Heinrich | Nur noch ein Schritt zum Glück | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 274 Seiten

Heinrich Nur noch ein Schritt zum Glück


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95607-030-3
Verlag: HEY Publishing GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 274 Seiten

ISBN: 978-3-95607-030-3
Verlag: HEY Publishing GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Wer fortgeht, um zu vergessen, wird nie ankommen! Das muss auch Nico erfahren, als sie sich allein auf den Jakobsweg macht, im Gepäck die Hoffnung, die schmerzvolle Vergangenheit hinter sich zu lassen. Doch die Reise ist alles andere als einfach, denn sie führt Nico zu sich selbst – einer Begegnung, die sie mehr als alles andere fürchtet.

Nico schaute während der gesamten Fahrt aus dem Fenster und sah nur Berge. Sie wusste genau, dass sie den Weg in Pamplona hatte beginnen wollen, weil es dort keine Berge mehr gab. Zumindest hatte sie das gelesen. Konnte man unter dem Wort »Berg« unterschiedliche Dinge verstehen? Möglich wäre es. Sie hatte sowieso seit Wochen das Gefühl, überhaupt nichts zu verstehen. Hier, in diesem Land, stimmte wenigstens das.

Wie soll man das Leben verstehen, wenn man vor ihm davon rennt? Dass keine Lebensgeschichte ohne Kummer und Sorgen bleibt, ist eine Wahrheit, mit der die achtunddreißigjährige Nico auf brutale Art und Weise konfrontiert wird. Völlig überstürzt setzt sie sich in den nächsten Flieger nach Spanien und will nur noch eines: weg!
Doch die erhoffte Ruhe und Einsamkeit bleiben aus, denn der Pilgerweg ist alles andere als ein ‘Pfad der Stille’ – ungewöhnliche Menschen (und Tiere!), wahrhaftige Geschichten und anhängliche Gefährten kreuzen ihren Weg, und Nico erkennt, dass das Leben sie längst verstanden hat …

»Nur noch ein Schritt zum Glück« ist ein Roman über die Last der Vergangenheit und die Kraft der Gegenwart.

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Autoren/Hrsg.


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Kapitel 1
Als Nico Wolfen das Flugzeug betrat, wusste sie, dass die Reise ein Fehler gewesen war. Doch jetzt konnte sie nicht mehr zurück. Hinter ihr drängten sich Fremde. Nico hatte vergessen, sich ihre Sitznummer einzuprägen und stand hilflos im Weg. Hinter ihrem Rücken murrte es. Sie versuchte die Nummer auf ihrer Boardingkarte zu lesen, aber vor ihren Augen verschwamm alles, und sie wankte. Eine Stewardess bemerkte ihre Verfassung und führte sie zu ihrem Platz. Neben ihr am Fenster saß ein dicker Mann. Er las schnaufend eine Zeitung und hatte seine Arme auf den Lehnen rechts und links von sich ausgebreitet, wie Männer das gerne taten. Er roch ein wenig verschwitzt. Nico faltete sich in ihrem Sitz zusammen und schloss erschöpft die Augen. Dann erinnerte sie sich an ihre Flugangst und nahm eilig die Papiertüte aus dem Netz. Als das Flugzeug startete, atmete sie tief durch, wie sie es gelernt hatte. Doch nichts geschah. Nur der Mann an ihrer Seite krallte plötzlich eine Hand in ihre Schulter. Vielleicht konnte man ja Ängste weitergeben? Der Gedanke gefiel ihr, aber bevor sie länger darüber nachdenken konnte, war sie eingeschlafen. Nico erwachte erst, als die Stewardess mit einem Plastikmenü vor ihr stand. Ihr Magen reagierte prompt. Angewidert schüttelte sie den Kopf. Als ihr Nachbar ihre abwehrende Geste bemerkte, fragte er sofort, ob er ihr Essen zusätzlich haben könne. Die Stewardess reichte ihm zwei Schälchen, was Nico zwang, ihren Plastiktisch auszuklappen. Mit Erstaunen stellte sie fest, dass sie noch so viel Kraft hatte, sich zu ärgern. »Darf ich Sie zu einem Glas Rotwein einladen?«, fragte der Mann. Warum nicht?, dachte Nico, bis ihr in der nächsten Sekunde wieder einfiel, warum sie keinen Wein mehr trinken konnte. Schnell schüttelte sie den Kopf und schloss gequält erneut die Augen. Erstaunlicherweise nickte sie sofort ein und erwachte erst, als die Stimme des Kapitäns den Landeanflug ankündigte. Nico wusste zwar, warum sie so müde war, aber dass sie ausgerechnet in einem Flugzeug zur Ruhe kam, hätte sie nie erwartet. Zudem hatte sie das erste Mal seit Wochen ohne Alpträume geschlafen. Leider half ihr das nur wenig, schließlich konnte sie ja nicht zum Schlafen ein Flugzeug besteigen. So wie manche ihrer Freundinnen die Babys zum Einschlafen in Autos packten, um sich dann mit den endlich schlafenden Säuglingen in die Wohnungen zurück zu schleichen. Immer in der Hoffnung, sie würden nicht aufwachen. Aber an Autos und Babys wollte sie jetzt schon gar nicht und am liebsten überhaupt nie mehr denken. Nico blieb sitzen, bis alle aufgestanden waren. Dann nahm sie ihren Rucksack und verließ als Letzte das Flugzeug. Als sie hinter den anderen Passagieren zur Gepäckausgabe schlich, fühlte sie wieder Panikwellen in sich aufsteigen. »Geh weiter«, trieb sie sich an. Schlimmer konnte es nicht mehr werden. Dann kam die Übelkeit. Suchend sah Nico sich nach einer Toilette um. Zum Glück waren die Symbole hier ähnlich wie in Deutschland. Sie schaffte es gerade noch, sich einzuschließen, bevor sie sich übergeben musste, verstand aber nicht, dass sie immer noch etwas beim Würgen herausbrachte, bei dem Wenigen, das sie aß. Nico wusch sich die Hände und betrachtete ihr kalkweißes Gesicht im Spiegel. Jetzt konnte sie riechen, dass sie nicht mehr in Deutschland war. Der Putzmittelgeruch war ihr fremd, aber nicht unangenehm. An der Gepäckausgabe stauten sich die Leute unmittelbar vor dem Laufband und versperrten Nico die Sicht. Sie fühlte sich so müde, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Also setzte sie sich in der Nähe auf den Boden und wartete, bis sich die Menge lichtete. Dann trat sie ans Band, stellte fest, dass ihr Rucksack schon mindestens eine Runde gedreht hatte und hob ihn hoch. Obwohl sie sorgfältig jedes eingepackte Teil gewogen und alles Schwere aussortiert hatte, brachte er noch zehn Kilo auf die Waage. Nie würde sie das schaffen. Mit letzter Kraft schleppte sie sich zur Information und erkundigte sich, wie sie nach Pamplona käme. Zu ihrer Erleichterung konnte ihr Gegenüber Englisch. Er gab ihr einen kleinen Stadtplan und zeichnete den Busbahnhof auf der Karte ein. Als Nico ins Freie trat, schlug ihr die Hitze entgegen. Sie zog ihre Regenjacke aus und suchte sich ein Taxi. Während der Fahrt betrachtete sie entmutigt die Berge. Vielleicht waren das die Ausläufer der Pyrenäen, mit denen sie nichts zu tun haben würde, hoffte sie. Der Taxifahrer drehte die Musik lauter und begann gleichzeitig eine Unterhaltung. Nico verstand kein Wort, versuchte aber zu lächeln. Sie hielt nicht lange durch, dann zuckte sie mit den Schultern, um dem Mann zu signalisieren, dass sie ihn nicht verstand. Es schien ihm nichts auszumachen. Lachend redete er unverdrossen weiter. Am Busbahnhof schrieb er ihr den Namen seines Fuhrunternehmens auf und wünschte ihr: »Buen camino«. Aber auch das verstand Nico nicht. Sie wollte nur noch weinen. Aber sie hatte in den letzten Wochen so viel geweint, dass keine Tränen mehr übrig waren. Während sie auf den Bus wartete, schlief sie erneut ein. Sie hätte ihn mit Sicherheit verpasst, hätte nicht eine ältere Frau kräftig an ihrer Schulter gerüttelt und dabei »Autobus, autobus!«, gerufen. Das verstand sogar Nico. Als sie mit dem Rucksack einsteigen wollte, schüttelte der Fahrer den Kopf und deutete auf eine große Klappe an der Busseite. Also bugsierte Nico ihren Rucksack folgsam in die dunkle Öffnung. Wenn er gestohlen werden würde, hätte sie gar nichts mehr. Egal. Doch dann überlegte sie kurz und holte schnell ihren kleinen Rucksack heraus, in dem sich Geld und ihre Papiere befanden. Sie stieg in den Bus und setzte sich auf einen freien Platz. Wieder wurde an ihr gerüttelt. Diesmal war es ein älterer Mann, der auf seinen Fahrschein deutete und dabei den Kopf schüttelte. Weil Nico ihn nicht verstand, zog sie ebenfalls ihr Ticket hervor und gab es dem Mann, der es gründlich betrachtete, dann ihre Hand nahm und sie in den hinteren Busbereich lotste. Dort zeigte er auf eine Nummer, die sowohl auf dem Fahrschein als auch an der Gepäckablage über dem Sitz stand. Endlich hatte sie verstanden und setzte sich. Nico schaute während der gesamten Fahrt aus dem Fenster und sah nur Berge. Sie wusste genau, dass sie den Weg in Pamplona hatte beginnen wollen, weil es dort keine Berge mehr gab. Zumindest hatte sie das gelesen. Konnte man unter dem Wort »Berg« unterschiedliche Dinge verstehen? Möglich wäre es. Sie hatte sowieso seit Wochen das Gefühl, überhaupt nichts zu verstehen. Hier, in diesem Land, stimmte wenigstens das. In Pamplona stieg sie aus dem Bus und schreckte zurück. Im Busbahnhof herrschte ein ohrenbetäubender Lärm: Alle Busse, die herumstanden, ließen die Motoren laufen. »Ich wollte Stille und Einsamkeit«, dachte sie, »und komme in die Hölle. Geschieht mir recht, wahrscheinlich.« Sie schulterte ihren Rucksack und floh ins Freie. Draußen schien unbarmherzig die Sonne, obwohl es bereits fünf Uhr am Nachmittag war. Eine mehrspurige Straße lag vor Nico. Es stank nach Benzin. Sie blinzelte und blieb stehen, weil sie keine Ahnung hatte, in welche Richtung sie gehen musste. Dann studierte sie den Plan im Reiseführer, aber er war nicht genau genug. Wie fragte man nach einer Herberge, wenn man das Wort dafür nicht kannte? Welche Pantomime beschrieb sie? Sie hielt eine ältere Frau an. Frauen machten ihr weniger Angst als Männer. Nico zeigte auf ihren Reiseführer. Die Frau nickte und wies mit den Händen erst geradeaus und dann nach links. »Ich werde niemals ankommen«, dachte Nico. »Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus. Hier blühen die Bäume und riechen intensiv. Ich will das nicht. Ich will keine Erinnerungen an andere Frühlinge. Ich hätte im Herbst kommen sollen.« Nico schlich die Straße entlang. Der Rucksack war schwer, und wegen der Isomatte, die sie quer obendrauf geschnallt hatte, stieß sie ständig gegen Schaufensterscheiben oder Laternen. Sie fühlte sich wie ein Elefant, der bis gestern ein Pferd gewesen war. Plötzlich landete sie in einem Altstadtviertel mit noch engeren Straßen und stieß noch häufiger an. Sie kämpfte sich vorwärts und stand bald darauf vor einer Kirche. Dann entdeckte sie endlich die Herberge. Nico erkannte sie, weil ständig junge Leute mit Rucksäcken hinein- und hinausgingen. Das Haus sah sehr alt aus. Steile Stufen führten nach oben, wendeltreppenartig und eng. Sie musste vorsichtig sein, damit sie mit der Isomatte überhaupt um die Kurven kam. Am Empfang, der aus einem einfachen Holztisch bestand, saß eine Frau in einer roten Kittelschürze. Sie lächelte Nico aufmunternd an. Auf einer Bank daneben saßen drei junge Männer in roten Oberteilen und blauen Hosen. Sie sahen aus wie etwas ältere Pfadfinder. Nico versuchte zu gestikulieren, dass sie ein Bett brauchte. Die Frau verstand sie zwar, aber es gab keine Betten mehr, die Herberge war bis auf den letzten Platz belegt. Dann drückte sie Nico einen weiteren kleinen Stadtplan und einen Zettel mit zwei Hoteladressen in die Hand. Sie fragte etwas, das Nico nicht begriff. Hilflos breitete sie all ihre Papiere auf dem Tisch aus, worauf die Frau ihren Pilgerausweis nahm und ihn abstempelte. Kein Bett, aber immerhin ein Stempel. Nico lächelte und merkte es nicht. Ziellos ging sie weiter und wusste nicht, wie sie eins der beiden Hotels finden sollte. Für Stadtpläne war bisher Felix zuständig gewesen. Zu ihrer Überraschung fand sie sich genau vor einem der zwei Hotels wieder. Es sah aus wie ein Wohnhaus. Nico drückte auf die Klingel und wurde eingelassen. Im ersten Stock erwartete sie die Wirtin, die gar nicht erst versuchte mit Nico zu reden, sondern nur lachte...


Heinrich, Brigitta
Brigitta Heinrich, geboren 1955, studierte Germanistik und Geschichte, arbeitete u. a. als Antiquarin und Schlussredakteurin. Sie lebt in Frankfurt am Main und Berlin.
(c) Autorenfoto: privat



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