiral des Atlantischen Ozeans dem Admiral des Stillen Ozeans seinen Gruß entboten hatte. Als Nogi2 seine Netze um Mukden3 und Port Arthur4 zog. Als der kleine Zuckerjunge Lebaudy5 Jacques I., König der Sahara werden wollte. Als der Goethe-Bund eine Schiller-Stiftung machte (dreitausend Mark). Als Wilhelm Busch uns »zuguterletzt« mit seinem müdesten Lächeln grüßte. Als Ferdinand Bonn6 im Aufstieg und der Dreschflegelgraf7 schon im Abstieg war. Als täglich in Deutschland, allwöchentlich in Berlin, ein Denkmal beschlossen, bestellt, abgeliefert und enthüllt wurde ... das heißt nur selten alles auf einmal. Als Peter Hille8 erschlagen wurde und starb, und für Liliencron9 zum zehntenmal man sammelte. Als Robl10 von vielen Tausend dagegen umjubelt, Sieger im Goldenen Rad von Friedenau wurde. Als Lautenburg Abschied vom Residenztheater nahm, und die Bäckergesellen streikten – ohne, daß sich ursächliche Zusammenhänge feststellen ließen. Als Leoncavallo11 auf Befehl des Kaisers den Roland von Berlin12 komponierte, und das Scheunenviertel, als einer Stadt wie Berlin unwürdig, niedergelegt wurde. Als der Lippesche Erbfolgestreit die Welt erschütterte und das erste (oder war es nicht das erste? Ich beuge mich gern besserer Einsicht) Automobil-Gordon-Benett-Rennen gefahren wurde. Als das Kino noch in bescheidenen Sälen hauste und sich »Lebende Photographie« nannte; und der »Kluge Hans« uns staunen machte, bis die Wissenschaft kam und uns nachwies, daß die Pferde keinen Verstand hätten, sondern nur die Menschen. Als der Straßenbahn zugerufen wurde: »Drunter durch!«, wie sie die Linden überqueren wollte; und als irgend ein Kanzler die Geschicke leitete, den die einen für bedeutend und die anderen für unbedeutend hielten – je nach dem politischen Glaubensbekenntnis. Als der Expressionismus noch nicht so getauft und kaum erfunden war, und man über Manet und Cézanne und van Gogh doch nicht mehr lachen durfte. Als jeden Tag ein neues Wunderkind in den Konzertsälen auftauchte, und die Yvette Gilbert13, schon etwas ältlich, noch ihre Chansons polterte, trällerte, lispelte und weinte, daß es einem den Rücken entlang lief. Als es hieß, der Kronprinz sollte eine Weltreise machen, und der Bau des Teltowkanals mache ebenso rüstige Fortschritte. Als Ibsen14 schon Abschied nahm und Shaw bei uns die Klinge in die Hand gab. Als jede Woche ein neuer Straßenzug draußen im Westen, in den Vororten entstand; und jeden Monat ein neues Warenhaus eingeweiht wurde, mit Zeitungsartikeln und Festreden, als wäre es ein neuer Petersdom ... Damals, als die einen arbeiteten, um zu leben, und die anderen lebten, ohne zu arbeiten – und man eigentlich, gerade wie heute, nur dann wirklich menschenwürdig existieren konnte, wenn man das Glück hatte, zu den letzten zu gehören. Also damals, damals, damals war es ... so vor achtzehn, neunzehn Jahren, als viele Leute eben noch jung waren, die es heute nicht mehr sind. Und von ihnen wird die Rede sein. Manche werden sagen, es war noch die guuute, alte Zeit. Gewiß: Die Welt und jeder auf ihr hatte seine schlimmsten Erfahrungen noch nicht gemacht. Das Leben eines jeden lief ab wie ein Eisenbahnzug, von dem man ungefähr im voraus bestimmen kann, wo er hinfährt, wie schnell er fährt, ob er anlangt, und wann er anlangt, und welche Klassen er führt. Das galt für den Einzelnen wie für den Staat selbst. Man glaubte noch irgendwie an das Kursbuch. Es war wie eine geheiligte Überlieferung einer gerechten Weltordnung. Und man hatte das Recht, es zu tun. Natürlich gab es Reiche und Arme; auch Elende und Obdachlose genug ... aber die hatten sich das selbst zuzuschreiben – warum hatten sie kein Geld?! Und die Krankenhäuser füllten sich auch und lieferten ihre Frachten auf den Friedhöfen ab, um sich wieder zu füllen. Aber endlich wurde niemand angehalten, krank zu sein; und jedem stand, solange er atmete, irgendwie die Welt offen. Da war Paris, da war Italien, da war Kopenhagen und Amsterdam oder Zürich und selbst drüben Amerika. Und wenn man einmal da war, konnte man da ebenso gut essen und leben und sein Heil versuchen, wie wo anders oder zu Hause gerade auch. Es kümmerte sich kein...



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