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E-Book, Deutsch, 265 Seiten

Hausrath Elfriede


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-2727-0
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 265 Seiten

ISBN: 978-3-8496-2727-0
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
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In der Erzählung 'Elfriede' zeigt Hausrath anhand einer dekadenten adligen Familie und deren bodenständiger Gärtnerfamilie den Zustand der Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts auf.

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Fünftes Kapitel



Das Schloß der Altenbrück bildete mit seinen glänzenden Zinnen und hohen Schieferdächern zu der dunkeln Höhle an der Dorfmauer den denkbar größten Gegensatz, wer aber in demselben auch ein entsprechend glänzenderes Glück gesucht hätte, wäre bei näherer Prüfung bald eines Andern belehrt worden. Gesitteter ging es in seinen Prachtsälen freilich zu als in der Spelunke der alten Müllerin, aber durchaus nicht fröhlicher.

Der Freiherr hatte in seiner Jugend allzu flott gelebt, und die Folge war, daß er schon als Mann an allen Greisenübeln krankte. Irgend eine Schraube in seinem Kopfe war stets verdreht, und da sein Nervensystem völlig zerrüttet war, so hatte er selbst das Gefühl, daß er einem Hause gleiche, dessen Fundament erschüttert ist und dem alle Reparaturen darum nicht aufzuhelfen vermögen. Dazu war sein Unglück, daß er volle Zeit hatte, jede Verstimmung seines Körpers zu beachten und sich mit tausend Grillen zu quälen, wodurch er sich und Anderen zur Last ward. Er hatte immer etwas, was ihn stachelte und reizte und womit er sich und den Seinen die müssigen Tage verdarb. Seine einzige Erholung war, von Zeit zu Zeit nach der Stadt in den Club zu fahren, wo hoch gespielt ward. Aber er schien sich dort weder Erfrischung noch gute Laune zu holen. Im Gegentheil, er war dann immer mehrere Tage abgespannt und gereizt, und man that wohl daran, ihm aus dem Wege zu gehen. Unter diesen Umständen war sein Familienleben nicht das glücklichste.

Der Baron und die Baronin hatten sich gegenseitig das Unrecht vorzuwerfen, daß sie einander geheirathet hatten, ohne sich zu lieben, und sie waren beide schlechter geworden in dieser Ehe, die ihnen nur Langeweile und ein einziges kränkliches Söhnchen bescheert hatte. Wurde der Kleine krank, was fast in jeder Woche einmal der Fall war, so ging der Baron mit wüthendem Gesichte durch die Zimmer und drehte die Enden seines Schnurrbarts zu gefährlichen Spitzen, und wehe Dem, der ihm dann in die Quere kam. Nach seiner Ueberzeugung war nur die völlig verkehrte Behandlung der Grund von Nikolaus' ewigem Kränkeln. Die Baronin aber schloß sich in solchem Falle mit dem kleinen Patienten ein, stets bereit, für jedes Zucken der fiebernden Händchen den lauten Schritt ihres Gemahls und sein ungestümes Schließen der Thüren verantwortlich zu machen, und fest überzeugt, er habe ihr das Kind erkältet, als er es vor Tagen in der Nähe des Fensters auf den Arm nahm. Statt zu einem Bande war so das zarte Kind zu einem Zankapfel zwischen Vater und Mutter geworden, da beide stets verschiedener Meinung waren, was für dasselbe zu geschehen habe. Natürlich setzte zuletzt doch die Mutter ihren Willen durch; da der Freiherr sich aber auf eine mürrische und unliebenswürdige Art unterwarf, bestärkte er sie nur in ihrer Ueberzeugung, eine unglückliche, unterdrückte, unverstandene Frau zu sein. Kränklich und schwächlich, wie sie war, machte ihr die Führung ihres Hauswesens keine Freude, und da ihrem grilligen Gemahle doch nichts recht zu machen war, ließ sie schließlich Alles gehen wie es ging. Am liebsten brachte sie ihre Tage damit zu, Briefe voll schmerzlicher Ergüsse an ihre Freundinnen zu schreiben, oder Stickereien und Strickereien zu Geburtstags- und Weihnachtsgeschenken herzustellen. Natürlich war das kein Mittel, ihrem Ehemanne ihren Umgang erfreulicher zu machen, und beide gingen neben einander her, ohne sich viel um einander zu kümmern, bis ein neuer Zank sie wieder gegen einander warf.

Unterstützt wurde die Baronin in ihrem Kampfe gegen den eigenen Mann durch ihre Schwester.

Tante Klara, wie diese sich seit der Geburt ihres Neffen am liebsten nennen ließ, war ein verbittertes altes Fräulein. Auch sie war krank, und ihre leidenden Augen quollen ihr so weit aus dem Kopfe hervor, daß man auf die Vermuthung kam, sie trage dieselben wie eine Schnecke auf Hörnern und werde sie im nächsten Augenblicke noch weiter hervorstrecken. Die von Seufzern lebende Dame hatte stets eine Klage gegen ihren Schwager auf den Lippen und einen Band Channing in der Tasche, für welchen Lieblingsschriftsteller sie eine unermüdliche, glaubenseifrige Propaganda machte. Für den Baron war die bleiche, magere Tante Klara, die ihn um eines Kopfes Länge überragte, einer der schlimmsten Nägel an seinem Ehekreuze, da sie jede Verkehrtheit seiner Gemahlin unterstützte.

"Nicht wahr, Herr Pastor", hatte einst der Baron den Prediger gefragt, "der liebe Gott schuf im Anfang Mann und Frau, aber keine Schwägerin."

Der Pfarrer lachte und meinte gutmüthig: "Da Eva sofort zwei Knaben gebar, wird doch wohl auch die Schwägerin von vorn herein in den Weltplan aufgenommen gewesen sein."

"Dann war sicher die Schlange im Paradiese die erste Schwägerin", brummte der Baron ingrimmig. Tante Klara's geröthete Augen quollen zornig aus dem bleichen Gesichte hervor, aber sie arbeitete mit ihren großen Filetnadeln ruhig weiter, ohne ein Wort zu erwidern; durch solche taktlose Ausfälle ließ sie sich nicht "aus dem Hause ihrer Schwester", wie sie mit Nachdruck zu sagen pflegte, vertreiben.

Einen segensreichen, vermittelnden Einfluß übte bei diesen unerquicklichen Verhältnissen nur der alte Pfarrer, dem die Baronin, und in seiner Art auch der Baron, ein gewisses Vertrauen entgegenbrachte. Im Grunde beruhte das ganze Geheimniß seiner Einwirkung darauf, daß der alte Herr beide Theile ruhig sich aussprechen ließ, sie wohlwollend anhörte und schließlich der Meinung war, daß andere Leute auch ihr Päckchen zu tragen hätten und Geduld haben müßten mit den Grillen ihrer Ehehälften. Meist hatte er dann auch für den einzelnen Fall einen vernünftigen Rathschlag, dem beide Ehegatten sich lieber fügten, als daß Einer dem Andern nachgegeben hätte.

Aus der Rede des geistlichen Herrn, daß Nik eine um so frohere Zukunft haben werde, je schwerer seine Kindheit sei, hatte die Baronin seiner Zeit großen Trost geschöpft. Sie hatte denselben auch nöthig, denn mit dem Befinden des Knaben wurde es vorerst nicht besser. Die Medizinen des Hausarztes hatten ihm für alle Zeiten den Magen verdorben, und die Süßigkeiten, welche die Kinderfrau und andere Dienstboten ihm zusteckten, weil sie den jungen Herrn an sich gewöhnen wollten, verdarben ihm auch noch die Zähne. Da der kleine Nikolaus aber gemäß seiner gesellschaftlichen Stellung den halben Sommer über Rundreisen bei der hohen Verwandtschaft machte, denn es verstand sich doch von selbst, daß seine Mama einige Wochen mit Adelinen, Josephinen, Lili, Mimi, einige mit Tina und einige mit Rudolfe zusammen sein mußte, so kam weder das junge Gehirn bei den langen Eisenbahnfahrten und der beflissenen Unterhaltung am fremden Orte, noch der Magen bei der stets wechselnden Kost jemals in Ordnung. Den Winter gehörte er dann wieder dem Medizinalrath.

Das war nun eine der Gelegenheiten, bei denen der Prediger in höchst verständiger Weise eingriff, indem er der gnädigen Frau zuredete, es ein Mal einen einzigen Sommer in ihrem Schlosse auszuhalten, um zu versuchen, ob ihr Nik nicht besser gedeihe, wenn er nicht fortwährend hin und her geschleppt werde. Da der Pastor ihr die Hölle dieses Mal heiß machte, wagte sie nicht ungehorsam zu sein. "Ich muß wohl hier sitzen, wenn ich mir nicht von meinem Manne bis zu meinem Todbette will vorwerfen lassen, daß ich Nik's Gesundheit durch Reisen ruinirt habe", sagte sie zu ihrer Schwester. Mit dem Bewußtsein einer Märtyrerin ergab sie sich darein, eine Weile so zu leben, wie es den Bedürfnissen ihres Kindes entsprach, und da der Pfarrer es verlangte, fand sie sich auch darein, den Knaben den Tag über in dem Garten und dem schattigen Parke zu lassen. Die guten Folgen für Nik's Gesundheit blieben nicht aus. Die wachsbleichen Züge des Kleinen belebten sich, der schlaffe, ermüdete Ausdruck wich, ein Schimmer von Jugendfreude legte sich über das feine liebliche Gesichtchen des Kindes, und durch den matten Milchglanz der zarten Haut sah man die blauen Adern an der Schläfe schimmern.

Aber Nik's Verhängniß, ein vornehmes Söhnchen zu sein, gab ihn auch jetzt nicht frei. In Gestalt der alten Kinderfrau, die schon die Baronin erzogen, das heißt zu der launenhaften, verzärtelten, kränklichen und phantastischen Dame gemacht hatte, die sie war, blieb es dem kleinen Nikolaus getreulich zur Seite. In ihrer saubern weißen Haube und den altmodischen dunkeln Kleidern sah die alte Barbara äußerst würdig aus mit ihrem faltigen Gesichte und dem gefältelten weißen Kragen. Aber dazu, ein Kind fröhlich zu erziehen, war sie zu alt und ernsthaft. Den Kleinen zu den lustigen Gärtnerskindern an den Sandhaufen zu setzen, wäre gegen ihre Ehre gewesen, auch hätte die Baronin es nicht geduldet. Sie selbst aber wußte das Kind nicht zu beschäftigen, das freilich auch launischer war als gesunde Kinder zu sein pflegen. Wenn man mit ihm spielte, ermüdete es rasch, und allein wußte es nichts mit sich anzufangen. So verlegte sich die Kinderfrau auf's Erzählen. Den Geschichten, in denen der Wolf kommt, folgten die Märchen von Feen und Prinzen, dann kamen Braut und Bräutigam, Räuber und allerlei Dornröschen an die Reihe. Mit großen Augen und dem frühreifen Verständniß eines kränklichen...



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