Heidenreich Altern
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-446-28040-3
Verlag: Hanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 112 Seiten
Reihe: Hanser Berlin LEBEN
ISBN: 978-3-446-28040-3
Verlag: Hanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alle wollen alt werden, niemand will alt sein. Der Widerspruch ist absurd, das Leiden daran real. Wie lernen wir, so gut wie möglich damit zurechtzukommen? Geht das, alt werden und ein erfülltes Leben führen? Elke Heidenreich hat sich mit dem Altwerden beschäftigt. Herausgekommen ist dabei ein Buch, wie nur sie es schreiben kann. Persönlich, ehrlich, doch nie gnadenlos, mit einem Wort: lebensklug. Sie denkt über ihr eigenes Leben nach, und das heißt vor allem, über ihre Beziehungen zu anderen Menschen. Im Alter trägt man die Konsequenzen für alles, was man getan hat. Aber mit ihm kommt auch Gelassenheit, und man begreift: 'Das meiste ist vollkommen unwichtig. Man sollte einfach atmen und dankbar sein.'
Elke Heidenreich lebt in Köln. Sie studierte Germanistik und Theaterwissenschaft und arbeitete bei Hörfunk und Fernsehen. Für ihr Werk wurde sie mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Ernst-Johann-Literaturpreis 2021. Bei Hanser erschienen u.a.: Der Welt den Rücken (Erzählungen, 2001), Passione (Liebeserklärung an die Musik, 2009), Alles kein Zufall (Kurze Geschichten, 2016), Männer in Kamelhaarmänteln (Kurze Geschichten über Kleider und Leute, 2020) und zuletzt Ihr glücklichen Augen (Kurze Geschichten zu weiten Reisen, 2022). Im Kinder- und Jugendbuch veröffentlichte sie u.a. Nero Corleone kehrt zurück (mit Quint Buchholz, 2011), Nurejews Hund (mit Michael Sowa, 2013) und Erika (mit Michael Sowa, 2015). 2023 folgte Frau Dr. Moormann & ich (Illustration: Michael Sowa).
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So.
Und nun suchen Sie sich aus diesen zwei Lebensversionen doch bitte eine aus.
Zu ergänzen wäre, um es komplett zu machen, dass ich mein Leben lang zu viel geraucht, zu viel getrunken habe und zu leichtsinnig schnell früher Motorrad, später Auto gefahren bin, ich habe nie wirklich irgendeinen Sport betrieben, habe kein Talent zu sexueller Treue und war also nicht besonders gut zur Ehe geeignet. Ich habe zig Bestseller geschrieben, bin also sorgenfrei, was ganz wunderbar ist, und da sitz ich jetzt in einem Haus voller Bücher und denke: ist doch ein großartiges Leben.
Ja, und dann das Alter. Wieso das denn? Seit wann? Wo kommt denn das auf einmal her? Warum?
Eins wollen wir mal klarstellen: eine Frau, die — wie ich — nie Mutter wurde (ich wollte nicht, ein Abbruch in sehr jungen Jahren), die also auch nicht Großmutter sein muss oder darf, die immer nur ihr eigenes Leben leben kann und konnte, die altert naturgemäß anders als jemand im Familienverbund. Es ist ein ganz anderer Lebensentwurf. Und ganz andere Leben haben auch ganz andere Alter. Mütter haben im Alter Kinder, die sich unter Umständen kümmern, die finanziell und praktisch helfen. Hab ich nicht. Meine Kindheit war trostlos, meine Eltern waren unglücklich und machten mich zu einem lästigen, unglücklichen Kind. Und darum war mir schon ganz früh klar: so wollte ich nicht werden, nicht so eine überforderte Mutter, ich wollte kein Kind haben — ich würde es wahrscheinlich auch ständig ohrfeigen, so wie ich ständig geohrfeigt wurde. Irgendetwas in mir hat sich einer eigenen Familie schon sehr früh und sehr gründlich verschlossen. Das Wort, das mir immer mehr Angst machte als Krankheit, Unglück, Trennung, das ist das Wort Abhängigkeit. Ich war nie abhängig von irgendeinem Partner. Ich habe immer für mich selbst gesorgt und werde das bis zuletzt tun, wenn es sein muss, mit bezahlter Pflege, möglichst im eigenen Haus. Also: kein Aufgefangen werden von Familie, ich habe keine Familie, und mein Lebenspartner ist achtundzwanzig Jahre jünger als ich, ein weltfremder Künstler, der eignet sich nicht zum Pfleger. So sieht’s aus.
Was macht das jetzt mit mir, das Alter?
Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur: ich stelle mich ihm, ich verleugne es nicht, ich versuche nicht jünger zu wirken, als ich bin. Und ich finde schon gar nicht, dass das Leben im Alter weniger wert ist.
Vielleicht mache ich mir da was vor, aber ich finde: Ich sehe noch ganz gut aus in dem Sinn, dass ich nicht zerknittert bin. Ich war nie eine Schönheit, aber auf meine Haut ist Verlass (niemals warmes Wasser ins Gesicht!). Ich kriege, wie alle Frauen in unserer Familie, fast keine Falten. Gutes Bindegewebe. Manchmal aber sehe ich mein Gesicht plötzlich irgendwo im Spiegel, meist im Kaufhaus, auf der Rolltreppe, und dann denke ich: wer ist denn diese mürrische Alte mit den zerzausten Haaren? Und dann bin das ich. Man sieht natürlich an den Händen und am Hals, dass ich alt bin.
(Ha! So beginnt Natalia Ginzburg 1971 ihre Erzählung »Die Frauen
Im Gesicht habe ich kaum Falten, und, nein, ich habe nichts machen lassen. Ich würde nie etwas machen lassen, ich mute meinem Körper keine Narkose zu für etwas, das nicht sein muss. Reicht mir gerade, dass ich wegen meiner schlechten Sehkraft alle paar Wochen Spritzen in die Augen kriege, was so grauenhaft ist, dass ich mir da ab und zu eine kurze Narkose leiste.
In einem Gedicht der von mir so sehr geliebten österreichischen Dichterin Christine Lavant heißt es in der ersten Strophe:
Mein Wille lässt mich beben — und leben! Das ist doch eine gute Einstellung.
Klar, ein paar Falten sind da. Die habe ich mir erworben in langen Nächten mit Freunden, bei diesem ganzen ungesunden, wunderbaren Leben mit so viel Lachen und Lieben. Und es sind auch Falten, die von den Tränen kommen, deshalb bereue ich doch nicht, geweint zu haben — aus Kummer, aus Liebe, aus Glück. Nichts davon würde ich je wegmachen lassen, von pornographisch aufgespritzten Lippen reden wir schon mal gar nicht. Wie sehen diese aufgespritzten Frauen aus mit achtzig? Bestimmt nicht alle wie Jane Fonda oder Cher, und schon da stimmt nichts, wenn man sich das verlogene Strahlen genauer ansieht. Ich will kein Kunstprodukt sein, ich will ICH sein, mit meinen Haaren, die immer schon mausig waren und nun wunderbarerweise fast nicht grau werden. Mit meinen Brillen. Mit all den Narben von all den Unglücken und Krankheiten.
Marguerite Duras beginnt ihren Roman »Der Liebhaber« so:
Ich finde die alten, ja: die vom Leben verwüsteten Gesichter von Jeanne Moreau oder Louise Bourgeois wunderschön, sie erzählen von prall gefülltem Leben sehr viel mehr als die Gesichter von Frauen mit prall gefüllten Botoxwangen.
Wir werden anders alt als unsere Eltern. Früher war man mit fünfzig abgearbeitet und alt. Heute sind viele Achtzigjährige geistig und körperlich noch fit und im täglichen Rennen. Die Welt ist im Wandel, wir wandeln uns mit, wir sind länger beweglich im Kopf, als es unsere Eltern waren, wir haben auch eine viel bessere medizinische Versorgung.
In einer Kolumne für eine Frauenzeitschrift schrieb ich vor mehr als zehn Jahren:
Ja: mitunter ist man so alt, wie man sich fühlt. Aber meistens ist man älter. Eines der hinreißenden Models in Vogue hat mal in einem Interview gesagt, sinngemäß: Ich weiß natürlich, dass ich nicht für immer jung bin und Zu schön.
Sport treibe ich inzwischen nicht mehr, sorge aber dafür, dass immer ein Hund da ist, mit dem ich zwei Stunden täglich spazieren gehe. Also, alles in allem komme ich ganz gut klar mit diesem vermaledeiten Älterwerden, weil es ja auch bedeutet, dass ich immer noch am...