Heckmair / Michl | Von der Hand zum Hirn und zurück | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 188 Seiten

Reihe: Grundlagen der Weiterbildung

Heckmair / Michl Von der Hand zum Hirn und zurück

Bewegtes Lernen im Fokus der Hirnforschung
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-944708-14-0
Verlag: ZIEL
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Bewegtes Lernen im Fokus der Hirnforschung

E-Book, Deutsch, 188 Seiten

Reihe: Grundlagen der Weiterbildung

ISBN: 978-3-944708-14-0
Verlag: ZIEL
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Hirnforscher haben eine neue Debatte um Erziehung und Bildung angefacht. Ihre Protagonisten erklären den etablierten Erziehungswissenschaftlern und ignoranten Institutionen, wie Lernen funktioniert. In diesem Buch geht es um die Emotionen und das Erleben, den Körper und die Bewegung, die Gruppe und die Gemeinschaft. Welche Rolle spielen sie beim Lernen? Wie können Lehrende und Studierende, Erziehende und Therapierende von den Erkenntnissen der Neurowissenschaft profitieren?

Der Band enthält den frei nutzbaren und unbegrenzt reproduzierfähigen Kriterien- und Indikatorenkatalog zur Neurodidaktik. Als Hochschuldozentin oder Lehrer, als Personalentwicklerin oder Erwachsenenbilder, als Coach oder Trainerin können Sie ihre Konzepte und Programme mit diesem Test überprüfen. Die Autoren stehen Ihnen mit Rat und Tat zur Seite.

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2   Hirnforschung – Lust und Last des Lernens Wenn heute Hirnforschung und Lernen in einem Atemzug genannt werden, dann denkt man an Gedächtnistraining, Anleitungen zum „Gehirnjogging“ und wohlfeile Ratgeber, wie man (angeblich) das Beste aus dem „biologischen Zentralcomputer“, so ein aktueller Bestseller (Rössler 2011), herausholen kann. Vielleicht kommt einem auch die Werbung in den Sinn, die unter dem Stichwort „Neuromarketing“ unser Konsumverhalten beeinflussen will. In intellektuellen Kreisen wird die Debatte über den „freien Willen“ aufmerksam verfolgt, der nach Meinung einiger Hirnforscher keineswegs frei sei sondern in hohem Maße determiniert. Das alles soll hier allenfalls am Rande interessieren. Wir wollen uns indessen auf Fragen konzentrieren, die erst in den letzten Jahren ins Blickfeld gerieten: „Welche Rolle spielen die Emotionen beim Lernen?“, „Was trägt der Körper zum Lernen bei?“, und „Welche Bedeutung hat die Gemeinschaft, in der der Mensch sich bewegt?“ 2.1    Emotionen – die wirksamsten Lernkraftverstärker Daniel Golemans „Emotionale Intelligenz“ (1996) sorgte für eine Aufwertung der Gefühle, die man sich sonst nur im Privaten, höchstens noch im Kulturellen zumutete. Das Buch war jahrelang weit oben in den Bestsellerlisten von SPIEGEL und FOCUS. Die damals noch neuen Erkenntnisse der Hirnforschung, auf die sich Golemans quellenreiches Kompendium stützt, wurden dabei nur am Rande wahrgenommen. Goleman ist kein Neurowissenschaftler, sondern gelernter Psychologe und als damals leitender Wissenschaftsredakteur der New York Times bestens ausgestattet und persönlich prädestiniert, eine auch für Laien gut verständliche Renaissance der Gefühle einzuläuten. Sein Verdienst war es, die auf Denken und Gedächtnis fixierte Definition von Intelligenz in Frage zu stellen und die unterschätzte Rolle der Emotionen zu beleuchten. Die eigentliche Offensive der Hirnforschung, anders als die Sozial- und Erziehungswissenschaften eine „Science“, eine Naturwissenschaft im engeren Sinne, erfolgte dann zu Beginn dieses Jahrhunderts. Es waren die Feuilletons der großen Zeitungen, die Antonio Damasio, den zu dieser Zeit wohl wichtigsten amerikanischen Neurowissenschaftler entdeckten. Er erregte mit einem originellen Körper-Seele-Verständnis Aufsehen. In seinem Buch „Descartes‘ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn“ (1999) und dem programmatisch hinterher geschobenen „Ich fühle, also bin ich“ (2000) rückte er die bis dato vollkommen unterschätzte Bedeutung des Körpers in den Mittelpunkt seiner Thesen. Hannah Lühmann bringt es etwas umständlich, aber treffend auf den Punkt: „Nicht nur sind wir nicht Herr im eigenen Haus, sondern wir sind das Haus.“ (2011, S. 14). Fleisch und Bein als Ausgangspunkt für Denken und Fühlen! Ist das nicht ziemlich abwegig? Der portugiesisch stämmige Neurowissenschaftler aus dem verschlafenen Kleinstaat Iowa rüttelte heftig an vermeintlich ehernen Grundpositionen der kognitiven Psychologie und auch der Philosophie. Als Leiter einer neurologischen Klinik konnte er seine empirischen Studien auf mehr als zweitausend Krankenakten hirngeschädigter Patienten stützen. So verwarf er die dichotomische Trennung von Körper und Seele als Irrtum und entwickelte ein fast revolutionär anmutendes Konzept eines Selbst- und Körperbewusstseins, das sowohl Geist als auch Seele auf Materie zurückführt. „Emotion, Gefühl und Bewußtsein – alle diese Prozesse sind auf Repräsentationen des Organismus angewiesen. Ihr gemeinsames Wesen ist der Körper.“ (2000, S. 341) Die Grundzüge dieser auf den ersten Blick abenteuerlich anmutenden Konzeption wurden nun in den Feuilletons der Süddeutschen Zeitung (232/2000) und der ZEIT (41/2000) ganzseitig vorgestellt, lange bevor die Riege der deutschen Neurowissenschaftler von den hiesigen Medien wahrgenommen wurde. Aus pädagogischer Sicht lässt sich eine erstaunliche Analogie feststellen, wenn man auf die knapp hundert Jahre vorher entbrannte Debatte um Lehren und Lernen zurückblickt: John Dewey, amerikanischer Pragmatiker und Philosoph, hat in seiner Laboratory School die vor allem körperlich gemeinte Selbsttätigkeit der Schüler zulasten einer verkopften und instruktionistischen Stoffschule eingeführt. In Werkstätten, Ateliers und Laboren sollten sich Schülerinnen und Schüler Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen, indem sie, angeleitet von einer Lehrkraft, die Dinge buchstäblich selbst in die Hand nehmen. Ebenso wie bei Damasio wird der Körper aus seiner Rolle als pures „Stoffwechselungsorgan“ befreit und insofern intellektuell aufgewertet. Deweys pädagogischer Ansatz bezieht alle Sinne mit ein, fokussiert sich auf den praktischen Umgang mit Dingen und ist vor allem – im engsten Wortsinne – handlungsorientiert. Wissensaufbau und Charaktererziehung fußen auf aktiver körperlicher Tätigkeit, die zudem meist in Gemeinschaften stattfindet (vgl. Knoll 2011, S. 149ff.). Doch dazu später … Emotionen sind materiell Damasio irritierte Fachwelt und Öffentlichkeit mit seinen Definitionen und Bezügen. Dass Emotionen ebenso wie Kognitionen Materie sind, die mit bildgebenden Verfahren darstellbar, ja im Prinzip messbar sind, mag noch einleuchten. Irritierend ist dagegen Damasios Verortung der Begriffe Emotion und Gefühl, die hierzulande im Allgemeinen synonym oder sich überschneidend, jedenfalls nicht eindeutig unter-scheidbar gebraucht werden. Für Damasio sind Emotionen körperliche Reaktionen auf Wahrnehmungen, während er Gefühle als „geistige Bewertungsprozesse“ eben dieser begreift (Damasio 1999, S. 193). In seinem zehn Jahre später veröffentlichten Band mit dem unglücklich übersetzten Titel „Selbst ist der Mensch“ (im Original „Self comes to Mind“) präzisiert er, wenn auch reichlich abstrakt, folgendermaßen: Emotionen sind „komplexe, größtenteils automatisch ablaufende, von der Evolution gestaltete Programme für Handlungen“ (2011, S. 122), während Gefühle „Wahrnehmungen dessen (sind), was in unserem Körper und Geist abläuft, wenn wir Emotionen haben“ (ebd.). Das ist zum einen ziemlich provozierend und zum andern reichlich harte Kost. Bemühen wir deshalb seinen Kollegen Joseph LeDoux, der heute am „Center for Neural Science“ an der Universität New York lehrt. LeDoux spricht, vielleicht ein wenig (selbst)ironisch von einer „unglaublich einfachen Idee“, die besagt, dass ein Gefühl „dann entsteht, wenn wir bewußt wahrnehmen, daß ein Emotionssystem des Gehirns […] aktiv ist“ (2003, S. 289). Derart trennscharfe und zugleich griffige Definitionen sind die Sache der deutschen Neurowissenschaftler nicht. Gerhard Roth lehnt in einem FOCUS-Interview Damasios Theorem ab, dass Gefühle immer Körpergefühle seien (24/2004, S. 144); lediglich auf Affekte und starke Gefühle treffe dies zu. Unstrittig ist indessen die überragende Bedeutung der Emotion im zerebralen Geschehen. Für Damasio ist „vernünftiges Denken ohne den Einfluß der Emotionen nicht möglich“ (2000, S. 57), LeDoux spricht gar von einer „feindlichen Übernahme des Bewusstseins durch die Emotion“ (2006, S. 299), während Gerhard Roth die Dominanz der Gefühle über den Verstand so kommentiert: „Das ist auch gut so, denn unsere konditionierten Gefühle sind ja nichts anderes als ‚konzentrierte Lebenserfahrung‘“ (2001, S. 321). „Wir sind traurig, weil wir weinen!“ Damasio greift ebenso wie Joseph LeDoux in seiner Argumentation zurück auf William James, der 1884 einen Artikel mit dem Titel „What is an Emotion?“ veröffentlichte (LeDoux 2003, S. 48). James, wie Dewey einer der großen amerikanischen Pragmatiker, fragt dort, warum wir weglaufen, wenn wir in Gefahr sind und war mit der nahe liegenden Antwort „weil wir uns fürchten“ nicht zufrieden. Emotionen sind Reaktionen des Körpers. Wenn wir vor einem Bären weglaufen, treiben uns Herzrasen, Muskelspannung und schwitzende Handflächen an. James dreht das scheinbar Naheliegende um und sagt: „Wir fürchten uns, weil wir laufen“ und „wir sind traurig, weil wir weinen“. LeDoux nimmt diese gedankliche Umkehrung als Ausgangspunkt für den Zusammenhang von Kognition und Emotion: „Der mentale Aspekt der Emotion, das Gefühl, ist ein Sklave ihrer Physiologie, nicht umgekehrt. Wir zittern nicht, weil wir uns fürchten, und wir weinen nicht, weil wir traurig sind; wir fürchten uns, weil wir zittern, und wir sind traurig, weil wir weinen.“ (LeDoux 2003, S. 50). Eine Wahrnehmung ist der Auslöser eines Reizes auf den Körper und dieser wird zur Bühne der Emotion. Damasio edelt James Umkehrung als einen „kühnen Gedanken, der aber durch die moderne Forschung in vollem Umfang unterstützt wird“ (Damasio 2011, S. 128). Lediglich in einem Punkt modifiziert Damasio James: Der Reiz wird in der Regel auch bewertet, das heißt gefiltert und kanalisiert, bevor er in die auslösende Region gelangt (ebd., S. 129). LeDoux illustriert seinen überraschenden und irritierenden Rückgriff auf eine damals über hundert Jahre zuvor aufgestellte Hypothese mit einem Beispiel, das in der einschlägigen Literatur fortan immer wieder auftaucht: Ein Wanderer erblickt plötzlich eine Schlange. Was geht in ihm vor? Von der Netzhaut seines Auges wird die Information an den Thalamus, einer zentralen Schaltstelle im Hirn gemeldet. Von dort wird diese in den visuellen Cortex, einem Teil des Großhirns projiziert und unter Mitwirkung weiterer kortikaler Strukturen verarbeitet. Dieser Vorgang braucht seine Zeit. Ein evolutionär vermittelter, für das Überleben unserer Spezies sinnvoller Prozess läuft parallel ab, nur eben wesentlich schneller: Der Thalamus...


Bernd Heckmair, Dipl.-Päd., Fachsportlehrer; Berater und Trainer für Führung, Teamentwicklung und Trainer-Qualifikation. Ausbildung zum Kommunikationstrainer (bei Friedemann Schulz von Thun) und zum Systemischen Berater (bei Fritz B. Simon).

Geschäftsführer in mittelständischen Dienstleistungsorganisationen; freiberuflich tätig seit 1998. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. „20 erlebnisorientierte Lernprojekte“ (Weinheim, Basel 2008, 3. Auflage; Beltz-Verlag). Weitere Informationen unter: www.bernd-heckmair.de.

Werner Michl, Professor für Sozialwissenschaften an der Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg, Fakultät Sozialwissenschaften, und assoziierter Professor an der Universität Luxemburg.

Von 1996 – 2002 Leiter des „Zentrum für Hochschuldidaktik der bayerischen Fachhochschulen – DiZ“ (www.diz-bayern.de). Seit Juni 2012 erster Vorsitzender von GFE / erlebnistage (www.erlebnistage.de). Mitherausgeber der Zeitschrift „e&l. erleben und lernen. Internationale Zeitschrift für handlungsorientiertes Lernen“ (Ziel-Verlag, Augsburg). Mitherausgeber der Buchreihe „erleben und lernen“ (Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel). Weitere Informationen unter: www.wernermichl.de



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