Buch, Deutsch, 248 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 213 mm, Gewicht: 313 g
Vom Nutzen und Nachteil einer riskanten Lebensform
Buch, Deutsch, 248 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 213 mm, Gewicht: 313 g
ISBN: 978-3-593-39213-4
Verlag: Campus
Jürgen Kaube, Georg Kohler, Anton Landgraf, Sven Murmann, Werner Plumpe, Birger P. Priddat, Thomas E. Schmidt, Nico Stehr und Dieter Thomä
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Soziale Gruppen & Klassen
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Spezielle Soziologie Wirtschaftssoziologie, Arbeitssoziologie, Organisationssoziologie
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Unternehmensorganisation, Corporate Responsibility Unternehmensethik
- Geisteswissenschaften Philosophie Angewandte Ethik & Soziale Verantwortung Wirtschaftsethik, Unternehmensethik
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Management
Weitere Infos & Material
Inhalt
Einleitung: Vom Nutzen und Nachteil des Unternehmertums 7
Ludger Heidbrink und Peter Seele
Zur Genealogie des Unternehmertums
Händler, Unternehmer, Kapitalist und Manager – Zur Typologie des Wirtschaftsmenschen 27
Georg Kohler
Funktionen der Unternehmerschaft – Fiktionen, Fakten, Realitäten 43
Werner Plumpe
Über die vergangene Zukunft des Unternehmerischen – Walther Rathenau und die wirtschaftliche Gegenwart 61
Sven Murmann
Unternehmertum zwischen Rebellion und Innovation
Was unternimmt ein Unternehmer? Jérome Kerviel – Steve Jobs – Joseph Ryder – Adolf Merckle 77
Wolfgang Fach
Enthusiasten, Ironiker, Melancholiker – Vom Umgang mit der unternehmerischen Anrufung 88
Ulrich Bröckling
Künstlerunternehmer: Von der Kulturindustrie zur Kreativwirtschaft 97
Tanja Dückers und Anton Landgraf
Unternehmer als Cultural Entrepreneurs 115
Birger P. Priddat
Markt, Risiko und Moral
Das riskante Unternehmer-Netzwerk 129
Alexander Brink
Über die Verantwortung der Unternehmen 153
Dirk Baecker
Unternehmen, Markt und Moral: Zu einer neuen politischen Ökonomie 178
Nico Stehr und Marian Adolf
Zukunftsperspektiven des Unternehmertums
Auf der Suche nach der Moral des Kapitalisten 199
Dieter Thomä
Die Universität als Unternehmen – Zur Ökonomisierung der Hochschulen 226
Jürgen Kaube
Was kommt nach der Krise? Abschied oder Wiederkehr der Deutschland AG 232
Thomas E. Schmidt
Autorinnen und Autoren 245
Einleitung: Vom Nutzen und Nachteil des Unternehmertums
Ludger Heidbrink und Peter Seele
Als Steve Jobs, der Chef von Apple, am 27. Januar 2010 in San Francisco den lang erwarteten iPad, einen tablettförmigen Computer, der Öffentlichkeit vorstellte, sahen weltweit über zehn Millionen Menschen per Livestream zu. Sie konnten Jobs dabei beobachten, wie er in Jeans, Turnschuhen und schwarzem Pullover auf der Bühne des Yerba Buena Center for the Arts, in dem die Präsentation stattfand, herumspazierte und über die Milliarden-Umsätze berichtete, die das Unternehmen seinen jüngsten Produkten, dem iPod und dem iPhone, zu verdanken hatte, bevor er sich in einen Ledersessel setzte, um die Funktionen des Tablett-Computers zu erläutern. Wie ein kleiner Junge spielte Jobs mit dem Touchscreen, rief Internetseiten auf, zeigte Fotos und führte Videos vor.
In den nächsten Tagen überschlugen sich die Medien mit Meldungen über dieses Ereignis, das Konterfei von Jobs wurde zum Aufmacher unzähliger Zeitungen und Magazine, der Economist bildete ihn als strahlenden Moses mit der Gesetzestafel ab, in den Feuilletons wurde darüber diskutiert, inwieweit das iPad den Beginn einer neuen Ära der digitalen Informationsverarbeitung darstelle, in einschlägigen Blogs darüber gestritten, ob das Gerät mehr sei als ein großes iPhone und wofür man es eigentlich benötige.
Diese mediale Erregung rührt nicht nur daher, dass der iPad schon seit längerem in einer geheimnisumwobenen Marketing-Kampagne angekündigt worden war, die immer wieder neue Erwartungen geschürt hatte. Sie hat ihren Grund vor allem darin, dass der CEO von Apple einen besonders attraktiven Unternehmertypus verkörpert, der für seine Fans, aber auch für nüchterne Beobachter ein hohes Identifikationspotential zur Verfügung stellt. Jobs ist eine Art Prophet der Marktwirtschaft, der die Machbarkeit des Unwahrscheinlichen verkündet. Er steht nicht für den klugen, bisweilen gerissenen Kapitalisten alter Schule, sondern für den rebellischen und innovativen Entrepreneur der Zukunft, der profane Wunder verkauft und seinen Weg vom Hippie zum Heros der creative economy bisher ohne moralische Blessuren und soziale Rücksichtslosigkeit zurückgelegt hat.
Die messianische Aura, die Jobs umgibt, wird konterkariert von Managern und Vorstandsvorsitzenden, vornehmlich aus dem investment banking, die in den 1980er Jahren von dem amerikanischen Schriftsteller Tom Wolfe in seinem Roman Fegefeuer der Eitelkeiten als habgierige 'Master of the Universe' porträtiert wurden und während der jüngsten Finanzkrise ihr Comeback erlebten. Ende 2007, noch vor dem Crash der Lehman Brothers im September 2008, aber schon in den Vorwehen des Debakels, bezog der frischgebackene Vorstandschef der Investmentbank Merrill Lynch John Tain sein neues Büro in New York, um es mit 1,2 Millionen Dollar zu renovieren: Er ließ unter anderem einen Teppich für 87.000 Dollar verlegen, Vorhänge für 28.000 Dollar aufhängen und Stühle für 87.000 Dollar aufstellen. Für sein privates Speisezimmer wurden ein Kronleuchter für 13.000 Dollar und ein Spiegel für 5.000 Dollar angeschafft (FAZ 29.1.2009).
Noch auf dem Höhepunkt der Finanzkrise beharrten Manager auf Abfindungen und Boni in Millionenhöhe, während um sie herum die Wirtschaft in den Keller sackte und die Arbeitslosenquote nach oben schnellte. Diese finanziellen Exzesse, gepaart mit sozialem Autismus, haben zu einem gravierenden Reputationsverlust der Managerklasse und der Großunternehmen geführt, um deren Ansehen es schon vor der Wirtschaftskrise nicht gerade gut stand und die weiterhin am unteren Ende der öffentlichen Wertschätzung rangieren (GfK Studie 2008; Ethik Monitor 2009). Der Vertrauenseinbruch, vor allem im Finanzmilieu, ist enorm und hat seit 2008 mehr oder weniger die gesamte Wirtschaftselite erfasst, die nicht nur von Vertretern der Politik und der Medien durch den Vergleich mit Raubtieren oder Heuschrecken mit animalischer Geringschätzung bedacht, sondern von einer aufgebrachten Öffentlichkeit auf eine Stufe mit Kriminellen und Verbrechern gestellt wird.
Die Figur des Unternehmers
Das Ansehen des Unternehmers ist trotz solcher Kultfiguren wie Steve Jobs in arge Mitleidenschaft gezogen. Dies gilt vor allem dann, wenn man im hervorstechenden Typus nicht den Eigentümer- oder Familienunternehmer, sondern den Managerunternehmer sieht, der sich auf Kosten des Gemeinwohls bereichert und weder Regeln des persönlichen Anstands noch des öffentlichen Wohlverhaltens kennt. Zur Desavouierung des Managerunternehmers haben nicht nur immer wieder neue Korruptionsfälle, Steuer-hinterziehungen, Firmenpleiten und riskante Spekulationen an der Börse beigetragen. Ein ebenso wichtiger Faktor für diese Entwicklung dürften auch die exponentielle Zunahme der Vergütung und das Auseinanderklaffen der Lohnschere sein.
Während die Nettolöhne in den Jahren zwischen 2005 und 2008 durchschnittlich um 3,5 Prozent gesunken sind (Horn u.a.: 7), stiegen die Unternehmensgewinne im Rekordjahr 2007 um 25 Prozent (Schwarz 2008: 202) und die Gehälter der deutschen Topmanager um 17,5 Prozent, womit Deutschland allerdings nur im europäischen Mittelfeld liegt (Kienbaum Studie 2008). Insgesamt sind von 1994 bis 2005 die Vorstandsbezüge in den deutschen DAX-30-Unternehmen um durchschnittlich 331 Prozent gewachsen, so dass ein Vorstandsmitglied im Jahr 2007 durchschnittlich das 52-fache eines Mitarbeiters verdient, während es fünf Jahre zuvor 'nur' das 28-fache war (Schwalbach/Kliemt 2008: 650). Noch während der Finanzkrise sind die Vergütungspakete der Top-Führungskräfte trotz staatlicher Auflagen und öffentlicher Boni-Diskussionen aufgestockt geworden: In 2009 legten die Gehälter der Dax-Chefs um 7 Prozent auf eine durchschnittliche Jahresvergütung von 4 Millionen Euro zu (FAZ 31.3.2010), während die durchschnittlichen Bruttoverdienste aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland im Jahr 2009 um 0,4 Prozent auf rund 27.648 Euro gesunken gesunken sind (Statistisches Bundesamt 2010).
Sicherlich sind dies Ausnahmegehälter, und natürlich sind nicht alle Manager schwarze Schafe. Gleichwohl hat die Finanz- und Wirtschaftskrise dazu beigetragen, dass das öffentliche Bild des Managerunternehmers weitere Risse erhalten hat und die Skepsis gegenüber dem Unternehmertum verstärkt wurde, die besonders im deutschen Kulturraum eine lange Tradition hat. Diese pejorative Meinung über das Unternehmertum in der deutschen und europäischen Kultur, soweit sie nicht angloamerikanisch und marktliberal geprägt ist, liegt vor allem darin begründet, dass wirtschaftliche Unternehmen Organisationen sind, die vorrangig dem Zweck der Gewinn- und Profitmaximierung dienen, anstatt sich in gleicher Weise um öffentliche Aufgaben und soziale Entwicklungsziele zu kümmern. In diesem Sinne hat Joseph Schumpeter Unternehmen als 'äußerlich selbständige, scheinbar autonome, grundsätzlich auf sich selbst gestellte, unmittelbar nur am eigenen Lebensinteresse orientierte Einheiten' definiert (1928: 476). Elementare Träger dieser selbstinteressierten Einheiten sind die Unternehmer, denen in der historischen Entwicklung eine entsprechend wechselhafte Einschätzung zuteil wurde.