Hay | Geheimnis in Rot | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 301 Seiten

Reihe: British Library Crime Classics

Hay Geheimnis in Rot

Kriminalroman
3. Auflage 2017
ISBN: 978-3-608-10884-2
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 301 Seiten

Reihe: British Library Crime Classics

ISBN: 978-3-608-10884-2
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Tante Mildred hat es schon immer geahnt: Die Verwandtschaft an Weihnachten zu versammeln ist keine gute Idee. Als der Familienpatriarch mit einer Kugel im Kopf gefunden wird, entbrennt an der festlichen Tafel ein Streit um sein Erbe. Dieser neuentdeckte Klassiker von Mavis Doriel Hay ist ein Muss für alle Krimifans und perfekt geeignet, von den eigenen Familiendramen an Weihnachten abzulenken. Das traditionelle Familienfest im Hause Melbury beginnt wenig beschaulich, als Sir Osmond von einem als Weihnachtsmann verkleideten Gast ermordet aufgefunden wird. Die Trauer der anwesenden Verwandtschaft hält sich jedoch in Grenzen, da Sir Osmond ein beträchtliches Erbe hinterlässt. Jedes der eingeladenen Familienmitglieder zieht seinen Nutzen aus dem Tod des Patriarchen - nur der Weihnachtsmann, der genug Gelegenheiten hatte, den alten Herrn ins Jenseits zu befördern, besitzt kein Motiv. Inmitten von Missgunst, Verdächtigungen und Abscheu stellt sich schließlich heraus: Es kann nicht nur einen verkleideten Weihnachtsmann gegeben haben.

Mavis Doriel Hay, (1894-1979), verbrachte die meiste Zeit ihres Lebens in London und bereicherte das Goldene Zeitalter der britischen Krimiliteratur mit drei Romanen. Sie studierte zur selben Zeit in Oxford wie Dorothy L. Sayers. Aus allem anderen hat sie ein Geheimnis gemacht.
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Kapitel 1


von Philip Cheriton

Ich kenne die Melburys, seit ich mit Jennifer, der jüngsten Tochter, im Park von Flaxmere auf Bäume geklettert bin und Indianerzelte gebaut habe. Daher weiß ich genug über sie, um die Geschichte der Familie niederzuschreiben, zumindest so weit, dass man sich ein Bild vom allgemeinen Stand der Dinge während der Weihnachtstage im Jahr 1935 machen kann, als das Verbrechen in Flaxmere geschah. Ich war zu diesem Zeitpunkt seit drei Monaten mit Jennifer verlobt, aber ihr Vater, Sir Osmond Melbury, verweigerte uns seinen Segen, und die Verlobung wurde deshalb nicht offiziell bekanntgegeben. Zum Glück für uns verbot er mir nicht sein Haus oder dergleichen. Etwa neunzehn Jahre zuvor hatte seine älteste Tochter Hilda sich in einen jungen Künstler verliebt, und als Sir Osmond daraufhin den gestrengen viktorianischen Vater herauskehrte, war Hilda durchgebrannt – angeblich mit dem geheimen Einverständnis ihrer Mutter. Diesmal versuchte er es mit einer anderen Methode.

Er hielt mich offensichtlich für einen armen Wicht, den Jennifer schon noch »durchschauen« würde, spätestens dann, wenn mich der Vergleich mit einem heiratswürdigeren Bewerber in ein ungünstiges Licht rückte, und so beschränkte er sich darauf, unsere Verlobung nicht ernst zu nehmen. Wir seien viel zu jung, um zu wissen, was wir wollten, spottete er und erklärte kategorisch, wir müssten auf jeden Fall noch warten, Jennifer habe in den wenigen Jahren, die ihm noch blieben, für ihren alten Vater da zu sein, sie könne nicht einmal im Traum daran denken, von zu Hause fortzugehen, und so weiter. Zugleich ermunterte er Oliver Witcombe, in Flaxmere herumzulungern und sich bei Jennifer einzuschmeicheln.

Ich hatte mit Oliver studiert und ihn immer für einen anständigen Kerl gehalten, auch wenn mich sein filmstarhaftes Aussehen abschreckte. Man hatte das Gefühl, etwas stimmte nicht mit einem Mann, der ein solch vollkommenes Profil und solch unnatürlich naturgelocktes Blondhaar hatte. Sir Osmonds Verhalten – ständig schob er Oliver gleichsam in den Vordergrund, sorgte dafür, dass er sich in Szene setzte, und behandelte ihn wie einen klugen, gut dressierten Hund – erzeugte eine ziemlich angespannte Atmosphäre. Ich glaube, Oliver und ich sahen beide darüber hinweg, aber es war mir immer schrecklich peinlich, wenn ich ihm in Flaxmere begegnete. Das Ganze war typisch für Sir Osmond: Er hatte ein Talent für peinliche Situationen. Ich hätte ihm ohne Weiteres zugetraut, in einer vollkommen harmonischen Gesellschaft binnen vierundzwanzig Stunden Neid, Hass und Lieblosigkeit zu säen.

Jennifer lebte als einziges seiner Kinder noch bei ihm in Flaxmere. Der imposante Wohnsitz war von Sir Osmonds Ururgroßvater erbaut worden, der das ursprüngliche elisabethanische Haus für zu eng und altmodisch befunden und abgerissen hatte. Für meinen Geschmack ist Flaxmere eine der weniger gelungenen Hervorbringungen des achtzehnten Jahrhunderts, aber in Sir Osmonds Augen war es ein schöner alter georgianischer Bau.

Sir Osmonds Vater hatte mit Pferdewetten sehr viel Geld verloren und bereits erwogen, den Besitz zu verkaufen, da trat der junge Osmond zum Entsetzen der Familie ins Geschäftsleben ein. Mit der Erzeugung von Keksen häufte er ein hübsches kleines Vermögen an, was in der Familie die Erkenntnis reifen ließ, dass das Geschäftsleben – dessen produzierender Teil, versteht sich – heutzutage eine durchaus ehrenwerte Sache sei; die besten Leute betätigten sich dort, niemand müsse sich dafür schämen, seine Talente nach Kräften zu nutzen und so weiter. Als Osmond Melbury sich jedoch nach dem frühen Tod des Vaters aus der Sphäre der Kekse zurückzog und seinen Platz in der Grafschaft einnahm, lag es ihm fern, die Gewinne aus seiner bürgerlichen Tätigkeit mit seinen vornehmen Brüdern und Onkeln zu teilen. Einen Teil seines Vermögens wandte er für wohlüberlegte Spenden auf, die ihm schließlich die ersehnte Baronetswürde eintrugen. Das Haus stattete er mit elektrischem Licht und luxuriösen Badezimmern aus, und seine Kinder ließ er wissen, dass er sie im Falle einer standesgemäßen Heirat großzügig bedenken werde.

Doch seine Pläne schienen letztlich nicht recht aufzugehen, als Hilda im Alter von neunzehn Jahren Carl Wynford heiratete, den jungen Künstler. Sir Osmond hätte vermutlich gar nichts gegen diese Verbindung einzuwenden gehabt, wenn die beiden mit der Heirat gewartet hätten, bis abzusehen war, dass Carl als großer Künstler anerkannt wurde; Sir Osmond hätte ihm sogar Aufträge erteilt oder ihn weiterempfohlen. Doch Hilda war verliebt und nicht geneigt, sich auf einen solchen Handel einzulassen. Carl starb drei Jahre später, und sie blieb mit einer kleinen Tochter und zahllosen Gemälden allein zurück. Die Kunstkritik war bereits auf ihn aufmerksam geworden, und nach seinem Tod erlebten seine Bilder einen gewissen Boom, der Hilda bei Kriegsende, als die Leute wieder Geld hatten, eine große Hilfe war. Später hatte sie hart gearbeitet, um ihrer Tochter Carol eine gute Erziehung zu ermöglichen, denn ihr Vater hatte sie, von gelegentlichen Einladungen nach Flaxmere abgesehen, in keiner Weise unterstützt.

Das Seltsame an alldem ist, dass Hilda, einst Sir Osmonds Lieblingskind, ihren Vater nach wie vor liebte. So schien es zumindest, auch wenn es schwer zu glauben ist. Inzwischen muss sie an die vierzig sein, und das sieht man ihr auch an, wahrscheinlich als Folge der schweren Zeiten, die sie durchgemacht hat. »Ich kann Vater schon verstehen«, pflegte sie zu sagen. »Alte Leute begreifen einfach nicht, dass die jungen nicht warten können.« Weiter würde sie nie gehen, aber man spürt, dass es ihr selbst niemals an diesem Verständnis mangeln wird. Es muss sie schmerzen, dass ihr Vater nicht einmal ein paar hundert Pfund, die ihm ja nicht groß gefehlt hätten, herausgerückt hat, um ihrer inzwischen achtzehnjährigen Tochter Carol die ersehnte Ausbildung zu ermöglichen. Carol will unbedingt Architektin werden, und das kostet mehr, als Hilda zusammenkratzen könnte.

1920, vier Jahre nach Hildas Heirat, starb Lady Melbury. Ich war damals elf und erinnere mich noch dunkel an die schöne, liebenswürdige Frau. Sie wirkte älter als die Mütter fast aller meiner Freunde, aber sie war bei Weitem nicht so streng und etepetete, und man fasste viel leichter Vertrauen zu ihr. Sie hinterließ Hilda zwei Drittel ihres kleinen Privatvermögens und Jennifer den Rest, als wäre ihr schon damals klar gewesen, dass Edith und Eleanor, ihre beiden anderen Töchter, vom Vater für ihren Gehorsam belohnt werden würden, während Jennifer vermutlich froh sein konnte, wenn das bescheidene Erbe der Mutter ihr ein wenig dabei half, Sir Osmonds Tyrannei zu entkommen.

Nach Lady Melburys Tod zog Sir Osmonds unverheiratete Schwester nach Flaxmere und kümmerte sich um das gesellschaftliche Leben, das ja so wichtig war, um der damals siebzehnjährigen Edith und später auch Eleanor geeignete Ehemänner und dem knapp einundzwanzigjährigen George eine pflichtbewusste Gattin zuzuführen. Und Tante Mildred machte ihre Sache gut. Edith, von allen Dittie genannt, ehelichte zum großen, wenn auch in Zaum gehaltenen Frohlocken der Familie Sir David Evershot. Die beiden sind jetzt zehn Jahre verheiratet, haben aber keine Kinder, was Sir Osmond zutiefst missfiel. Dittie behauptet, sie könnten sich Kinder nicht leisten, und meint damit natürlich, dass sie dann vielleicht für einige Zeit nicht mehr alljährlich nach Kitzbühel, Cannes und Schottland reisen könnten. Sir Osmond drohte damit, sie zu enterben, wenn sie nicht für Nachwuchs sorgten; er vertrat die Theorie, eine »gute Familie«, wie er es nannte – also die Melburys –, müsse alles daransetzen, ein Gegengewicht zur allzu zahlreichen Nachkommenschaft weniger achtbarer Bürger zu schaffen. Es wird gemunkelt, in Davids Familie komme irgendeine Geisteskrankheit vor und Edith habe Angst, sie könnte auch bei seinen Kindern auftreten. Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber Edith muss einen sehr guten Grund haben, um ihr Erbteil bewusst aufs Spiel zu setzen.

Eleanor, die dritte Tochter, hat Gordon Stickland geheiratet, der in der City ein ziemlich wichtiger Mann ist. Eleanor hatte schon immer eine Nase dafür, genau das Richtige zu tun. Als Gordon von der cleveren Tante Mildred nach Flaxmere gelockt wurde und sich in Sir Osmonds Augen als höchst erstrebenswerter Ehemann für eine seiner Töchter erwies, zeigte sich Eleanor ihm gegenüber äußerst charmant, nahm pflichtgemäß seinen Antrag an und entwickelte eine leidliche Zuneigung zu ihm. Sie brachte einen Sohn zur Welt, den jedermann umgehend zum »waschechten Melbury« erklärte, und ließ ihn auf den Namen Osmond taufen. Es gibt auch eine...


Heller, Barbara
Barbara Heller lebt als Diplomübersetzerin aus dem Englischen, Niederländischen und Französischen in Heidelberg. Zu ihrer Liste von über sechzig Autorinnen und Autoren gehören u. a. George Simenon, Agatha Christie, Salman Rushdie, Amitav Ghosh, Anne Fine, Connie Palmen und Sophie van der Stap.

Hay, Mavis Doriel
Mavis Doriel Hay, (1894-1979), verbrachte die meiste Zeit ihres Lebens in London und bereicherte das Goldene Zeitalter der britischen Krimiliteratur mit drei Romanen. Sie studierte zur selben Zeit in Oxford wie Dorothy L. Sayers. Aus allem anderen hat sie ein Geheimnis gemacht.

Mavis Doriel Hay, (1894-1979), verbrachte die meiste Zeit ihres Lebens in London und bereicherte das Goldene Zeitalter der britischen Krimiliteratur mit drei Romanen. Sie studierte zur selben Zeit in Oxford wie Dorothy L. Sayers. Aus allem anderen hat sie ein Geheimnis gemacht.

Barbara Heller lebt als Diplomübersetzerin aus dem Englischen, Niederländischen und Französischen in Heidelberg. Zu ihrer Liste von über sechzig Autorinnen und Autoren gehören u. a. George Simenon, Agatha Christie, Salman Rushdie, Amitav Ghosh, Anne Fine, Connie Palmen und Sophie van der Stap.

Mavis Doriel Hay, (1894-1979), verbrachte die meiste Zeit ihres Lebens in London und bereicherte das Goldene Zeitalter der britischen Krimiliteratur mit drei Romanen. Sie studierte zur selben Zeit in Oxford wie Dorothy L. Sayers. Aus allem anderen hat sie ein Geheimnis gemacht.

Barbara Heller lebt als Diplomübersetzerin aus dem Englischen, Niederländischen und Französischen in Heidelberg. Zu ihrer Liste von über sechzig Autorinnen und Autoren gehören u. a. George Simenon, Agatha Christie, Salman Rushdie, Amitav Ghosh, Anne Fine, Connie Palmen und Sophie van der Stap.



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