E-Book, Deutsch, 522 Seiten
(Herausgeber) / Kersten Spiegelungen
1. Auflage 2005
ISBN: 978-3-86596-015-3
Verlag: Frank & Timme
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Entwürfe zu Identität und Alterität: Festschrift für Elke Mehnert
E-Book, Deutsch, 522 Seiten
ISBN: 978-3-86596-015-3
Verlag: Frank & Timme
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Das gegenwärtige Europa ist im Umbruch. Seit den friedlichen Revolutionen und dem Fall der Sowjetunion verschieben sich Einflussbereiche so schnell wie nie zuvor in der Geschichte. Diese nationalen Verwerfungen, die eine Inkongruenz zwischen nationalen, sprachlichen und kulturellen Grenzen entstehen lassen, sind nicht nur ein Problem des 20. Jahrhunderts, sondern Teil der gesamten Geschichte. Inmitten dieser Prozesse ist zu fragen, inwieweit in literarischen Texten kollektive Meinungsbilder hervorgebracht, verbreitet und verändert werden. Welche Bilder tragen wie zur Entstehung und Modifikation dieser Vorstellungswelten bei, wie strukturieren sie die Texte, wie leiten sie die Rezeption? Welche Potenzen gehen von ihnen aus, um wiederum in den Prozess der Entwicklung von Vorstellungen der Völker untereinander einzugreifen?
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhaltsverzeichnis;8
2;Vorwort der Herausgeber;12
3;Earl Jeffrey: Richards Ein äsopischer Werdegang mitten in den Dilemmata der deutschen Geschichte: Der Beitrag Elke Mehnerts zur Antike- Rezeption in der DDR Literaturwissenschaft und zur Weiterentwicklung der Imagologie nach 1989;24
4;Peter Jurczek: Geographische Nähe und Fremdheit Tschechiens zu Sachsen – Erkenntnisse zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit über die Grenze hinweg;42
5;Thomas Krause: „ We’re di forces of victri“ – Konstruktion von ethnischer Gewalt zur Verwirklichung von Bürgerrechten. Ein Essay;60
6;Jürgen Joachimsthaler: Dynamisierung der Bilder, Zeichen und Imagines Samuel R. Delanys Intervention ins Reich der Imagination(en);72
7;Eugen Kotte: Historisch orientierte Europabilder in Polen, Tschechien und Ungarn;122
8;Michail Logvinov: Zur Genese und Funktion der russischen Deutschlandbilder;162
9;Sandra Kersten: Von Deutschland über Amerika nach Russland und nicht ‚angekommen’? Angela Krauß’ „ Überfliegerin“;172
10;Jutta Radczewski-Helbig: Zur Darstellung der deutsch-jüdischen Beziehungen im Werk von Bernhard Schlink;188
11;Elzbieta Katarzyna Dzikowska Über den Katastrophensinn. Zum Heimatverlust bei Günther Anders und Joseph Roth;204
12;Manfred Frank Schenke: Johannes Bobrowski: „ Mäusefest“ – Ein Muster von Imagotypie?;214
13;Joanna Jablkowska „...Weil uns wieder einmal die Vergangenheit auf die Schulter klopft.“ Von den (vergeblichen?) Versuchen, den Fremden zum Freund zu machen. Günter Grass’ Im Krebsgang im Lichte seiner Publizistik;228
14;Janet Ilina: Das Bulgarienbild bei Angelika Schrobsdorff;246
15;Interview mit Angelika Schrobsdorff: geführt von Janet Ilina am 27.09.2004 in Burgas, Bulgarien;262
16;Veit Sorge: Die einstige deutsche Kolonie in Zarev Brod bei Schumen;270
17;Lenka Vomacková Das Bild der Roten Armee in der tschechischen Literatur am Beispiel von Kv ta Legátovás Novelle „Jozova Hanule“;284
18;Hubert Orlowski Landschaft und Natur als sinnstiftende Faktoren einer Regionalliteratur. Über Ostpreußens deutsche Literatur vor 1945;294
19;Jürgen Klose Der Prinz aus Kumba Auch zum Europabild bei Jakob Michael Reinhold Lenz und Christoph Hein;316
20;Uwe Hentschel: Das Bern des Ancien Régime in der deutschen zeitgenössischen Literatur;342
21;Manfred Beller: Johann Gottfried Herders Völkerbilder und die Tradition der Klimatheorie;354
22;Günter Peters Fremdheit und Nähe des Mythos in Literatur und Musik. Deutungen des Prometheus bei Herder, Nietzsche, Liszt und Wagner;378
23;Regina Hartmann: Authentischer Reisebericht – literarische Phantasiewelt? Theodor Mundts Reise zu den Goralen der Karpaten im Jahre 1839;404
24;Detlef Haberland: Paul Fleming – Reise, Rhetorik und poetische;414
25;Dietmar Schubert: „ Zeuch in die Mitternacht/ in das entlegne Land“ – Rußlandbilder in den Gedichten Paul Flemings und in der Reisebeschreibung des Adam Olearius;434
26;Karlheinz Hengst: „Es gibt keine bösen Völker, nur böse Menschen“ – Beobachtungen zum Slawenbild im Mittelalter Die Slawen als Nachbarn der Deutschen aus der Sicht eines Bischofs in Mitteldeutschland vor 1000 Jahren;454
27;Die Beiträger des Bandes;516
28;Die Forschungsgruppe „Komparatistische Imagologie“ an der TU Chemnitz;520
Thomas Krause
„We’re di forces of victri" – Konstruktion von ethnischer Gewalt zur Verwirklichung von Bürgerrechten. Ein Essay (S. 59-60)
Manchmal ist es so, dass Menschen glauben, eine Mode zu verstehen oder sich etwas Fremdem verbunden fühlen, das ihnen eigentlich verschlossen ist. Es gibt in der Forschung genügend Beispiele für dieses Missverständnis und der Einwand, das könne ein Forschungsgegenstand der Soziologie sein, ist natürlich richtig. Doch andererseits beschäftigen sich andere Teildisziplinen mit diesem Gegenstand und stellen sich dieser Frage. Auch die Vertreter der komparatistischen Imagologie haben sich dieser Auseinandersetzung nicht gescheut und sie angenommen. Diese Missverständnisse sind natürlich sehr verbreitet. Man denke an eine Kunstgalerie, in der moderne Werke ausgestellt sind. Beim Betrachten dieser Werke wird der Zuschauer bestimmte Gefühle, Empfindungen und vielleicht auch Lebenserfahrungen gespiegelt sehen, welche sein Nachbar ganz anders ausdrücken würde.
Fragt jedoch der Künstler des Werkes, welcher den Originaleindruck auf seine Art und Weise verarbeitet hat, was diese Menschen über dieses moderne, vielleicht auch schwer verständliche Werk aussagen würden, so entdeckt er häufig ein Phänomen, welches auch der Mode, dem Geschmack unterworfen ist. Die Zuschauer haben eine relativ einheitliche Meinung, unterworfen dem Zeitgeschmack und beeinflusst von der eigenen Vergangenheit. Mit anderen Worten, der Künstler lässt eine Freiheit der Interpretation, aber die Angesprochenen reagieren mit relativ einheitlicher Meinung. Auf dieses Problem stößt man auch, wenn man sich mit Literatur beschäftigt. Noch mehr, wenn man sich mit Texten auseinandersetzt, welche komplizierte Sachverhalte, beispielsweise zwischen Völkern oder Nationen, anhand von literarischen Bildern nachspüren möchten. „Political Correctness", Scheu vor dem Aussprechen unbequemer Dinge oder zu starke Parteinahme für eine Betrachtungsweise behindern manchmal die vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit Literatur.
Die Forschungsgruppe „Imagologie" hat auf dieses Problem schon hinsichtlich der „Supranationalität" aufmerksam gemacht, welche die möglichst vorurteilsfreie Betrachtung von literarischen Texten beinhaltet. Dass das ein Idealzustand ist, welcher eigentlich nie erreicht werden kann, ist uns in der Auseinandersetzung mit dieser Problematik bewusst. Aber die Auseinandersetzung mit Literatur ist eben diesen Zwängen der Interpretation oft unterworfen. Ein aktuelles Beispiel ist die deutsche Literaturkritik zum Werk „Disgrace" von J.M. Goetzee. In diesem Roman des Nobelpreisträgers wird die tragische Geschichte eines Hochschullehrers für „Romantic Poetry" erzählt, der als „Womanizer" sein gewähltes Leben zwischen Wissenschaft und Sex genießt. Als der wegen einer sexuellen Beziehung zu einer Studentin die Technische Universität Kapstadt verlassen muss, zieht er zu seiner lesbischen Tochter aufs Land. Als sie eine brutale Gruppenvergewaltigung marodierender Landloser ertragen muss und sich entschließt, die daraus resultierende Schwangerschaft auszutragen, kulminiert in ihrem Vater die Erkenntnis, dass Südafrika ein brutales gesetzloses Land ist, an dessen Entstehung die Weißen beteiligt waren, aber dessen Opfer sie ebenfalls sind. Um überhaupt leben zu können, muss man sich den für uns „kulturlosen archaischen Gesetzen" der schwarzen Bevölkerungsmehrheit unterwerfen.