E-Book, Deutsch, 358 Seiten
Heine Im Spiegel
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7597-4012-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Roman über Verlustängste, die Sehnsucht nach Liebe, das Überwinden von Grenzen. Aber auch über Verbrechen, flüssiges Silber und ein wenig auch über Magie.
E-Book, Deutsch, 358 Seiten
ISBN: 978-3-7597-4012-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als wenig später Carlotta verschwindet, ist ihr Mann, der Erzähler, sicher, dass dies etwas mit dem Spiegel zu tun hat und sucht den Verkäufer.
Diese immer gefährlicher werdende Reise bringt ihn von Hamburg über die Provence bis nach Bologna in Italien mit seinen dunklen unterirdischen Kanälen. Und schließlich führt sie, erstaunlich genug, in das Paris der blutigen Revolutionsjahre.
In einer zunächst parallel laufenden Geschichte ermittelt lspettore Solei von der Polizia di Stato in einem alten Kloster, in dem der Erzähler ihn schließlich kennenlernt und um Hilfe bittet. Eine Entscheidung mit Folgen!
'Eine in jeder Hinsicht phantastische und phantasievolle Geschichte!" Volker Hage, Journalist und Literaturkritiker
,,spannend, wirklich gelungen. Die Story ist großartig!" Sven Amtsberg, Autor und Moderator
Den ersten Roman hat der damals 12-jährige Autor für seinen Vater geschrieben, als der - dünn wie ein Strich - aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Es war natürlich ein Ritterroman, er hieß 'Jung Georg, der Held!' und hatte 28 Seiten. Der Vater war klar begeistert. Der zweite Erfolg kam, als er als Kunststudent das in Buchform erschienene Essay 'Satan' über den Atombombenabwurf auf Nagasaki in Japan schrieb. Es wurde zur Pflichtlektüre in vielen Schulen. Dann gründete er eine Werbeagentur, entwarf Kampagnen, verfasste Texte und gewann internationale Preise. Erst seit 2018, seitdem er, wie er sagt, den Kopf wieder frei hat, schreibt er Romane, Kurzgeschichten und Thriller. 'Im Spiegel' ist sein erster Spannungsroman. Der Autor lebt mit seiner Familie in Hamburg
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1
Hamburg. Die Trattoria
Ein heftiges Frühlingsgewitter zog über die Stadt. Es regnete in Strömen, es goss!
Die große Ratte nutzte geschickt die Strömung des abfließenden Wassers im Rinnstein seitlich der Straße. Sie selbst bewegte sich kaum, ihr erhobener Kopf mit den schwarzen Knopfaugen, den kleinen Ohren und dem rosigen Näschen aber verriet höchste Aufmerksamkeit. Das nasse graubraune Fell klebte an ihrem sehnigen Körper und für eine Sekunde sah man ihre rosa Pfoten, mit deren Hilfe sie sich, den Kopf voran, mit einer fast eleganten Bewegung durch das Gitter des Gullys zwängte und, zusammen mit den eiligen Abwassern, in der Tiefe verschwand.
Ali, unser Gemüsehändler, hatte uns auf sie aufmerksam gemacht. »Die kriegen das einfach nicht in den Griff!«, sagte er und meinte natürlich die Stadtverwaltung.
Carlotta, die sicherheitshalber meinen Arm hielt, schüttelte sich angewidert und sagte: »Einfach eklig!«
Ich aber sah das eher gelassen und zitierte einen Spruch, den mein Freund und Schwager Sebastian bei solchen Gelegenheiten gerne loslässt:
»Ratten sind auch nur Menschen!«
Das allerdings sollte mir noch leid tun!
»Sehr witzig!« Und es war nicht ganz klar, ob Carlotta damit mich oder das tobende Unwetter meinte. Wir bewegten uns im Schutze der Hochbahntrasse, die sich breit und hunderte von Metern lang über den ebenso langen Wochenmarkt spannt und den Himmel noch mehr verdunkelte. Der böige Wind fuhr in die Auslagen der Stände und trieb nicht rechtzeitig geschütztes Grünzeug, leere Plastiktüten und buntes Einwickelpapier erbarmungslos vor sich her.
Eine zerzauste Rose landete direkt vor unseren Füßen. Carlotta bückte sich, um sie aufzuheben, als ein Blitz, begleitet von Donner, das Zwielicht unter den Gleisen zerriss.
Carlotta erschrak. Ich glaube, wir alle erschraken.
»Oh mein Gott!«, sagte sie. Wenn Carlotta sonst »Oh mein Gott!« sagt, ist das meistens kein Hilferuf. Es klingt eher erstaunt, belustigt, ein wenig empört.
Sie zog, im jetzt schon wieder gespielten Schrecken, die Augenbrauen amüsiert in die Höhe. Dann hakte sie sich bei mir unter, ich spannte den Schirm auf und wir eilten quer über die von Feuchtigkeit glänzende Straße direkt in die kleine Trattoria, in der wir von Vito, dem Padrone, bereits erwartet wurden.
Genau hier vor der Trattoria hatten Carlotta und ich uns kennengelernt. Es war im vergangenen Jahr an einem schon dämmrigen Sommerabend. Ich kam direkt aus der Anwaltskanzlei, in der ich als Juniorpartner angestellt bin. Ich erinnere das vertraute Rauschen der vorbeifahrenden U-Bahn, das heitere Stimmengewirr der Leute an den Tischen vor den Lokalen, den schrägen Geruchs-Mix aus Benzin und dem herbsüßen Duft der blühenden Linden. Eben passierte ich die beleuchteten Schaufenster eines der hier zahlreichen Antiquitätengeschäfte, als ich in ihrem Licht die schlanke Silhouette einer jungen Frau sah. Sie hatte die Haare zurückgekämmt, ihr Profil war von einer nahezu klassischen und zugleich anrührend einfachen Schönheit.
Ich war wie verzaubert, blieb stehen, folgte ihrem Blick in die Fenster, und Dinge, die ich bisher gar nicht wahrgenommen hatte, wurden plötzlich wichtig. Ich sagte so etwas Banales wie »Schöne Spiegel!« und sah sie erwartungsvoll an.
Sie wandte den Kopf. »Ja, finde ich auch! Ich kann einfach nicht vorbeigehen.«
Sie lächelte. »Und Sie, mögen Sie Spiegel?«
Irgendwie hatte ich gehofft, dass sie grüne Augen haben würde und – wow – genauso war es! Ein flirrendes, goldgeädertes Grün. Jadegrün.
Kurz, wir fanden uns auf Anhieb sympathisch und beschlossen, in der benachbarten Trattoria noch etwas zu trinken. Sie erlaubte mir, sie einzuladen. »Sehr gern.« sagte sie und ich merkte, dass sie sich über die Frage amüsierte. Ich weiß kaum noch, was wir geredet haben. Aber ich erinnere mich sehr genau an die zarte Biegung ihres Halses, ihre leicht gebräunte Haut, ihre kaum gebändigten, selbst im Zwielicht der Kerzen seidig schimmernden Haare, ihre wie die Schaumkrone einer Welle sich ständig verändernden Lippen und, vor allem, an ihre Augen! Grüne Augen, Jadeblicke, die scheinbar belustigt und doch ernst über mich hinglitten. Die mich prüften, tief in mich eindrangen und mir meine Seele stahlen. Wobei »stehlen« das falsche Wort ist, ich ging freiwillig mit.
Nie zuvor und nie mehr danach hatte ich mich so hilflos glücklich gefühlt. Alle Verhaltensregeln, die ich mir für solche Eventualitäten mühsam erarbeitet hatte, wurden außer Kraft gesetzt. Mein Seniorchef, hoch in den Sechzigern, der immer noch große Rosensträuße kaufte und abends damit irgendwo hinging – natürlich nicht nachhause zu seiner dritten Frau, ätzte seine Sekretärin – mein Chef also bemühte bei passender Gelegenheit oft eine Plattitüde: »Drum prüfe, wer sich ewig bindet …«. Den Rest ließ er weg. Dieser Spruch, der mich früher in seiner Schlichtheit schon mal zur Vernunft gebracht hatte, fiel mir jetzt nicht mehr ein. Mir fiel überhaupt nichts mehr ein – außer Carlotta.
In den folgenden Tagen trafen wir uns immer öfter, auch in der Trattoria. Und eher nebenbei registrierten wir, dass wir das Lokal mochten. Der Wein war gut, die Antipasti hervorragend, die Wirtin sympathisch. Faszinierend aber, faszinierend war die Atmosphäre.
Von der Decke hingen mehrere Kronleuchter dicht beieinander, und, obwohl ihre Kristalle zu funkeln versuchten, wirkten sie staubig. Anscheinend wurden sie nur als Deko genutzt, sie gaben kein Licht.
Das Licht kam von den Kerzen, die auf den wenigen Tischen standen. Ringsum hingen alte und offensichtlich kostbare Spiegel, die den Raum auf eine eigenartige Weise vergrößerten. In denen sich die Kerzen vielfach vermehrten und manchmal glaubte man in endlose Korridore zu blicken, die sich irgendwo im Dunkel verloren.
Das gefiel besonders Carlotta.
Carlotta veränderte mein Leben. Während ich oft ziemlich erledigt am Abend nachhause kam, den Kopf voller Büroprobleme, sprühte sie noch vor Energie. Sie ist jung – ich bin sechs Jahre älter – und sie ist neugierig auf die Welt. Ihr Job als Kunsthistorikerin bei der Kulturbehörde macht ihr Spaß. Aber er lastet sie nicht aus.
»Was machen wir heute Abend?« fragte sie und hatte auch gleich die passenden Ideen. Sie kannte kleine versteckte Cafés, zeigte mir neue Bars und wir gingen Tanzen. Wir traten der Theatergemeinde bei und den Freunden der Kunsthalle. Natürlich haben wir ein Abo für die Elbphilharmonie und man sah uns auf jeder wichtigen Vernissage. An den Wochenenden waren wir oft in Berlin oder auch schon mal in Paris. Wir luden Freunde ein. Und wurden eingeladen.
Carlotta faszinierte mich auch wegen ihrer Widersprüche. Sie hatte die selbstverständliche Kraft einer Wildkatze und zugleich die Zerbrechlichkeit eines kleinen Vogels. In ihrer Zartheit erinnerte Sie mich an »Tschilp«.
Tschilp war eine junge Rauchschwalbe, die eines Tages – ich war damals 12 Jahre alt – auf meinem Fensterbrett saß. Sie konnte noch nicht richtig fliegen, hüpfte unruhig hin und her und sprach mit mir: »Tschilp, tschilp, tschilp!« Das gab ihr den Namen. Nach einigen vergeblichen Versuchen konnte ich sie füttern. Sie unternahm ihre Testflüge in meinem Zimmer und wenn sie müde war, schlüpfte sie in meine offene Hand. Sie liebte die Wärme und schlief dort ein. Ich erinnere noch sehr genau mein kindliches Entzücken, wenn sie im Schlaf ganz leise zwitscherte. Dann machte mein Herz einen Sprung.
Mein Fenster stand immer offen und eines Tages war sie fort. Aber sie besuchte mich noch manchmal des Nachts oder am sehr frühen Morgen. Sie hinterließ dann ihre Visitenkarten auf der Fensterbank.
Diese Geschichte erklärt vielleicht meine Träume. Ich träume manchmal, Carlotta und ich, wir wären zwei Vögel. Wir genießen die grenzenlose Freiheit des Fliegens!
Wir schweben einfach nebeneinander, lassen uns fallen, steigen wieder empor. jagen spielerisch hintereinander her, wiegen uns im Wind.
Carlotta steigt höher und höher und ich versuche, ihr zu folgen. »Komm doch, ich warte!« höre ich sie rufen. Aber dann ist sie nur noch ein kleiner Punkt in der Bläue des endlosen Himmels. Und schließlich sehe ich sie nicht mehr.
Dann wache ich auf, schweißnass, und höre ihren Atem neben mir und spüre ihre Wärme, berühre ihre Haut. Und bin beruhigt.
Neun Monate nach unserem überraschenden Kennenlernen waren wir verheiratet und kauften eine Wohnung ganz in der Nähe im Woldsenweg. Ein günstiger Kredit und unsere Eltern machten es möglich.
Und heute, nach unserem Gang über den Wochenmarkt, waren wir mit Vito verabredet, um einen Spiegel zu kaufen. Ihm gehörte nicht nur die Trattoria, sondern auch das sich anschließende Antiquitätengeschäft. Der...