Hein | Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Hein Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand

Roman
14001. Auflage 2014
ISBN: 978-3-492-96889-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-492-96889-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit den Kumpels hinter einem Glas Cola-Weinbrand in der Klubgaststätte »Kalinka« zu hocken, bis das nächste Stück von »The Cure« kam: Das war schon okay. Wirklich cool aber waren die Momente mit Sarah. Sarah war die Frau seines Lebens. Sicher würde sie das auch bald rausfinden. So lange fand Sascha sich damit ab, nur der Vollidiot zu sein, der daneben stand, während Sarah mit »Dose« zusammenkam, dem Sänger von »Productive Cough«. Bis ihm klar wurde, dass er sein Leben nicht für die Liebe einer Unbelehrbaren wegschmeißen konnte. Dann vielleicht doch Doreen aus Treptow, die Ex von Olli. Irgendwann würde es ihm gelingen, hinter das Geheimnis der Frauen zu kommen.– Ostdiscos, die letzten Jahre der DDR und die Peinlichkeiten des Erwachsenwerdens.Zum Lesungsvideo auf www.zehnseiten.de.
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Ex von Olli

Nachdem ich gleichzeitig mit Sarah und Tobias Schluss gemacht hatte, hing ich zu Hause rum und tat nichts. Selbst in der Schule saß ich depressiv da und begann vor lauter Langeweile, mich am Unterricht zu beteiligen. Als mich ausgerechnet Dr.Schwerdt, unser Mathelehrer, für mein gutes Verhalten in den letzten Wochen lobte, beschloss ich, dass es so nicht weitergehen konnte. Sarah und Tobias waren Irrtümer, aber es wäre der größere Irrtum gewesen, wegen dieser Idioten mein Leben wegzuschmeißen.

Anette erschien mir als der richtige Anknüpfungspunkt für ein Leben nach Sarah, denn sie hatte eine eigene Wohnung, in einem Hinterhaus in der Dimitroffstraße. Und obwohl ich Anette über Sarah kannte, beschloss ich, dass ich mich bei ihr ruhig melden konnte. Die Wohnung besaß unendlich viele Vorzüge. Wenn man nicht auf Anettes Sofa schlafen wollte, fuhren U-, S- und Straßenbahnen direkt am Haus vorbei, es gab sogar eine Nachtbuslinie, eine recht gut funktionierende Toilette, mehr als ein Zimmer, und der Rest des Hauses stand entweder leer oder war von Alkoholabhängigen bewohnt, so dass niemand sich dafür interessierte, wer was wann in Anettes Wohnung machte und schon gar nicht in welcher Lautstärke. Man konnte, so schien es mir, Tag und Nacht bei ihr vorbeigehen und klingeln, Anette war fast immer da, meist auch noch jemand anderes. Abends begannen wir zu unseren wichtigen Diskussionen Alkohol zu trinken, und wenn es zu unübersichtlich wurde, nannten wir es eben Party.

Mit zwei Flaschen Wein in der Hand klingelte ich eines Abends bei Anette, irgendjemand öffnete mir die Tür und winkte mich hinein. Anette erkannte mich, und schon war ich drin.

Wir feierten, im Sommer fuhren wir gemeinsam an den See, wenn es ein Konzert gab, gingen wir gemeinsam hin, und sogar Weihnachten verabredeten wir uns spätabends noch bei ihr zur Party.

Alles hätte wunderschön sein können, das Problem war nur, dass es bei Anette vor Frauen nur so wimmelte. Große Frauen, kleine Frauen, blonde Frauen, schwarzhaarige Frauen, Frauen mit hennaroten Haaren. Ihre Namen waren gleichzeitig einfach und darum wieder schwer zu merken, man konnte sie zum größten Teil aus den Anfangsbuchstaben des Armeesportklubs (ASK) zusammenbasteln. Anja, Andrea, Astrid, Anke, Stefanie, Silke, Sandra, Sonja, Karin, Katja, Katrin, Kathleen. Selten mal eine Nadine oder Mandy dabei. Überhaupt Mandy – ein Name, zwei Missverständnisse. Barry Manilow hatte das Lied, das im Original Brandy hieß und dem Alkohol gewidmet war, umbenannt, um rechtliche Streitigkeiten zu vermeiden. Dann wurde es ein Hit, die ostdeutschen Mütter hörten es im Westradio und mussten denken, dass alle Mütter zwischen New York und Los Angeles so ihre Kinder nannten. Tanzen konnte man auf die Nummer nur langsame Runde.

Aber wie auch immer die Frauen hießen, sie waren wunderschön, meistens ein bisschen älter als ich. Ich würde schätzen, dass ich in jede Einzelne von ihnen zum einen oder anderen Zeitpunkt verliebt war. Seit ich mich von Sarah losgesagt hatte, war das für mich einfach die übliche Art, eine Frau kennenzulernen. Ich traf sie, verliebte mich bis über beide Ohren, dachte Tag und Nacht an diese Frau, versuchte, sie so oft wie möglich »zufällig« zu treffen, und beklagte in langen, schlaflosen Nächten den Umstand, dass sie sich nie in mich verliebten. Das einzig Gute war, dass ich mir so die Namen der Frauen gut einprägen konnte.

Doreen zum Beispiel gehörte zu den Frauen, die man bei Anette treffen konnte. Sie hatte ausreichend Körper für eine üppige weibliche Linie, ohne im Mindesten dick zu sein. Ihre langen rotblonden Haare trug sie zu einem strengen Zopf gebunden, sie lachte rau und kräuselte ihre Oberlippe wunderschön, wenn sie einen Tabakkrümel entfernen wollte. Nachdem ich sie bemerkt hatte, schien es auch keinen besonderen Grund dafür zu geben, warum ich sie nicht schon seit einigen Jahren gekannt hatte. Doreen schien praktisch alle meiner Freunde und Bekannten zu kennen. Aber wer war plötzlich diese Frau?

Katja, die alles wusste und die in unserem Kreis mit Sicherheit über die meisten Informationen verfügte – was auch damit zusammenhing, dass sie viele dieser Informationen selbst produzierte –, durfte ich diese Frage auf keinen Fall stellen. Denn Katja lebte vor allem das Leben anderer. Sie war schön wie eine Frau auf einem Ölgemälde und genauso unnahbar. Statt eines eigenen Lebens verbrachte Katja das Leben ihrer Freunde und ihrer Bekannten sowie deren Freunde und Bekannte. Wenn sie sich im Raum befand, nahm sie sämtliche Trennungsgerüchte und Bettgeschichten wahr, ohne dass sie notwendigerweise an den Gesprächen teilnehmen musste, wie Salz, das auch Feuchtigkeit aus der Luft in sich aufnehmen kann. Von Katja hätte ich also etwas über Doreen erfahren können, aber direkt fragen durfte ich Katja nicht.

Ich fragte Anette, die man immer fragen konnte, weil Anette arglos und meist mit ihren eigenen Schwierigkeiten beschäftigt war: »Wer ist eigentlich die Frau da hinten bei Matthias und Daniel?«

»Das ist Doreen«, antwortete Anette. »Die Ex von Olli.«

Doreen, dachte ich. Willkommen im Club!

Dann wandte sich Anette wieder ihrem Fingernagel zu, den sie sich gestern eingerissen hatte an der Autotür von diesem Typen aus Westberlin, der eigentlich aus Österreich kam und so verliebt in sie war, dass er sie gern in seinem Kofferraum mit über die Grenze genommen hätte. Andererseits war er so sparsam, dass, wenn er schon die Gebühr an der Grenze bezahlte und Anette im Osten besuchte, sich ihre Besucher bis spätestens zehn Uhr verabschieden mussten, damit der Österreicher noch Sex mit ihr haben und trotzdem vor Mitternacht wieder zurück an der Grenze sein konnte. Denn nach Mitternacht hätte er noch mal bezahlen müssen. Das alles erzählte sie mir, während sie an ihrem Fingernagel pulte. Und deswegen konnte man ihr solche Fragen stellen.

Ich fand heraus, dass Doreen Kellnerin in einem Café am anderen Ende der Stadt war. Ich wusste, dass sie genauso alt war wie ich und wo sie herkam. Was ich nicht wusste, war, ob sie »die Ex von Olli« war, wie es Anette und ein paar andere behaupteten, oder ob sie die »ach so, die Freundin von Olli« war, was der andere Teil der von mir unauffällig befragten Personen zu Protokoll gab. Ich hielt letztere Version für wahrscheinlicher, weil Doreen auf diese Art nahtlos zu all meinen anderen Frauen gepasst hätte.

Trotzdem nahm ich meinen Mut zusammen und fuhr zu dem Café. Und tatsächlich hatte ich Glück, Doreen arbeitete an dem Tag. Von ihr unbemerkt nahm ich mit heftigem Herzklopfen an einem der Tische Platz. Plüschige Stühle standen an vierbeinigen Tischen, die Strukturtapete zeigte ein Blumendekor in gedecktem Gelb, auf der Karte standen Würzfleisch und Soljanka. Doreen trat zu mir an den Tisch und nahm die Bestellung auf. Sie hatte eine weiße Servierschürze umgebunden, aus der ein riesiges Portemonnaie ragte. Nachdem ich bestellt hatte, ging sie zurück in die Küche und kam ein paar Minuten später mit einem silbernen Tablett zurück, auf das ein durchbrochenes Papierserviettchen drapiert war, und stellte mir ein Kännchen Kaffee, ein kleines Kännchen Kaffeesahne, eine Tasse und eine Dose Würfelzucker mit einer verchromten Würfelzuckerzange auf den Tisch. Dabei sah sie mich die ganze Zeit auffällig unauffällig an. »Sag mal, wir kennen uns doch. Von Anette. Du bist doch Alexander, oder?«, sagte sie schließlich.

»Ja, Sascha«, stammelte ich verblüfft. »Du bist Doreen. Ich dachte, du hättest mich nicht erkannt.«

»Was? Und ich dachte, du hättest mich nicht erkannt.« Jetzt lachte Doreen laut durch das ganze plüschige Café mit seinen Strukturtapeten und den Lampen, die an goldenen Ketten von der Decke hingen, durch deren große Glieder sich das Elektrokabel schlängelte. Doreen sah sehr schön aus in ihrem langärmlig eng anliegenden Oberteil und dem kurzen schwarzen Rock. »Du, ich muss jetzt noch arbeiten, da kann ich immer nicht quatschen. Aber in einer Stunde habe ich Feierabend, vielleicht bleibst du noch so lange?«

Ein »Ja« konnte ich mir nicht mehr herausquetschen, aber es gelang mir noch eine Art zustimmender Kopfbewegung.

Doreen schloss das Café pünktlich, weil sich ohnehin ab halb sechs kein Gast mehr dort aufgehalten hatte. Damals trank man in Cafés ausschließlich Kaffee und aß dazu Kuchen oder Eis. In einem Café Mittag zu essen, dort lange Bier zu trinken oder endlos zu frühstücken, davon hatten wir aus dem Westen gehört, bei uns gab es so etwas nicht.

»Wollen wir noch zu mir gehen?«, fragte Doreen. »Ich wohne gleich um die Ecke.«

»Okay«, sagte ich verdutzt. Ich hätte nie gedacht, dass es so einfach sein würde.

Sie hatte eine Wohnung in der Nähe des S-Bahnhofs, und weil die Wohnung im vierten Stock lag, besaß sie als Einzige im Haus einen Schlüssel zum Dachboden und hatte daher beschlossen, dass dieser auch zu ihrer Wohnung gehörte. Dort hing ihre Wäsche, und Olli hatte sich zu seiner Zeit dort eine Dunkelkammer eingerichtet.

»Weißt du, Olli, mit dem war ich früher mal zusammen.«

»Ja, habe ich gehört.« Ich wollte das Gespräch nicht unbedingt auf Olli lenken.

Dafür wollte Doreen das Gespräch umso mehr auf Olli lenken. Wie gemein er zu ihr gewesen sei und ob ich wüsste, dass er was mit Antje gehabt hatte, und dass sie extra für ihn nach Treptow gezogen sei und dass er am Anfang viel netter gewesen sei und dass Doreen ihm zwei Hosen genäht hatte, die graue und die dunkelblaue mit den großen, tief sitzenden Taschen. Dass Olli früher viel mehr geraucht hätte und dass seine Oma über Unmengen von Westgeld verfügen würde, wovon sie zwar Olli etwas...


Hein, Jakob
Jakob Hein, geboren 1971 in Leipzig, wuchs in Berlin auf, wo er heute als praktizierender Arzt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen lebt. Neben den Bestsellern »Mein erstes T-Shirt«, »Formen menschlichen Zusammenlebens« und »Herr Jensen steigt aus« erschienen unter anderem von ihm sein autobiografisches Familienporträt »Vielleicht ist es sogar schön«, »Gebrauchsanweisung für Berlin«, »Antrag auf ständige Ausreise«, »Der Alltag des Superhelden«, »Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht« und der Roman »Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand«.



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