Hayner / Zielke | Georg Lukács | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 308 Seiten

Hayner / Zielke Georg Lukács

Texte zum Theater
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95749-375-0
Verlag: Theater der Zeit
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Texte zum Theater

E-Book, Deutsch, 308 Seiten

ISBN: 978-3-95749-375-0
Verlag: Theater der Zeit
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Georg Lukács gehört zu den herausragenden Denkern des 20. Jahrhunderts. Seine Schriften sind ein Schlüssel zur Ideengeschichte der Moderne und bieten auch Ansätze für die Gegenwart. Ein Bezug auf das Theater durchzieht sein gesamtes Schaffen. Doch die Rezeption seiner Werke ist gekennzeichnet von Brüchen. So war Lukács' differenzierte Ästhetik für marxistische Dogmatiker im Osten in ihrem Beharren auf einen maßgeschneiderten sozialistischen Realismus nicht immer wohlgelitten. Auch im Westen erfreute er sich nur für kurze Zeit einiger Popularität. Entsprechend sind viele Schriften einem breiten Publikum unbekannt.

Dieser Reader mit Texten zum Theater, der zu Lukács' 50. Todestag erscheint und einen vorurteilsfreien Blick ermöglichen soll, macht schwer erhältliche Beiträge wieder zugänglich und erstveröffentlicht auch Fundstücke aus den Archiven. Eine Einleitung von Dietmar Dath bezeugt die ungebrochene Relevanz des Denkens von Lukács.

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Weitere Infos & Material


Die Rätsel der Welt im Brennglas des Ästhetischen
von Jakob Hayner / Seite 28

Das Besondere als zentrale Kategorie der Ästhetik
von Georg Lukács / Seite 37

Die Katharsis als allgemeine Kategorie der Ästhetik
von Georg Lukács / Seite 55

Das Problem der Öffentlichkeit
von Georg Lukács / Seite 89

Auf dem Weg zur realistischen Kunst
von Georg Lukács / Seite 103

Es geht noch immer um den Realismus
von Bernd Stegemann / Seite 112

Es geht um den Realismus
von Georg Lukács / Seite 121

Kunst und objektive Wahrheit
von Georg Lukács / Seite 151

Georg Lukács als Theaterhistoriker
von Erik Zielke / Seite 196

Faust-Studien
von Georg Lukács / Seite 203

Die Tragödie Heinrich von Kleists
von Georg Lukács / Seite 225

Der faschistisch verfälschte und der wirkliche Georg Büchner
von Georg Lukács / Seite 257

Gerhart Hauptmann
von Georg Lukács / Seite 281

Beileidsschreiben an Helene Weigel zum Tod Bertolt Brechts
von Georg Lukács / Seite 293

Gedenkrede gehalten bei der Trauerfeier für Bertolt Brecht am 18. August 1956
von Georg Lukács / Seite 295

In memoriam Hanns Eisler
von Georg Lukács / Seite 297


Jakob Hayner
Die Rätsel der Welt im Brennglas des Ästhetischen
Zeitlebens hegte Georg Lukács den Plan, eine systematische Ästhetik zu verfassen. Als »vollständig gescheitert« beschrieb er einen ersten Versuch aus seinen Heidelberger Jahren. Diese Feststellung findet sich allerdings im Vorwort seiner 1963 veröffentlichten Schrift »Die Eigenart des Ästhetischen«, die als erster Teil seiner »Ästhetik« angelegt war. Das Scheitern blieb also nicht von Dauer, die Sache verlangte, ausgearbeitet zu werden. Lukács trug schwer daran, dass der Marxismus keine eigene Ästhetik hervorgebracht hatte. Oder anders gesagt: Das, was es gab, konnte ihn nicht zufriedenstellen. Einerseits unsystematische Bemerkungen im Werk von Marx und Engels, andererseits historische Abhandlungen, die zwar Entwicklungen in der Kunst und deren ökonomischen Voraussetzungen aufzeigten, aber die Frage nach dem Wesen des Ästhetischen gar nicht berührten. Und genau dazu gedachte Lukács den entscheidenden Beitrag zu leisten. Lukács stand in doppelter Opposition: Gegen den bürgerlichen Idealismus einerseits und andererseits gegen den mechanischen Materialismus, wie er es nennt. Kunst ist also weder eine unveränderliche Idee am entsprechenden Ideenhimmel, die es gelegentlich in die Niederungen des weltlichen Lebens stürzt, sie ist aber auch nicht zu reduzieren auf eine quasi vorherbestimmte Kette von determinierenden Bestimmungen. Das meint aber auch, in dieser Opposition selbst einen wirklichen Gegensatz zu sehen, der sich nur auf verkehrte Weise darstellt (Ideenhimmel gegen Produktionsniederungen). Lukács suchte eine Aufhebung dieses Gegensatzes und er fand sie in der Methode, die den Namen dialektischer Materialismus trägt. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, lautet einer der bekanntesten Sätze dieses Denkens, nicht zu verwechseln mit der pseudomaterialistischen Behauptung, das Sein wäre identisch mit dem Bewusstsein, also folglich könnte das richtige Bewusstsein aus dem richtigen Sein abgeleitet werden, ein Fehlschluss, der im Ästhetischen wie Politischen eigentümliche Blüten treibt. Dass Lukács die Sache im Sinne eines dialektischen Materialismus anging, zog vielfach Kritik auf sich. Am bekanntesten ist Theodor W. Adornos Kritik in »Erpresste Versöhnung«, doch der Vorwurf des Revisionismus ertönte auch auf der anderen Seite des »Eisernen Vorhangs«. Mal sei Lukács’ Ästhetik zu einseitig, mal zu wenig einseitig im Sinne des Klassenstandpunkts, mal zu nah an der Wissenschaft, mal zu fern im Sinne des offiziellen Marxismus-Leninismus. Man darf diese »mittlere Position« als Zeichen nehmen, dass Lukács an die grundlegenden Widersprüche der Wirklichkeit rührte. Eine Entgegensetzung von »linker Ethik« und »rechter Erkenntnistheorie« hat Lukács rückblickend schon in seiner frühen »Theorie des Romans« als zu überwindendes Problem ausgemacht und es begleitete ihn bis ins Alter – sein Spätwerk beschäftigte sich mit Ontologie und Ästhetik, eine Ethik war auch angedacht. Standpunkt und Wahrheit waren ihm nicht eins, aber das eine bedingt das andere: als parteiisches Totalitätsbewusstsein. Der Autor von »Geschichte und Klassenbewusstsein« dürfte gewusst haben, dass auch Marx und Engels Evolution und Revolution zusammenbrachten. Und er dürfte auch gewusst haben, dass Klassenkämpfe zwar auch Tagespolitik sind, aber zugleich darüber hinausgehen. Denn Lukács war Kommunist. Und im Gegensatz zu manch anderen an den Kämpfen ihrer Zeit Beteiligten denken Kommunisten über diese hinaus, sie antizipieren schon die neuen und besseren Formen des gesellschaftlichen Miteinanders, die im Handgemenge oft keine Rolle spielen und aus taktischen Erwägungen oft keine spielen können. Als Korrektiv von Taktik steht deswegen bei Lukács ein Begriff wie Wahrheit. Der ersetzt Politik nicht, sondern gibt ihr erst eine Richtung, ihren Sinn. So ist es wohl auch zu verstehen, dass Lukács in dem Vorwort zu »Die Eigenart des Ästhetischen« festhält: »Treue zur Wirklichkeit und zugleich Treue zum Marxismus.« Wirklichkeit first!, auch im Sinne des Marxismus. Peter Hacks, der sich durchaus als einer von Lukács’ Leuten verstand, brachte es einmal treffend auf den Punkt: »Ich bin orthodoxer Marxist: Ich glaube jedes einzelne Wort von Marx, wenn es wahr ist.« Solch ein Denken hätte auch heute noch eine Zukunft. Zu einer systematischen Ästhetik kommt aber noch eine Sache hinzu: das Systematische. Das Wort System löst heutzutage eher totalitarismustheoretisches Unbehagen aus, die Systemtheorie hat längst an Charme verloren und die Parole »Fight the System!« hat sich nicht nur in ihr Gegenteil verkehrt, sondern ist von der Straße in die Akademien gewandert. Doch gerade angesichts der offenkundigen Tyrannei des Unsystematischen sollte man sich davon nicht irre machen lassen. Denn systematisches Denken oder spekulatives Denken, wie es bei Hegel heißt, auf dessen Schultern der Riese Lukács zwecks besseren Überblicks steht, ist kein geschlossenes, gegen Erfahrung abgedichtetes Denken – im Gegenteil. Liest man »Die Eigenart des Ästhetischen«, so fällt auf, wie groß die Scheu des Autors ist, einfache Definitionen zu geben. Hingegen untersucht Lukács immer wieder, nahezu bis zur Erschöpfung (auch der des Lesers), die vielfältigen Beziehungen, die zwischen den einzelnen Gegenständen bestehen. Denken in Systemen heißt nach Hegel nämlich, in Relationen, in Verhältnissen zu denken. Definitionen täuschen. Sie suggerieren klare Grenzen, wo die Dinge zusammenhängen. Sie suggerieren Unveränderlichkeit, wo die Dinge sich ändern, sei es, weil sich das ändert, womit sie in Bezug stehen. Lukács verwahrte sich gegen ein »Pseudosystem von abstrakten Vorschriften und mechanischen Regeln«, immer wieder umkreist er seinen Gegenstand, weil er von der Dynamik in den Begriffen selbst Kenntnis hat, weil er weiß, dass sie sich notwendig entwickeln müssen und dass dieser Notwendigkeit ein paar Gesetzmäßigkeiten innewohnen, wobei das dialektische Denken durchaus mehr als nur »wenn A, dann B« kennt – es ist nämlich Denken in Widersprüchen. Das System ist also nicht nur nicht abgeschlossen, man kann damit Entwicklung denken, ohne auf eigentümliche Dinge wie göttliche Eingebung oder bloßen Zufall zurückgreifen zu müssen. Solches systematische Denken weiß also auch, dass Neues entstehen muss. Nicht, dass man dessen konkrete Gestalt voraussagen könnte, aber man kann durchaus wissen, als Antwort welcher Frage es auftauchen wird. Doch fürs Neue, das ist vielfach festgestellt worden, interessiert sich Lukács in seiner Ästhetik nur eingeschränkt. Er weiß, dass das die Grenze der Theorie ist – deren Erkenntnis bekanntlich wie der Flug der Eule der Minerva in der Dämmerung beginnt. Der Praxis kann man in der Theorie nichts vorwegnehmen, man kann nur den Umfang der von ihr zu lösenden Problematik skizzieren. Noch ein Vorteil des systematischen Denkens: Es weiß um seine Beschränkungen und Grenzen. Nun hat Lukács seiner historisch wie logisch angelegten »Eigenart des Ästhetischen« eine Formulierung von Karl Marx aus dessen berühmter Schrift »Das Kapital« vorangestellt. »Sie wissen es nicht, aber sie tun es«, heißt es dort. Diese Formulierung stammt aus dem ersten Band, überschrieben mit »Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis«. Dieser Abschnitt hat unter anderem einige Berühmtheit erlangt, weil einige der jüngeren Zurück-zu-Marx-Bewegungen in der Regel direkt nach diesem Abschnitt ihre Lektüre des auch darüber hinaus recht lesenswerten Buchs beendeten und der Welt erklärten, Klassenkampf und solche Dinge seien unnützer Kram aus der Vergangenheit (hätten sie doch nur bis Kapitel 8 »Der Arbeitstag« gelesen!). Marx jedenfalls geht es an dieser Stelle um eine verkehrte Gesellschaft, um einen »gegenständlichen Schein der gesellschaftlichen Charaktere der Arbeit«. Keine Hirngespinste also, die Welt selbst ist verrückt geworden und Tische bilden aus ihrem Holzkopf Grillen, weil wir so produzieren, wie wir gedankenlos produzieren, nämlich kapitalistisch. Die menschliche Arbeit ist dem Wertgesetz unterworfen, und zwar ganz real, obwohl diese Realität nur das Produkt menschlicher Arbeit ist. Die Welt, in der kapitalistische Produktionsweise herrscht, wird deswegen von Mystizismen und Phantasmagorien heimgesucht, die dem Aufklärer Marx ausgesprochen zuwider waren, zudem er wusste, wie diesem Spuk ein Ende zu machen wäre: durch eine vernünftigere Produktionsweise. Nun ist das in zweierlei Hinsicht für Lukács interessant: zum einen, weil er mit Marx den Kapitalismus für eine notwendig falschen Schein erzeugende Gesellschaftsordnung hält und dem die »defetischisierende Mission der Kunst« entgegensetzt. Und zum anderen, weil die Aufgabe der Enträtselung – wissen wollen, was getan wurde – für die Arbeit als solche, aber insbesondere auch für ästhetische Artefakte von Belang ist. Denn die Kunstwerke selbst sind ein Archiv unbewussten...


Georg Lukács (1885–1971) war Philosoph und Literaturwissenschaftler und neben Ernst Bloch, Antonio Gramsci und Karl Korsch bedeutendster Erneuerer der marxistischen Philosophie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Jakob Hayner wurde 1988 in Dresden geboren und ist in Thüringen aufgewachsen. An der Humboldt-Universität zu Berlin studierte er Deutsche Literatur und Philosophie, nebenher hat begonnen, als Journalist zu arbeiten. 2016 wurde er Redakteur bei "Theater der Zeit – Zeitschrift für Theater und Politik". Neben zahlreichen Beiträgen für die Zeitschrift beteiligte er sich auch an dem Band "Lob des Realismus – Die Debatte". 2020 veröffentlichte er bei Matthes & Seitz sein Buch "Warum Theater. Krise und Erneuerung". Im gleichen Jahr wechselte er zur sozialistischen Tageszeitung "nd", wo er inzwischen im Wissenschaftsressort ist.

Erik Zielke geboren 1989 in Bergen auf Rügen, ist Autor und Redakteur. Er studierte Buchwissenschaft, Slawistik und Osteuropastudien an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und an der Freien Universität Berlin. Er war von 2015 bis 2021 als Lektor im Verlag Theater der Zeit tätig und hat darüber hinaus auch als Theaterkritiker gearbeitet. Seit 2021 ist er Theaterredakteur der Tageszeitung "nd".

Dietmar Dath, wurde 1970 in Rheinfelden geboren. Er verfasst Romane, Hörspiele, Theaterstücke, Sachbücher und Gedichte. Zudem arbeitet er als Journalist, einst als Chefredakteur der Spex, heute im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zu seinen bekanntesten Romanen zählen "Für immer in Honig" (2005), "Waffenwetter" (2007), "Die Abschaffung der Arten" (2008), "Sie schläft" (2009), "Der Implex" (2012, mit Barbara Kirchner), "Venus siegt" (2015) und "Der Schnitt durch die Sonne" (2017). Für die Theaterbühne hat er Henrik Ibsens "Ein Volksfeind" (Schauspielhaus Zürich, 2015) und Mary Shelleys "Frankenstein" (Schauspielhaus Zürich, 2019) überarbeitet. Nach "Annika oder Wir sind nichts" (UA Schauspiel Frankfurt, 2011) und "Regina oder Die Eichhörnchenküsse" (UA Nationaltheater Mannheim, 2011) hat Dath mit "Die nötige Folter" sein drittes Theaterstück vorgelegt, das am 11. Mai 2019 am Staatstheater Augsburg in der Regie des Intendanten André Bücker zur Uraufführung kam.

Bernd Stegemann ist Professor für Dramaturgie an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Berlin. Er arbeitete als leitender Dramaturg an zahlreichen Theatern und für Festivals, u. a. am TAT in Frankfurt/Main, am Deutschen Theater und an der Schaubühne Berlin. Seit der Spielzeit 2017 / 18 gehört er der Dramaturgie des Berliner Ensembles an. Er hat die Reihe Lektionen bei Theater der Zeit begründet. Bisher erschienen sind die Bände 1 Dramaturgie, 2 Regie, 3 und 4 Schauspielen, 5 Theaterpädagogik, 6 Kostümbild, 7 Theater der Dinge. Zahlreiche Publikationen zur Dramaturgie und Kunst des Theaters, z. B. Kritik des Theaters (2013), Lob des Realismus (2015). 2017 erschien bei Theater der Zeit sein vielbeachtetes Buch Das Gespenst des Populismus. Ein Essay zur politischen Dramaturgie.



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