Henderson Die Gerichtsmedizinerin
1. Auflage 2006
ISBN: 978-3-86827-878-1
Verlag: Francke-Buch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
ISBN: 978-3-86827-878-1
Verlag: Francke-Buch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Amy Ireland verschwand vor zwanzig Jahren spurlos, ein ungelöster Fall mehr in den Polizeiakten. Doch US-Marshal Quinn Diamond will sich damit nicht abfinden, sieht er doch einen Zusammenhang mit dem Mord an seinem Vater.
Ganz nebenbei bieten ihm seine Nachforschungen die angenehme Gelegenheit, mit Lisa O´Malley zusammenzuarbeiten. Der messerscharfe Verstand der Gerichtsmedizinerin stellt prompt Zusammenhänge zu anderen Verbrechen her. Ihr Herz aber scheint gefangen in den Schattenwelten ihres Berufes. Weder die Liebe ihres Schöpfers noch die Zuneigung Quinns scheinen zu ihr durchzudringen. Wird dieser Panzer brechen, bevor es zu spät ist für Lisa, die dem Tod zu oft ins Angesicht gesehen hat?
Ihre Zeit wird knapp, der Killer zeigt, dass er sein Geheimnis mit allen Mitteln hüten wird - im Dunkel der Vergangenheit.
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1 Das Feuer hatte schlimm gewütet; das verkohlte Holz, das geschmolzene Metall, die graue Asche zeugten von seiner zerstörenden Macht. Jetzt war das Ungeheuer zwar gezähmt, aber noch nicht vollständig besiegt, sondern bereit, bei der kleinsten Ermutigung sofort wieder zum Leben zu erwachen. Vorsichtig folgte Lisa O’Malley ihrem Bruder Jack in das vom Feuer zerstörte Haus. Die schweren Stiefel, auf denen er bestanden hatte, bewährten sich, als sie das Knirschen von Glasscherben unter ihren Füßen bemerkte. In der Hitze waren Glühbirnen und das Glas in den Bilderrahmen geborsten. Viel schwerer fiel es ihr, sich an den schweren Schutzmantel zu gewöhnen. Der Nomex-Mantel war rau, und sie hatte das Gefühl, fünfzehn Kilo auf ihren Schultern zu tragen. Nur mit Mühe konnte sie ihr Gleichgewicht halten. Wenn Jack ein Feuer bekämpfte, rannte er in einem solchen Mantel und mit einem Sauerstofftank und einer zusätzlich zwanzig Kilo schweren Ausrüstung die Treppen hoch. Wie er das schaffte, war ihr unerklärlich. Ihr Bruder war immer zu einem Spaß aufgelegt, aber bei seiner Arbeit ließ er sich durch nichts ablenken. Auf der obersten Stufe angekommen, ließ Lisa den Strahl ihrer Taschenlampe über die Decke des Flurs und die Wände gleiten. Das überhitzte Gas des Feuers hatte sich eineinhalb Meter unterhalb der Decke in die Farbe und das Holz eingefressen. Achtzig Zentimeter bis ein Meter ließ auf ein schweres Feuer schließen, bei eineinhalb Metern bestand Explosionsgefahr. Die Feuerwehrmänner, die dieses Feuer bekämpft hatten, hatten ihr Leben aufs Spiel gesetzt. „Pass auf, wo du hintrittst. Ich traue diesem Flur nicht. Halte dich an der linken Wand.“ Lisa richtete ihre Taschenlampe wieder auf den Boden. Jack war erst nach langem Zögern mit ihr nach oben gestiegen. Im Augenblick stand das Haus noch. Aber die Wände und Balken arbeiteten, und die Dachbalken waren nicht auf ein solches Gewicht ausgelegt, darum stieg die Einsturzgefahr von Tag zu Tag. Gestern hatte es geregnet. Das beschädigte Holz war aufgequollen und arbeitete daher noch stärker. Sie achtete genau darauf, wo sie hintrat, um sich nicht an einem Nagel oder irgendwelchen offen liegenden Leitungen zu verletzen. Die Feuerwehrmänner hatten einen Teil der Decke und der Wände eingerissen, um gefährliche Zellen von Schwelbränden zu lokalisieren und zu bekämpfen. Sechs Tage zuvor war der Brand in diesem Haus ausgebrochen. Höchste Alarmstufe war ausgelöst worden. In der rauchenden Ruine hatte man die Leiche von Egan Hampton in seinem Bett aufgefunden. Sie erreichten das Schlafzimmer im hinteren Teil des Hauses und blieben stehen. „Ein Unfall –“ Lisa konnte nur ungläubig den Kopf schütteln. Die Möbel waren verkohlt, die Matratze bis auf die Sprungfedern zerstört; die Bücher in den Regalen waren nur noch verformte Gerippe, die Seiten zu Asche zerfallen; der Plastikwecker war geschmolzen und in den Nachttisch eingebrannt, das Fernsehgerät geplatzt und verbogen. Als einzige Gegenstände im Zimmer waren ein Teil des Bettzeugs, das durch Egans Körper geschützt gewesen war, und ein Stück des Teppichs, der unter dem Bettgestell gelegen hatte, nicht verbrannt oder angekohlt. Die Schlafzimmertür hing noch in den Angeln, aber sie war auf beiden Seiten zu einem Bruchteil ihrer normalen Breite verbrannt. „Wie ich schon sagte – es war ein sehr heißes Feuer.“ Lisa betrat vorsichtig das Zimmer. Instinktiv wanderte ihr Blick nach oben, um sich zu vergewissern, dass sie nicht von herabstürzenden Teilen getroffen wurde. Die Decke war zum Teil eingestürzt, man konnte bis zum Dachboden hindurchsehen, und an einer Stelle blitzte sogar der Himmel durch. Durch das zerstörte Fenster blickte sie über die Obstplantage und die Baumschule hinweg, über die Bürogebäude und die Gewächshäuser, die zu der Baumschule gehörten, das Geschäft, das Egan im Laufe der Jahre aufgebaut und erst kürzlich an seinen Neffen Walter übergeben hatte. Jack hatte jeden Tag mit Feuer zu tun; er wusste, wie es sich vorwärts bewegte, atmete und brannte. Sie hatte genug von ihm gelernt, um das Muster zu begreifen. Dies sah aus wie ein Feuersprung – das ganze Zimmer erhitzte sich, erreichte den Brennpunkt und stand dann ganz plötzlich in Flammen. „Hat es im Zimmer vor dem Feuersprung geschwelt und geraucht, oder war es ein gleichmäßiges Feuer? Im Polizeibericht hat Walter ausgesagt, er hätte den Rauch bemerkt, dann einen Blitz gesehen und sofort den Notruf angerufen.“ „Es begann als Schwelbrand.“ Jack kniete nieder und hob eine große Glasscherbe von der Fensterscheibe auf. „Sieh dir nur die Rauchflecken an, die sich in die Fensterscheibe gebrannt haben.“ Mit dem Brecheisen löste er ein Stück vom Fensterrahmen und hielt es ihr hin. „Man sieht, dass es als ein Bodenfeuer begonnen hat und sich dann weiter nach oben gefressen hat. Wären die Flammen an der Decke entstanden und hätten sich über die Wand zum Fenster vorgearbeitet, dann hätten sie sich von oben ins Holz gegraben und es nicht von unten angekohlt.“ Daniel hatte die Autopsie an Egan Hampton vorgenommen. Zwar war der Mann an einer Rauchvergiftung gestorben – in seinen Lungen war Kohlenmonoxid gefunden worden, ein Hinweis darauf, dass er bei Ausbruch des Feuers noch am Leben gewesen war – doch auch diese Tatsache gab Rätsel auf. Eine Prellung an der linken Schläfe musste er sich zum Zeitpunkt seines Todes zugezogen haben. Es war nur eine leichte Verletzung; die Abschürfung hatte kaum das tiefere Gewebe erreicht. Es könnte eine ganz einfache Erklärung dafür geben. Vielleicht war beim Ausbruch des Feuers ein Gegenstand auf ihn gestürzt. Doch bisher gab es noch keine gesicherten Erkenntnisse. Viele offene Fragen mussten geklärt werden. Da war noch die Tatsache, dass Egan Hampton zwei Schlaftabletten genommen hatte. Durchaus im Rahmen der verschriebenen Menge, aber trotzdem ein Faktor, der von Bedeutung sein könnte. Im Augenblick waren die Autopsieergebnisse nicht schlüssig. Darum war die Sache im gerichtsmedizinischen Institut „zur weiteren Überprüfung unter Berücksichtigung der Tatortgegebenheiten“ gelandet, wie das bei allen Fällen üblich war, bei denen kein eindeutiges Ergebnis erzielt werden konnte. Am Freitagnachmittag hatte Lisas Chef ihr den Fall übertragen. Inzwischen war es Sonntag, und Lisa hatte sich schon zwei Tage lang mit einigen offenen Fragen beschäftigt. Als Gerichtsmedizinerin stellte sie eine einfache Frage, die oft schrecklich schwer zu beantworten war: Waren die Umstände des Todes verdächtig und rechtfertigten sie eine Morduntersuchung, oder handelte es sich um einen bedauerlichen Unfall? Lisa liebte ein gutes Rätsel, aber nicht, wenn es ihr das Wochenende verdarb. Gestern hatte sie die Berichte studiert und war zu dem Schluss gekommen, dass sie mehr Informationen brauchte. „Es würde mir helfen, wenn du mir sagen könntest, dass es sich hierbei um Brandstiftung gehandelt hat.“ „Es war ein heißes Feuer, aber andererseits haben wir einen heißen, trockenen Sommer. In diesem Haus gibt es keine Klimaanlage, und die Möbel und Bodenbeläge hatten sich in der Nachmittagshitze aufgeheizt. Wir haben eine Menge trockenen Moder im Dachgebälk gefunden, und da es nur ein kleines Hinterzimmer ist, konnte das Feuer innerhalb von wenigen Minuten überspringen.“ „Das Feuer ist unten an dieser Wand ausgebrochen?“ „Soweit wir sagen können, ist Egan eingeschlafen und hat seine Zigarre fallen gelassen. Wir haben die Überreste einer Zigarre dort gefunden.“ Jack zeigte ihr die Stelle. „Wie es scheint, ist sie auf einen Wäschesack gefallen. Das Feuer fraß sich über den Boden, du kannst hier die Brennlinie erkennen“, er fuhr mit der Hand darüber, „und hat schließlich den Schrank erreicht und somit unbegrenzten Brennstoff. Es hat an Intensität zugenommen und ist dann an der Decke entlang wieder ins Zimmer zurückgekommen – siehst du die Blasenbildung im Holz? Mittlerweile bewegte es sich heiß und schnell durchs Zimmer.“ „Wie lange hat es gedauert, bis der Rauch so tief hing, dass er ihn getötet hat?“ „Das Feuer hat vermutlich vier bis sechs Minuten gebraucht, um Fuß zu fassen. Von da an dauerte es etwa zwei Minuten, bis sich eine giftige Rauchdecke entwickelt hat. Fenster und Tür standen offen; unglückliche Umstände für ihn. Der Luftzug hat einen natürlichen Rauchwirbel in diese Ecke des Zimmers über das Bett getrieben.“ Sie sah sich den Schaden an und konnte jetzt besser verstehen, warum Egan Hampton nicht aufgewacht war. Das Feuer, das Jack beschrieb, war nicht so laut, dass ein Mann, der unter dem Einfluss von zwei Schlaftabletten stand, davon aufgewacht wäre. Außerdem war der steigende Kohlenmonoxidgehalt in der Luft nicht zu unterschätzen. Als das Feuer vom Schrank wieder ins Zimmer drängte, war der Rauch sehr dicht und somit tödlich für einen Menschen. Lisa suchte weiter nach einem Gegenstand, der die Abschürfung verursacht haben könnte. „Die Hitze hat sich also abgeschwächt und ist auf dem Putz zusammengebrochen?“ „Das Haus ist schon alt. Der Putz wurde auf Holz aufgetragen, und der größte Teil davon ist abgebröckelt. Das ist gut zu erkennen. Direkt über diesem Raum lagerten auf dem Dachboden Kartons mit den Sachen seiner Frau, auch Kleidungsstücke.“ „Noch mehr Nahrung für das Feuer.“ „Ja. Nachdem das Feuer erst mal den Dachboden erreicht hatte, brannte es auf beiden Seiten dieser Balken...