Heinesen / Stössinger | Hier wird getanzt! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 349 Seiten

Heinesen / Stössinger Hier wird getanzt!


Erste Auflage
ISBN: 978-3-945370-92-6
Verlag: Guggolz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 349 Seiten

ISBN: 978-3-945370-92-6
Verlag: Guggolz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



William Heinesen (1900-1991) erfasste in seinen Romanen, Gedichten und Erzählungen, was das Leben auf den Färöern ausmacht, wie kein zweiter. 'Hier wird getanzt!' bietet eine Auswahl seiner besten Erzählungen, mit denen Heinesen Archaik und Moderne gleichermaßen aufgriff und in einem ganz eigenen Ton das spezifische Inselleben der Färinger festhielt. Die Erzählungen und ihre Protagonisten sind wie die Inseln und ihre Bewohner geprägt vom rauen Meereswind, zerklüftet, umspült - Menschen wie Worte gehen vor der ewigen Weite von Himmel und See eigensinnig ihren Weg. Das Leben scheint klein auf den abgelegenen Inseln im nördlichen Atlantik, auf denen gerade einmal 50 000 Menschen leben, doch die Sehnsucht nach der Ferne ist groß, und im Kleinen lässt sich der ganze Kosmos umso konzentrierter ablesen. Heinesen wuchs zweisprachig auf und schrieb Dänisch - auch um ein größeres Publikum zu erreichen. In seinen Erzählungen zeigen sich tiefe Feinfühligkeit und ein existenzieller Humor. Sie bewegen sich auf dem Grund der felsigen Inseln, reichen jedoch weit ins Reich der Fantasie, der Mythen und der Halluzinationen hinein. Manchmal fabuliert Heinesen selbstbewusst, ein anderes Mal berichtet er autobiografisch, und häufig mischt er beides ebenso wie Zeiten und Räume. Die Kontraste seien auf den Färöern stärker, sagte Heinesen einmal. In Inga Meinckes präziser Übersetzung, die den Leser das Meer und die Felsen schmecken lässt, lassen die Kontraste in Heinesens Geschichten klarsichtig auf den Grund der Dinge und das Wesen der Menschen blicken.

William Heinesen (1900-1991) wird in der färöischen Hauptstadt Tórshavn als Sohn eines Kaufmanns geboren. In Kopenhagen soll auch er zum Kaufmann ausgebildet werden, doch er kehrt als Journalist und Dichter in die Heimatstadt zurück, arbeitet im Familienbetrieb - und schreibt. 1921 erscheinen seine ersten Gedichte und kurz darauf drei weitere Lyrik-Sammlungen, bevor er sich der Prosa zuwendet. Heinesen veröffentlicht sieben Romane (u. a. 1949 'Der schwarze Kessel' und 1950 'Die verdammten Musikanten'), die in viele Sprachen übersetzt werden, und ab den 1950er-Jahren auch Kurzgeschichten. Er schafft zudem ein großes Werk an Aquarellen, Wandbildern, Karikaturen und Scherenschnitten, die es bis auf die färöischen Briefmarken geschafft haben. 1965 bekommt Heinesen den Literaturpreis des Nordischen Rates für den historischen Roman 'Die gute Hoffnung' (1964) und 1980 wird er mit dem dänischen Kritikerpreis ausgezeichnet.

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MEINE ROMANTISCHE GROSSMUTTER
Unterschiedlichere Menschen als meine beiden Großmütter kann man sich kaum vorstellen. Vaters Mutter war eine Bauersfrau aus dem einsamen kleinen Bergdorf Bøur, eine friedliche, schweigsame Frau mit sanften, tiefliegenden Augen und behutsam streichelnden Händen. Mutters Mutter war Kopenhagenerin, eine rastlos sehnende Seele. Erstere war tief und fest in ihrer färöischen Umgebung verankert. Die andere wurde in früher Jugend aus ihrer Stadtwelt gerissen und schlug seither nirgends Wurzeln, außer in ihren Träumen und Sehnsüchten. Meine Kopenhagener Großmutter war erst achtzehn, als sie sich mit meinem färöischen Großvater verlobte und in Tórshavn niederließ, wo sie bald heiratete und schließlich Mutter von neun Kindern wurde. Man kann weiß Gott nicht behaupten, Großmutter sei ihrem Mann keine treu ergebene Gattin und ihren Kindern keine gute Mutter gewesen; andererseits war und blieb es für sie eine glatte Unmöglichkeit, als Kaufmannsfrau in der fernen salzigen Kleinstadt Tórshavn anzuwachsen. Nach außen hin versöhnte sie sich pflichtschuldig und artig mit ihrem Schicksal, nicht jedoch in ihrem Inneren; sie wurde eine heillose Romantikerin, eine gespaltene Seele, eine Tagträumerin. Was nun nicht heißt, dass Großmutter grämlich oder verschlossen wurde, im Gegenteil, sie war all ihre Lebtage ein liebenswürdiger, geselliger Mensch – redete viel, fabulierte, posierte unschuldig – und blieb doch stets ein einsamer Vogel in der fremden Umgebung, in der sie gefangen war und mit der sie nie so richtig einen vertrauten Ton fand. Ihre jüngsten Kinder waren noch klein, als Großmutter Witwe wurde. Ihr Mann, der Kaufmann, starb unversehens und hinterließ nichts als Schulden. Großmutter bestritt nun viele Jahre ihren Lebensunterhalt mit Musikunterricht. Von früh bis spät saß diese lebhafte kleine Dame an ihrem alten tafelförmigen Klavier und exerzierte die Kinder und jungen Leute des Tórshavner Bürgertums, während ein ältliches, treues Mädchen Haus und Kinder besorgte. Die Kinder liebten diese alte Tórshavnerin – sie stand ihnen mit der Zeit tatsächlich näher als die eigene Mutter, die so sehr mit ihrer Unterrichtsarbeit beschäftigt war und ihren Interessen. Großmutter war nicht nur musikalisch, sie hatte auch einen Sinn für Literatur. Ihre übermöblierte Wohnstube war voller Bücher. Auf dem Klavier standen kleine vergilbte Büsten von Mozart und Beethoven, an der Wand dahinter hingen Porträts von Schiller, Chamisso, Byron und anderen romantischen Dichtern und von großen Bühnenkünstlern, Sängern und Ballettsternen wie Phister und Johanne Luise Heiberg. An einer anderen Wand hing eine Sammlung kleiner Handzeichnungen und Aquarelle, die von Großmutters Vater stammten. Mein Urgroßvater war passionierter Amateurkünstler. Von Beruf war er Schuhmachermeister, sein Geschäft in der Østergade war zeitweise durchaus bedeutend und hatte mehrere Gesellen und Ladenfräulein beschäftigt. Und auf Großmutters Erziehung war denn auch einiges Geld verwandt worden – sie hatte eine vornehme Schule besucht, sprach fließend Deutsch, auch Italienisch und Französisch waren ihr nicht fremd, und in der deutschen romantischen Literatur war sie ebenso bewandert wie in der des Goldenen Zeitalters Dänemarks. Hinzu kam ihre Theater- und Opernbegeisterung, die keine Grenzen kannte. Seit frühester Kindheit war Großmutter ein häufiger Gast im Königlichen Theater gewesen, wo einige ihrer Verwandten bei der Oper arbeiteten, und nie wurde sie müde, von diesem Tempel der Kunst, ja überhaupt vom Kopenhagen ihrer Kindheit und Jugend zu erzählen, das ihr in ihrem Exil mit der Zeit in einem ausgesprochenen Tausendundeine-Nacht-Märchenlicht erschien. Nur ein einziges Mal nach ihrer Übersiedelung nach Tórshavn hatte Großmutter Gelegenheit, über das große Meer zu ziehen und noch einmal ihre Geburtsstadt zu besuchen. Mittlerweile waren drei Jahrzehnte vergangen, und das Wiedersehen mit der Stadt ihrer Kindheit soll für sie eine große Enttäuschung gewesen sein. Kaum war sie nach Tórshavn zurückgekehrt, glitt Kopenhagen aber schnell wieder an seinen rechten Platz in ihrem Bewusstsein als die alte, alles in den Schatten stellende Märchenstadt aus feenhaften Kindheitstagen. Das gefangene Vögelchen war in seinen Bauer zurückgekehrt, und nach seiner kurzen Flucht in eine veränderte, fremde Welt hinaus konnte es sich aufs Neue seinen prächtigen Träumen überlassen und munter vom Paradies der Kindheit zwitschern. Und als ältestes Enkelkind und ständiger Gast in ihrem Heim wurde ich in diese paradiesischen Glückseligkeiten großzügig eingeweiht. Großmutters Haus steht mir noch immer als ein unvergleichliches Märchenschloss vor Augen. Es war recht groß – mein Großvater, den ich übrigens nie kennengelernt habe, war zeitweilig ein wohlhabender Mann gewesen – und lag ein Stück außerhalb der Stadt, wie eine Art Landhaus, auf allen Seiten von grünen Wiesen umgeben, die malerisch gegen eine wilde, zerklüftete Felsküste abfielen. Zum Haus gehörte ein Garten mit untersetzten, aber üppigen Ebereschen und Ahornbäumen und dichten Johannisbeersträuchern und gleich zwei Lauben, und unter dem Blattwerk hatte ein kleiner steiniger Gebirgsbach sein Bett. Dieser wundersame Garten ging nach Norden in einen nicht minder märchenhaften Friedhof über, auch dieser voller Büsche und krummer Bäume, und auf den schmalen Gängen zwischen den Gräbern lag weißer Muschelsand. Zur Winterzeit schäumte die Brandung gegen die romantisch zerrissene Küste, im Sommer gaben die Vögel vom Strand und aus den nahen Bergheiden über den blühenden Wiesen ihr lieblichstes Konzert, und im August, wenn das Heu eingebracht wurde, lag Großmutters Haus in einem betörenden Dunst aus Meer und Heuduft. Für all diese Herrlichkeiten scheint Großmutter nur wenig Sinn gehabt zu haben. Ich erinnere mich kaum, sie außerhalb des Hauses, geschweige denn draußen in der Natur gesehen zu haben. Großmutters Tagträumerleben entfaltete sich am besten innerhalb ihrer eigenen vier Wände, die Wohnstube mit ihren Bildern, Büchern, üppigen Erinnerungen und leidenschaftlichen Wunschträumen war ihr Reich. Sie fabelte nicht allein vom Kopenhagen ihrer Kindheit, sondern – auf echt romantische Weise – auch von Tirol, Italien, Sizilien, der Provence, alles Orte, die sie von Bildern kannte und aus Gedichten, hauptsächlich aber aus Opern und Balletten. Die nordischen Länder, auch die Färöer, interessierten sie nicht sonderlich; das Meer war in ihren Augen ziemlich geisttötend, und gegen die Alpenlandschaften aus Rossinis »Wilhelm Tell« waren die färöischen Berge ja als ein Nichts anzusehen. Auch ihr windiger Garten und die raunenden Wiesen und Bäume um ihr Haus reichten nicht heran an die Wunderwälder des Südens, »wo die Zitronen blühn«. Großmutters Verhältnis zur Wirklichkeit war herzzerreißend! Auf gewisse Weise war sie blind und taub für den Alltag, durch den sie sich doch so tapfer hindurchkämpfte. Menschen beurteilte sie nicht nach ihren greifbaren Qualitäten; ihre bürgerlichen Namen konnte sie nicht auseinanderhalten und ersetzte sie durch Traum- und Kosenamen. Malerische alte Tórshavner Fischer nannte sie Leonardo da Vinci oder Magellan, junge Mädchen wurden zu Mignon, Gretchen oder Agnete fra Holmegård, junge Männer waren Apollon, der »junge Oehlenschlæger«, »Ambrosius« – oder, wenn sie nicht nach ihrem Geschmack waren, Mephisto oder Nureddin. Es gab allerdings nur wenige Menschen, die Großmutter nicht mochte; sie hatte einen liebenswürdigen Hang, ihre Umgebung zu vergolden. Ihre musikalischen Kinder, die viel sangen und musizierten, nannte sie Genies, die jüngsten waren Amorini und Seraphen, meine Mutter, die recht schwierige Sachen vom Blatt spielte, galt als »die große Pianistin«, zwei Söhne, die recht tüchtig auf der Geige waren, als »reine Paganinis«. Ihre Kinder ließen sich von dieser stürmischen Vergötterung jedoch nie beirren, sie waren vernünftig und bescheiden und überdies vollkommen ohne Großmutters üppigen Wortschatz und ihre umfangreichen, aber wildschweifenden Fähigkeiten. Für mich bekam Großmutter eine Bedeutung wie der Geist der Wunderlampe für Aladdin. Als ich zur Welt kam, war sie seit zwei Jahren Witwe, und ihre Wohnstube wurde für mich schnell eine heilige Stätte, besonders dank des Reichtums an Bilderbüchern, die Großmutter mir zum Ansehen gab. Namentlich zwei davon machten einen erschütternden, unauslöschlichen Eindruck auf mich: Grimms Märchen mit ihren bekannten fantastischen, grässlichen Illustrationen und eine große gebundene Sammlung des Münchener Witzblatts »Lustige Blätter«, das Deutsche Buch, wie wir dieses farbenprächtige und unerschöpfliche Album mit...



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