Herget | Die Liquidatorinnen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 104 Seiten

Herget Die Liquidatorinnen


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7557-2286-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 104 Seiten

ISBN: 978-3-7557-2286-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Land steht unter Strom. Aber es ist sich nicht einig, in welche Richtung die Weichen gegen Treibhausgase und die drohende Klimaerwärmung gestellt werden sollen. Noch gehen Franzi, Hedy und Irma dem Kraftwerkstorso beim Rückbau beherzt an die Armierung, ansonsten aber verengt sich der Ausblick auf die Energiewende zu einer ideologischen Schießscharte. Unter der Kuppel eines Kernreaktors begreift sich das Matriarchat als neue Avantgarde einer Arbeitsbrigade, die der Nation den Weg in eine grüne Zukunft weisen soll. Doch draußen lodern bereits die Feuer des Aufruhrs in den Torfmooren, sägen Partisanen an den neuen Stromtrassen, mit denen die Energiebarone von gestern den Reibach von morgen machen. Die scheinbar krisensicheren Jobs entpuppen sich in diesem nur leicht dystopischen Frauendrama als Elendsplackerei für den autoritären Landeshauptmann Pangraz, in den sich Irma unsterblich verknallt hat, für den sie aber nur neuen aus alten Schrott gewinnt, schwach radioaktive Liebesbezeugungen, die bis zum Schluss unerwidert bleiben. Als Franzis Geliebter Ambros, der als revolutionsfester Stenz dem Klassenkampf wie ein Peer-Gynt-Widergänger hinterherhechelt, durch Pangrazs Kugel stirbt, ist die Lunte gelegt für den blutigen Schlussakkord im Stil einer griechischen Tragödie. Zerschossene Hoffnungen und bigotte Unterwürfigkeiten haben die fleißigen Lieschen geschliffen und schicksalshaft ins Rattenloch der Big-Data-Ära gespült. In der kafkaesken Verbannung sind sie frei von jedweder Schuld, die Verrohung der Welt vollzieht sich außerhalb ihres Anschauungs- und Erfahrungshorizontes. Dieses Theater generiert surreale Momente um tragikomische Existenzen, Alltagsbeschreibungen monströser Arbeitsleben. Wie in seinen vorherigen Stücken entwirft der Autor in "Die Liquidatorinnen" beklemmende Bilder des Ausgeliefertseins, der Vergeblichkeit von Sprache und Bewegung, die über das Schicksal seiner Figuren hinausweisen. Sie zeigen in eine Welt, in der die Existenz des Einzelnen nichts zählt, seine mögliche Funktionsfähigkeit für die Gemeinschaft aber am Ende seiner Tage erneut geprüft wird.

Thomas Herget wurde 1964 in Frankfurt am Main geboren. Neben seinem Studium in Darmstadt publizierte er für Zeitungen im deutschsprachigen Raum. Es folgten literarische Förderpreise und Stipendien. Journalistische Tätigkeiten unter anderem für taz, Frankfurter Rundschau und Passauer Neue Presse. Heute verfasst er Film- und Theaterrezensionen, zeichnet für das Bühnen-Ressort eines Magazins verantwortlich und schreibt für Hörfunk und Theater. Er lebt in der Nähe von Kiel.

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Erste Szene: Vorspiel und Absolution
Theaterprobe in einem Reaktorgebäude. „Der Disneykiller“, sehr frei nach Philip Ridley. Annähernd völlige Dunkelheit. Ausgeleuchtet nur ein Kreis vorne an der Rampe, an der die junge Franzi unter improvisiert angeordneten Leuchtkörpern fürs monologische Vorsprechen übt. Irma und Hedy unsichtbar an den Seiten, anfangs sind nur deren Stimmen zu hören, die Franzi kaum wahrnehmbar, doch unnachgiebig soufflieren. FRANZI Da stand ich vor dem Altar, mit sieben tollwütigen Tieren, die durch den Mittelgang auf mich zukamen. Ich hab ein paar alte Bibeln genommen und nach ihnen geworfen. Hat nichts genützt. Die Hunde haben die Bibeln zerfetzt. Ich hatte solche Angst. Und die Hunde rochen das. Meine Furcht. Sie wurden davon angezogen. Sie kamen immer näher und näher. Ich konnte ihren Atem auf meiner Haut spüren. Heiß und nach Kotze stinkend. Ich wich zurück. Stolperte ein paar Stufen hoch. Ich wollte beten. Aber ich konnte nicht. Ich wusste, wenn ich beten oder ein Kirchenlied singen könnte, dann würden sie mich in Ruhe lassen. Aber ich konnte nur schreien. Dann fiel mich einer der Hunde an. Ich sprang hoch. Hielt mich an etwas fest. Es war glatt. Kalt. Hart. Ich begann zu klettern. Wie man auf einen Baum klettert. Ich war schon halb oben, als ich bemerkte, dass ich den Marmorkuchen vergessen hatte - HEDY - das Marmorkreuz. FRANZI - dass ich das Marmorkreuz vergessen hatte - IRMA - und geklettert. Du bist auf dieses Kreuz geklettert - FRANZI genervt - dass ich auf dieses scheiß Marmorkreuz geklettert war und mich mit meiner Brust fest an die Brust von Christus drückte. Ich fühlte mich so getröstet und in Sicherheit. Dann schnappte der Hund nach meiner Scham. Riss mir die Klamotten vom sündigen Leib - HEDY - Moment. Das steht hier nicht. Man hört sie blättern. IRMA Wir hätten ‚Die gelbe Tapete‘ nehmen sollen. Irgendein feministisches Stück. HEDY Hier steht, dass der Köter nach ihrem Fuß schnappte und ihr einen Schuh stibitzte. IRMA Jedenfalls keinen englischen Autor. Wer zeichnet eigentlich für den Spielplan verantwortlich? Diese moderne Sprache begreift keine Socke, Hedy. Die Engländer versteht ohnehin niemand mehr. HEDY Es ist ein Spiel, Irma. FRANZI Hat der Ambros auch immer gesagt. HEDY verständnisvoll Lass ihn ruhig raus, Kleines. Sie und Irma treten ins Licht, den Dramenabdruck in Händen. FRANZI Sprich nicht über irgendwas, von dem du keine Ahnung hast, hat er gesagt. Dass mir Worte, die ich kaum aussprechen kann, mal über die Lippen kommen, das hätte er nicht mögen wollen, der Ambros. Warum soll ich mir über die Schönheit von Sätzen das Hirnkastl zermartern, wenn diese Ungetüme mir aus dem Mund purzeln wie heiße Kartoffeln? Wie ich ein junges Ding war, vor zehn Jahren vielleicht, da hab ich in dieser kleinen Stadt ohne Namen gewohnt, auf die konnte man gut schauen, weil die Fundamente für das Kraftwerk noch nicht gegossen waren, da waren sie alle hinter mir her von wegen, was ich alles mit dem Ambros angestellt hatte. Heiliger Pimmelprinz! Damals hätte keine einen Pfifferling darauf gegeben, dass aus diesem kümmerlichen Zipfel mal ein gefräßiger Drache aufsteigen würde, am wenigsten der Ambros selbst. Anfangs ist der Pangraz noch zum Nacktbaden mitgewesen, alter Mostschädel, aber am Schluss nicht mehr, weil er sich beim Freimachen immer so genierte. Kartoffelbrei haben wir ihn genannt, wegen der Haut, die bleiche Sacknase. Wenn wir nicht in die Schule gehen wollten, haben wir uns unten am Fluss verkrochen, in einem Erdloch unter Dornengestrüpp. Mit den bloßen Händen hab ich das ausgehoben, was den Ambros auf die Idee gebracht hat, dort seine trotzkistische Bibliothek zu verbuddeln und ständig Blücher zu zitieren. HEDY nachsichtig Büchner. FRANZI Tod allen Hunden, die ihre Nase hier reinstecken, haben wir geschworen, und dann haben wir gelacht, weil wir doch selbst die übelsten Streuner waren, die in ihr Nest strullerten, wenn es draußen pisste. Während Tang und Treibholz unter den dunklen Brückenbogen flussabwärts geschwommen ist, hat der Ambros andauernd von der Schönheit der Revolution geschwärmt, was ich nie kapiert hab, weil im Grunde nur Madonna diese Schönheit beanspruchen darf. Oder Carly Simon. Natürlich auch Regentropfen. Viel Glück, Treibholz, hab ich dem also nachgerufen, auf seinem Weg nach Timbuktu, und dann hab ich mir die Lippen angemalt wie Madonna, so rot und nuttig, dass der Ambros gleich hat kommen mögen, direkt in meine Hand, die den zuckenden Zipfel fahrplanmäßig zur Wartung im Depot verdonnert hat. Anschließend bin ich dagesessen und hab mir einen Wassertropfen an einem Blattende angestiert. Der konnte sich nicht entscheiden, ob er fallen wollte oder nicht. Mir doch schnurz, denk ich, lass dir nur Zeit, du Tropfen, wir haben mehr Zeit, als wir je verplempern können. IRMA Sie sagen, du hättest ihn an die Revolte verloren. FRANZI Wer sagt so was? HEDY beschwichtigend Lass sie reden. IRMA Die Frauen aus Q9. FRANZI Plappern daher, weil sie den Drachen nie haben bändigen können. Geiferndes Gesocks. Wer ihn nie geritten hat, weiß nichts von der Schönheit des Schmerzes, des Glücks, wenn einem das Ungeheuer aus dem Sattel hebt. Ich denk, ich geh mal rüber zu den Jodelschnepfen und zerkratz ihre hübschen Gesichter. Irma, du solltest mal hören, was die aus T5 über euch sagen, diese Missgeburten von Schluckludern. Gerade über dich, Miss Piss-Piss. IRMA Was schert’s mich. HEDY zu Franzi Weine ruhig, wenn dir danach ist. IRMA Dann können sich die Tränen mit den Wassertropfen vereinen, zu einem Glück, irgendwo dort unten in Timbuktu. FRANZI Ihr ratscht wie steinalte Mütter. Bist ein antikes Muttchen, hab ich dir das schon gesagt, Hedy? Dieses letzte Stück Nähe sollte nicht verzehrt werden. Aufgespart gehört es, für finstere Zeiten, damit sie mich dann entzünden kann, diese Nähe. Die wärmt das Murmeltier noch wie eine Speckschicht, wenn alle guten Geister von ihm abgerückt sind. Lasst die vergossenen Tränen jetzt mal beiseite, die sind sowieso in ein paar Minuten verdunstet. IRMA Wir müssen den Text auch nicht zu Ende proben. Wir verfolgen ja kein didaktisches Ziel. HEDY Mitunter liegt die Kraft im Fragmentarischen. IRMA mitfühlend, zu Franzi Dann musst du die Worte nicht aus den Magen hervorquetschen. HEDY Nicht heute, nicht morgen. FRANZI Und das Vieh schnappte nicht nach meiner Vulva? IRMA Der Fuß war‘s. FRANZI im Deklamations-Modus, widerwillig Dann schnappt die Bestie eben nach meinem verdammten Fuß. In Gottes Namen, ja! Riss mir den Schuh herunter! Meine Zehen bluteten. Ein Blutstropfen landete im aufgerissenen Maul von einem der Hunde. Der drehte durch. Fing an, aufs Kreuz zu klettern. Ich aber kletterte höher, umklammerte mit meinen Beinen die Brust des Erlösers, hing mit aller Kraft an dessen Dornenkrone. Da fing der Sockel vom Kreuz zu bröckeln an. Alles fing an zu schwanken. Jeden Moment konnte es umstürzen und mich der Hundemeute ausliefern. Wie einen Muselmann den hungrigen Löwen - HEDY dazwischen - Christen - FRANZI - Wie einen Muselmann den hungrigen Christen - IRMA energisch Wie einen Christen den hungrigen Löwen! Franzi, jetzt müssen wir korrekt sein, in religiösen Fragen. Sie schaut ins Publikum, überfliegt den Zuschauerraum. Man weiß ja nie, wer zu Gast ist. FRANZI Ich dachte, es wäre ein Spiel. Habt ihr nicht gesagt, es ist ein Spiel? Hedy und Irma nicken. FRANZI Da wundert ihr euch, wenn ich Angst habe? Wenn die Franzi die Lippen von dem Christus küssen muss. Von einem fremden Mann! IRMA Die Franzi küsst mal gar nicht. Deine Rolle küsst. Franzi, du spielst nur. Es ist ein Spiel. FRANZI empört Und davon soll ich ergriffen sein? Kann mir mal jemand erklären, wie man da aus dem Häuschen sein soll? Wenn man genau weiß, es gibt da eine andere, die für einen spricht. Und dann noch irgend so nem Yeti an die Wäsche will. HEDY eindringlich Aber diese Frau hat dich gefunden. Versteh doch: nur dich! Die Figur spricht aus dir. Du musst sie nicht suchen, Franzi, sie hat längst Besitz von dir ergriffen. Du kennst doch dieses Mädchen im Nachthemd - Sie sucht den Namen. IRMA dazwischen - Regan. HEDY Dieses arme Hascherl aus ‚Der Exorzist‘. IRMA Ich denk, wir brechen ab. Außerdem hab ich Hunger. Sie und Hedy wollen sich schon abdrehen, als Franzi, die von ihrer Rolle neu entbrannt zu sein scheint, fortfährt. FRANZI Ich hatte solche Angst. Da hab ich die Lippen von diesem Christus geküsst. Rette mich, hab ich gesagt, lass das Kreuz nicht umstürzen. Aber im selben Moment fiel es um. Ich knallte auf den Boden. Die Hunde knabberten an meinen blutigen Fingern. Ich dachte, die fressen mich auf bei lebendigem Leib. Von wilden Hunden aufgefressen. Ich...



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