E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Heiter Der Name der Robe
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-492-96282-7
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Unerhörtes aus dem Gerichtssaal
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-492-96282-7
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Anette Heiter, geboren 1965, studierte in Tübingen Jura und ist seit 1993 in Baden-Württemberg als Richterin tätig. Seit 2016 ist sie mit ihrem Soloprogramm »Justiz auf Rädern - Gerichte zum Mitnehmen« unterwegs und hat in jüngster Zeit an der TV-Produktion »Gerichtsreport Deutschland« für RTL mitgewirkt. Anette Heiter lebt mit ihrer Familie in Stuttgart.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Warum ich trotzdem Richterin geworden bin§ 1: »Männer und Frauen passen einfach nicht zueinander?… – das Familienrecht§ 2: Strafe für alle – das Mietrecht§ 3: Wand an Wand – das Nachbarrecht§ 4: Pech mit Blech – das Straßenverkehrsrecht§ 5: Von wegen Erholung – das Reiserecht§ 6: Die Verwandlung vom Menschen zum Juristen – und ob dieser Vorgang umkehrbar ist?…Danksagung
Das Mietrecht ist eine Geißel der Menschheit. Es widerspricht einfach der menschlichen Natur, jemandem Geld nur dafür zu bezahlen, dass man beim Schlafen nicht nass wird.
Entwicklungsgeschichtlich stehen wir dem Neandertaler ja noch ganz nahe: Im Grunde sind wir alle immer noch Jäger und Sammler. Und Höhlenmenschen. Und hätte man je von einem Höhlenmenschen gehört, der einen Vermieter hatte? Oder sich beschwerte, weil der Pubertierende in der Höhle über ihm den ganzen Tag Trommelmusik hört? Einer Höhlenordnung mit klarer Regelung zum Räum- und Streudienst (vor allem in der Eiszeit)? Oder einer Höhlenwirtin, die genau die Mülltrennung überwacht: Bananenschalen nur in den Verpackungsmüll – Tierfelle in die Altkleidersammlung und nichts Gekochtes oder Erbrochenes auf den Kompost, das lockt sonst Bären an?
Ebenso absurd ist die Vorstellung von Streitigkeiten beim Auszug wegen nicht entfernter Höhlenmalereien, obwohl doch im Mietvertrag ganz genau geregelt ist, dass die malermäßige Erneuerung alle fünf Jahre zu erfolgen hat, und zwar fachgerecht mit Profischlamm in den Tönen Mittel- bis Kackbraun. Oder auch: Streit über unerlaubte Höhlentierhaltung, weil Hütesaurier nur bis zu einer Höhe von 3,20 m zulässig sind und Wachdrachen nur, wenn ihr Feuerstrahl maximal eine Reichweite von zwei Metern hat. Da helfen auch Ausflüchte nichts wie etwa: Der T-Rexy war am Anfang ganz klein, und wir dachten, der bleibt so – der will doch nur föhnen …
Und wenn es Streit gegeben hätte, wäre dieser mit einem gezielten Erstschlag mit Keule auf Kopf ganz im Sinne des Stärkeren ausgefallen. Nach Ende des Streits hätte sich nur die Frage gestellt: wohin mit der Leiche – und die Familie des Unterlegenen wäre dem Sieger gleichsam als Beute in die Hände gefallen.
Doch was hält das Schicksal für den heutigen Menschen bereit? Mehrfamilienhäuser, Reihenhaussiedlungen, Hochhäuser, Reihenhochhäuser mit Tiefgaragen.
Es ist doch einfach keine artgerechte Haltung eines Quasi-immer-noch-Höhlenmenschen, wenn er mit 700 anderen Höhlenmenschen – also quasi der damaligen Population von ganz Deutschland – in ein Hochhaus gepfercht wird.
Das ist, als ob man Tausende von Hühnern in eine Halle sperren und sie Eier auf ein Fließband legen ließe. Ach so, das tut man schon? Schlimm genug. Wenn die Hühner könnten, würden sie als Erstes eine Mietminderung bei ihrem Vermieter geltend machen, weil die Mietsache so verdreckt und die Nachbarn so laut sind. Bevor sie das tun können, landen sie aber schon in handlichen Stücken in der Fritteuse von Kentucky Fried Chicken, McDonald’s oder Burger King.
Dieser einfache Ausweg ist den meisten Menschen verwehrt, auch wenn er den Vermietern und teilweise auch den Mietern höchst verlockend vorkäme. Genauso wie die hölzernen Argumente der Urzeit, die mancher gerne wieder auspacken würde. Was dem Höhlenmenschen die Keule war, ist dem modernen Menschen der Rechtsanwalt. Das Prinzip ist ansonsten dasselbe: kräftig draufhauen, möglichst als Erster, und der, dem zuerst das Auge raushängt oder das Geld ausgeht, hat verloren. Leichen werden dabei zwar nur noch in Ausnahmefällen produziert, und auch an einer Übernahme der Familie des Unterlegenen besteht selten Interesse – zumal sie ja obdachlos ist. Aber sonst hat sich an der Streitkultur wenig geändert – nur dass es eben viel häufiger zum Streit kommt.
VON BÖSEN VERMIETERN UND BÖSEN MIETERN
Das Mietrecht leidet vor allem unter zwei Problemen: Mietern und Vermietern. Für den Mieter ist der Vermieter ein geldgieriger Halsabschneider, der für eine zugige, dunkle, viel zu kleine Bude monatlich viel zu viel Geld will. Für den Vermieter besteht zwischen Mäusen, Wanzen, Kakerlaken und Mietern kaum ein Unterschied – alle verpesten seine Wohnung, und zum Entfernen würde er gerne Gift einsetzen.
Dass sich die beiden Parteien von Anfang an mit großem Misstrauen begegnen, sieht man schon an den sogenannten Standardmietverträgen, die mehrere klein gedruckte Seiten umfassen. Es genügt offenbar nicht, eine Wohnung zu finden, die von Lage, Größe, Schnitt und Preis zu den eigenen Bedürfnissen passt. Man muss sich gleich mit gefühlten 180Paragrafen auseinandersetzen, in denen geregelt ist, dass der Mieter wirklich alle Nebenkosten zu tragen hat, welche Tiere er wann und aus welchen Gründen nicht halten darf und was im Falle seines Todes geschieht.
Eigentlich würde eine mündliche Einigung reichen: drei Zimmer, Küche, Bad, Einzug zum 1.Oktober, Miete monatlich 500,– Euro, Nebenkosten 100,– Euro. Aber böse Mieter haben sich immer wieder an die einfachen Regeln nicht gehalten, und böse Vermieter wollten sich absichern. Und so kam unter kräftiger Mitwirkung des Mietervereins auf der einen Seite, des Haus-und-Grundbesitzer-Vereins auf der anderen Seite und der Gerichte in fröhlicher Unentschiedenheit dazwischen ein Regelwerk zustande, das es vom Umfang her mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung durchaus aufnehmen kann.
Eigentlich sollte man zum Besichtigungstermin immer schon gleich seinen Rechtsanwalt mitnehmen. Und eine Taschenlampe. Wohnungsbesichtigungen finden gerne nach Feierabend im Dämmerlicht statt – der Vermieter hat zum selben Termin noch andere Interessenten eingeladen (oder Freunde, die so tun, als wären sie an der Wohnung brennend interessiert) –, es entsteht also eine Konkurrenzsituation unter den potenziellen Mietern, die verhindert, dass man allzu kritisch nachfragt, warum sich beispielsweise das Fenster momentan nicht öffnen lässt. Auch für eine Besichtigung des wahrscheinlich schimmeligen Kellers ist beim besten Willen keine Zeit. Der Vermieter schwenkt dann das Mietvertragsformular, in das er freundlicherweise vorab schon alles eingetragen hat, was individuell vereinbart ist, und Sieger ist der, der es am schnellsten unterschrieben hat. Wer allzu kritisch nachfragt oder womöglich sogar eigene Rechte geltend macht, bekommt die Auskunft: »Rufen Sie uns nicht an … wir rufen Sie auch nicht an!«
Diese schmerzliche Erfahrung musste ich am eigenen Leib machen: Eine wunderschöne Altbauwohnung in bester Stuttgarter Lage zum absoluten Spottpreis ging mir nur deshalb durch die Lappen, weil ich gegenüber dem Makler als Beruf »Juristin« angegeben hatte. Der Vermieter erklärte, er wolle keinen Ärger, darum vermiete er grundsätzlich nicht an Juristen. Überhaupt Makler. Ich habe noch nie wirklich verstanden, wozu man diese Spezies braucht. Sie zeigen einem eine fremde Wohnung, wissen über Details nicht Bescheid, sind im Zweifel für nichts verantwortlich oder gar haftbar zu machen und kassieren dafür bis zu zwei Monatsmieten.
Das ist so leicht verdientes Geld, dass manche Vermieter gerne ihre eigenen Makler wären – ihnen genügt die Miete nicht, sie würden auch gerne die Provision beim Abschluss des Vertrages einstreichen. Das ist aber gesetzlich verboten – wer die eigene Wohnung vermietet, darf keine Provision vom Mieter verlangen. Das wird immer wieder umgangen, indem eine dem Vermieter nahestehende Person als Makler eingesetzt wird – denn Makler ist keine geschützte Bezeichnung und kein geschützter Beruf, also kann sich jeder als Makler verdingen.
Besonders clever wollte der Stuttgarter Vermieter Baumann vorgehen, der einer Mieterin seine Wohnung vermietete. Anschließend erhielt die Mieterin eine Maklerprovisionsrechnung von Mutter Baumann über zwei Monatsmieten plus Mehrwertsteuer. Die wollte sie nicht bezahlen, weil Mutter Baumann gar nicht tätig geworden war und die Mieterin immer nur direkt mit ihrem Vermieter zu tun gehabt habe. Sohn Baumann erklärte aber dreist, er habe als Vertreter seiner Maklermutter gehandelt, und dadurch sei die Provision fällig geworden und von der Mieterin zu bezahlen.
Selbstverständlich trat der Sohn auch im Prozess als Vertreter seiner Mutter auf, und ich hatte das starke Gefühl, die Mutter hatte in Wahrheit keine Ahnung, was da in ihrem Namen alles getrieben wurde. Ich wies die Klage ab mit der Begründung, es sei für die Mieterin nicht erkennbar gewesen, dass sie mit einem Makler ein Geschäft abgeschlossen hatte, weshalb sie auch nicht zu bezahlen hätte. Für einen kurzen Augenblick habe ich überlegt, ob es sich nicht lohnen würde, die Akten der Staatsanwaltschaft zu schicken, aber nachdem der Sohn ein Einsehen hatte und keine Berufung einlegte, ließ ich es bleiben.
Ein anderer Makler wurde auf Rückzahlung der Provision verklagt. Er hatte eine wunderbare Altbau-Maisonette-Wohnung im Angebot gehabt – Dachgeschoss mit frei liegenden Holzbalken, ein echtes Schmuckstück. Der Preis war entsprechend hoch, ebenso wie die Provision des Maklers.
Leider hatte er vergessen, auf eine Winzigkeit in der Geschichte der Wohnung hinzuweisen: Der Vorbesitzer hatte sich an einem der Holzbalken erhängt. Dass der neue Bewohner das gerne vorher gewusst hätte und nicht getuschelt in der Waschküche erfahren wollte, kann man verstehen. Der Vertrag wurde rückgängig gemacht, und der Makler musste zähneknirschend die Provision zurückzahlen. So schlimm, dass er daraufhin selbst einen der Balken in Anspruch nehmen musste, war das für ihn aber nicht.
Lange Gesichter gibt es immer wieder auch bei den Betriebskosten. Diese können laut Gesetz auf den Mieter abgewälzt werden, und jeder Standardvertrag enthält darum auch einen längeren Passus zum Thema Betriebskosten. Darin kann alles Mögliche enthalten sein, was zu den Fixkosten des Hauses gehört. Also Müllabfuhr, Gartenpflege, Schornsteinfeger, Wasser, Abwasser et cetera. Natürlich sind auch die Kosten für die Heizung vom Mieter zu tragen – die laufen meist auch über den Vermieter....




