E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Haushofer Bartls Abenteuer
14001. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8437-0796-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0796-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Marlen Haushofer wurde 1920 im oberösterreichischen Frauenstein geboren. Sie zählt heute zu den wichtigsten deutschsprachigen Autor:innen des 20. Jahrhunderts und wurde mit zahlreichen Literaturpreisen geehrt. Ihre Bücher sind in mehrere Sprachen übersetzt und für Film und Theater adaptiert. 1970 starb sie in Wien.
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Wie Bartl die Wohnung erforscht, Mamas Schlafrock erobert und die Bekanntschaft des schwarzen Ungeheuers macht
In den folgenden Wochen erlebte Bartl so viele wunderbare Dinge, daß er nicht zur Ruhe kam. Die erste große Entdeckung war, daß es nicht nur ein Zimmer, sondern viele Zimmer gab, die er alle erforschen mußte. Jeder Morgen fing damit an, daß Papa, Mama und die beiden Buben sich an den Tisch setzten und frühstückten. Auch Bartl bekam sein Frühstück: eine Untertasse mit warmer Milch. Er bekam es sogar als erster, weil er dauernd um Mamas Beine strich und sie bei jedem Schritt behinderte. Papa und die beiden Buben waren am Morgen nicht zum Spielen aufgelegt. Das war schade, denn Bartl fühlte sich äußerst frisch und ausgeruht und schleppte sämtliche Bällchen herbei. Waren die drei aber aus dem Haus, ging der Spaß erst richtig los. Mama, noch im Schlafrock, ließ sich fast immer zu einem Spiel verleiten. Sie war, das hatte Bartl sehr bald entdeckt, eine geduldige Seele und sehr geeignet als Spielgefährte einer kleinen Katze. Außerdem war sie gescheit genug, um fast immer zu verstehen, was Bartl von ihr wollte. Brav und fleißig trabte sie hin und her, warf die Bällchen durchs Zimmer, versteckte sie unter dem Teppich und kroch in die entferntesten Winkel, um sie wiederzufinden. Sie sah sogar weg, wenn Bartl genüßlich Fäden aus dem Teppich zog, und stopfte sie später mit einer Stricknadel wieder hinein. Außerdem, und das rechnete Bartl ihr hoch an, war sie nicht wehleidig. Sie fiel nicht gleich in Ohnmacht, wenn er von einem Schrank aus auf ihre Schulter sprang oder wenn er hinter einem Sessel hervorschoß und sie in die Beine biß. Manchmal schrie sie ein bißchen, und dann ließ er sie sofort los, denn er konnte laute Geräusche nicht leiden. Sie schrie aber nicht oft, nur wenn er wirklich zu fest zugebissen hatte. Immer ging sie ganz zerkratzt umher. Ihre Arme und Beine waren voll roter Striche, und es dauerte Monate, ehe Bartl begriff, daß die komische nackte Haut der Menschen viel dünner war als sein dickes Fell. Von da an bemühte er sich sehr, die Krallen einzuziehen und sanft zuzubeißen, aber im Eifer des Spieles kam es immer wieder vor, daß er vergaß, mit wem er es zu tun hatte.
Nachdem alle Spiele gespielt waren, Bällchenwerfen, Verstecken, Anspringen und Raufen, war Bartl endlich müde und ließ sich auf den Teppich fallen. Dann machte sich Mama, die viel zuviel Zeit mit ihm vertrödelt hatte, an die Arbeit. Aber Bartl mochte nicht, daß sie aus dem Zimmer ging, und lief kläglich miauend hinter ihr her. So legte sie ihn sich um den Hals, um endlich vor ihm Ruhe zu haben. Dieser Platz gefiel Bartl sehr gut, und er verbrachte höchst lehrreiche und vergnügte Stunden dort oben. Er lernte, sich festzuhalten, und Mama konnte mit ihrer leichten Last auf dem Nacken fast alle Hausarbeiten verrichten: Aufräumen, Staubwischen und Kochen. Sie erzählte ihm, was ihr gerade einfiel, und wenn sie gut gelaunt war, sang sie auch ein wenig. Bartl verstand kein Wort, aber er hatte es gern, wenn man sich mit ihm unterhielt, und er schnurrte dazu auf Mamas Nacken. Mit der Zeit kam Mama dahinter, daß er traurige, getragene Lieder am meisten liebte, wohl weil ihm hohe Töne in den Ohren weh taten. Je trauriger Mama sang, desto vergnügter wurde Bartl. Wenn er lange Zeit auf Mamas Nacken verbracht hatte, wurde er angenehm schläfrig. Auf und nieder gewiegt wie in einem Boot auf dem Meer, döste er vor sich hin und spitzte nur die Ohren, wenn sein Name fiel.
Einige Menschenworte lernte er sehr bald verstehen: Milch, Fleisch, schlafen, Mama und Papa und Bartl brav. Eigentlich war er gelehriger als die Menschen, die nur erraten konnten, was seine Ausrufe in der Katzensprache bedeuten sollten. Am besten verstand er aber seinen Namen, und er konnte ihn gar nicht oft genug hören. Wenn im Gespräch zufällig die Rede auf ihn kam, spitzte er sofort die Ohren, streckte die kleine, rotbraune Nase in die Luft und preßte vor Behagen die Augen zu. Da die ganze Familie ihm schöntat und jeder ihn verwöhnte, bildete er sich bald ein, außerordentlich wichtig zu sein, und er wurde ein wenig größenwahnsinnig.
Erst viel später kam er dahinter, daß es auch noch andere Menschen gab und daß nicht alle Menschen gut und freundlich waren. Das sollte für sein kleines Katzenhirn noch sehr verwirrend werden. Erst nachdem er schreckliche Dinge erlebt hatte und nur mit Mühe und Not dem Tod entgangen war, fand er sich damit ab, daß er einzig und allein seinen Menschen vertrauen durfte, niemals einem Fremden.
Aber davon ahnte der glückliche kleine Kater noch nichts. Vorläufig sah die Welt noch recht rosig für ihn aus, wenn es auch in der Wohnung Dinge gab, die ihn manchmal beunruhigten. Da war zunächst der Spiegel, in dem immer, wenn er vorbeiging, eine kleine Tigerkatze saß und ihn anfauchte. Diese Katze machte ihm viel Kopfzerbrechen. Nachdem er ein paarmal versucht hatte, den frechen Eindringling hinter dem Spiegel zu suchen, ihn aber nicht finden hatte können, beschloß er, ihn nicht mehr zu beachten. Die Sache war entschieden unheimlich: eine Katze, die nach nichts roch, deren Pfoten sich eiskalt anfühlten und deren Hauch er nicht spüren konnte.
Es war besser, dieses Geschöpf zu vergessen und den Kopf zur Seite zu drehen, wenn er am Spiegel vorbeiging. Außerdem hatte er bemerkt, daß die Buben ihn auslachten, wenn er der Spiegelkatze die Zähne zeigte. Alle Katzen hassen es, ausgelacht zu werden. Bartl war so gekränkt, daß er sich hinter den Ofen setzte und stundenlang kein Wort mit den Buben redete.
Die Spiegelkatze hatte er also bald durchschaut, aber da gab es viel unangenehmere Dinge wie das Telephon, die Türglocke, den Staubsauger und das Radio. An sie konnte er sich nie gewöhnen. »Ich weiß nicht, warum er so nervös ist«, sagte Papa, als er sah, daß Bartl bei jedem Geräusch zusammenzuckte, »wir werden ihm Lebertran geben müssen.« Bartl spuckte die Medizin aus, denn Lebertran schmeckt auch für kleine Katzen scheußlich. Es hätte ihm ohnedies nichts genützt. Er war kerngesund, nur waren seine Ohren sehr empfindlich geschaffen für die leisen Geräusche in der Natur, die ein Mensch gar nicht mehr hören kann. Der Lärm, den die Maschinen machten, tat Bartl im Kopf weh und zwang ihn, blindlings die Flucht zu ergreifen. Zitternd und mit pochendem Herzen saß er dann in einem ruhigen Winkel und wartete, bis der Schmerz in seinen Ohren abklang.
Die Menschen waren eben lärmende und tolpatschige Geschöpfe im Vergleich zu einer Katze, und das Schlimme daran war, daß sie es nicht einmal wußten. So gerne Bartl mit der Zeit seine Menschen hatte, an ihre laute Art konnte er sich nie gewöhnen. Besonders die Buben ärgerten ihn mit ihrem Geschrei und Gepolter oft und waren dann betrübt, wenn Bartl ihnen aus dem Weg ging. Nicht nur, daß die Menschen so laute Stimmen hatten und mit den Füßen scharrten, mußten sie auch noch Maschinen kaufen, die noch mehr Lärm schlugen als sie selbst. Bartl verabscheute diese Maschinen mit dem abgrundtiefen, nachtragenden Haß einer beleidigten Katze. Er konnte den Staubsauger und das Radio nicht umbringen wie eine Fliege, aber er betrachtete sie als seine persönlichen Feinde und zeigte seine Abscheu deutlich genug. Wenn einer der Lärmschlager lief, verließ Bartl verächtlich das Zimmer und machte es sich am anderen Ende der Wohnung bequem. Immer fand er einen der Familie, der ihm bereitwillig alle Türen öffnete, die er geöffnet haben wollte. Meist genügte ein leises, jämmerliches Miau, um den Menschen Beine zu machen. Wurde er aber einmal nicht gehört, fing er an, ganz öffentlich Fäden aus dem Teppich zu ziehen, und das genügte jedesmal, um die Menschen aufspringen zu lassen. Es zeugte von Bartls Klugheit, daß er so bald die Schwächen der Menschen entdeckte und für seine Zwecke benützte. »Du bist ein kleiner Erpresser«, sagte Mama, und Bartl schnurrte fröhlich und rieb seinen Kopf an ihren Beinen. Niemand konnte ihm böse sein.
Damals schlief er auch noch sehr viel, wie ein kleines Kind konnte er nicht genug Schlaf bekommen. Nachdem er am Vormittag Mama bei der Hausarbeit Gesellschaft geleistet hatte, schlief er bis zum Abendessen. Papa hatte ihm einen hübschen kleinen Korb gekauft und einen roten, mit Watte gefüllten Polster. Diesen Korb betrat Bartl nur einmal, nämlich als er den Polster zerriß und die Watte in allen Winkeln versteckte. Dann sah er ihn nie wieder an, und Mama trug ihn in die Abstellkammer. Bartl zog es vor, auf einem Polstersessel oder auf einem Bett zu schlafen. Anfangs versuchte Mama, ihn dazu zu bringen, nur einen bestimmten Sessel zu benützen, als er aber ihre Absicht merkte, ging er diesem Sessel aus dem Weg. Ungefähr jede Woche entwickelte er eine neue Vorliebe für irgendeinen Platz. Er schlief der Reihe nach auf allen Betten und Sesseln, auf dem Diwan, dem Wäschekorb und noch an vielen anderen Orten. Einmal hatte Mama ihren Schlafrock auf ihr Bett gelegt. Bartl kroch sofort darunter. Da war es warm und dunkel, und alle Geräusche klangen gedämpft. Seither verlangte er jedesmal, wenn er sich zur Ruhe begab, nach dem Schlafrock, den er als sein Eigentum betrachtete. Mama versuchte, ihn mit leichten Decken oder Schals zu täuschen, aber ohne jeden Erfolg. Sooft sie daranging, ihren Schlafrock zurückzuerobern, erhob Bartl ein so jämmerliches Geschrei, daß Papa von Mitleid erfaßt wurde und Mama schließlich einen neuen Schlafrock kaufte. Dieser neue war viel leichter und weicher als der Alte, und Bartl kam natürlich sofort dahinter und verlangte ihn stürmisch für sich. So kam es, daß Mama den alten Schlafrock wusch, der dabei ein wenig zu kurz wurde, und Bartl seine Katzenträume unter dem schönen neuen Schlafrock träumte.
Eines Tages nach dem Abendessen sagte Papa, man müsse...