E-Book, Deutsch, 275 Seiten
Heilmann Shattered Smile: Wenn ich perfekt wäre
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-492-98809-4
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein New-Adult-Roman um Selbstzweifel und Mobbing
E-Book, Deutsch, 275 Seiten
ISBN: 978-3-492-98809-4
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ihre Leidenschaft zum Schreiben entwickelte Sabrina Heilmann bereits in jungen Jahren. Sie wurde 1991 in Elsterwerda geboren und wuchs in einem kleinen Dorf in Sachsen auf. Nun lebt sie mit ihrem Mann in dem Städtchen Großenhain. Die Achtundzwanzigjährige schreibt hauptberuflich und träumt sich dabei gern zu den romantischsten Orten der Welt. In den letzten fünf Jahren veröffentlichte die junge Autorin über zwanzig Romane im Selbstverlag. Neben dem Schreiben interessiert sie sich auf für Fotografie. Ihre Lieblingsmotive sind die schöne Landschaft ihrer Heimat, aber auch von Menschen vergessene, längst vergangene Schönheiten. Seit Dezember 2015 führt sie den Blog »Herzemotion«, in welchem sie bewegende, traurige und fröhliche Geschichten ganz normaler Menschen erzählt. Im Januar 2020 gründete zu dem Blog das Format »Schreib.Emotion«, in welchem sie Schreib- und Autorenlebentipps gibt und sich ausführlich mit dem Thema Mindset für Autoren beschäftigt. Besucht Sabrina Heilmann auch bei: Facebook: www.facebook.com/sabrinaheilmann.autorin Instagram: @sabrinaheilmannautorin www.sabrinaheilmannautorin.de
Autoren/Hrsg.
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Eins
»Ich kann ihr die Wahrheit nicht sagen, Maman.«
Die Stimme meiner Schwester hallte durchs Wohnzimmer und ich stoppte überrascht an der Wohnungstür. Leise schloss ich sie und hoffe, dass Odette mich nicht bemerkt hatte.
»Odette, ich verstehe deine Angst, aber bevor Candice nach Rom geht, sollte sie davon erfahren«, antwortete Maman. Ihre Stimme klang durch den Lautsprecher des Smartphones verzerrt.
Ich lauschte. Den Geräuschen nach lief meine Schwester aufgeregt hin und her, wie immer, wenn eine Situation außerhalb ihrer Kontrolle lag, oder ihr etwas über den Kopf wuchs.
»Wir wissen nicht, ob sie eine Zusage erhalten hat. Es ist zwar ein Schreiben von der Uni gekommen, doch dort könnte alles Mögliche drin stehen. Ohne diesen verdammten Brief, wüsste ich nicht einmal, was sie vorhat.«
Meine Mutter seufzte laut. »Odette, du hättest nicht in ihren Sachen wühlen dürfen, sondern abwarten, bis sie dir davon erzählt.«
Meine Schwester lachte auf, es klang seltsam traurig. »Also nie«, hauchte sie und mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen.
Ich schlüpfte aus den Sneakers. Was für ein Geheimnis hatten Maman und Odette vor mir? Und warum sollte meine Bewerbung für ein Auslandssemester in Rom etwas ändern?
»Maman, wenn Can…«
Ich schlich in Richtung Wohnzimmertür, den Blick konsequent nach oben gerichtet. Plötzlich trafen meine Zehen auf einen Widerstand, der heute Morgen noch nicht dort gewesen war. »Merde!«, fluchte ich und meine Schwester verstummte schlagartig.
»Maman, ich muss auflegen. Ich melde mich in den nächsten Tagen bei dir.«
Odette kam in den Flur gerauscht und starrte mich aus ihren unergründlichen, eiskalten Augen an. »Candice.«
Stumm betrachtete ich meine sechzehn Jahre ältere Schwester. Ihr perfekt geföhntes Haar fiel über ihre schlanken Schultern. Die Arme hatte sie abwehrend vor der Brust verschränkt.
»Wieso bist du schon zu Hause? Hast du keine Vorlesungen mehr?«, fauchte sie.
Ich holte tief Luft und widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. »Ich habe Semesterferien und war in der Bibliothek, um an meinem Aufsatz zu arbeiten. Das habe ich dir gesagt, bevor ich gegangen bin.«
»Wie auch immer.« Odette drehte sich um und marschierte zurück ins Wohnzimmer. Ich folgte ihr, während ich in Gedanken abwog, ob ich sie auf das Telefonat ansprechen sollte. Ich gehörte nicht zu den Menschen, die offene Konfrontationen mit anderen suchten. Abgesehen davon, dass ich oft schüchtern oder ängstlich reagierte, hatte ich heute keine Lust, mit Odette zu diskutieren. Das kam ohnehin viel zu oft vor.
»Gib mir den Brief von der Uni in Rom!«, forderte ich so selbstbewusst wie möglich. Odette hörte auf, die Umschläge auf dem Esstisch zu sortieren.
»Du hast uns belauscht«, knurrte sie. Das war keine Feststellung, sondern ein Vorwurf.
»Ich habe euch bis in den Hausflur gehört. Gib mir den Brief!«
Meine Schwester zog einen dünnen, weißen Umschlag aus dem Stapel und warf ihn mir vor die Füße. Ihr arroganter Blick schickte einen Schauer durch meinen Körper.
»Glaube nicht, dass ich einen Cent dafür zahlen werde! Wenn du so unbedingt von hier wegwillst, musst du das allein schaffen!«, zischte sie giftig. Sekunden später knallte die Wohnungstür ins Schloss.
Bisher hatte ich immer im Schatten meiner Schwester gestanden. Als ich Bestnoten mit nach Hause gebracht, den Kunstpreis in der Schule gewonnen und einen der begehrten Studienplätze am Ècole spéciale d’architecture bekommen hatte, bejubelten alle nur die erfolgreiche Newcomer-Designerin Odette Medeaux. Weil ich keine Miete zahlen und mir auch sonst keine Gedanken um Geld machen musste, ertrug ich es stumm.
Ich wollte mir die Wut nicht anmerken lassen, doch als ich mich nach unten beugte und den Umschlag aufhob, zitterten meine Finger.
Mein Blick fing das winzige Logo der Universitá degli Studi di Roma ein und mein Herzschlag beschleunigte sich.
Ich holte tief Luft. Obwohl ich so ungeduldig auf dieses Schreiben gewartet hatte, traute ich mich nicht, den Umschlag zu öffnen.
Als ich wenig später den schmalen Sandweg im Jardin de la Nouvelle erreichte, durchströmte mich sofort ein Gefühl der Befreiung. In die kleine Pariser Parkanlage, die an das Wissenschaftsmuseum Palais de la Découverte angrenzte, zog ich mich immer dann zurück, wenn ich mich nach Ruhe sehnte. Aber heute war es nicht die Ruhe, die mich zu meinem liebsten Platz in der Stadt führte. Sondern der Wunsch, den Brief allein für mich zu lesen. Er hatte die Macht inne, mein bisheriges Leben völlig auf den Kopf zu stellen.
Schnellen Schrittes erreichte ich die alte Steintreppe, die mir schon vor Jahren mein Herz gestohlen hatte. Glücklich sank ich auf die vorletzte Stufe und lehnte mich mit dem Rücken an das unebene Felsgestein, welches sie auf der rechten Seite eingrenzte. Dichtes Grün bot mir den Schutz, den ich suchte. Touristen tummelten sich lieber in den berühmten Parks, wie dem Jardin du Luxembourg oder in der schön gestalteten Anlage des Louvre. Ich hingegen gehörte zu den Menschen, die sich oft vom Trubel des Pariser Lebens zurückzogen und es bevorzugten, ihren Gedanken allein nachzuhängen. So oft hatte ich mich in dieser Stadt fehl am Platz gefühlt, hatte mich gefragt, wie ich in das Bild der französischen Leichtigkeit passen sollte. Denn die Vorzeige-Pariserinnen waren schlank, groß, atemberaubend schön und stilsicher.
Das komplette Gegenteil von mir.
Während der Schulzeit war ich eines der pummeligsten Mädchen gewesen und auch heute, mit zweiundzwanzig Jahren, stachen meine weiblichen Rundungen ins Auge. Mein Oberkörper und meine Arme waren nicht übermäßig dick, doch die Hüften waren zu ausladend und meine Oberschenkel zu prall, was meine schmale Taille zusätzlich betonte. Obwohl ich mein Gesicht mit den außergewöhnlichen, bernsteinfarbenen Augen hübsch fand, machten sich die anderen nur über meine Naturlocken lustig.
Meine Klassenkameraden hatten nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich weniger wert war, nur weil ich ihrem optischen Ideal nicht entsprach. Tag für Tag hatten sie das Messer tiefer in mein Herz getrieben und damit nicht nur einen Teil meiner Persönlichkeit, sondern auch meines Selbstbewusstseins zerstört.
Mein Studium sollte ein Neuanfang sein. Doch ich lernte schnell, dass es ein noch schlimmeres Gefühl gab.
Die Ignoranz, mit der ich jetzt zu kämpfen hatte.
An der Uni interessierte sich niemand für mich. Ich ging zu meinen Kursen und verschwand in der Masse, die täglich in die Hörsäle strömte.
Ich hatte mir das Studentenleben immer anders vorgestellt, daran waren die amerikanischen Filme schuld. Hatte davon geträumt, mit meinen Kommilitonen zu lernen, Party zu machen, ein Teil einer Gruppe zu werden. Endlich akzeptiert zu werden.
Während andere Studenten lachend den Hörsaal oder Seminarraum verließen und sich für das Wochenende verabredeten, warf ich ihnen nur sehnsüchtige Blicke zu, in der Hoffnung, man würde einen Schritt auf mich zugehen.
Nichts passierte – und ich selbst war zu schüchtern, um den ersten Schritt zu machen. Selbst bei Gruppenprojekten hatte ich das Gefühl, dass mich niemand dabeihaben wollte.
Und nun hatte ich endlich eine weitere Chance, neu zu beginnen. Ich musste lediglich über meinen Schatten springen.
Langsam zog ich den Briefumschlag aus meiner Tasche, öffnete ihn und faltete den Zettel auseinander. Meine Augen huschten über die wichtigsten Zeilen.
Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie den Anforderungen unseres Auswahlverfahrens entsprechen und wir Ihnen im folgenden Semester einen Platz an der Universitá degli Studi di Roma anbieten können.
Ich studierte seit zwei Jahren Architektur am École spéciale d’architecture. Das Studium war großartig und ich widersprach gern, wenn es jemand als trocken und langweilig bezeichnete. Natürlich waren die theoretischen Kurse zur Bau- und Kunstgeschichte oft zäh wie Kaugummi, doch der praktische Teil machte all das wieder wett. Wenn ich zeichnete und Modelle baute, tauchte ich in eine Welt ein, in der die Realität keine Rolle spielte. Eine Welt, in der ich glücklich und zufrieden mit mir selbst war.
Als ich mich für das Auslandssemester an der Universität in Rom beworben hatte, hatte ich niemals mit einer Zusage gerechnet. Seufzend faltete ich den Brief zusammen und verstaute ihn im Umschlag, den ich in der Tasche verschwinden ließ.
Ich hatte aus einem spontanen Impuls heraus eine Bewerbung eingereicht und dachte jetzt zum ersten Mal darüber nach, wen ich in Paris zurücklassen würde.
Meine Schwester …
Meine einzigen Vertrauten und besten Freunde Nic und Stefanie.
Während ich tief Luft holte, stand ich auf und hing mir die Tasche über die Schultern, doch ein Schimmern im Felsen erweckte meine Aufmerksamkeit. Meine Finger tasteten danach und ich zog das feingliedrige Band einer rotgoldenen Kette aus einer Felsspalte. Überrascht betrachtete ich das schlichte Medaillon, das zum Vorschein kam. Es sah teuer aus. Warum ließ es jemand hier im Felsen zurück?
Behutsam öffnete ich den winzigen Verschluss und blickte auf das Foto einer jungen Frau, die ein Baby liebevoll auf die Stirn küsste. Obwohl dieses Bild ausgeblichen und in schlechter Qualität war, hatte es dennoch etwas Vertrautes, das ich nicht zuordnen konnte. Glück und Wärme kannte ich in meiner Familie nicht.
Mit einem Lächeln auf den Lippen legte ich die kleine Kostbarkeit an seinen Platz zurück. Es fühlte sich falsch an, es mitzunehmen. Der Besitzer...