Henzler | Immer am Limit | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Henzler Immer am Limit

Der Spitzenmanager von McKinsey erinnert sich
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8437-0088-7
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Der Spitzenmanager von McKinsey erinnert sich

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0088-7
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Herbert Henzler hat Generationen von Führungskräften ausgebildet und unzählige Unternehmen beraten. Zwanzig Jahre stand er dem deutschen Büro der weltweit größten Unternehmensberatung McKinsey vor, bevor er Chairman für Europa wurde. Seine Empfehlungen zum Umbau von Firmen waren oft heiß umstritten, aber der Erfolg gab ihm recht. Er gilt als brillanter Netzwerker und wirkte auch in der Politik, etwa als Berater des Wirtschaftsministers und Mitglied mehrerer Regierungskommissionen. In seiner Autobiographie nimmt Herbert Henzler uns mit in die Zirkel der Entscheider und berichtet vom Unterschied zwischen Strategiepapieren und dem Handeln der Menschen. Zugleich spiegeln seine Erinnerungen einen Teil der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Herbert Henzler gehört dem Advisory Council von McKinsey & Co. an und ist seit 1992 Honorarprofessor für Strategie- und Organisationsberatung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er ist in mehreren Aufsichtsräten, unter anderem von Hochtief und dem FC Bayern München, vertreten. Einmal im Jahr geht er mit Reinhold Messner und anderen Unternehmenschefs bergsteigen.
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Krieg und Kriegsfolgen – eine schwäbische Kindheit auf dem Dorf

Der Waschzuber war gemütlich. Immer wenn die Sirenen heulten, zog meine Mutter meinem Bruder Siegfried und mir die Trainingsanzüge an, ging mit uns Kindern in den Keller und legte uns in diesen Zuber. Der ältere Nachbarsbub Erwin, der später ein großer Fußballer wurde, kam beim ersten Sirenengeheul rüber und half mit. Unser Haus hatte den besten Keller weit und breit, so dass zehn oder zwölf Nachbarn bei Luftalarm ebenfalls hier Schutz fanden. Ich mochte es gern, im Dunkeln zu liegen und zu hören, wie sich die Erwachsenen um uns herum leise unterhielten. Nur wenn sie still auf das horchten, was draußen geschah und was ich noch nicht begreifen konnte, weil ich damals erst dreieinhalb Jahre alt war, spürte ich eine seltsame Anspannung.

Wenn wir am nächsten Morgen wieder hinauf ins Freie durften, lagen manchmal Dachpfannen auf der Straße, die von Tieffliegern durch die Luft gewirbelt worden sein mussten. Bomben gingen glücklicherweise nicht auf unser Dorf Neckarhausen nieder. Und somit wich die Anspannung der Erwachsenen schnell wieder dem üblichen geschäftigen Treiben.

Den größten Kriegsschaden erlebte ich an einem Vormittag spät im März des Jahres 1945, und zwar amtlich angekündigt. Der Gemeindebüttel fuhr mit seinem Fahrrad durch die Straßen, und alle dreihundert bis vierhundert Meter blieb er stehen, läutete eine Glocke und rief aus: »Achtung, Achtung, morgen früh um zehn Uhr wird die Neckarbrücke gesprengt!« Man solle die Fenster öffnen, um Glasbruch zu vermeiden, und die Kinder zur Sicherheit im Haus behalten. Als es so weit war, standen wir im Wohnzimmer am Fenster und hörten, wie der »Volkssturm« sein Werk vollbrachte, also jener Verband aller waffenfähigen Männer zwischen sechzehn und sechzig, die ab Oktober 1944 dazu aufgerufen worden waren, den »Heimatboden« zu verteidigen.

Kaum war die Explosion verhallt, da rannte ich hinunter zum Neckar. Es war ein brutaler Anblick: Dort, wo die Brücke gestanden hatte, ragten nur noch Trümmer aus dem Fluss. Der Lieblingsbolzplatz der älteren Kinder, auch einige Wiesen meiner Eltern auf der anderen Seite des Ufers, waren nach dem kurzen Knall unerreichbar geworden. Wenn ich heute die neue Neckarbrücke überquere, kommt mir Henry Kissinger, der ehemalige amerikanische Außenminister, in den Sinn. Er hatte einmal gesagt: »Drei Jahre dauert es, eine Brücke zu bauen, aber nur drei Minuten, sie in die Luft zu jagen.«

Der Krieg brannte sich mit Einzelsequenzen in mein Gedächtnis ein, war ich, im November 1941 geboren, doch noch zu jung, um genau zu begreifen, was in Deutschland vor sich ging. So erinnere ich mich, wie ein Mann in unsere Waschküche gestürmt kam und rief: »Der Feind ist hinter mir her!« Er warf sein Gewehr weg, riss sich die Uniformjacke herunter, betätigte den Pumpenschwengel und hielt Kopf und Oberkörper unter den Wasserschwall. »Nimm noch ein Stück Brot mit«, sagte meine Mutter. Der junge Mann griff dankbar zu, und dann war er auch schon wieder durch die Scheune auf dem Weg nach draußen. Später erklärte mir meine Mutter, dass es ein Soldat gewesen sei, der nicht mehr kämpfen wollte, der die Sinnlosigkeit des Krieges erkannte und dass er damit Recht hätte.

Meine Mutter stammte aus Wendlingen, wo wir die ersten drei Jahre meines Lebens bei ihren Eltern verbrachten. Nachdem britische Flieger dort Industriebetriebe bombardiert und dabei Wohnhäuser zerstört hatten, beschloss meine Mutter Mitte 1944 in das zehn Kilometer entfernte Haus meines Vaters nach Neckarhausen zu ziehen. Nach den Bombardements suchte sie für sich und ihre beiden Jungen Sicherheit.

Die Bilder von Feuer und Zerstörung waren also durchaus auch in meinem Kopf. Doch trotz der vielen Nächte im Luftschutzkeller kann ich mich nicht erinnern, dass ich jemals wirklich Angst gehabt hätte. Die einzige Erklärung, die ich dafür finde, ist meine Mutter. Sie gab mir und meinem Bruder immer das Gefühl, beschützt zu sein. Wie sie das schaffte, weiß ich nicht. Aber es muss sie viel Kraft gekostet haben.

Zwei Brüder hatte sie schon im Krieg verloren, der eine vermisst, der andere gefallen. Sie hatte die Trauergottesdienste miterlebt, in denen das Horst-Wessel-Lied, die Parteihymne der NSDAP (»Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen!«), in Hitler-Grußpose gesungen wurde und in der sie ihrer Mutter den Arm nach unten drückte. Sie selbst hatte mit einem Mann eine Familie gegründet, den sie kaum kannte. Es war eine Kriegstrauung, sie erfolgte innerhalb kürzester Zeit. Mein Vater – Albert Henzler war 1913 zur Welt gekommen und war im Frankreichfeldzug in Chalon-sur-Saône stationiert. Meine Mutter konnte nicht wissen, ob mein Vater unverletzt oder überhaupt wiederkommen würde. Und wie so viele Frauen, die ein ähnliches Schicksal hatten, bekam sie Kinder, meinen Bruder Siegfried und mich. Später fragte ich sie einmal, wie es ihr möglich war, mitten im Krieg Kinder zu gebären. Meine Mutter antwortete darauf: »Wenn der Herrgott Kinder in die Welt setzt, dann sorgt er auch für sie.«

Sie war tatsächlich eine sehr starke Frau – und ist es mit ihren jetzt bald fünfundneunzig Jahren immer noch. Sie war das Zentrum der Familie, tief im christlichen Glauben verankert, wodurch sie meinem Bruder und mir diesen festen Halt gegeben konnte, der unser ganzes Leben prägen sollte.

Trotz vieler Sorgen erlebte ich meine Mutter mit ihren blonden, hochgesteckten Haaren und ihrer etwas rundlichen Figur immer fröhlich, immer an andere denkend. Als der Krieg vorbei war und die ersten Ernten eingeholt wurden, lud sie zusammen mit meinem Vater die Garben vom Feld auf einen Wagen. Dabei blieben immer einige abgebrochene Ähren auf dem Acker liegen. Diese wurden dann von den sogenannten Ährenlesern eingesammelt, die hinter dem Erntewagen hergingen und das Gefundene in große Schürzen legten. Meist waren die Ährenleser Flüchtlinge, und ich kann mich noch daran erinnern, dass es oft mehr von ihnen gab als Ähren. Als sie sich einmal sehr nah an den Wagen heranwagten, in der Hoffnung, es könnte doch noch etwas mehr herunterfallen, sagte mein Vater mit einer demonstrativen Geste: »Schaut, dass ihr weiter nach hinten kommt, nehmt das, was übrig bleibt.« Meine Mutter meinte beschwichtigend: »Lass sie doch, sie haben ohnehin so wenig.« Diese Szene hat sich bis heute eingeprägt, für mich Sinnbild ihres praktizierten christlichen Glaubens.

Meine Mutter nahm ohne Widerworte Familienmitglieder in ihrem Bauernhaus auf, etwa Ruth, die Tochter des gefallenen Bruders Gottfried oder ihre Schwiegermutter, die sie pflegte, bis sie starb, ebenso zwei Flüchtlingsfamilien. Diese waren uns 1945 durch die Gemeinde per Einweisungsbefehl zugewiesen worden. Meinem Vater hatte die Unterbringung der vier Personen überhaupt nicht gepasst, waren das doch für ihn »Fremde«. Und als diese auch noch erzählten, wie schön es in ihrer alten Heimat gewesen wäre, meinte er: »Dann sollen die da wieder hingehen, wo sie herkommen« – nicht beachtend, dass das nicht mehr möglich war.

Meine Mutter begriff sofort, dass diese Menschen auf ihre Weise versuchten, den Verlust ihres Zuhauses zu verarbeiten. Um es ihnen leichter zu machen, holte sie die beiden Ehepaare immer wieder zu den Mahlzeiten an unseren Küchentisch. »Wo vier Menschen Platz haben, haben auch acht Platz«, sagte sie.

Später, als Siegfried und ich längst nicht mehr zu Hause lebten, war sie die Einzige in dem Dorf, die eine türkische Familie im oberen Stock des Bauernhauses zur Untermiete wohnen ließ. Nach einer Weile zog die Familie in eine größere Wohnung etwas weiter entfernt. Aber da beide Elternteile arbeiteten, blieb das Mädchen, das auf den für mich ungewöhnlichen Namen Schale hörte, unter der Woche bei meiner Mutter. Da Schale anfangs nicht so gut in der Schule war – ihre Eltern konnten nicht genügend Deutsch, um ihr bei den Hausaufgaben zu helfen –, setzte sich meine Mutter mir ihr hin. Zusammen gingen sie die Aufgaben durch, und meine Mutter achtete darauf, dass Schale in der Schule weiterkam. Sie blieb dann bei uns, bis sie die Volksschule geschafft hatte. Noch heute telefoniert sie häufig mit meiner Mutter, ihrer »Tante«- Schale ist in Istanbul verheiratet und hat drei Kinder.

Die christliche Nächstenliebe meiner Mutter versuchte ich auch in meinem Führungsverständnis bei McKinsey umzusetzen, soweit es möglich war, wollte ich die Büros mit Herz leiten. Und oft habe ich Gnade vor Recht ergehen lassen. Einmal gab es bei McKinsey großen Zoff, weil ein Berater massiv gegen unsere Regeln verstoßen hatte. Ich hätte den betreffenden Mitarbeiter sofort entlassen müssen. Doch ich wusste, dass er gerade privat in den größten Problemen steckte, eine Scheidung zu verkraften hatte, die Trennung von seinen Kindern. Also führte ich mit drei anderen Beratern, die mir den Regelverstoß gesteckt hatten, Einzelgespräche: »Was ist in euren Augen der richtige Schritt? Soll ich Hans« – das ist jetzt ein erfundener Name – »nun kippen oder gebe ich ihm eine gelbe Karte?« Am Ende der Unterredungen hatte ich bei allen dreien das Gefühl, dass eine weitere Chance vertretbar war. Dem Betreffenden sagte ich: »Deine Karte ist dunkelgelb. Wenn noch einmal so etwas passiert, fliegst du raus.« Er hat es mir mit hoher Loyalität gedankt, meinte Jahre später: »Hättest du mich rausgeschmissen, ich wäre vollkommen abgesoffen.«

Zum Ende meiner aktiven Zeit bei McKinsey hatte ich rund 1400 Menschen zu führen, und es gibt bei so vielen immer Dinge, die sich im Graubereich befinden. Mietwagen, die am...


Henzler, Herbert
Herbert Henzler gehört dem Advisory Council von McKinsey & Co. an und ist seit 1992 Honorarprofessor für Strategie- und Organisationsberatung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er ist in mehreren Aufsichtsräten, unter anderem von Hochtief und dem FC Bayern München, vertreten. Einmal im Jahr geht er mit Reinhold Messner und anderen Unternehmenschefs bergsteigen.

Herbert Henzler gehört dem Advisory Council von McKinsey & Co. an und ist seit 1992 Honorarprofessor für Strategie- und Organisationsberatung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er ist in mehreren Aufsichtsräten, unter anderem von Hochtief und dem FC Bayern München, vertreten. Einmal im Jahr geht er mit Reinhold Messner und anderen Unternehmenschefs bergsteigen.



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