E-Book, Deutsch, Band 108, 230 Seiten
Reihe: Recherchen
Hawemann / Hoffmann Horst Hawemann - Leben üben
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95749-004-9
Verlag: Theater der Zeit
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Improvisationen und Notate
E-Book, Deutsch, Band 108, 230 Seiten
Reihe: Recherchen
ISBN: 978-3-95749-004-9
Verlag: Theater der Zeit
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Für den großen Theaterlehrer Horst Hawemann, Regisseur und langjähriger Lehrer an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Berlin, war das Leben selbst die unerschöpfliche Quelle für das Handeln auf der Bühne. Wie kaum ein anderer hat er es verstanden, mit Alltagssprache zu spielen. Den stattlichen Fundus seiner praktischen Übungen und "Nummern", die er den Spielern im Unterricht und auf der Probe angeboten hat, führt nun dieses Buch erstmals zusammen, begleitet von Kommentaren, in denen er seine "improvisierende Methode" erläutert. Ein unentbehrliches Übungsbuch für den Schauspielunterricht, die Improvisation oder beim Inszenieren.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
II
DIE SAMMLUNG
„Umquatschen“ oder Der gesammelte Held
In Vorbereitung einer Szene beschäftigen wir uns mit dem „Helden“, also mit einem Typ, der durch besondere Taten im Guten wie im Bösen auffällig geworden ist. Uns interessiert, was sich unter dem Begriff angesammelt hat. Was vorhanden ist. Wir sind nicht heldenspezifisch vorbereitet, sortieren nicht vor, uns reichen auch Schlagwörter, und wir verzichten auf umfassende Definitionen. Es ergeht also der Auftrag: „Umquatscht den Helden!“. Man fordert die Spieler auf, was sie im Moment über den Helden wissen, gnadenlos, bedenkenlos und flott auszupacken. Das entlastet den Spieler zunächst mal von einer Bedeutungsanalyse. Er „quatscht“ ja nur. Man lässt jeden so lange quatschen, bis er glaubt, er hat sich am Helden entleert, denn „darüber reden“ wäre schon eine Aufforderung zur Auswahl und Bewertung, die bremsen kann. Dann kommt der nächste Sammler. Die Spieler werden am Anfang nur das bequatschen, was sie im Augenblick zur Hand haben, das heißt die Oberflächen des Begriffes abtasten. An der Oberfläche sind alle Leute, auch Helden, ziemlich ähnlich. Erst in der Tiefe unterscheiden sie sich. Wenn man in die „Krise” kommt, wenn man meint, man weiß im Augenblick nichts mehr zu dem Begriff, ist man aufgefordert, zu suchen und nach Resten zu kramen. Der Held macht jetzt Mühe. Wenn du denkst, du bist fertig, mach weiter. Wenn du denkst, das war alles, finde mehr! Wenn du denkst, du redest Unsinn, entwickle das. Vielleicht wird es Sinn. Aus der „Krise“ helfen Entdeckungen heraus, wohl auch Erfindungen. Die Krise ist eine Aufforderung zum Weitermachen. Sie zwingt mich nicht. Sie macht mich neugierig auf mich. Was man dann noch findet, das überrascht, weil man sich fast sicher war, da sei nichts mehr. Das aktiviert. Wichtig ist, dass man an dem Begriff „Held”, den man zu kennen glaubte, von dem man meinte, viel zu wissen, in der Beschäftigung plötzlich erfährt, dass man nicht alles von ihm weiß, sogar zu wenig. In diesem Moment wird es für den Spieler interessant, weil er bemerkt, dass sich das Erinnern lohnt, das Weitermachen. Man kann sich bei den Findungen unterstützen, indem man die berühmten W-Fragen stellt: Wer? Wann? Wo? Wie? Was? Warum? Also: Wer war wann, warum, wo, wie, was für ein Held? Was ist zum Beispiel ein „Warum-Held“ oder ein „Darum-Held“? Beispiel: Der stille Ferdinand (wer) wurde lautstark (wie) als Held bejubelt (was), weil er zur falschen Zeit (wann) am falschen Ort (wo) das Maul aufmachte und nicht wieder zu (warum). Das „Umquatschen“ kann durchaus auch beim Nonsens landen. Nonsens ist eine besondere Entwicklungsform des Sinns. Oder es verliert sich in tieferem Nachdenken. Mit der Zeit entsteht so ein „Helden-Haufen“. Sammlungen sind ein benutzbarer Haufen, aus dem sich die Spieler später, auswählend, bedienen können. Dieser Haufen begleitet die ganze weitere Arbeit, denn alles, was ich und andere einmal gedacht und gesagt haben, bleibt im Gedächtnis und steht der Darstellung zur Verfügung. Es wird jeder, der daran beteiligt ist, seine bisherige Kenntnis über Helden und seine Mitteilungen darüber in Beziehung setzen können zu dem Wissen anderer. Das Quatschen ist ein Erspielen, nicht ein Vortrag, nicht Definition, kein Statement. Der Haufen muss nicht gleich durch Be- und Auswertung verkleinert werden – man kann ihn erst mal liegen lassen, bereit zum Zugriff bei der sich entwickelnden Darstellung von Helden in einem Probenprozess. Die Sammlung ist ein Anfang, die Lust auf Folgendes macht, auf eine mögliche Verwendung in konkreten Situationen. Sie bewegt die Probe, weil da Möglichkeiten angehäuft wurden, mehr als gebraucht werden. Nummer: Begriffe buchstabieren oder Die gesammelte Liebe Man lässt das Wort „Helden“ buchstabieren, z. B. so: H wie Hochmut … oder Heini … E wie eklig … extrem … L wie lässig … lumpig … D wie Drama … dämlich … E wie engstirnig … egoistisch … N wie nationalistisch … niedrig …nutzlos … Also heißt der hochmütige Held Heini, ist extrem eklig oder lumpig lässig, dazu dramatisch dämlich, engstirnig nationalistisch, aber eigentlich nutzlos. Wenn man aber den Spieler beim improvisierten Sammeln unter einen gewissen gespielten Druck setzt, die Begriffe in einer schnellen Abfolge abzugeben, das Nachdenken bewusst zu verkürzen, nicht zu kontrollieren, aber sich trotzdem mit dem Helden zu beschäftigen, also Spontaneität zulässt, kommt etwas ganz anderes, nicht Überlegtes heraus. Mach mal! Buchstabiere: „Liebe“. Pausenlos! L wie Lust … I wie Ich … E wie eh… eh… eh… B wie be… be… be… E wie e… ev… e… ntu… ell Natürlich ist das hier absichtsvoll ausgedacht. Aber gehen wir davon aus, dass es in der Improvisation entstanden wäre. Eh…, Eh…, Bebebe… Eventuell hält das jemand für ausgemachten Quatsch. Das ist es auf den ersten Blick auch, aber es kann auch der Anfang einer Idee sein. Wenn Liebe „Bebebe” und „eheheh“ sein kann, was kann sie noch alles? Das beschäftigt doch. Das ist mehr als wortanalytische Erklärung. Es bedankt sich die Phantasie für den vermeintlichen Quatsch und macht vielleicht eine besondere Liebe daraus, vielleicht eine nicht erklärbare. Dann ist das ein Anfang für folgende beunruhigende Entdeckungen: Mir Bekanntes wird unbekannt. In dieser einfachen Übung stellt sich die Liebe sehr überraschend dar. Man muss sich bei ihr aufhalten, bei der buchstabierten Liebe. Es entstand Zufälliges, Seltsames, Plötzliches, natürlich auch Müll – vielleicht aber doch nicht Müll. Sondern der Anfang einer Idee, die sich schwer zu erkennen gibt. „Aha“, sagt die Phantasie und nimmt sich der Idee an, mal sehen, was daraus wird. Nummer: Das ABC in Wörtern buchstabieren und als Begriffe vorzeigen Man beginnt, das ABC mit allgemeinen Wörtern ohne thematische Vorgaben durchzubuchstabieren, damit die Nummer verstanden wird, um alle Freiheiten zu haben, sich in ihr auszuprobieren. Man kann aber auch beispielsweise beim „Helden” bleiben – der ist ja ganz schön darstellungsträchtig – und unter dem Begriff „Held” das ganze ABC durchgehen: A wie Angst …dann Angst zeigen. B wie besoffen …den besoffenen Helden zeigen. C wie cholerisch …gemeint ist der Held. D wie Dauerwurst … gemeint ist immer noch der Held. Es kommt bei dieser Übung schon zu einer einfachen Darstellung, die eher Demonstration und weniger Handeln ist. Es sei auch mal eine Illustration erlaubt. Die Ansage und das anschließende Zeigen bieten dem Spieler eine zweifache Möglichkeit in der Darstellung des Begriffes. Jetzt behandelt er ihn schon. Er benennt ihn nicht nur, sondern er zeigt ihn vor und beginnt gestisch zu handeln. Er sagt A wie Angst, zeigt ein Zeichen für die Angst, und denkt bei diesem sichtbaren Zeichen für Angst schon voraus an das B. Er sagt B wie besoffen. Während er „besoffen“...