Heger | 1919 - Es ist doch eine neue Zeit jetzt | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 476 Seiten

Reihe: Zeitgeschichtliche Kriminalromane im GMEINER-Verlag

Heger 1919 - Es ist doch eine neue Zeit jetzt

Roman
2021
ISBN: 978-3-8392-5934-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 476 Seiten

Reihe: Zeitgeschichtliche Kriminalromane im GMEINER-Verlag

ISBN: 978-3-8392-5934-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



April 1919. Die bayerische Regierung flieht vor der Revolution in München nach Bamberg - verfolgt von einer Gruppe rechter Verschwörer mit Attentatsplänen. Im Gefolge der Ministerien erkennt der Brauer Gustav Grüner den Hauptmann, der ihm und seinen Kameraden die Jahre an der Front zur Hölle gemacht hat. Ihr einstiger Schwur, ihren Peiniger zur Rechenschaft zu ziehen, führt die Freunde wieder nach Bamberg. Die Vollstreckung ihrer Rache, die Jagd auf die Attentäter und der drohende Anschlag gipfeln in einem furiosen Finale.

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Bamberg, 7. April 1919
Gustav erkennt ihn sofort. Der Mann steht breitbeinig im Eingang der Gaststätte und sieht sich nach einem freien Platz um, in der Linken einen Lederkoffer, in der Rechten einen Regenschirm, den grauen Homburg tief in die Stirn gezogen. Gustav steht am anderen Ende des Raumes hinter der Theke, gerade hat er dem alten Nickel einen Bierwärmer in den Krug gehängt und das volle Tablett aufgenommen, um den Stammtisch hinten im Eck zu bedienen. Jetzt aber starrt er wie versteinert auf den Mann. Er kann es nicht glauben, er will es nicht glauben. Der hier? Dann reißt es ihm plötzlich beide Augen weit auf, sein Kopf zuckt nach links, die Finger versteifen sich und schon rauscht das Tablett mit sieben vollen Bierkrügen senkrecht nach unten. Die Krüge zerspringen mit einem dumpfen Knall, Tonscherben und Bier verteilen sich über die hellen Kacheln am Boden. Mit dem Knall geben auch Gustavs Knie nach. Er fällt, von Zuckungen geschüttelt, zu Boden und stößt mit dem Kopf gegen das Spülbecken. Mistkerle, jetzt haben sie uns erwischt, Achtung, noch ein Einschlag, zurück in den Graben! Duckt euch, runter, runter, Granaten überall, die decken uns zu mit ihren Geschossen. Es blitzt, ich muss in Deckung. Einschläge, links und rechts. Johann, wo bist du? Kein Schutz, nirgends, alles überflutet, nur Schlamm. Willy, komm! Hier, dieser Bretterverschlag, besser als nichts, mach dich so klein wie möglich! Sie schreien von überall her, die Elenden. Bin ich auch verletzt? Im Kopf, da wummert es, die Hand ist nass, ich blute, Mist. Das Ende? Alles bebt, Blitze im Kopf, jemand rüttelt mich, schreit mich an, ein Schlag, schon wieder getroffen, nein, das war … kein Geschoss …, das war …, alles gut …, das war eine … eine Ohrfeige, nur ein Backenstreich. Der reißt mich an den Haaren, zerrt mich aus dem Loch, schubst mich, tritt mich, der Bretterverschlag öffnet sich, hindurch, am Boden, nur weg von hier, weg von den donnernden Einschlägen. Sie werden leiser. Wer schreit denn da so? Hans, Kaspar, seid ihr verletzt? Nein, nein, es ist … es ist nur der Vater, der schreit, der so schreit, der Vater, ich bin zuhause, es ist nichts. Nichts. Der Krieg … der Krieg ist nicht mehr, aus ist er. Aber ich kann meine Hände nicht halten, sie zittern, unaufhaltsam. So hilf mir doch einer. Er hängt über einem Stuhl in der Stube, Babette kniet neben ihm und hält ihn fest, der Vater steht über ihm, schimpft, eine Kanonade an Beschimpfungen, verletzend, gemein, derb. Aber es sind nur Worte. Die töten nicht, die treffen ihn nicht. Nicht mehr. Allmählich verringert Babette den Druck, lässt ihn wieder los, die Zuckungen gehen zurück, der Körper beruhigt sich, der Geist kehrt langsam wieder. Der Vater stampft zurück in die Gaststätte, wutentbrannt, schimpfend, kopfschüttelnd. Der Mann. Dieser Mann. Das …, das war er doch. Oder nicht? Das kann nicht sein. Wieso hier? Der hat überlebt? Dieses Schwein? Wieso überleben immer die Falschen? Wenn jetzt der Kaspar da wäre, oder der Willy, und Hans. Die würden Augen machen. Die Haare stimmen nicht, und der kleine Schnauzer, aber dieses feiste Gesicht, unverkennbar, der Schmiss an der Schläfe, der protzige Gang, der gedrungene Körper, alles wie damals. Nur am falschen Ort. In der falschen Stadt. Und zur falschen Zeit. Nachkriegszeit. Und der lebt. Das Schwein lebt, immer noch. »Alles wieder gut?«, fragt Babette, seine Frau, und tupft ihm mit einem Tuch das Blut vom Gesicht, nur ein kleiner Kratzer. »Musst halt doch mal wieder rauf in die Irrenanstalt, zur Behandlung.« Nach St. Getreu? Nein, nicht schon wieder. Es wird ja doch nicht besser. Davon nicht. Es blitzt noch einmal durch das Hirn, er reißt die Augen wieder auf, ein letzter, ferner Einschlag, dann ist es endgültig still in ihm. »Da war … da war dieser Mann, Babette, der gerade reingekommen ist. Hast du den gesehen?« Babette öffnet die Tür zur Gaststube einen Spalt weit und linst hindurch. »Den vorne am Fenster? Volles braunes Haar, ziemlich dick, ziemlich klein, rotes Gesicht, Brille, Schnauzer? Was ist mit dem?« »Der …, im Krieg, war der, der hat den …, weißt du, das war … unser …, also, ich glaube, das war einer von damals, von denen.« Babette stöhnt und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. »Ach, Gustav, du kannst doch nicht bei jedem, den du im Krieg mal gesehen hast, gleich zusammenbrechen. Dein Vater war wieder fuchsteufelswild, der hätte dir die kaputten Bierkrüge und sein heiliges Bier am liebsten gleich noch obendrauf geschmissen, als du unter der Theke gelegen bist. An den Haaren hat er dich hier rüber gezerrt. Er schämt sich so vor seinen Gästen. Gustav, wie soll das weitergehen? Du bist schon dreißig, so überschreibt er uns die Brauerei nie. Der Krieg ist vorbei. Wann ist er denn endlich auch bei dir vorbei?« »Ich muss ihn noch einmal sehen. Lass mich schauen.« Dem Mann ist der ganze Lärm offenbar entgangen, er hat sich in aller Ruhe einen freien Platz gesucht und sich ans Fenster, nahe der Tür gesetzt. Gustavs Vater bringt ihm gerade ein Bier. Als Gustav den Mann durch den Türspalt noch einmal ansieht, verschwindet der letzte Zweifel. Er ist es. Auch wie er dasitzt, mit weit gespreizten Beinen, düster dreinblickend, beide Ellbogen aufgestützt, wie er gierig trinkt und sich mit dem Ärmel den Schaum vom Mund abwischt, genau wie damals. Wie ein böser Traum. Das Schwein. Es lebt. Gustav schließt die Tür. Er schwitzt. Sein Rücken ist nass. Ihn friert. »Ich kann da nicht raus, Babette. Ich muss weg, weg. Ich kann den nicht treffen, das geht nicht.« Er reißt sich die Schürze vom Leib, wischt sich das Gesicht damit ab, hängt sie an den Haken und stürzt zum Hinterausgang. »Und was soll ich deinem Vater wieder erzählen, wo du hin bist?«, ruft ihm Babette hinterher, aber er hört sie schon nicht mehr. Weit weg sind seine Gedanken, weit weg sein Körper, er spürt die Kälte der feuchten Erde, der Magen verkrampft sich, das Hungergefühl und dieser bestialisch süßliche Gestank nach nasser Erde und den Verwesenden, sie wühlen seine Gedärme auf, es drückt nach oben, er lehnt sich gegen die Hauswand im Hinterhof und kotzt vor sich auf den Boden. Noch während es ihn würgt, beschließt er, ihm zu folgen. Er muss wissen, was er hier will. Er muss es wissen. Und dann muss er den anderen Bescheid geben. Hans, Kaspar und Willy. Die müssen das wissen, dass der lebt. Die müssen …, das geht nicht, dass der lebt, das darf nicht sein. Gegenüber der Domstern-Brauerei ist das Weiße Lamm. Ohne zu grüßen und ohne den Eingang zur Brauerei aus den Augen zu lassen, rückt er sich einen Stuhl ans Fenster, zieht den Vorhang zur Hälfte zu und bestellt einen Kaffee. »Alles in Ordnung, Gustav?«, fragt die Bedienung. »Du bist ja ganz weiß im Gesicht, wie wenn du ein Gespenst gesehen hättest.« »Ich wünscht, es wär so, Anna, ich wünscht, es wär so«, murmelt Gustav. Er muss fast eine halbe Stunde warten. Der Kaffee beim Weißen Lamm ist sogar echter Kaffee, kein Gerstenkaffee oder Muckefuck, wie ihn seine Mutter seit Kriegsbeginn kocht. Entsprechend peitscht der heiße Kaffee seine Sinne so auf, dass er gespannt ist wie die überzogene Saite einer Geige, die jeden Augenblick zu reißen droht. Als der Mann endlich rauskommt, ist Gustav völlig verschwitzt. Er fährt sich mit der Hand über den Kopf, die Haare, kurz und grau seit dem Krieg, sind tropfnass, seinen Hut hat er in der Brauerei vergessen. Kalter Schweiß läuft ihm unterm Hemd den Rücken hinunter, der Schnurrbart klebt platt auf der Haut. Er erhebt sich, bewegt sich schwerfällig Richtung Tür, wie im Fiebertraum, wirft Anna, die ihn besorgt ansieht, ein paar Groschen in die Hand und tritt vorsichtig hinaus. Der Mann ist nach links abgebogen und geht die Königstraße Richtung Theuerstadt entlang. Erst jetzt sieht Gustav, dass er einen Koffer dabeihat, einen braunen Lederkoffer mit Metallbeschlägen, edles Material, von besseren Leuten. Er trägt einen langen Mantel und einen Seidenschal, den schicken Homburg und gepflegte Lederschuhe. Auf einmal fällt Gustav auf, dass sich ungewöhnlich viele Menschen in der Stadt bewegen. Sie scheinen vom Bahnhof zu kommen und streben der Stadt zu. Alle sind vornehm gekleidet und tragen Koffer, auch die Pferdedroschken und Automobile sind voll besetzt, haben riesige Kofferaufbauten auf dem Dach, auf den Droschken sitzen Kofferjungen mit auf dem Bock. Kommen denn die Leute jetzt schon zur Sommerfrische nach Bamberg? Mitten im April? Leichter Nieselregen vergällt den Besuchern wohl den ersten Eindruck, sie betrachten die vierstöckigen Stadthäuser links und rechts mit ihren abblätternden Fassaden mit kaum verhohlener Hochnäsigkeit. Wohl eher Großstadt gewöhnt, diese Besucher. Gleichzeitig fallen ihm die vielen Soldaten auf, die in kleinen Gruppen durch die Stadt schlendern, Patrouillen, irgendein Freikorps in feldgrauen Uniformen. Das war doch gestern noch nicht so? Verwirrt und verschwitzt stolpert Gustav dem Mann hinterher. An der Kreuzung zur Luitpoldstraße bleibt er stehen und sieht sich ein Schaufenster an. Gustav duckt sich schnell in den Hauseingang einer Bäckerei. »Gott zum Gruße, Herr Grüner!« Ausgerechnet jetzt muss der Alte von der Brauerei Fässchen vorbeikommen. Gustav späht zu seinem Mann, aber der steht immer noch vor dem Schaufenster, hat sogar seinen Koffer abgestellt und blickt sich in aller Ruhe genüsslich um. Gustav drückt sich noch näher in den Hauseingang und ist jetzt Schulter an Schulter mit dem alten Lutz. »Na, wollen Sie sich auch ein bisschen die Flüchtlinge aus München...


Heger, Michael
Aufgewachsen ist Michael Heger, Jahrgang 1971, in London und München. Zum Studium der Politikwissenschaft zog es ihn nach Bamberg und Marburg, erste berufliche Stationen absolvierte er in Frankfurt am Main und in Neuendettelsau bei Ansbach. Seit etlichen Jahren lebt er nun mit seiner Familie im fränkischen Bamberg, wo er im Tourismusmarketing arbeitet. Erst jenseits der Vierzig hat er seine Leidenschaft fürs Schreiben entdeckt. Spät am Abend, wenn das Leben in der Familie allmählich zur Ruhe kommt und Beruf, Haus und Garten befriedet sind, beginnt für ihn die Zeit zum Schreiben. »1919 - Es ist doch eine neue Zeit jetzt« ist sein Debüt als Romanautor.



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