E-Book, Deutsch, 107 Seiten
Hausner / Menkes / Heise Revolver 37
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7438-7329-2
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Zeitschrift für Film
E-Book, Deutsch, 107 Seiten
ISBN: 978-3-7438-7329-2
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wie viel Demut verträgt Kunst eigentlich? Sind nicht der Mut zum Größenwahn und Demut zwei Antipoden, die es erstaunlicherweise braucht für ein Kunstwerk? So mancher predigt, man solle sich nicht so wichtig nehmen, die anderen machen lassen, das Fremde umarmen und echtes Wachstum zulassen. Hinter den Kulissen ist das Herrschen jedoch meist stärker vertreten als das Teilen. Gerade Filme entstehen nicht ohne massiven Kraftaufwand. Sie müssen verteidigt und am Leben gehalten werden. Sie existieren zuerst und zuletzt im Kopf und im Herzen einzelner Personen, die den ganzen Prozess steuern. Aber was bedeutet Demut in der Kunst dann? Demut vor dem, was abgebildet werden darf? Das Bewusstsein der eigenen Begrenztheit, im Denken, im Beobachten, im Gestalten? Das Bewusstsein, auf andere angewiesen zu sein? Würdigen, was andere erreicht haben? Die Autoren und Gesprächspartner in diesem Heft widmen sich diesen Fragen und liefern ganz unterschiedliche Versionen einer Arbeitspraxis zwischen Demut und Hybris...
Autoren/Hrsg.
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Liebe Diplomanden! Ich möchte damit anfangen zu sagen, dass ich selbst mein Studium nie abgeschlossen habe. Überhaupt war meine Studienzeit nicht sehr glücklich. Trotzdem bin ich Filmemacherin geworden und ich möchte Ihnen heute erzählen, wie es dazu kommen konnte. Es hat damit begonnen, dass ich mich an der Filmakademie Wien für Regie beworben habe, man mir aber nahe legte, für Schnitt zu inskribieren, weil man anscheinend meinem Erscheinungsbild und meinem Geschlecht nach urteilte und man mich daher für Schnitt geeignet hielt. Ich war dann für Schnitt und Regie inskribiert und in beidem schlecht. Ich glaube, inzwischen hat sich einiges geändert, sogar in Wien. Aber damals befand ich mich in einem Umfeld von kunstfeindlichen Lehrern und Technikern, die meisten obendrein überzeugt davon, dass eine junge Frau dem Job nicht gewachsen ist. Dazu muss ich sagen, ich war in St. Ursula in die Schule gegangen und 19, als ich auf der Filmakademie aufgenommen wurde, ich bin jedes mal rot geworden, wenn ich was laut sagen sollte und ich hatte selbst den Eindruck, ich bin hier völlig fehl am Platz. Dazu kam, dass mein Regieprofessor damals mir vorschlug, doch lieber zu heiraten, als so zu enden wie all diese erfolglosen Regiestudenten, aus denen nie richtige Regisseure werden. Dazu muss man sagen, dass damals, also Mitte der 90er Jahre in Wien, auf dem Kinosektor nicht viel los war. Die meisten gingen zum Fernsehen. Warum sollte also gerade ich es schaffen? Es sah wirklich nicht danach aus: Mein Hauptproblem damals war, dass ich mich nicht auf die Aufgaben einlassen konnte, die uns Studenten gestellt wurden. Ich konnte beim besten Willen keinen Sinn darin sehen: wir sollten eine Verfolgungsjagd drehen und einen Arbeitsvorgang. Bei Verfolgungsjagden in Filmen denke ich meistens an was anderes, weil sie mich selten interessieren und ich kenn mich auch nie aus, wer wen verfolgt. Ich hab ein schlechtes räumliches Orientierungsvermögen und wenn ich im Restaurant aufs Klo gehe, finde ich meistens den Rückweg nicht, sondern lande in der Küche oder verlasse das Lokal durch den Notausgang. Die Filme, die wir analysierten, waren amerikanische Genrefilme, alle von Männern gemacht. Ich hatte nichts damit zu tun. Ich hab Filme geliebt, die rätselhaft und surreal waren. Maya Deren zum Beispiel, oder Bunuel. Und ich habe mich für Stil, für Ästhetik interessiert. Für Filmsprache. Aber anscheinend war ich auf der Suche nach einer Sprache, die an der Filmakademie nicht gesprochen und nicht unterrichtet wurde. Wir sollten die sogenannten Regeln erst mal lernen, bevor wir sie dann brechen durften – ein Spruch, den ich nach wie vor unsinnig finde, denn wer definiert, was die Regeln sind? Syd Field? Warum er? Weil wir damals mit diesen Filmen aufgewachsen waren? Wer sagt, dass Filmsprache nicht auch ganz anders funktioniert? Maya Deren wurde bei uns natürlich nur peripher in einem Nebenfach unterrichtet. Das waren aber die einzigen Filme, durch die ich verstanden habe, wie Schnitt funktioniert. Also in meiner Verfolgungsjagd hat sich niemand ausgekannt und meine Übungsfilme waren so, dass man mir nahe legte, das Studium sein zu lassen. Inzwischen war ich in Schnitt schon rausgefallen, weil ich die Schnittübungen nicht so geschnitten habe, wie ich hätte sollen. Der Höhepunkt oder Tiefpunkt war dann ein Seminar für Synchronregie. Wir mussten eine schlechte Liebesszene im Stil einer Fernsehserie der achtziger Jahre synchronisieren. Ich war völlig hilflos, ich wusste nicht, was ich den Synchron-Sprechern, also den Schauspielern sagen soll – ich konnte das nicht wirklich ernst nehmen und daher fiel mir keine einzige Regieanweisung ein. Der Synchron-Regisseur, der das Seminar leitete, hat dann zum Abschluss jedem Studenten ein Feedback gegeben – was er gut oder schlecht machte – und am Ende sagte er, nur eine Studentin hat komplett versagt und er zeigte auf mich. Ich kann sagen, das war ein Tiefpunkt. Es war ein Tiefpunkt erreicht. Ich wurde in Regie nicht abgeschlossen und musste ein Semester wiederholen. Das muss man sich vorstellen! Ich wollte doch berühmt werden und großartige Filme machen! Aber ich war nicht mal gut genug, um das Regiestudium zu schaffen! Ich hab also ein Semester wiederholt, einen Film zweimal gedreht, und in diesem ganzen unglaublich deprimierenden Szenario dämmerte mir langsam etwas: ich muss raus hier. Zu diesem Zeitpunkt ist mein Regieprofessor gestorben, was mich erst mal befreite und ich ließ mich beurlauben. Ich hatte Angst, dass nichts aus mir wird, dass die anderen Filme machen können und ich nicht. Ich floh aus Wien und ging nach Berlin und arbeitete als Trainee bei einem Film mit und schrieb abends an einem Drehbuch. Als ich zurück nach Wien kam, zeigte ich meinem neuen Prof das Buch: und er sagte: Hauptsache, dir gefällt’s. DU musst wissen, was du damit erzählen willst. Aber das musst du dafür genau wissen und dann auch genau so umsetzen, ohne dich von irgendjemandem davon abbringen zu lassen. Das hat mich ins Herz getroffen. Das hat mir davor noch niemand gesagt. Immer ging es darum, eine bestimmte Vorgabe zu erfüllen, und sei es auch nur eine Geschmackserwartung zu erfüllen. Und plötzlich sagt mir jemand: was ich mir ausgedacht habe, ist genau das, was ich umsetzen soll. Das und nur das. Das Drehbuch hieß Flora und war dann ein zwanzigminütiger Film, und während ich diesen Film machte, war ich glücklich. Ich spürte, dass ich meine Vorstellung umsetzen konnte. Das, was früher meine Schwäche war (Auflösung, Orientierung im Raum), wurde plötzlich meine Stärke, weil ich eine Auflösung wählte, die ohne Orientierung im Raum auskommt! Und im Laufe meines Filmemachens habe ich es sogar noch weiter getrieben. Ich benutze jetzt meine Unfähigkeit als Fähigkeit: dadurch, dass ich mich in Räumen nicht auskenne, muss meine Auflösung emotional funktionieren. Die Personen und ihre Gefühle sind die Fixpunkte im Raum, die innere Dramaturgie ist mein Orientierungssystem und der Schnitt verbindet auf wunderbare Weise Orte und Zeiten, die sonst niemals verbunden wären, weil sie emotional gesehen zueinander gehören. Wie in den Filmen von Maya Deren. Ebenso mein Unvermögen, Spannung durch Geschwindigkeit zu erzeugen: heute erzeuge ich Spannung durch eine Bedrohung, die ich im Kopf des Zuschauers entstehen lasse, durch eine unheimliche Idee, die Zeit braucht, um ihre Wirkung zu entfalten. Nach der Erfahrung mit den Synchron-Schauspielern habe ich eine Weile mit Laien gearbeitet, um für mich zu entdecken, was ich Schauspielern überhaupt sagen möchte. Was für mich real ist, was fühlt sich echt an und welchen Stil des Schauspiels wähle ich. Und auf einmal wurde mir klar, dass es gut war, dass ich das, was alle konnten, nicht konnte. Dadurch musste ich meinen eigenen Weg finden, Filme zu machen. Ich musste für mich alles neu entdecken. Ich habe also stilistisch von den Laiendarstellern gelernt und jetzt arbeite ich zwar mit Schauspielern, aber ich tue immer noch so, als wären sie Laien! Ich caste solange, bis ich die Person gefunden habe, die die Rolle verkörpert, die genau passt, die von selbst genau das spielt, was die Rolle sein soll. Ich behandle Schauspieler wie Laien. Und wenn mich ein Schauspieler nach seiner Backstory fragt, verschiebe ich das Gespräch solange, bis die Klappe geschlagen wird und wir drehen. Ich will damit sagen: ich konnte nicht erfüllen, was von mir erwartet wurde, aber dafür hab ich etwas anderes gemacht, was dem Publikum dann auch gefallen hat. Und ich will noch weiter gehen: hätte ich es so gemacht wie von mir erwartet, wäre es schlecht geworden. Das hatte ich am Anfang meines Studiums ja bereits bestätigt bekommen. Im Nachhinein hört sich so was gut an und es ist wie die Geschichte vom hässlichen Entlein, das endlich seine Schwanen-Familie findet. Aber früher, als ich in dieser ausweglosen Lage war, konnte ich noch nicht wissen, wie sich alles fügen wird – und man kann es nicht wissen, was sich in der Zukunft herausstellt oder ergibt. Aber rückwirkend kann ich sagen: es war nötig, in all diesen angeblich gültigen Regeln zu versagen. Es war nötig, in Regie durchzufallen, um zu verstehen, dass ich es niemandem recht machen kann. Nicht weil ich es nicht will, sondern weil ich es nicht kann!
Ich möchte die Geschichte noch um eine Episode erweitern: ich hab also meinen Kurzfilm Flora gedreht. Ich war glücklich, aber in der Filmakademie hatte man mich bereits als Looser abgestempelt. Es musste erst von außen ein Erfolg kommen (Flora hat auf internationalen Filmfestivals einige Preise gewonnen) und danach hat man mich respektvoller behandelt. Dann hab ich noch einen Abschlussfilm gedreht, der ebenfalls auf Festivals erfolgreich war. So konnte ich meinen ersten Langfilm finanziert kriegen: Lovely Rita. Ich war also scheinbar auf dem Weg, ich hatte die Filmakademie überwunden und war Filmemacherin. Dann drehte ich einen Film namens Hotel: die Idee war, einen Genrefilm gegen das Genre zu drehen. Einen Mystery Thriller, in dem das Mystery nicht aufgeklärt wird, ein Horrorfilm ohne Monster. Als der Film dann fertig war, war das Echo des Publikums gespalten. Teilweise aggressiv, verärgert: auf der Website des Films waren Comments zu lesen wie: it’s like jaws without the shark, oder: I want my money back. Der Weltvertrieb war enttäuscht, ich musste mir viel Kritik anhören. Ich war selbst auch enttäuscht, dass der Film anscheinend nicht verstanden wurde. Aber der einzige Grund den Film zu machen, war, dass das Monster fehlte! Ich war und bin überzeugt davon, dass die Idee an sich gut war, vielleicht war meine Umsetzung...