E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Hawkins A Thousand Brains
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7453-1975-0
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine neue Theorie der Intelligenz – Mit einem Vorwort von Richard Dawkins. Neuste Erkenntnisse: emotionale, künstliche Intelligenz, Hirnforschung, Neurologie, KI
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-7453-1975-0
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jeff Hawkins, geboren 1957 in New York, ist ein US-amerikanischer Neurowissenschaftler und Tech-Unternehmer. Er ist Mitgründer der Unternehmen Palm Inc., Handspring und Numenta sowie des Forschungslabors Redwood Neuroscience Institute, das inzwischen Teil der University of California in Berkeley ist. Sein Interesse gilt der Erforschung der Intelligenz, um das maschinelle Lernen zu verbessern.
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VORWORT
VON RICHARD DAWKINS
Lesen Sie dieses Buch nicht vor dem Schlafengehen. Nicht, dass es beängstigend wäre. Es wird Ihnen keine Albträume bereiten. Aber es ist so erfrischend, so anregend, dass es Ihren Geist in einen wirbelnden Strudel von aufregend provokativen Ideen verwandelt – Sie werden lieber losstürmen und jemandem davon erzählen wollen, als schlafen zu gehen. Der Verfasser des Vorworts ist ein Opfer dieses Strudels, und ich denke, das wird sich erweisen.
Charles Darwin war unter den Wissenschaftlern insofern eine Ausnahmeerscheinung, als er über die Mittel verfügte, außerhalb der Universitäten und ohne staatliche Forschungsgelder zu arbeiten. Jeff Hawkins wird es vielleicht nicht gefallen, als das Silicon-Valley-Äquivalent eines Gentleman-Wissenschaftlers bezeichnet zu werden, aber – Sie verstehen sicher die Parallele. Darwins mächtige Idee war zu revolutionär, um in Form eines kurzen Artikels verstanden zu werden, und die gemeinsamen Veröffentlichungen von Darwin und Wallace aus dem Jahr 1858 wurden so gut wie ignoriert. Wie Darwin selbst sagte, musste die Idee in Buchlänge ausgebreitet werden. Und tatsächlich war es sein großes Buch, das ein Jahr später die viktorianischen Grundüberzeugungen erschütterte. Auch Jeff Hawkins’ Thousand-Brains-Theorie bedarf einer buchfüllenden Abhandlung. Und sein Konzept der Bezugsrahmen – »Der eigentliche Akt des Denkens ist eine Form der Bewegung« – ist eine Glanzleistung! Diese beiden Ideen sind jeweils tiefgründig genug, um ein ganzes Buch zu füllen. Aber das ist noch nicht alles.
Thomas Henry Huxley sagte nach der Lektüre von Darwins Über die Entstehung der Arten bekanntlich: »Wie ausgesprochen dumm von mir, nicht daran gedacht zu haben.« Ich behaupte natürlich nicht, dass Hirnforscher dasselbe sagen werden, wenn sie dieses Buch zuklappen. Es ist ein Buch mit vielen spannenden Ideen statt einer einzigen großen Idee wie der von Darwin.
Ich glaube allerdings, dass nicht nur T. H. Huxley, sondern auch seine drei brillanten Enkel es geliebt hätten: Andrew, weil er entdeckte, wie der Nervenimpuls funktioniert (Hodgkin und Huxley sind der Watson und der Crick des Nervensystems); Aldous wegen seiner visionären und poetischen Reisen in die entlegensten Winkel des Geistes; und Julian, weil er dieses Gedicht schrieb, in dem er die Fähigkeit des Gehirns preist, ein Modell der Realität, einen Mikrokosmos des Universums zu konstruieren:
Die Welt der Dinge kam in deinen kindlichen Verstand,
um das Kristallkabinett zu bevölkern.
Innerhalb seiner Wände trafen sich die seltsamsten Partner,
und aus Dingen wurden Gedanken, die ihre Art fortpflanzten.
Denn, einmal drinnen, fand die körperliche Realität einen Geist.
Die Realität und du in gegenseitiger Schuld
habt dort euren kleinen Mikrokosmos erschaffen,
der doch seinem kleinen Selbst die größten Aufgaben zugewiesen hatte.
Tote können dort leben und sich mit den Sternen unterhalten:
Der Äquator spricht mit dem Pol, die Nacht mit dem Tag;
Der Geist löst die materiellen Schranken der Welt auf.
Eine Million Abgrenzungen verglühen.
Das Universum kann leben und arbeiten und planen.
Endlich wurde Gott im Geist des Menschen geschaffen.
Das Gehirn sitzt im Dunkeln und nimmt die Außenwelt nur durch einen Hagelsturm von Andrew Huxleys Nervenimpulsen wahr. Ein Nervenimpuls aus dem Auge unterscheidet sich nicht von einem aus dem Ohr oder dem großen Zeh. Es kommt darauf an, wo sie im Gehirn landen. Jeff Hawkins ist nicht der erste Wissenschaftler oder Philosoph, der behauptet, dass die von uns wahrgenommene Realität eine konstruierte Realität ist, ein Modell, das durch die von den Sinnen einströmenden Informationen aktualisiert und informiert wird. Aber Hawkins ist meines Erachtens der Erste, der der Idee wortgewaltig Raum bietet, dass es nicht nur ein einziges solches Modell gibt, sondern Tausende, und zwar eines in jeder der vielen fein säuberlich gestapelten Säulen, die den Kortex des Gehirns bilden. Es gibt etwa 150.000 dieser Säulen, und sie sind die Stars des ersten Teils des Buches, zusammen mit dem, was er »Bezugsrahmen« nennt. Hawkins’ Thesen zu diesen beiden Themen sind provokant, und es wird interessant sein zu sehen, wie sie von anderen Hirnforschern aufgenommen werden; gut, vermute ich. Nicht zuletzt fasziniert seine Idee, dass die kortikalen Säulen bei ihrer Weltmodellierung halbautonom arbeiten. Was »wir« wahrnehmen, ist eine Art demokratischer Konsens zwischen den Säulen.
Demokratie im Gehirn? Konsens und sogar Streit? Was für eine erstaunliche Idee. Sie ist ein Hauptthema des Buches. Wir menschlichen Säugetiere sind die Opfer eines immer wiederkehrenden Streits: einem Gerangel zwischen dem alten Reptiliengehirn, das unbewusst die Überlebensmaschine steuert, und dem Neokortex der Säugetiere, der sozusagen den Fahrersitz besetzt. Dieses neue Säugetiergehirn – die Großhirnrinde – denkt. Die Großhirnrinde ist der Sitz des Bewusstseins. Sie ist sich der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft bewusst, und sie sendet Anweisungen an das alte Gehirn, das diese ausführt.
Das alte Gehirn, das durch natürliche Selektion über Millionen von Jahren trainiert wurde, als Zucker knapp und wertvoll für das Überleben war, sagt: »Kuchen. Ich will Kuchen. Mmmm, Kuchen. Gib her.« Das neue Gehirn, das von Büchern und Ärzten in nur zehn Jahren trainiert wurde, als Zucker im Überfluss vorhanden war, sagt: »Nein, nein. Kein Kuchen. Das darf nicht sein. Bitte, iss diesen Kuchen nicht.« Das alte Gehirn entgegnet: »Schmerz, Schmerz, schrecklicher Schmerz, lass den Schmerz sofort aufhören«. Das neue Gehirn fordert: »Nein, nein, ertrage die Folter, verrate dein Land nicht, indem du dich ihm hingibst. Loyalität gegenüber dem Land und den Kameraden kommt sogar vor deinem eigenen Leben.«
Der Konflikt zwischen dem alten Reptilien- und dem neuen Säugetiergehirn liefert die Antwort auf solche Rätsel wie »Warum muss Schmerz so verdammt schmerzhaft sein?«. Wozu ist Schmerz überhaupt gut? Schmerz ist ein Stellvertreter für den Tod. Er ist eine Warnung an das Gehirn: »Tu das nicht noch einmal: ärgere keine Schlange, hebe keine heiße Glut auf, springe nicht aus großer Höhe. Diesmal hat es nur wehgetan; beim nächsten Mal könnte es dich umbringen.« Nun könnte ein Konstrukteur sagen, was wir hier brauchen, ist das Äquivalent einer schmerzfreien Flagge im Gehirn. Wenn die Flagge in die Höhe schießt, darfst du nicht wiederholen, was du gerade getan hast. Doch statt der einfachen und schmerzfreien Flagge des Ingenieurs bekommen wir in Wirklichkeit Schmerzen – oft quälende, unerträgliche Schmerzen. Und warum? Was ist falsch an dieser so sinnvollen Flagge?
Die Antwort liegt wahrscheinlich in der umstrittenen Natur der Entscheidungsprozesse des Gehirns: dem Ringen zwischen dem alten und dem neuen Gehirn. Da es für das neue Gehirn zu einfach ist, das Votum des alten Gehirns zu überstimmen, würde das schmerzfreie Flaggensystem nicht funktionieren. Genauso wenig wie Folter.
Das neue Gehirn würde sich dazu berechtigt fühlen, meine hypothetische Flagge zu ignorieren und jede Menge Bienenstiche, verstauchte Knöchel oder Daumenschrauben der Folterknechte zu ertragen, wenn es das aus irgendeinem Grund »wollte«. Das alte Gehirn, dem es wirklich wichtig ist zu überleben, um die Gene weiterzugeben, könnte vergeblich »protestieren«. Vielleicht hat die natürliche Auslese im Interesse des Überlebens den »Sieg« des alten Gehirns sichergestellt, indem sie den Schmerz so verdammt schmerzhaft gemacht hat, dass das neue Gehirn ihn nicht überwinden kann. Ein anderes Beispiel: Wäre sich das alte Gehirn des Verrats am darwinistischen Ziel des Geschlechtsverkehrs »bewusst«, wäre das Überstreifen eines Kondoms unerträglich schmerzhaft.
Hawkins gehört zur Mehrheit der informierten Wissenschaftler und Philosophen, die mit dem Dualismus nichts anfangen können: Es gibt keinen Geist in der Maschine, keine gespenstische Seele, die so weit von der Hardware entfernt ist, dass sie den Tod der Hardware überlebt, kein »kartesisches Theater« (Dan Dennetts Begriff), in dem ein Farbbildschirm einem beobachtenden Ich einen Film von der Welt zeigt. Stattdessen schlägt Hawkins mehrere Modelle der Welt vor, konstruierte Mikrokosmen, die durch den Regen von Nervenimpulsen, die von den Sinnen einströmen, informiert und angepasst werden. Übrigens schließt Hawkins nicht völlig aus, dass man langfristig dem Tod entgehen kann, indem man sein Gehirn in einen Computer hochlädt, aber er glaubt nicht, dass das viel Spaß machen würde.
Zu den wichtigsten Modellen des Gehirns gehören die Modelle des Körpers selbst, die sich damit auseinandersetzen müssen, wie die Eigenbewegung des Körpers unsere Perspektive auf die Welt außerhalb der Gefängnismauer des Schädels verändert. Und dies ist relevant für das Hauptthema des mittleren Teils des Buches, nämlich der Intelligenz von Maschinen. Jeff Hawkins hat, wie ich auch, großen Respekt vor jenen klugen Menschen, Freunden von ihm und mir, die das Herannahen superintelligenter Maschinen fürchten, die uns verdrängen, unterjochen oder sogar ganz beseitigen könnten. Aber Hawkins fürchtet sie nicht, auch weil die Fähigkeiten, die zur Beherrschung von Schach oder Go führen, nicht die sind, die mit der Komplexität der realen Welt fertig werden können. Kinder, die kein Schach spielen können, wissen, »wie Flüssigkeiten verschüttet werden, Bälle rollen und Hunde bellen. Sie wissen, wie man Stifte, Marker, Papier und Klebstoff benutzt. Sie wissen, wie man Bücher aufschlägt und dass Papier reißen...